Anti-Reim und Tabu-Schleim

Warum schreiben wir? Wie werde ich reich und berühmt durch meine Bücher? Was macht die besondere Schönheit des Adjektivs aus?
[) i r k
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Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon [) i r k » 16.02.2007, 20:39

Hallo Forum! :-)

Hier soll es um Reime gehen - ihr wisst, das sind diese Dinger am Ende einer Zeile, die mit anderen Zeilenausläufern nach Harmonie und Gleichklang streben. Zum Auftakt ein kleiner Vers von Robert Gernhardt:
Seht ihn an den Dichter.
Trinkt er, wird er schlichter.
Ach, schon fällt ihm gar kein Reim
Auf das Reimwort „Reim“ mehr eim.

Quelle: Robert Gernhardt: Wörtsee.

;-)

Ich habe ein paar Fragen mitgebracht. Ich wickle sie mal aus:

1.) Was haltet ihr von Reimen?

2.) Glaubt ihr, dass Gedichte in Reimen bzw. Reime in Gedichten heute noch zeitgemäß sind?

2a.) Wenn ja, warum?

2b.) Wenn nein, warum nicht?

3.) Was macht eurer Meinung nach einen guten Reim, ein schönes und effektvoll eingesetztes Reimpaar aus? Beispiele erwünscht.

4.) Was sind für euch schlechte, unwirksame, da ausgelutschte, vermeidbare, überflüssige, verachtenswerte Reime? Reime, die die Welt nicht braucht. Nach Max Goldt "Schweine" genannt - kleine Exkursion in eine andere Ecke des Forums:

http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=2114

Gibt es vielleicht sogar Reime, die derjenige, der etwas vom Fach versteht, unter gar keinen Umständen in den Mund nehmen sollte, weil sie zu vorbelastet sind, zu inflationär gebraucht, zu universell-nichtssagend, z.B.
  • Herz-Schmerz
  • Liebe-Triebe
  • Blut-Glut
  • Wahrheit-Klarheit
5.) Fallen dir weitere Tabu- oder Anti-Reime ein? Bitte mit Begründung, warum diese für immer und ewig für den guten Geschmack verdorben wurden.

6.) Oder: Glaubst du, dass es einen Weg gibt, auch diese Anti-Reime wieder zu "rehabilitieren"? Hälst du es für machbar, diese in bestimmte Formen gepresste, von bequemer Sprachgewohnheit geprägte, mit immer denselben Vorstellungen im soziolinguistischen Gedächtnis der Menschen fest verknüpfte Wortpaare (oder Wortgruppen) in neue metaphorische, bildliche, sinnliche, dramaturgische usw. Zusammenhänge zu stellen? Sie quasi zu entstauben oder eine neue, bisher ungeahnte Facette an ihnen zu entdecken. Ihnen neue Schönheit zu verleihen.

7.) Fallen Dir dazu vielleicht Beispiele aus der modernen Literatur ein?

8.) Kleine Reimübung für Fortgeschrittene: Versuch aus den hier als Tabu- oder Anti-Reimen an den Pranger gestellten Vorschlägen ein Gedicht zu schreiben, dass nicht flach, verbraucht, langweilig, kitschig, uninspiriert und altbacken klingt. Nicht schnöde-dröge-öde-blöde. Die von dir selbst vorgeschlagenen Anti-Reime dürfen allerdings nicht darin auftauchen (wär sonst ein bissel "einfach"). Der Verfasser des besten Poems, darf sich auf www.buchticket.de ein Buch seiner Wahl aussuchen (Voraussetzung: Es machen mehr als 3 Personen mit). The jury is consisting of me, myself and I.

Ich schließe mit dem Credo:

Doch der unbeirrte Reimer
trägt auf dem Kopf den Eimer!


