Eine neue Ethik?

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andres
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Eine neue Ethik?

Beitragvon andres » 10.10.2007, 15:08

Die biozentrische Sicht der Natur

1. Menschen werden als Mitglieder der Lebensgemeinschaft der Erde vorgestellt. Dabei erwerben sie diese Mitgliedschaft zu den gleichen Bedingungen, die auch für alle nicht-menschlichen Mitglieder gelten.

2. Die natürlichen Ökosysteme der Erde in ihrer Gesamtheit werden als komplexes Netz miteinander verknüpfter Elemente angesehen, in dem das gesunde biologische Funktionieren jedes einzelnen von dem gesunden biologischen Funktionieren der anderen abhängig ist.

3. Jeder individuelle Organismus wird als teleologisches Zentrum von Leben verstanden , das sein eigenes Wohl auf seine eigene Weise verfolgt.

4. Egal ob wir Maßstäbe von Verdienst oder das Konzept des inhärenten Wertes anlegen, der Anspruch, Menschen seien anderen Spezies aufgrund ihrer Natur überlegen, ist eine unbegründete Behauptung und muss angesichts der oben genannten Elemente (1), (2) und (3) zurückgewiesen werden, da sie nichts als ein irrationales Vorurteil zu unseren Gunsten ist.

(Quelle: Paul W. Taylor: Die Ethik der Achtung für die Natur)

Diese vier Elemente beschreiben die biozentrische Sicht der Natur. Sie ist eine Kritik und zugleich ein Gegenentwurf zu der heute vorherrschenden anthropozentrischen Ethik. (Und somit meiner Meinung nach revolutionär genug um hier im Epilog Beachtung zu finden.)

Also, was sagen die hiesigen Dichter und Denker dazu? . Brandaktuell oder staubige Themen aus den 60ern? Philosophischer Unfug oder eine erstrebenswerte Ethik?
werden.

[) i r k
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon [) i r k » 10.10.2007, 19:37

Hallo Andres.
Jeder individuelle Organismus wird als teleologisches Zentrum von Leben verstanden , das sein eigenes Wohl auf seine eigene Weise verfolgt.

Ich frage mich, ob Mr. Taylor diese biozentrische Ethik in der hier zitierten Form ebenso formuliert hätte, wäre er gerade von einem Bandwurm befallen gewesen oder im Urlaub innerhalb von 10 Minuten von 20 Mücken (oder 5 Wespen) gestochen worden. :-D

Diese Ethik ist noch aus zahlreichen anderen pragmatischen Gesichtspunkten recht problematisch. Ein nicht fern liegendes Gedankenbeispiel: Es wird ein neues Medikament entwickelt (gegen AIDS, Krebs, Arteriosklerose, Malaria, keine Ahnung, such dir was aus), das abertausenden Menschen das Leben retten könnte. Derzeit wäre aber weder die Entwicklung, noch die Zulassung eines solchen Medikamentes ohne zahlreiche Laborversuche und Tests an Tieren (darunter auch Säugetiere wie Mäuse, Hunde, Katzen und sogar Affen) möglich. Diese biozentrische Ethik, die menschliches und tierisches Leben gleichwertig setzt, würde die Entwicklung eines derartigen Medikamentes praktisch unmöglich machen, außer es würde direkt an Menschen getestet.

Oder, was machst du, wenn ein Skorpion deinen Schuh als sein neues Zuhause bezogen hat: Mit ihm eine moralische Diskussion führen? ;-)
4. Egal ob wir Maßstäbe von Verdienst oder das Konzept des inhärenten Wertes anlegen, der Anspruch, Menschen seien anderen Spezies aufgrund ihrer Natur überlegen, ist eine unbegründete Behauptung...

Warum ist diese Überlegenheit unbegründet? -- Bestätigen die ökologischen Probleme, die sich immer deutlicher vor der Menschheit abzeichnen, nicht gerade eine gewisse Dominanz? Oder anders ausgedrückt: Ist diese verstandesmäßige und technologische Überlegenheit, die in dieser Ethik bestritten wird, nicht gerade der Grund, der ein ethisches Handeln des Menschen, eine globale Zusammenarbeit der Staaten und die Durchsetzung einer ganzheitlichen ökologischen Ethik notwendig macht?

