Das tote Ding am Papier

Warum schreiben wir? Wie werde ich reich und berühmt durch meine Bücher? Was macht die besondere Schönheit des Adjektivs aus?
Silentium
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Das tote Ding am Papier

Beitragvon Silentium » 05.07.2008, 05:01

Okay, kurzer Neurosenabgleich:

Da ist jetzt das vierte Mal, dass ich innerhalb der letzten drei Stunden meinen Internetcomputer (im Gegensatz zum Schreiblaptop, die ich sorgsam getrennt halte) hochgefahren habe, um mails zu checken. Um vier Uhr morgens. Ich WEISS, dass mir kein Mensch um vier Uhr morgens mails schreibt.

Nur, das ich so ein bisschen Aufschub kriege, und nicht die Szene schreiben muss, die am Laptop wartet. Ich und Über-Ich wissen auf sauber rationaler ebene, dass ich, wenn sie mittelmäßig wird, einfach delete drücken und von vorne anfangen kann. Mein Kumpel Es sitzt aber im Hinterkopf und drückt alle Panikhebel, und irrational bin ich völlig davon überzeugt, dass ich die Szene ermorde und nie wieder hinbekomme, wenn sie jetzt nichts wird. Und vielleicht hat mir ja wirklich jemand eine mail geschickt, man weiß ja nie.

Kennt ihr das auch? Nicht die Panik vorm Schreiben selbst oder vorm leeren Blatt Papier oder vor den Figuren sondern davor, dass das Ding am Ende tot vor euch liegt und nie wieder so wird wie es hätte sein können, wenn ihr nicht so voreilig gewesen wärt und vielleicht noch ein Stündchen mit dem aufschreiben gewartet hättet.

Freiwillige für Erfahrungsbericht vortreten. Ich muss meine mails checken.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

Glaukos
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Re: Das tote Ding am Papier

Beitragvon Glaukos » 06.07.2008, 05:27

mir fällt hier um 04:21 das ein, miss silentium: ejaculatio praecox.
so nennt man das unter 'uns' männern (die weibliche ausdrücklichkeit dafür ist mir im moment nicht präsent, und ich bin auch zu müde, eine zu erfinden).

im übrigen habe ich durchaus schon mails um bsp. 04:21 geschrieben; heute ist es
'nur' ein forenbeitrag. und ich freue mich immer, wenn man mich sofort liest, logo ;-)

doch zurück zur ep, dem vorzeitigen verballern der säfte. bzw. gedanken. meine beste erzählung schrieb ich, als ich sie nicht hatte schreiben können. ich war in leipzig und damals hatte ich kein laptop ... die story dachte ich mir in einem café aus, und das war schon folter, sie nicht notieren zu können. also schrieb ich ein paar main points auf.
am nächsten tag im zug nach berlin habe ich sie zwei stunden lang nochmal im geist notiert. und fühlte mich fürchterlich. weil ja sooo viel verloren ging ...

... endlich zu hause, notierte ich die geschichte. sie wurde vermutlich um 40 prozent kürzer, als sie beim sofortigen aufschreiben geworden wäre.
das ist meine beste erzählung, sofern es erlaubt ist, die eigenen schreibkünste zu beurteilen. wie oft habe ich gedacht, ich sollte es immer so machen.
kann ich aber nicht.
blöde aber auch.
oder?

vielleicht tröstet das.
von wegen warten usw..

herzlichst zur morgendämmerung,
tolya

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Re: Das tote Ding am Papier

Beitragvon KaRe » 10.07.2008, 21:21

Also, ich checke auch meine Mails, wenn ich weiß, dass ich keine neuen erhalten haben kann.

Und ansonsten, ich schreibe nur, wenn ich schreibe - und das kommt seltener vor, als dass ich denke. Und dann denke ich, ich müsste könnte wollte jetzt auf der Stelle schreiben, aber vielleicht einen Moment später. Oder noch einen Moment. Und vielleicht lässt es sich besser noch etwas warten. Wer weiß, was dann passiert.

Kompliziert ist leichter gedacht als geschrieben. Theoretisch, also jetzt mal gedacht und geschrieben: besser einfach be-/geschrieben als kompliziert gedacht. Das ist ausnahmsweise mal einfacher gedacht .
es wäre gar nicht so schön ohne mäntelchen, wenn man keines hätte

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Re: Das tote Ding am Papier

Beitragvon Muffin » 11.07.2008, 20:30

Hallo??? 8-o 8-o

ich checke seit zwei Jahren meine Mails, statt etwas zu schreiben. Auch drei bis vier mal am Tag. Ich freu mich schon über newsletter vor lauter Verzweiflung. :-|

Manchmal wünsche ich mir ein Diktiergerät, dass meine Gedanken mitschreibt. Mir fallen die besten Sachen beim Bahnfahren ein. Aber da hab ich nie was zu schreiben und schreiben behindert mich beim Denken und überhaupt. 8-o
Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen. (Mark Twain)

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Re: Das tote Ding am Papier

Beitragvon DerBaum » 11.07.2008, 20:49

Ich hab mir heute schon zwanzig Emails geschickt in denen ich mich darüber beklage dass ich mir gar nicht mehr schreibe.
Wenn jemand auf der Stelle tritt und tut dabei niemanden weh, das ist ein schlechter Dichter


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