In diesem Sinne,
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riemsche
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon riemsche » 17.02.2007, 00:43

zu 1.) Was haltet ihr von Reimen?
"viel, wenn ich sie nicht dichten MUSS"

zu 2.) Glaubt ihr, dass Gedichte in Reimen bzw. Reime in Gedichten heute noch zeitgemäß sind?

zu 2a.) Wenn ja, warum?
"jeder tag ist ein geburtstag"

zu 2b.) Wenn nein, warum nicht?
"das frage ich mich auch"

zu 3.) Was macht eurer Meinung nach einen guten Reim, ein schönes und effektvoll eingesetztes Reimpaar aus? Beispiele erwünscht.
"wenn man ihn anders erwartet, als er einem dann besser gefällt"

zu 4.) Was sind für euch schlechte, unwirksame, da ausgelutschte, vermeidbare, überflüssige, verachtenswerte Reime? Reime, die die Welt nicht braucht. Nach Max Goldt "Schweine" genannt - kleine Exkursion in eine andere Ecke des Forums: http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=2114
Gibt es vielleicht sogar Reime, die derjenige, der etwas vom Fach versteht, unter gar keinen Umständen in den Mund nehmen sollte, weil sie zu vorbelastet sind, zu inflationär gebraucht, zu universell-nichtssagend, z.B.
* Herz-Schmerz
* Liebe-Triebe
* Blut-Glut
* Wahrheit-Klarheit
"schweinereime wäre was, um sich mit eminem zu batteln. ich höre auf geburtstagsfeiern reime, die holpern stolpern und wo die vier "bösen" da noch als literarische highlights durchgehen. ABER -von wem für wen mit ernst, begeisterung und supernervös vorgetragen- etwas, das zu tränen rührt, leute zum lachen bringt und bewegt. technik ist nicht alles - gefühl schon."

zu 5.) Fallen dir weitere Tabu- oder Anti-Reime ein? Bitte mit Begründung, warum diese für immer und ewig für den guten Geschmack verdorben wurden.
"siehe antwort zu 4"

zu 6.) Oder: Glaubst du, dass es einen Weg gibt, auch diese Anti-Reime wieder zu "rehabilitieren"? Hälst du es für machbar, diese in bestimmte Formen gepresste, von bequemer Sprachgewohnheit geprägte, mit immer denselben Vorstellungen im soziolinguistischen Gedächtnis der Menschen fest verknüpfte Wortpaare (oder Wortgruppen) in neue metaphorische, bildliche, sinnliche, dramaturgische usw. Zusammenhänge zu stellen? Sie quasi zu entstauben oder eine neue, bisher ungeahnte Facette an ihnen zu entdecken. Ihnen neue Schönheit zu verleihen.
"die eigene überladene und erstmal schlichtweg abgestritten voreingenommene denkweise zu vergessen, wäre ein guter anfang"

zu 7.) Fallen Dir dazu vielleicht Beispiele aus der modernen Literatur ein?
"nö - bin selbstversorger"

8.) Kleine Reimübung für Fortgeschrittene: Versuch aus den hier als Tabu- oder Anti-Reimen an den Pranger gestellten Vorschlägen ein Gedicht zu schreiben, dass nicht flach, verbraucht, langweilig, kitschig, uninspiriert und altbacken klingt. Nicht schnöde-dröge-öde-blöde. Die von dir selbst vorgeschlagenen Anti-Reime dürfen allerdings nicht darin auftauchen (wär sonst ein bissel "einfach"). Der Verfasser des besten Poems, darf sich auf www.buchticket.de ein Buch seiner Wahl aussuchen (Voraussetzung: Es machen mehr als 3 Personen mit). The jury is consisting of me, myself and I.

"danke für die einladung - nein.
komme sonst in übung."
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 17.02.2007, 06:49

ich beantworte nur Frage sieben


Christine Lavant....
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 17.02.2007, 22:06

http://mitglied.lycos.de/beschka/inhalt/Lavant.htm


ich weiß nicht ob ich Deine siebte Frage überhaupt richtig beantworte. Ich jedenfalls war sehr überrascht als ich die ersten Gedichte Christine Lavants gelesen habe, für mich ist das die moderne, weil sie ausdrückt, weil sie Schmerz ausdrückt, Schmerz den die Lavant ihr ganzes Lebenlang mit sich trug.
Sie war eine Dichterin, nicht weil sie das wollte, sondern weil sie es sein musste.

Ich glaub ich hab die siebte Frage schlecht beantwortet
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Silentium » 18.02.2007, 22:59

Okay, da ich zum jährlichen Familien-Schiurlaub verdammt bin (Schi fein, der Teil mit der Familie beunruhigt mich leicht) und momentan umgeben von streitenden, lärmenden Spinnern versuche, mich an einem geborgten Laptop auf irgendwas anderes zu konzentrieren als auf den Wunsch meinen kleinen Bruder, den den ganzen Tag irgendeine fürchterliche Titelmelodie von irgend einem amerikanisch-dämlichen Kung-Fu Dings singt, aber nur die ersten drei Takte, weil er den Rest nicht kennt... kurz, ich halt mich kurz und nehm mir die Fragen etappenweise vor.