Ich denke, hier liegt eine Verwechslung von wünschenswertem Zustand (Gleichheit und friedliche Koexistenz) und Wirklichkeit (z.B. Artensterben aufgrund menschlichen Handelns) vor. Aber das ist generell ein bisschen der Nachteil einer teleologischen Betrachtungsweise: Als zweckmäßig lässt sich vieles definieren.

Soviel spontan dazu.

MfG,
[) i r k
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon razorback » 12.10.2007, 18:15

Ich kannte diesen Ansatz bisher nicht, kann also nur über die Sätze urteilen, die Du hier anführst.

Die sind allerdings Unfug, wenn auch kein philosophischer (nicht alles, was sich selbst zur Ethik erklärt, ist gleich Philosphie). Nehmen wir mal den ersten Satz:

1. Menschen werden als Mitglieder der Lebensgemeinschaft der Erde vorgestellt. Dabei erwerben sie diese Mitgliedschaft zu den gleichen Bedingungen, die auch für alle nicht-menschlichen Mitglieder gelten.


Hier fehlen dermassen viele Definitionen, dass der ganze Satz sinnlos ist.

Zunächst fehlt eine Definition der "Lebensgemeinschaft der Erde". Was soll das sein? Wie ist der Begriff der "Gemeinschaft" hier gemeint? Welcher Begriff von "Leben" ist gemeint?

Dann ist unklar, inwiefern hier von einem "Erwerb der Mitgliedschaft" gesprochen werden kann. Sollte der alltagsverständliche Begriff von Erwerb gemeint sein, so fragt sich: Wer ist der Erwerber (Der einzelne Mensch? Die Menschheit? Ist die Individualisierung oder die angenommene Gemeinschaft überhaupt realistisch?), wer der Veräußerer (Natur, Gott, Gaia, der große grüne Arkelanfall).

Und der größte Kracher sind die "Bedingungen". Was diese Bedingungen sind, hängt natürlich von der Definition von Leben und der von Bedingtheit ab. Aber nehmen wir mal ganz einfache Definitionen: Leben = Tiere und Pflanzen, Bedingung = reale oder ideale Voraussetzung für Sein oder Verständnis (die erste Definition ist von mir, die andere von Halder/Müller). Und nehmen wir weiterhin an, dass wir nur von notwendigen Bedingungen sprechen. Dann gehe ich davon aus, dass wir letzlich bei der entsprechend primitiven Definition für Leben landen : Anlagen zur Fortpflanzung, Wachstum/Bewegung und Stoffwechsel (wie gesagt - primitiv!). Das schließt das Pantoffeltierchen ebenso mit ein, wie den Farn, das schlanke Rehlein und den bösen Menschen.

Und ich glaube, darauf kann sich die Menschheit sofort mit allen anderen einigen. Das meiste davon macht sogar Spaß. Es existiert also gar kein Problem! Toll!

Übrigens ist diese Sicht auch nicht biozentrisch, sondern zutiefst anthropozentrisch. Sie geht nämlich offensichtlich von einem gedachten Gegensatz zwischen dem Menschen und dem Rest der biologischen Welt aus, der ziemlich größenwahnsinnig ist. Wenn wir uns darauf einigen können, dass wir nicht die Abkömmlinge der Außerirdischen sind, dann sind wir Teil der irdischen Biologie und alles was wir tun oder unterlassen, ist Auswuchs dieser Biologie. Dass wir uns selbst ausrotten und dabei eine ganze Menge Ökosysteme mitnehmen, ist zwar ein wenig spektakulär, aber mehr auch nicht. Wenn wir ausgestorben sind, kräht kein Hahn mehr nach uns, und Natur und Biologie machen fröhlich weiter. Vielleicht versuchen sie es ja sogar noch einmal mit dem Experiment "individuelle Intelligenz". Muss ja nicht immer daneben gehen.

Und den Begriff "Ethik" auf die Biologie anzuwenden ist auch sehr spaßig :-D .

