Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Warum schreiben wir? Wie werde ich reich und berühmt durch meine Bücher? Was macht die besondere Schönheit des Adjektivs aus?
Glaukos
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Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 10.09.2005, 17:33

Wer in Wien dabei war, kennt die Übung - ich habe sie ja als kleine Hausausgabe allen mitgegeben ... hier kann natürlich auch jeder andere sich daran versuchen.


Streichen und Ergänzen
In den ersten drei Strophen ist in jeder Zeile ein Wort zu streichen und ein Wort zu ergänzen. Der letzte Dreizeiler ist ganz zu ergänzen – das Gedicht ist ein Fragment.



Sonett 1

So bin ich _____________ verführt von jedem grauen Schatten,
Der zauberleicht niederglitt ____________ eines Vogels Flug,
Als träfe mich Hoffnung ______________ tödlichem Ermatten
Dein blonder Wimpernaufschlag. In dem _____________ Zug

Des blauen Windes rührt _______________deine harte Hand
Sehnsüchtig __________, im Schilfe rauscht dein wirres Haar,
Dem letzten Stundenschlag, wie er ______________ schwand,
Glich allzu oft _______________ Lächeln, fern und unhaltbar.

Auch, wenn du ewig _______________, wär im Niederregnen
____________ deine allerschönste Träne - ach ich müßte dir
Selbst wo du niemals schlafen gingest, ___________ begegnen

___________________________________________________
___________________________________________________
___________________________________________________

Maria Luise Weissmann
(1899-1929)



Hier noch ein paar Anmerkungen zur Form des Sonetts:
Ein Sonett besteht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind: zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende dreizeilige Terzette oder Terzinen.
Das Italienische Sonett steht im sog. Endecasillabo (Elfsilber), dem im Deutschen ein jambischer Pentameter bzw. ein fünfhebiger Jambus entspricht.
In der französischen Klassik und in der ersten Rezeptionsphase in Deutschland während der Barockzeit war das bevorzugte Versmaß der Alexandriner, ein sechshebiger Vers mit "Dihärese", d.h. mit einer Zäsur in der Mitte; der Dramenvers der französischen Klassik. Seit A. W. Schlegel gilt in Deutschland als Idealform der fünfhebige Jambus mit weiblicher (zweisilbiger) oder männlicher (einsilbiger) Kadenz und dem Reimschema

abba - abba - cdc - dcd

In den beiden Terzetten kamen jedoch zu allen Zeiten viele Varianten vor, z. B.

abba - abba - ccd - eed
abba - abba - cde - cde
abba - abba - ccd - dee

etc.

Mögliche ideale inhaltliche Strukturierungen sind:
· These im 1. Quartett
· Antithese im 2. Quartett
· Synthese in den Terzetten
· These in den Quartetten
· Antithese in den Terzetten




So, jetzt bin ich gespannt auf eure Entwürfe ... und ... eines ist natürlich verboten - zu googlen ;-)

Glaukos
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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 17.09.2005, 17:02

... oh, was für eine Begeisterung, bitte nicht drängeln ;-)
Hmh, da kann ich auch faul sein und die (ohnehin hanebüchene) Wien-Werkstatt-Geschichte mit den "Rudelhunden" der Öffentlichkeit vorenthalten (wäre auch besser so ;-) .

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Edekire » 18.09.2005, 17:11

entschuldige, abe rich habe erst in der kommenden Woche Zeit dafür....

Lg

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Silentium » 20.09.2005, 23:06

Versuch

So bin ich Narr verführt von jedem Schatten,
Der niederglitt von eines Vogels Flug,
Als träfe mich mit tödlichem Ermatten
Dein Wimpernaufschlag. In dem kalten Zug

Des blauen Windes rührt sich deine Hand
Verzagt, im Schilfe rauscht dein wirres Haar,
Dem Stundenschlag, wie er verhallend schwand,
Glich oft dein Lächeln, fern und unhaltbar.

Auch, wenn du lachtest, wär im Niederregnen
doch deine Träne - ach ich müßte dir
Selbst wo du niemals gingest, stets begegnen

Es warf kein Vogel seinen Schatten über
Uns beide, deine Schritte fort von mir
die hallen tief in meinem Schädel wieder.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Edekire » 21.09.2005, 12:42

Brrrrr...reimen, das ist ja schrecklich. Irgendwie fühlt sich meine Kopf dabei so quadratisch an... deshalb keine Garantie für das Ergebnis.

