Karfreitag

Freies Forum für freie Geister, unkonventionelle Menschen, Querdenker, Genies, Besserwisser und Letztes-Wort-Fetischisten.
Archäopterix
Medusa
Beiträge: 36
Registriert: 06.06.2002, 14:53
Wohnort: Bayern

Karfreitag

Beitragvon Archäopterix » 18.04.2003, 23:12

Aus dem Gesangbuch der Evangelischen Landeskirche Württemberg:

Golgatha

Drei Räuber
kreuzigt man heute
auf Golgatha:

der linke nahm mir mein Gold
der rechte nahm mir mein Gut
der in der Mitte nahm mir meine Schuld

Auf Golgatha
kreuzigt man heute
drei Räuber

Lothar Zenetti
In mir schlummert ein Genie - nur wird das Biest nicht wach...

gelbsucht
Pegasos
Beiträge: 1105
Registriert: 25.04.2002, 20:55
Wohnort: Das Dorf der Dussel an der Düssel

Re: Karfreitag

Beitragvon gelbsucht » 19.04.2003, 00:58

Sehr symmetrisch das Ganze. Die Anordnung der Kreuzigung wurde hier auf die Form des Gedichtes übertragen. In der Mitte die entscheidende Strophe, flankiert von zwei anderen, zwei, die ihresgleichen sind. Und dann ist jede Strophe auch noch ein Terzett. Cool gemacht. Und Jesus als Räuber und das in einem kirchlichen Gesangsbuch. Na, wäre der Mann, der diesen Text geschrieben hat, Katholik gewesen, hätte man ihn wahrscheinlich sofort (und ohne Angabe weiterer Gründe) exkommuniziert.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Archäopterix
Medusa
Beiträge: 36
Registriert: 06.06.2002, 14:53
Wohnort: Bayern

Re: Karfreitag

Beitragvon Archäopterix » 19.04.2003, 23:50

Hallo Gelbsucht,

der Mann ist Katholik!

Ich finde, dass dieses Gedicht die Bedeutung von Karfreitag sehr gut einfängt und zugänglich macht. Es gefällt mir deshalb so gut, weil es die Dinge auf den Punkt bringt.

Frohe Ostern wünscht
Archäopterix
In mir schlummert ein Genie - nur wird das Biest nicht wach...

gelbsucht
Pegasos
Beiträge: 1105
Registriert: 25.04.2002, 20:55
Wohnort: Das Dorf der Dussel an der Düssel

Re: Karfreitag

Beitragvon gelbsucht » 23.04.2003, 01:07

Echt? Die katholische Kirche ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Was hätte wohl die heilige Inquisition dazu gesagt, wenn einer aus ihren Reihen, UNSEREN HEILAND mit gemeinen Räubern verglichen hätte? Oder, wenn das Gedicht eines ihrer Priester in den Gesangsbüchern der Protestanten, der Abtrünnigen, der Ungläubigen, abgedruckt worden wäre? Da sieht man mal wieder den schleichende Verfall der Moral.

Spass beseite. Sag mal, Archäopterix, fühlst du dich wirklich von Schuld entlastet, weil vor knapp zweitausend Jahren jemand ans Kreuz genagelt wurde?

Ich hab manchmal merkwürdige Gedanken, was die Kirche angeht. Zum Beispiel ihr Symbol. Hoch in den Himmel haben sie es erhoben. Von jedem Kirchturm, von jedem Altar lacht es herunter, manchmal hängt es auch um den schönen Hals einer jungen Frau: das Kreuz. Warum haben die Kirchenväter denn bloß dieses Symbol für den Tod, die Qual und das Martyrium von Abertausenden (z.B. die Sklaven der Spartacusaufstände, die entlang der via apia gekreuzigt wurden) und dieses Symbol für die Schreckensherrschaft des Römischen Reiches gewählt, um an die "Auferstehung" und die friedliche Lehre eines Zimmermanns und Wanderpredigers zu erinnern? Das ist doch seltsam. Wir beten da ein Symbol der Folter an - das ist so, als würden wir heute vor elektrischen Stühlen niederknien.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

razorback
Phantasos
Beiträge: 1983
Registriert: 10.09.2002, 20:36
Wohnort: Leverkusen
Kontaktdaten:

Re: Karfreitag

Beitragvon razorback » 23.04.2003, 11:30

Ah, komm Gelbsucht - Du weisst schon, dass das (leere) Kreuz ein Symbol für den besiegten Tod sein soll, oder?