1. Reime sind was vom schönsten überhaupt. Weil sie einen Text zu Rhytmus zwingen, weil sie im Idealfall nachklingen und wortgewordene Melodie sind, weil ein schöner Reim sich in die Hirnwindungen des Lesers lasert (no pun intended) und dort bleibt. Weil die Verwendung von Reim, wenn man nicht gewillt ist, lächerlich zu klingen, zu einer gewissen Sprachdisziplin zwingt, weil man nicht einfach auf eine Zeile, eine Silbe verzichten und nicht einfach eine Zeile dazutun kann.

2. Zeitgemäß im Sinne 'werden noch verwendet': Nö. Es hat sich da eine gewisse... Vernachlässigung des Reimes eingeschlichen, entweder, weil man sie für altmodisch hält, weil der Schreibende behauptet, er könne das nicht oder weil ein Reim dem Stil des Schreibenden nicht entspricht. Letzteres ist ehrenhaft, die anderen beiden Einstellungen...

Zeitgemäß im Sinne von
'würden meiner Meinung nach in diese Zeit passen': Ja, ja, ja, ja, ja, ja. Jeden, der auf diesem Forum auftaucht und der reimt und es auch noch gut macht - also nicht schon hundermal gewesenes wiederkaut oder das Versmaß vergewaltigt oder einfach generell grusig schreibt - wer also hier auftaucht und reimen kann, den möcht ich jedesmal ernsthaft umarmen.

Fortsetzung folgt. Man möge sämtliche Denkfehler, grobe Verallgemeinerungen, möglich implizierte und nicht gewollte Beleidigung von Nichtreimfans und Rechtschreibfehler darauf schieben, dass hier rundherum LAUTE, NERVIGE Menschen sind und aaaarhg!

Gruß,
Silly
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- Ursula Vernon

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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 19.02.2007, 03:13

lies Dir mal Gedichte von Brinkmann, Dylan Thomas oder auch von Nobelpreisträgerin Wislawa Symborska durch, die Reimen sich nicht weil sie es nicht nötig haben, die haben einen ganz besonderen Klang und das ist keine Vernachlässigung des Reimes.
Seit ich aber Christine Lavants Gedichte gelesen habe, weiß ich sehr wohl das gereimte Gedichte etwas können das auch ungereimte Gedichte können, nämlich etwas sagen, sie können mit Dir sprechen, es ist am Ende furchtbar egal ob ein Gedicht sich reimt oder nicht, wenn es nur gut ist...
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Silentium » 19.02.2007, 21:00

Die fallen unter

oder weil ein Reim dem Stil des Schreibenden nicht entspricht. Letzteres ist ehrenhaft.
:-D

Nenene, ich wär ja wahnsinnig, wenn ich das ungereimte Gedicht pauschal doof finden würd. Ich mein nur, dass der Reim ein wunderhübsches Stilmittel ist, das durchaus dazu angetan sein kann, wenn es zum Dichterling passt, den Texten gut zu tun. Ich meine, denk mal an Trakl, der konnte beides. Und ich könnt mir keines seiner gereimten Gedichte ohne Reim vorstellen und keines seiner ungereimten mit Reim. Der Schmäh scheint zu sein, hab ich irgendwie das Gefühl, zu wissen, wann der Reim passt.
Quasi: Querflöte klingt im Orchester gut, muss aber gar nicht sein. Oder... ach, ich glaub, ich führ das länger aus, wenn nicht jemand minderjähriges und bedauerlicherweise mit mir verwandtes mir ins Ohr kichert.

Ganz lieber Gruß,
S.

P.S. Von der Lady Symborska hab ich noch nie was gelesen... hab ich das was verpasst?
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 19.02.2007, 21:24

von der alten Lady solltest Du unbedingt etwas lesen, aber vorallem von Christine Lavant...bin ein großer Fan von ihr
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon [) i r k » 21.02.2007, 01:23

Hallo ihr Lieben!