Das hat mir jetzt irgendwie den Freitag versüßt. Danke dafür :-) .
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon riemsche » 12.10.2007, 18:25

yo - der planet braucht uns nicht
andersrum - wir ihn schon ...
in diesem irrsinn
nen runden freiTag
:-) kasparov
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andres
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon andres » 13.10.2007, 14:02

@ Dirk:

Die praktischen Konsequenzen würden sicherlich einige Probleme bereiten. Schließlich müsste der eine oder andere auf sein heiß geliebtes Steak verzichten. Die moralische Diskussion mit dem Skorpion dürfte auch nicht leicht werden. :-)

Eine Anmerkung zu Punkt 4: Taylor bezieht sich hier nicht auf die faktische Dominanz des homo sapiens auf dieser Erde, sondern auf seine Dominanz in moralischen Systemen. Die zentrale Frage dieser Ethik könnte man auch so formulieren: Warum bewerten wir (als rationale Akteure) menschliches Leben höher als nicht menschliches Leben? Es ist die Frage nach der logischen Begründung der menschlichen Dominanz. Taylor sagt, dass jede Begründung hierfür "nichts als ein irrationales Vorurteil zu unseren Gunsten ist."

@ razor

Die vier angeführten Punkte habe ich aus einer längeren Abhandlung herausgenommen, in der sich deine angesprochenen Definitionslücken klären. Punkt 1-2 sind wichtig, das eigentlich revolutionäre steckt aber in den Punkten 3-4 und mündet in der gerade aufgezeigten Grundproblematik (siehe " @ Dirk").

Übrigens ist diese Sicht auch nicht biozentrisch, sondern zutiefst anthropozentrisch. Sie geht nämlich offensichtlich von einem gedachten Gegensatz zwischen dem Menschen und dem Rest der biologischen Welt aus, der ziemlich größenwahnsinnig ist.


Dieser Gegensatz besteht aber in ethischen Systemen heute. Eine logisch begründete Moral findet nur eine Anwendung auf den Menschen . Die Natur hat eher einen sekundären Wert, ohne sie wäre menschliches Überleben nicht möglich. Taylor postuliert nun einen, von der menschlichen Existenz unabhängigen, Wert der Natur. Diese Sicht wird von der Biologie gestützt, getragen wird sie aber von der Philosophie. Hier wäre auch am ehesten eine Widerlegung zu finden. Wäre Taylor im Recht, würde das eine bedeutende ethische Herausforderung darstellen. Die Frage:" Wie soll ich als moralischer Akteur handeln?" müsste neu beantwortet werden.

So far...

@ kasparov

Genau! Eine klare Schwäche der anthropozentrischen Ethik gut zusammengefasst! :respekt:

mfg

andres
werden.

mög
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon mög » 13.10.2007, 19:53

Okay, nehmen wir mal an, das stimmt. Wir Menschen sind allen anderen Arten gleich.
Klingt ja erstmal nicht so unplausibel.
Wir sind beileibe nicht die einzigen, die hier leben und lieben,
ihre Jungen beschützen und um ihre Toten trauern,
und zu dämlich sind, sich ihre eigene Lebensgrundlage zu erhalten.

Einfaches Beispiel aus der Systemtheorie:
In einem Öko-System gibt es Löwen und Antilopen. Die Löwen fressen die Antilopen, aber glücklicherweise haben sie mitunter Pech bei der Jagd. Sie erwischen nur die alten und schwachen Antilopen, die sowieso bald eines natürlichen Todes gestorben wären und manchmal erwischen sie auch überhaupt nichts und bringen deswegen ihre Jungen nicht davon. Aus diesem Grund bleibt die Löwenpopulation normalerweise in einem Rahmen, der die Antilopen-Population nicht gefährdet.

Aber dann geschieht es durch irgendeinen Zufall, dass die Löwen ein paar Mal hintereinander ausgesprochen viel Glück bei der Jagd haben. Sie bringen immer mehr Jungen davon. Mehr Löwen tun sich auch leichter bei der Jagd. Sie erwischen immer mehr Antilopen, und nicht mehr nur die Alten und Schwachen. Die Löwen werden immer mehr, die Antilopen immer weniger. So lange bis es keine Antilopen mehr gibt. Und kurz darauf auch keine Löwen mehr, weil die ohne Antilopen natürlich alle verhungern.