Sonett 1

So bin ich nicht verführt von jedem Schatten,
Der niederglitt mit eines Vogels Flug,
Als träfe mich beim tödlichen ermatten
Dein Wimpernaufschlag. In dem ruß'gen Zug

Des Windes rührt mich deine harte Hand
brutal, im Schilfe rauscht dein wirres Haar,
dem letzten Stundenschlag, wie ich verschwand,
Glich oft Undinenlächeln, fern und unhaltbar.

Auch, wenn du weintest, wär im Niederregnen
Eisgepanzert deine Träne – ach ich müsste dir
Selbst wo du niemals gingest, noch begegnen

Müsste fühlen deinen Atem, Schwingen über mir
auf deine Lockung, suchte ich nichts zu entgegnen
In jedem Federrauschen höre ich jetzt deine Gier
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
sarah kane

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 21.09.2005, 14:28

Sehr schön, ihr beiden!
Ich will noch nichts zu den Gedichten sagen ... weil ich gerade eine Idee habe. Was haltet ihr davon, das hier zu einem kleinen Wettbewerb umzugestalten?
Teilnahmeberechtigt ist jedes Mitglied bei O livro (ausgenommen mich, da ich das Gedicht kenne) ... am Ende dürfen dann die Teilnehmer über die Gedichte abstimmen, sie legen eine Reihenfolge der (sagen wir) fünf besten Vers(uch)e. Dabei können sie dann natürlich nicht für ihr eigenes Gedicht stimmen ...
Einen kleinen Preis würde ich auch gerne ausloben, aber im Moment fällt mir nichts ein. Geld wird es nicht sein ... etwas Ideeles. Ich muss mal schauen, was ... vielleicht eine bibliophile Kuriosität ...

... was haltet ihr davon?

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Edekire » 21.09.2005, 20:37

Meinetwegen gerne :-D Aber 5 ist recht hoch angesetzt. Weil es schwer ist an so viele Teilnehmer zu kommen. (Man betrachte den letzten)
:-)
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
sarah kane

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Eja » 23.09.2005, 15:02

also, wenn ich was nicht kann, dann ist es dichten...

Ich habs trotzdem mal versucht..
aber deine anm. zur form eines sonetts hat mich schon anfangs ziemlich abgeschreckt (u ganz verstandn hab ichs auch nicht) :-)

Sonett 1

So bin ich allein verführt von grauen Schatten,
zauberleicht niederglitt wie eines Vogels Flug,
Als träfe Hoffnung mit tödlichem Ermatten
Dein Wimpernaufschlag. In dem sanften Zug

Des blauen Windes rührt leicht deine Hand
Sehnsüchtig berührend, im Schilfe rauscht wirres Haar,
Dem letzten Stundenschlag, wie er schnell schwand,
Glich oft deinem Lächeln, fern und unhaltbar.

Auch, wenn du singst, wär im Niederregnen
Weine deine allerschönste Träne - ich müßte dir
Selbst wo du niemals schlafen gingest, im Traum begegnen

Allein stehend, eingehüllt von Dunkelheit
Wartend auf deines Körpers Schatten
Versinke ich in traurige Einsamkeit

Maria Luise Weissmann
(1899-1929)

so, editiert und einiges gestrichen...hoffe es passt jetz... :-)
..., oda.

[) i r k
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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon [) i r k » 23.09.2005, 19:51

Servus!
Was haltet ihr davon, das hier zu einem kleinen Wettbewerb umzugestalten?
Teilnahmeberechtigt ist jedes Mitglied bei O livro (ausgenommen mich, da ich das Gedicht kenne) ... am Ende dürfen dann die Teilnehmer über die Gedichte abstimmen, sie legen eine Reihenfolge der (sagen wir) fünf besten Vers(uch)e. Dabei können sie dann natürlich nicht für ihr eigenes Gedicht stimmen ...

Find ich gut, da mach ich doch sofort mit. Endlich mal ein O livro Wettbewerb, an dem ich auch teilnehmen darf und nicht selbst Preis und Jurymitglied stellen muss. Das ist ja mal ganz was neues. :-)

Hier also mein Beitrag zu Schreibübung und Wettbewerb:


Sonett 1

So bin ich schon verführt von jedem Schatten,
Der niederglitt in eines Vogels Flug,
Als träfe mich mit tödlichem Ermatten
Dein Wimpernaufschlag. In dem Atemzug

Des Windes rührt mich deine harte Hand
Sehnsüchtig an, im Schilfe rauscht dein Haar,
Dem Stundenschlag, wie er verebbend schwand,
Glich oft dein Lächeln, fern und unhaltbar.