Ich habe gerade die ersten 300 Seiten einer etwas bekannteren Sammlung moderner Poesie durchgeblättert und versucht, die Gedichte zuzuordnen. Ich komme zu folgendem Ergebnis:
  • 81 moderne Gedichte, die ohne Reim auskommen
  • 45 moderne Gedichte, die nicht ohne Reim auskommen wollen
  • 9 moderne Gedichte, die weder der einen, noch der anderen Gruppe zuzuordnen waren
Ich werde jetzt keine Garantie für die Richtigkeit meiner Zählung abgeben. Ich denke dennoch, dass die Tendenz klar ist. Und sie bestätigt, was ich persönlich für representativ für die Dichtung des 20. Jahrhunderts halte.

Die namhafteren Autoren aus dem "Museum der modernen Poesie - eingerichtet von Hans Magnus Enzensberger" habe ich mal folgendermaßen aufgeteilt:

Old school (feine Reime)
Boris Pasternak
Georg Heym
Alfred Lichtenstein
Sergej Jesenin
Konstantinos Kavafis
Ernst Stadler
Julian Tuwim
Rainer Maria Rilke

New school (keine Reime)
Pablo Neruda,
Edward Estlin Cummings
Dylan Thomas
William Carlos Williams
Giuseppe Ungaretti
Federico Garcia Lorca
Ezra Pound

Sowohl/Als auch
Gottfried Benn
Bertolt Brecht
T.S. Eliot
Georg Trakl
Kurt Schwitters
Ossip Mandelstam

Wahrscheinlich wird es für jeden der genannten Dichter auch Gegenbeispiele geben, die meine Zuordnung in Frage stellen. Aber dies soll ebenso nur eine tendenzielle Einteilung sein und man möge mir verzeihen, wenn einer eurer Lieblinge aus Versehen in der falschen Schublade gelandet ist. ;-)

Was mir bei anspruchsvoller moderner Poesie immer wieder auffällt, ist, dass der Klang in den Gedichten beim Sprechen oft schon sehr greifbar ist, nur eben nicht als Reim. Dass er sich quasi vom Ende der Zeile mehr ins Innere der Verse verlagert hat. Außerdem scheint mir das Spiel mit "unreinen", aber dennoch hörbar verwandten Klängen (wie Halbreimen, Alliterationen, Assonanzen usw.) sehr "modern" zu sein. Wie gesagt, das sind nur meine persönliche Eindrücke. Literaturwissenschaftlich fundiert ist das alles nicht, wäre aber mal interessant zu wissen, wie die neuere Literaturwissenschaft das kategorisiert.

Jetzt zu euren Beiträgen: Ich war und bin sehr neugierig, wie ihr meine Fragen beantwortet. Ich wusste, dass hier zum Teil sehr gegensätzliche Ansichten existieren. Also, ich gehe mal der Reihe nach:

@kasparov
zu 1.) Was haltet ihr von Reimen?
"viel, wenn ich sie nicht dichten MUSS"

Guter Punkt! :-)

Obwohl ich gestehen muss, dass bei mir die Klänge gelegentlich auch zuerst da sind und sich erst dann die Inhalte nach und nach ergeben und (wie von selbst) zusammenfügen. Es gibt Reime, die mich so faszinieren, die mich so stark anziehen, dass ich sie nehmen und zu einem Gedicht zusammenfügen MUSS. Natürlich funktioniert das nicht immer. Denn nicht alles, was toll zusammenklingt, passt auch zusammen.
zu 2b.) Wenn nein, warum nicht?
"das frage ich mich auch"

Eigentlich ist das eine zentrale Frage und sie sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ich glaube, dass jeder, der sich ernsthaft mit Lyrik auseinandersetzt (sie liest, sie rezitiert, sie analysiert, sie kritisiert, sie liebt, sie sammelt, sie verfasst), sich unweigerlich irgendwann einmal dieser Frage stellen muss.

Ich behaupte mal: Es ist kein Zufall, dass der gewichtigere Teil moderner Poesie ohne Reime auskommt. Ein wichtiger Punkt ist dabei einfach die Beschränkung der Reime: Es gibt nur soundsoviele Reime auf "-eis", es gibt nur soundsoviele Reime auf "-ohn" usw. Und es gibt keinen Reim auf "Mensch". Oder mit den Worten von Erich Fried:
Der Hauptberuf der Schnabelsau
ist daß sie reimt auf Kabeljau
Doch wenn sie ihren Zensch entschleimt
bleibt selbst der Mensch nicht ungereimt

Quelle: Erich Fried: Zwiefache poetische Sendung. In: Die bunten Getüme.