Du siehst, es braucht gar keinen Menschen, um ein Ökosystem aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nur ist das normalerweise auch gar nicht so tragisch. Es wird nämlich nicht lange dauern, bis sich wieder ein paar Antilopen aus einem anderen Revier in diesem Lebensraum verirren (vielleicht, weil deren eigene Löwen in letzter Zeit zu viel Glück bei der Jagd haben). Die denken sich dann: "Das ist ja ein 1a-Lebensraum, super geeignet für Antilopen. Und Löwen gibt es auch keine hier, da ist es ja viel besser als bei uns daheim. Juhu! Da bleiben wir". Und kaum sind die Antilopen wieder da, sind auch die nächsten Löwen nicht mehr weit. Happy-End für die beiden Arten.

Das ist nämlich das tolle am handelsüblichen Öko-System: Es gerät zwar mitunter von selbst aus dem Gleichgewicht, aber es regeneriert sich auch wieder von selbst. Allerdings nur, wenn die vorhergehende Störung des Gleichgewichtes nicht so massiv war, dass sie die Regenerationskraft des Systems übersteigt.

Wir Menschen machen als erstmal nichts anderes als die Löwen: Wir schauen nur auf unseren eigenen Vorteil und scheißen auf morgen. Da sind sich wohl alle Arten in der Tat ähnlich. Das tragische ist nur, dass wir das soviel effektiver tun. (Jetzt könnte man sich natürlich auch fragen, woran das eventuell liegt...). Aber wenn sich die anderen Arten nicht um ihre Mitarten scheren, warum sollten wir das dann tun? Wir sind doch schließlich alle gleich.

Aber hallo, wirst du jetzt vielleicht einwenden, so leicht ist das ja auch wieder nicht. Die Löwen können ja nix dafür. Aber wir Menschen, als vernunftbegabte Wesen....

Tja. Vernunftbegabt, hmm?

Könnte es sein, dass wir Menschen uns - nicht durch göttliche Vorsehung oder sonstwas, einfach nur durch irgendeinen evolutionstechnischen Zufall - doch irgendwie von den Tieren unterscheiden? Insofern, dass man zum Beispiel von uns ein bisschen mehr Weitblick erwarten können müsste?

Ja, ich gebs ja zu, mein Weltbild ist rettungslos anthropozentrisch. (Und ja, ich sehe es auch ein, was für eine Verzerrung das ist, was für eine massive kognitive Beschränkung.) Aber ehrlich, Andres, du machst dir was vor, wenn du glaubst deins sei es nicht.
Man müsste das System seiner Widersprüche finden, indem man ruhig wird. Wenn man die Gitterstäbe _sähe_, hätte man den Himmel dazwischen gewonnen. (Elias Canetti)

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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon [) i r k » 14.10.2007, 01:23

Hallo Andres.
Die praktischen Konsequenzen würden sicherlich einige Probleme bereiten. Schließlich müsste der eine oder andere auf sein heiß geliebtes Steak verzichten.

Warum sollte ich auf mein heißgeliebtes Steak verzichten und was hat das mit einer biozentrischen Ethik zu tun? Ich sage nur: Nahrungskette. Die Indianer Nordamerikas wären größtenteils verhungert ohne die Bisons.
Warum bewerten wir (als rationale Akteure) menschliches Leben höher als nicht menschliches Leben?

Ich glaube, dafür gibt es viele Erklärungen, rational dann auch im Sinne von Eigennutz und Überlebenssicherung. Es gibt aber auch ganz simple und naheliegende: Hast du als Kind mal mit Ameisen gespielt?

Aber, dass in der Frühgeschichte der Menschheit Tiere gejagt und später gehalten, domestiziert und gezüchtet wurden, ist sicher nicht aus dem Motiv heraus entstanden, sie zu quälen oder auszurotten, sondern aus den Notwendigkeiten des Lebens. Die europäischen Höhlenmalereien mögen eher ein Zeugnis für das Gegenteil sein.