Auch, wenn du weintest, wär im Niederregnen
Nicht deine Träne – ach, ich müsste dir
Selbst wo du niemals gingest, noch begegnen.

Jetzt wuchern Schilf und Schatten über mir
Und deine Spur verläuft sich im Entleg'nen.
Was suchst und wanderst du? Ich bin – hier!


Irgendwie zweifle ich immer noch, ob die Autorin wirklich ein Sonett angestrebt hat. Ich meine, okay, es steht "Sonett 1" drüber (ist diese Überschrift original von ihr?), aber das Reimschema "abab" ist doch eher atypisch für ein klassisches Sonett und mir kommt es eher so vor, als wollte sie ein Gedicht mit drei vierzeiligen Strophen (abab) schreiben, aber mit der vorletzten Zeile war dann schon alles gesagt, das Gedicht abgerundet und alles weitere wäre überflüssig gewesen. Ich denke, das merkt man auch unseren Versuchen an: alles, was über "begegnen" hinausgeht, wirkt wie drangesetzt, wie eine Verlängerung oder Wiederholung eines alten Motivs. Das "Ich müsste dir, selbst wo du niemals gingest, noch/stets begegnen" ist ein ziemlich runder, starker Abschluss und ist nur noch schwer zu toppen. Jedenfalls mir wollte es nicht gelingen.


@Eja

Noch ein kleiner Tipp, die Aufgabe hieß: Streichen und Ergänzen:
In den ersten drei Strophen ist in jeder Zeile ein Wort zu streichen und ein Wort zu ergänzen. Der letzte Dreizeiler ist ganz zu ergänzen – das Gedicht ist ein Fragment.

Aber ich find's super, dass du dich an die Aufgabe gewagt hast, obwohl es eigentlich nicht dein Ding ist, zumal für mein Empfinden die Aufgabe gar nicht so einfach war, wie sie mir auf den ersten Blick vorgekommen ist.

:-) gelbdirk ;-)
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

Eja
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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Eja » 23.09.2005, 20:02

streichen auch noch?
okay... dann mach ichs nochmal..oder?

danke dirk, fürs aufmerksammachen... :-D

tja, sowas überliest man doch gern *verlegen grins*
..., oda.

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 15.11.2005, 16:13

Nun denn, vier Beiträge sind doch noch etwas dürftig ;-)
Das Angebot steht. Ab zehn Beiträgern stelle ich ein kleines Bücher-Paket zusammen! (und ich packe nicht nur Remittenten hinein, keine Angst ;-) Trostpreise gibts leider nicht, aber Dabeisein ist doch alles?

Alle, die mitmachen, erhalten dann Stimmrecht und sitzen dann selbst in der Jury. Jeder bekommt einen Pool an sagen wir 10 Stimmpunkten, die er auf die Gedichte verteilen kann (ausgenommen dem eigenen).
Soviel zu den Geschäftsbedingungen ;-)

Liebe Grüße,
Tolya

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Edekire » 15.11.2005, 16:32

Also los! Strengt euch an macht mit! dann können wir was gewinnen.
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
sarah kane

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 15.11.2005, 16:58

Also los! Strengt euch an macht mit! dann können wir was gewinnen.


jawohl ;)
Zum Beispiel einen Taschen-Kunstband von Edward Weston. Halb Englisch, halb Französisch. Da könnt ich gleich zwei Sprachen auf einmal lernen ;)

Eja
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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Eja » 15.11.2005, 17:03

Zum Beispiel einen Taschen-Kunstband von Edward Weston. Halb Englisch, halb Französisch. Da könnt ich gleich zwei Sprachen auf einmal lernen ;-)


und wenn man weder das eine noch das andere kann? ;-)

Also Leute, auf auf...nur keine Müdigkeit vortäuschen, wir wissen doch, dass ihrs draufhabt... :-D

Ich will Jury sein, also macht macht macht.... 6 Stück mindestens, des griag ma decht scho hin ^^

Lg Eja
..., oda.

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Re: Schreibübung - Nachtrag zur Wiener Textwerkstatt

Beitragvon Glaukos » 15.11.2005, 17:16


und wenn man weder das eine noch das andere kann? :zwinkern:


Wenn du nicht auch noch blind bist, dann guckst du dir eben die Fotografien an ;)


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