;-)

Weil die Anzahl der Reime schlicht und einfach begrenzt ist (wobei dies natürlich von Wort zu Wort sehr unterschiedlich ist), ist die Wiederholung unvermeidbar. Aber die Wiederholung steht generell im unvereinbaren Widerspruch zum Qualitäts- und Originalitätsanspruch, der in jedem künstlerischen Schaffen ein nicht unerhebliches Gewicht hat. Sich heute hinzusetzen und Reime in seinen Gedichten zu verwenden, ist quasi schon an sich ein Widerspruch zur Moderne - bzw. zum Modern-sein-wollen. Weil es unendlich mal schwieriger ist als vor 200 Jahren, weil annähernd jedes Reimpaar seine eigene Geschichte, einen oder gleich mehrere berühmte Vorgänger hat - und dies gilt wahrscheinlich für alle zentraleuropäischen Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch).
"wenn man ihn anders erwartet, als er einem dann besser gefällt"

Das passiert mir auch gelegentlich.
schweinereime wäre was, um sich mit eminem zu batteln.

In dem Film "Something's Gotta Give" mit Diane Keaton und Jack Nicholson wurde das - wie ich finde - sehr treffend auf den Punkt gebracht: "Aber mal ehrlich: wie viele Worte reimen sich auf Bitch!"

Allerdings möchte ich nicht meine Schwäche für die Wut und die emotionale Intensität von Eminems Zeilen verhehlen, obwohl die Art und Weise, wie er sein Privatleben öffentlich austrägt und inszeniert, schon etwas mehr als fragwürdig-exhibitionistisch ist.

Außerdem bin ich dem Deutschen Hiphop sehr verbunden, dass er wenigstens ein kleines Revival der deutschen Sprache in deutschen Radios bewirkt hat, das leider in den letzten zwei Jahren wieder etwas abgeklungen ist. Es gibt einige namhafte Projekte, die ich bei dieser Gelegenheit mal nennen will: Fettes Brot, Absolute Beginner, Freundeskreis, Massive Töne, blumentopf, Samy Deluxe und Curse, den ich wegen seiner Texte und seiner Intensität besonders schätze. Ist doch schön, dass "Reimen" wieder gesellschaftsfähig geworden ist, oder nicht?
ich höre auf geburtstagsfeiern reime, die holpern stolpern und wo die vier "bösen" da noch als literarische highlights durchgehen. ABER -von wem für wen mit ernst, begeisterung und supernervös vorgetragen- etwas, das zu tränen rührt, leute zum lachen bringt und bewegt. technik ist nicht alles - gefühl schon.

Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass dir das Thema besonders am Herzen läge und dass du hier die Rolle des glühenden Reim-Verteidigers einnehmen würdest. Da hast du mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn in deiner Antwort schwingt eine gehörige Portion Beliebigkeit und Desintresse am Thema mit (zumindest für mich).

Ich will den familiären und freundschaftlichen Wert besagter Geburtstagsständchen nicht in Frage stellen und sicher kommt es auch immer auf den Anlass sowie die Art und Weise des Vortrags an - auch das streite ich nicht ab. Aber an Gedichte, die in diesem Forum gepostet werden, lege ich dann doch andere Maßstäbe an. Wenn wir das Gros dieser Geburtstagsgratulationsamateurpoesie zum Kriterium nehmen würden, dann ist alles einfach nur noch toll - und eiteitei! Dann ist Kritik überflüssig, ebenso wie die Fragen, die ich hier gestellt habe und die auf eine Unterscheidung, auf ein Qualitätsmerkmal hinauslaufen. Aber dieses Forum heißt nun mal "Kunst und Handwerk" und nicht "Mach, was du willst".

Daher empfinde ich deine Antworten auf die Fragen 4 und 5 eher als unbefriedigend, weil sie mir das Gefühl geben, dass du sie nicht ernst nimmst. Wenn du mir wirklich glaubhaft machen willst, dass für dich ein Reim á la "Herz-Schmerz" so gut wie jeder andere ist, dann musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen und ein paar bessere Argumente bringen. :-p
"die eigene überladene und erstmal schlichtweg abgestritten voreingenommene denkweise zu vergessen, wäre ein guter anfang"

Gut! - Aber ich glaube, das ist leichter gesagt als getan. Welche Methoden empfiehlst du uns denn?
"nö - bin selbstversorger"

Wieder so ein Indiz, dass dich das Thema nicht sonderlich interessiert.
"danke für die einladung - nein.
komme sonst in übung."