Ich glaube eher, dass die ökologischen Probleme erst mit dem Industriezeitalter entstanden sind, durch chemische Eingriffe in die Natur (Bodendüngung, CO²-Emissionen, Wasserverschmutzung etc.), sowie durch maschinelle (industrielle Fischerei, Massenrodung, Flußbegradigung, etc.), sowie durch die fortschreitende Arbeitsteilung und das rapide Bevölkerungswachstum des Menschen. Gegen den Tod eines Tieres zur Sicherung des Überlebens des Menschen kann auch aus ethischer Sicht m.E. kaum etwas eingewendet werden. Aber das sinnlose Abschlachten von einigen tausenden Bisons durch weiße Siedler und unter Zuhilfenahme technischer Mittel (Erfindung des Schießpulvers), verlangt eine andere Erklärung und moralische Beurteilung.

Die Unterscheidung zwischen faktischer Vorherrschaft und "Dominanz in moralischen Systemen" ist mir übrigens klar - aber mein Punkt zielte in eine andere Richtung. Das Problem ist, diese Ethik vermag weder das faktische Handeln des Menschen zu erklären, noch es zu ändern. Diese Setzung mag logischer sein als eine anthropozentrische Ethik, aber daher noch keineswegs wirksam.

Problem dieser Diskussion ist wohl, dass wir hier nur Bruchstücke des ursprünglichen Textes präsentiert bekommen haben und die fehlenden Definitionen und Ausführungen nicht lesen und nachvollziehen können.

MfG,
[) i r k
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon mög » 14.10.2007, 11:00

Okay, ich hab überlesen, das Andres diese "faktische vs moralische Dominanz"-Unterscheidung schon behandelt hat. Das macht den ein oder anderen Punkt in meinem obigen Beitrag ein bisschen obsolet. Allerdings durchaus nicht den ganzen Beitrag.

Ich wollte nämlich mit dem Löwen/Antilopen-Beispiel zum Ausdruck bringen, dass es hilfreich ist, eine Sonderstellung des Menschen anzunehmen, um erhöhte moralische Anforderungen an ihn zu begründen. - Ob er diese Sonderstellung tatsächlich hat oder nicht, ist eigentlich ziemlich egal, es ist einfach nur eine zweckdienlich Annahme - dienlich zu dem Zweck, Menschen zu mehr Rücksicht auf ihre Umwelt zu bewegen, und darum gehts uns doch allen hier, oder?

"Yo, der Planet braucht uns nicht - umgekehrt wir ihn aber schon" - das ist der Beleg, dass man keine biozentrische Ethik braucht, um die Notwendigkeit von Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu begründen, denn dieser Satz betont das Eigeninteresse, das wir am Umweltschutz haben. Dem Planet ist es wurscht, ob irgendwelche Arten sterben - seien das nun wir selbst oder solche, die wir ausgerottet haben. Auch vor der Machtergreifung des Menschen sind ständig irgendwelche Arten ausgestorben. Artenvielfalt ist einfach deswegen schützenswert, weil sie einen Beitrag zu unserer Lebensqualität leistet (Sie ist notwendig für das Gleichgewicht in einem Ökoystem, das unseren Bedürfnissen entgegenkommt - andere Ökosysteme sind auch mit sehr viel weniger Arten denkbar; außerdem bewundert man ja als Mensch gelegentlich gerne die Vielfalt der Schöpfung, das vermittelt so einen netten Eindruck des Erhabenen) - also aus rein anthropozentrischer Sicht.

Die Frage lautet also nicht so sehr: Biozentrische Ethik - ist sie schlüssig oder nicht? Sondern: Biozentrische Ethik - wozu brauchen wir das?

Mit Dirks Worten:
Das Problem ist, diese Ethik vermag weder das faktische Handeln des Menschen zu erklären, noch es zu ändern. Diese Setzung mag logischer sein als eine anthropozentrische Ethik, aber daher noch keineswegs wirksam.

