a) gegenseitig zu unserer Diskussionskultur gratulieren und
b) über das Spezialthema "Phantastische Literatur" auslassen.
Letztere geht meines Erachtens weit genug für ein eigenes Thread. Es ergab sich die Frage, warum man Phantastische Literatur (Fantasy, Weired-Fiction, Horror, Science Fiction) lesen oder schreiben solle. Hamburger sprach niemandem das Recht ab, so etwas zu tun, fasste seine Einstellung aber in folgendem Satz zusammen:
Es ist wesentlich schwerer einen Ausschnitt der Tätigkeit eines italienischen Sozialarbeiters als spannende Geschichte zu erzählen, über die es sich zu reflektieren lohnt, als einfach eigene Welten zu konstruieren.
Und er fragte, etwas weiter vorne:
Ich frage: wozu? Wozu eine Gegenwelt aufbauen in der das Übernatürliche zumindest vorkommt?
Da ich nun in drei der genannten Genres schreibe (nicht in Fantasy), versuche ich mal, die Frage zu beantworten. Dabei klammere ich sämtliche Geschmacksfragen aus - ich will niemandem zu einem Genre bekehren. Aber zum "Warum?":
Das Beispiel mit dem italienischen Sozialarbeiter ist insofern problematisch, als dass Phantastische Literatur (ab jetzt PL) das, was eine solche Geschichte leistet weder leisten kann noch leisten will. Sie beschäftigt sich mit völlig anderen Themen, einige Zweige der Science Fiction ausgenommen und damit wären wir bei einer ersten Begründung der PL:
1.) Sozialkritik
Findet man am häufigsten, wie gesagt, in der SciFi. Häufig werden Tendenzen der heutigen Gesellschaft konsequent weiter oder zu Ende gedacht, um ihre Gefährlichkeit oder ihren Segen bewusst zu machen (Dystopien / Utopien). Dass dies auf die SciFi beschränkt ist, ist klar - Geschichten, die sich mit wirklich Übernatürlichem beschäftigen, können dies nur als Randthema behandeln (in dem zum Beispiel ein italienischer Sozialarbeiter der Held ist), die sozialen Probleme, die aus einem Eingriff des Übernatürlichen resultieren... sind vielleicht interessant, als Sozialkritik aber nebensächlich.
2.) Übernatürlich?
Spätestens seit Kant ist auch philosophisch wissenschaftlich anerkannt (die Religionen gehen schon immer davon aus), dass die Welt wie wir sie wahrnehmen mit der "Wirklichkeit" nicht unbedingt viel zu tun haben muss. Manche Autoren, besonders der so genannten Weired-Fiction (das Wort habe ich gestern Suhrkamp geklaut ) und des Horrors, beschäftigen sich mit diesem Punkt. Dabei kann es einfach um die Tatsache gehen, dass unsere Realität weniger als die Wirklichkeit ist (was ja durchaus immer noch kein Allgemeinplatz ist), aber auch um den Versuch, Alternativen auszuloten (was natürlich auch nur begrenzt möglich ist). Der praktische Nutzen einer solchen Geschichte ist natürlich - wenn überhaupt - auf den Erkenntnisgewinn begrenzt. Der ästhetische Genuss einer gelungenen Komposition und geistreichen Auflösung kann umso größer sein.
3.) Klassische Fragen
Phantastische Geschichten können klassische Fragen fast jeder Wissenschaft aus einem ganz eigenen Blickwinkel beleuchten. Leider beschränken sich moderne Autoren (ich nehme mich da nicht aus) zum Großteil auf Fragen der Philosophie und Geschichte (Alternativwelten), teilweise noch auf solche der Biologie (Gentechnik). Aus den Naturwissenschaften haben sie sich zurückgezogen, wahrscheinlich ist Isaac Asimov daran Schuld, der hat alles versaut . Das war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert anders, da sind gute Geschichten dieser Art besonders in der SciFi geschrieben worden (daher auch der Name SCIENCE-Fiction). Offenbar hatten Naturwissenschaftler damals noch Phantasie...
4.) Menschliche Abgründe
Die PL kann ihre Figuren in Extremsituationen versetzen wie keine andere Literaturform. Sie kann die Welt entleeren oder verändern, Monstren schaffen, Naturgesetze ändern - und ihre Helden damit konfrontieren. Das ist die Ausgangssituation von 90 Prozent aller Horrorfilme und ich gebe zu, meist folgt dann ein Stereotyp: Es treten auf Großmaul, Charismat, kluge Schöne, doofe leicht bekleidete Schöne, Witzbold, cooler Held und Kanonenfutter. Charismat oder Großmaul werden Anführer, beide sterben mit großer Wahrscheinlichkeit, die besten Chancen haben der Coole, die kluge Schöne und zuweilen auch der Witzbold. Gähn. Aber es geht eben auch anders. In solchen Fällen kann es zu erstklassigen Charakterbildern, oft in Kombination mit Geschichten wie in 1.) und 2.) beschrieben kommen.
5.) Angst
Angst ist eine elementare Emotion, deshalb eignet sie sich so gut, um Scheiße zu schreiben, und deshalb gibt es so viele schlechte Horror- und Liebesgeschichten. Aber so wie es großartige Liebesgeschichten gibt, gibt es eben auch großartige Angstgeschichten. Wenn die Angst dabei personifiziert wird, kommt normalerweise entweder ein so genannter "Psychokrimi" oder eine Horrorgeschichte heraus.
Soviel zur Theorie und es würde mich, neben der Meinung derer, die die Genres nicht mögen, sehr interessieren, ob andere Freunde der genannten Genres sich wiedererkennen, oder andere Punkte für wichtiger halten.
Aber ich lese PL nicht in erster Linie, um micht theoretisch mit mehr oder weniger Metaphysischen Themen auseinander zu setzen. Das ist ein Nebenaspekt, der für mich den besonderen Reiz einer Geschichte ausmachen kann. In erster Linie aber möchte ich von Belletristik einfach und banal unterhalten werden. Dazu aber muss eine Geschichte vor allem spannend aufgebaut , mit glaubwürdigen Charakteren versehen und unvorhersehbar sein. Ihr glaubt gar nicht, wie oft Phantastische Literatur diesen einfachen Anspruch erfüllt
Schwerer finde ich das mit dem Sozialarbeiter nicht unbedingt, vorausgesetzt, man will in beiden Fällen eine Geschichte schreiben, die zumindest den eigenen Ansprüchen genügt (um nicht zu sagen "gut" ist ) . Es ist einfach eine andere Art der Recherche. Ob die Geschichte dann gut und glaubhaft ist, hängt vom Autor und seinem Ansatz ab - wie bei jeder Geschichte.
Zum Schluss nochmal: Ich möchte hier niemanden überzeugen, PL zu lesen. Bei erfahrenen Lesern wie sie sich in diesem Forum tummeln, gehe ich davon aus, dass sie sich mit den meisten Genres schon beschäftigt haben. Wenn man dann für sich entscheidet, dass das eine oder andere nicht zu einem passt, wen stört's. Ich wollte nur eine Antwort auf das "Warum?" versuchen.
Schönes Wochenende
Razorback