Hmm, ich hätte gedacht, dass wenigstens du das mit links hinkriegst. So eine Enttäuschung! :-(

@DerPeter
Ich glaub ich hab die siebte Frage schlecht beantwortet

Das glaube ich nicht! Eigentlich ist das genau das, wonach ich gesucht habe. :-)
ich beantworte nur Frage sieben

Okay, Hilbi, du bekommst eine Sonderfrage:

9.) Nur für Leute zu beantworten, die fliegende Sturznester bewohnen: Warum verwendest du keine Reime in deinen Gedichten?

@Silly
1. Reime sind was vom schönsten überhaupt. Weil sie einen Text zu Rhytmus zwingen, weil sie im Idealfall nachklingen und wortgewordene Melodie sind, weil ein schöner Reim sich in die Hirnwindungen des Lesers lasert (no pun intended) und dort bleibt. Weil die Verwendung von Reim, wenn man nicht gewillt ist, lächerlich zu klingen, zu einer gewissen Sprachdisziplin zwingt, weil man nicht einfach auf eine Zeile, eine Silbe verzichten und nicht einfach eine Zeile dazutun kann.

Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und sagen: "Das ist genau das, was ich hören wollte." Aber das ist eine wirklich gute und treffend auf den Punkt gebrachte Antwort auf die erste Frage, die sich in vielerlei Hinsicht mit meiner eigenen Meinung deckt. :-)
Es hat sich da eine gewisse... Vernachlässigung des Reimes eingeschlichen, entweder, weil man sie für altmodisch hält, weil der Schreibende behauptet, er könne das nicht oder weil ein Reim dem Stil des Schreibenden nicht entspricht. Letzteres ist ehrenhaft, die anderen beiden Einstellungen...

Das erste ist für mich ein Argument, über das man diskutieren kann. Die nächste Frage wäre natürlich, WARUM hält "man" Reime für altmodisch. Was glaubst du, Silentium? Wenn die Reime angeblich nicht zum Stil passen, klingt das für mich vor allem nach Bequemlichkeit sich mit anderen Stilen auseinanderzusetzen. Die Behauptung "ich kann das nicht" ist mir auch im Forum bereits mehr als einmal begegnet. Wobei es nur zwei Autoren gab, die mir das glaubhaft machen konnten, weil sie eine besondere Art des Denkens, eine eigene Sprache besitzen, vor der ich viel zu großen Respekt habe.
Zeitgemäß im Sinne von 'würden meiner Meinung nach in diese Zeit passen': Ja, ja, ja, ja, ja, ja.

Auch hier wieder die Mutter aller Fragen: Warum?

@Hilbi, again
die Reimen sich nicht weil sie es nicht nötig haben, die haben einen ganz besonderen Klang und das ist keine Vernachlässigung des Reimes.

Aber vielleicht konnte dieser besondere Klang sich nur entfalten, gerade weil sie auf's Reimen verzichten? Oder sagen wir: Es ist einfacher, diese besondere Sprache, diese eigene Form und Klangfarbe zu finden, wenn man sich nicht dem Joch von Metrum, Silbenzahl, Reim- und Strophenform unterwirft?

Ich muss bei Gedichten mit dem Reimschema ABCB immer zuerst an Heinrich Heine denken - komisch, oder?
es ist am Ende furchtbar egal ob ein Gedicht sich reimt oder nicht, wenn es nur gut ist...

Das stimmt zweifellos, aber das war nicht die Frage. ;-)

So jetzt habe ich genug fabuliert, jetzt seid ihr erst mal wieder dran.

Liebe Grüße,
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 21.02.2007, 04:10

Dirk...

ich kann das nicht mit den Zitaten....aber
ich kann Dir sagen warum ich eigentlich nie gereimt habe, aber Du wirst auch mit dieser Antwort nicht zufrieden sein, ich weiß es nicht.
Die meisten meiner Gedichte sind ja gar keine Gedichte, es ist wenn überhaupt ein ProsaGedicht, von daher bin ich fein raus.
:-)
Ansonsten hast Du dort oben Goethe vergessen welch eine Schmach für den alten Kartoffelernter, der hat gereimt wo es nur ging, aber im ernst, Du hast Goethe vergessen, hast Du das gemerkt?
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon [) i r k » 21.02.2007, 14:13

Hallo Hilbi!
Ansonsten hast Du dort oben Goethe vergessen welch eine Schmach für den alten Kartoffelernter, der hat gereimt wo es nur ging, aber im ernst, Du hast Goethe vergessen, hast Du das gemerkt?