(Im Grunde habe ich wieder mal nur wiederholt, was die anderen alle schon gesagt haben; ich wollte das nur noch mal in meinen eigenen Worten unterstreichen).

Jedenfalls glaub ich Andres die biozentrische Weltsicht genauso wenig wie Razorback das tut. Dirks Einwand mit dem Skorpion ist keiner, den man so einfach weglächeln kann.
Man müsste das System seiner Widersprüche finden, indem man ruhig wird. Wenn man die Gitterstäbe _sähe_, hätte man den Himmel dazwischen gewonnen. (Elias Canetti)

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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon andres » 14.10.2007, 15:42

Ja, ich gebs ja zu, mein Weltbild ist rettungslos anthropozentrisch. (...) Aber ehrlich, Andres, du machst dir was vor, wenn du glaubst deins sei es nicht.


Es ist nicht mein Weltbild, sondern das von Mr. Taylor. Ich selbst habe mit einigen Punkten auch meine Probleme und bin persönlich noch nicht zu einer finalen Antwort gekommen.

Problem dieser Diskussion ist wohl, dass wir hier nur Bruchstücke des ursprünglichen Textes präsentiert bekommen haben und die fehlenden Definitionen und Ausführungen nicht lesen und nachvollziehen können.


Das ist sicherlich ein Problem. Leider habe ich den Text nicht digital präsent und auch sonst keine Lust, den sonnigen Sonntag mit Tippen zu verbringen :-D . Auf der anderen Seite sind die 4 genannten Punkte laut Taylor eine "komprimierte Form" seiner Ethik, aus der sich alle notwendigen Aussagen ableiten lassen.

Zum Inhalt:

Aber wir Menschen, als vernunftbegabte Wesen....


... sind in der Lage unser Handeln anhand von moralischen Systemen zu bewerten. Wie aber zu einem gültigen System kommen? Das gesuchte System sollte auf jeden Fall der Haupteigenschaft des Menschen (im Kontrast zu den Tieren) entsprechen: Es sollte vernünftig, also logisch sein.

Eine Möglichkeit wie wir auf jeden Fall zu keinem gültigen System kommen, ist eine reine Naturbetrachtung. Hierfür wurde der Begriff des naturalistischen Fehlschlusses geprägt. Der Fehlschluss besteht wesentlich darin, dass wir aus einer rein deskriptiven Naturbeschreibung (wie sie die Biologie liefert) einen moralischen Grundsatz ableiten. Sprich: Nur weil wir etwas in der Natur beobachten, heißt das nicht, dass wir auch so handeln müssen/sollen.

Sollte also Mr. Taylor recht haben, so wäre der Verzehr eines Steaks nicht richtig, da wir uns argumentativ auf naturalistische Ableitungen (Nahrungskette etc.) stützen müssten. (Außerdem ist das Überleben in der heutigen Zeit auch ohne Fleischverzehr gut möglich ;-) .) Möchten wir z.B. die Dominanz des Menschen in moralischen Systemen begründen, dürfen wir uns logischerweise nicht auf naturalistische Begriffe wie Überlebenssicherung, Eigennutz, etc. verlassen.

Der Knackpunkt dieser Ethik besteht meiner Meinung nach immer noch in der Frage nach der Rechtfertigung menschlicher Dominanz in moralischen Systemen.

Auf der anderen Seite muss man sich auch die kritische Frage gefallen lassen: Wenn der Natur nur ein anthropozentrischer Wert zukommt, warum war dann das Abschlachten der vielen Bisons ein Fehler? Schließlich sind die Indianer mehrheitlich durch den "bösen weißen Mann " ihrer Lebensräume beraubt worden. Warum sind wir gegen die Ausrottung von bedrohten Arten? Der Mensch kommt ja auch ohne sie zurecht.

Das Problem ist, diese Ethik vermag weder das faktische Handeln des Menschen zu erklären, noch es zu ändern.


Eine Ethik soll auch nicht das menschliche Handeln erklären, sondern ein adäquates Bewertungssystem liefern sowie die Frage nach dem richtigen Handeln beantworten. Die Frage nach der Wirksamkeit ist sicherlich umfassend. Eines lässt sich aber mit Sicherheit sagen:
Wenn Mr. Taylors System logisch wahr ist, sollten sich alle moralischen Akteure danach richten. Warum viele gegen besseres Wissen handeln, ist eine andere Frage.

Die Frage lautet also nicht so sehr: Biozentrische Ethik - ist sie schlüssig oder nicht? Sondern: Biozentrische Ethik - wozu brauchen wir das?


Sicherlich keine leichte Frage. Die alte Kante würde wahrscheinlich mit der Unterteilung des Menschen in ein empirisches (den Naturgesetzen unterworfenes) und transzendentes ( freies) Wesen argumentieren. So nach dem Motto: Wir sind frei, wenn wir gemäß unserer Vernunft moralisch handeln.

Wünsche noch einen schönen Sonntag.

andres

...( @Dirk: Die Piratenantwort habe ich nicht vergessen, brauche dafür aber etwas länger)...
werden.

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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon [) i r k » 14.10.2007, 20:32

...( @Dirk: Die Piratenantwort habe ich nicht vergessen, brauche dafür aber etwas länger)...

... (@Andres: Ich weiß. Sehe ihr mit unerklärlicher Vorfreude entgegen) ...
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon Khadija » 15.10.2007, 19:21

Ich glaube eher, dass die ökologischen Probleme erst mit dem Industriezeitalter entstanden sind,


Dirk, damit liegst du meines Wissens falsch. Das führt jetzt zwar ziemlich vom Thema weg, aber falls es dich interessiert, könnte ich das näher ausführen?
...words strain,
Crack and sometimes break, under the burden,
Under the tension, slip, slide, perish,
Decay with imprecision, will not stay in place,
Will not stay still.

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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon [) i r k » 15.10.2007, 20:00

aber falls es dich interessiert, könnte ich das näher ausführen?

Ich vermute mal, nicht nur mich. :-)

Auf geht's!

Dirk
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon razorback » 16.10.2007, 13:00

Eine logisch begründete Moral findet nur eine Anwendung auf den Menschen . Die Natur hat eher einen sekundären Wert, ohne sie wäre menschliches Überleben nicht möglich.


Andres, nochmal zu diesem Punkt: Die Unterscheidung Natur/Mensch ist sinnlos. Der Mensch ist ist Teil der Natur - und somit ist, am Ende einer langen Kausalitätskette (Du siehst, ich nehme Kausalitäten etc. in diesem Falle mal als gegeben hin) jeder sinkende Öltanker ein natürlicher Vorgang.

Jede Ethik, die dem Menschen Anhaltspunkte bezüglich seines Verhaltens gegenüber "der Natur" geben will, ist damit ebenso sinnlos, egal ob sie mich dazu führt, mit den Bakterien in brüderlicher Eintracht zu leben oder den Planeten zu betonieren.

Der Ansatz ist also formallogisch falsch. Wenn A Element von B ist, kann ich keine Ethik entwickeln, die darauf aufbaut, dass A außerhalb von B ist.

Das sagt natürlich nichts über den praktischen Wert von Taylors Vorschlägen aus. Die Grundlage, auf der sie entwickelt sind, ist allerdings unhaltbar.

Ob die Vorschläge praktisch durchfürhbar sind, ist fraglich. Die reine Forderung, der Mensch solle sich nicht anthropozentrisch verhalten bedeutet noch nicht, dass er das auch kann. Ein Löwe zumindest wird stets leozentrisch handeln. Es mag aber sein, dass unser Verstand uns dazu befähigt, nicht anthropozentrisch zu handeln.

Die Folgen eines solchen Verhaltens wären absehbar: Ein nicht anthropozentrisches Verhalten würde zu unserem Aussterben führen. Die Natur - von der wir nun mal ein Teil sind - ist leider so angelegt, dass sie jedes Verhalten, dass andere Prioritäten als die der eigenen Arterhaltung setzt, mit Ausrottung bestraft. Und wenn ich meine eigene Art in den Mittelpunkt stelle - dann ist das Athropozentrik qua Wortbedeutung. Stell Dir bitte einmal vor, was aus den Löwen würde, würden sie nicht leozentrisch handeln.