Nein, ich habe JoWovoGo nicht vergessen, ich zähle ihn nur nicht zu den Dichtern des 20. Jahrhunderts und damit zur Moderne, zur Neuzeit schon, aber er ist und bleibt doch ein Klassiker.

Und ich mag den alten Kartoffelernter.
:-)
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon riemsche » 21.02.2007, 21:37

servus dirk und hallo forum :-)
mir war und ist die geradezu persönliche herausforderung und verpflichtung hier staranwalt FÜR hausmausreime in eigener sache zu sein zuviel des käses. seltsamerweise bringt das jedoch statements wie das über geburtstagsreime in ein schnoddriges licht. mir lag am herzen darauf hinzuweisen, dass schlichtheit und die simplifizierung auf herz schmerz oder liebe triebe im passenden zusammenhang und in der richtigen situation vom direkt betroffenen gelesen oder gehört alles andere als wäh ist.
auch das mit dem selbstversorger stimmt. meine lieblingslektüre -womit ich reiseberichte und sachbücher über kunst, geschichte und naturwissenschaften querbeet meine- beinhalten so gut wie keine reime.
habe da meine eigene tiktak, mich vor möglichen unbewussten beeinflussungen in schreibweise und themenauswahl auf die oftmals auch destruktiv konstruktive abzuschotten.
irgendwas auch nur im anflug eines gewinnspielgedankens zu schreiben, ist nicht meins. klar kann man mit so einer einstellung keinen blumentopf gewinnen. jedoch von der sorte ERSTER habe ich im berufsalltag und an guten plätzen zuhause genug.
ein übermut ein hoher, der mir als dichterlein im zugigen dachkämmerchen bei brot und wasser schlechter zu gesundheit aber besser zu figur stehen würde - hallo spitzweg. ich muss nicht davon leben. das wirds wohl sein.
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon Hilbi » 22.02.2007, 10:19

Nur gut dass es genügend Menschen gibt die das dichten nicht nur ernst nehmen, sondern die tatsächlich davon leben, die sich in die Dichtung hineinleben, die machen diese Welt nämlich aus, die Künstler.
Die nebenbeimacher dagegen tun es nur aus Langeweile, sie könnten genauso gut Stricknadeln stricken, oder Handbücher lesen, nichts gegen Handbücher übrigens und nichts gegen Stricknadeln, alles wichtige Dinge, aber die Kunst ist das Leben, jedenfalls für manche und diese manche sollten sich und treffen sich in einem Literaturforum, die anderen natürlich auch, aber sie könnten genauso gut etwas anderes tun oder auch nichts und das wäre dasselbe und das ist wieder interessant, das egal was sie nebenbei tun, es egal ist was sie tun und auch das ist schön und hat seine Berechtigung, woher diese Berechtigung allerdings kommt weiß ich nicht, ist mir auch egal.
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Re: Anti-Reim und Tabu-Schleim

Beitragvon riemsche » 22.02.2007, 20:37

vielleicht sollte es mich traurig stimmen, ohne zu fragen freiwillig und sogar schriftlich alle argumente dafür geliefert zu bekommen, warum ich nie SO EIN künstler werden wollte. wir machen die welt aus. beisst in unsere hörbücher, trinkt unsere farben, atmet unsere kunstluft, bleibt unseren geheimzirkeln fern - und wenn das schon nicht, dann verhaltet euch unauffällig und devot. denn wir sind die meister der sätze, die sich da schachteln, durch sich selbst nullen und an beiden enden nach mehr weissnetmachtnixwurschtegal schmecken, als nebenbeimacher aus purer langeweile in öffentliche papiertüten kotzen können.
wie gesagt - sollte .... tut es aber nicht.
denn da ich von meiner kunst nicht leben muss, ist es mir jedesmal eine freude, auf irgend einem charityflohmarkt den erlös für meine auftragswerke (zb. mischtechnikbilder für privaträume / gedichte für besondere anlässe / soundcollagen für hotels in asien) für eine wildschöne bastelarbeit, eine bunte kinderzeichnung oder eine alte platte mit lagerfeuerknistern hinzublättern. das wiederum sind objekte, die mich zum dichten und ins reimen bringen. ohne langeweile zu haben, leidenschaftlich und mit allem, dessen ich fähig bin. puh - macht das spass!!!
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