Allerdings gehe ich hier - das sehe ich - über den von Dir eingeführten Begriff der Anthropozentrik hinaus. Nach meiner Definition handelt die Menschheit im Moment gerade nicht anthropozentrisch, und das zu ihrem Schaden. Da der andere Begriff der Anthropozentrik allerdings im Gegensatz zu "Biozentrisch" steht und damit bedeutungslos ist, ist eine Neudefinition legitim, glaube ich.
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Re: Eine neue Ethik?

Beitragvon andres » 19.10.2007, 16:29

Wenn A Element von B ist, kann ich keine Ethik entwickeln, die darauf aufbaut, dass A außerhalb von B ist.


Hier ein Antwortversuch: Definieren wir einmal die Variable A recht pauschal als „das Ökosystem der Erde“. Um Element A genauer beschreiben zu können, müssen wir es differenzierter betrachten. Eine Möglichkeit wäre diese: A besteht aus mehren Elementen, genannt A1, A2, A3, ...An. Eine weitere Differenzierung könnte auf die Beschreibung der Wechselwirkungen/Kausalitäten zwischen verschiedenen Elementen näher eingehen. Spätestens hier fällt ein Element (ich nenne es A666 :vampire: ) auf, das äußerst aggressiv ist und jedes weitere Element dominiert. Darüber hinaus weist aber noch eine weitere Überlegung auf eine Sonderstellung des Menschen hin, die eine Abgrenzung innerhalb von A rechtfertigt.

Diese Überlegung bezieht sich auf die schon kurz angesprochene kantische Unterteilung des Menschen in ein empirisches und ein transzendentes Wesen. Wir sind zum einen Teil der empirischen Welt, die von Naturgesetzen/Kausalitäten bestimmt ist. Zum anderen erleben wir uns aber auch als freie Menschen, die selber entscheiden. Alle Elemente A1-An sind Teil einer Kausalitätskette, das Element A666 durchbricht diese aber. Diese Entscheidungsfreiheit grenzt uns von allen anderen Elementen ab und führt letztendlich zu der Notwendigkeit einer Ethik.

Du könntest hier einwenden, dass Darwin, Freud und in jüngster Zeit auch viele Hirnforscher unsere hochgepriesene Freiheit als Illusion enttarnt haben. („Der Mensch ist ein ständig Betrogener, da er an Eigenbestimmung glaubt, aber in Wirklichkeit von unbewussten Motivationen, chemisch-physikalischen Prozessen und von seinem evolutionären Erbgut bestimmt wird. Alle Absichten und Willensentscheidungen sind eine Täuschung.“)

Hier hat wieder Kant (wie sollte es auch anders sein) das passende Gegenargument. Wenn wir eine unschuldige Person eines Vergehens bezichtigen um einen persönlichen Vorteil zu erhalten, dann haben wir uns gegen ein moralisches Gesetz und für den Eigennutz entschieden. Egal wie unsere Entscheidung ausfällt, letztendlich zeigt uns das moralische Gesetz eine Entscheidungsfreiheit auf.

Die reine Forderung, der Mensch solle sich nicht anthropozentrisch verhalten bedeutet noch nicht, dass er das auch kann.


Unsere Perspektive ist a priori anthropozentrisch, weshalb die Umsetzbarkeit sicher ein großes Problem ist und bleibt. Auch praktische würde es genug Probleme geben. Leider handeln wir ja doch oft gegen besseres Wissen.

Nach meiner Definition handelt die Menschheit im Moment gerade nicht anthropozentrisch....


Ich würde sagen, dass wir ein kleines Definitionsproblem haben. So wie ich den Begriff verstehe handelt der Mensch anthropozentrisch, weil er der Natur nur einen bedingten (auf den Menschen bezogenen) Wert zukommen lässt. Vielleicht erläuterst du noch ein Mal , wie du deinen Begriff definieren würdest. Vielleicht reden wir aneinander vorbei...
werden.


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