(Was - zugegeben - nicht erklärt, warum an vielen Kreuzen gerne ein ausgemergelter, halb- oder ganztoter Jesus hängt. Das versaut die Symbolik ganz kollossal. Andererseits - wir wollen doch die Herrgottschnitzer in Lohn und Brot lassen.)

Und was den elektrischen Stuhl betrifft - genau!

"And the mercy seat is waiting
And I think my head is burning
And in a way I'm yearning
To be done with all this measuring of truth.
An eye for an eye
A tooth for a tooth
And anyway I told the truth
And I'm not afraid to die"

;-)
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

Archäopterix
Medusa
Beiträge: 36
Registriert: 06.06.2002, 14:53
Wohnort: Bayern

Re: Karfreitag

Beitragvon Archäopterix » 26.04.2003, 11:41

Hallo Gelbsucht,

ich fand das Gedicht für ein Werk aus einem Kirchengesangbuch geradezu provokativ (weshalb es mir gut gefällt).
Und ich habe das Gefühl, dass der einzige Weg mit anderen Menschen über Religion und Glauben zu sprechen über die Provokation führt.
Und auch wenn ich von der Kirche wie sie sich heute darstellt nichts halte so glaube ich doch an Gott.

Spass beseite. Sag mal, Archäopterix, fühlst du dich wirklich von Schuld entlastet, weil vor knapp zweitausend Jahren jemand ans Kreuz genagelt wurde?


Nein, aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass alle grossen Propoheten von den Menschen, die sie nicht verstanden haben, umgebracht wurden - und das macht mich traurig.

Leider habe ich ebenso oft (auch jetzt) das Gefühl für diesen Glauben belächelt zu werden - darum rede ich im Normalfall nicht darüber.

Aber du hast ja gefragt...

LG
Archäopterix
In mir schlummert ein Genie - nur wird das Biest nicht wach...

gelbsucht
Pegasos
Beiträge: 1105
Registriert: 25.04.2002, 20:55
Wohnort: Das Dorf der Dussel an der Düssel

Re: Karfreitag

Beitragvon gelbsucht » 30.04.2003, 00:28

Hallo Archäopterix,

nicht, dass du mich falsch verstehst. Mir gefällt das Gedicht. Vielleicht sehe ich es mit anderen Augen. Bei mir ist es weniger der Inhalt, als die Form, die ich sehr spannend finde. Provokativ würde ich es nicht nennen, aber doch originell.
Leider habe ich ebenso oft (auch jetzt) das Gefühl für diesen Glauben belächelt zu werden - darum rede ich im Normalfall nicht darüber.
Das tut mir leid. Ich find es wichtig und immer wieder spannend auch über solche Fragen zu sprechen, selbst wenn "mein" Glaube nur mit Bruchstücken christlicher Überzeugungen Gemeinsamkeiten besitzt. Aber das ist ein Thema, das jetzt zu weit führt. Ich wollte nur sagen: ich finde, dass auch gerade für derartige Themen dieses Forum gedacht ist. Schließlich geht es in den Literatur auch häufig um Sinn- und Glaubensfragen. Also können, dürfen, sollten auch diese hier diskutiert werden. Und, wenn ich es recht betrachte, hatte ich mich ja auf deine "Provokation" schon eingelassen und das Thema weitergesponnen. Dass ich ein bißchen spöttisch an die Sache herangegangen bin, bedeutet indes nicht, dass ich dich wegen deines Glaubens belächle. Aber der Glaube ist doch ein seltsames anthropologisches Phänomen: ihn zu hinterfragen, vielleicht auch ironisch zu hinterfragen ist durchaus gesund. Denke ich. Ich bin halt ein Zweifler. Dass ich ein Zweifler bin, bedeutet aber nicht, dass ich an nichts glaube.

Hallo RZB!
Ah, komm Gelbsucht - Du weisst schon, dass das (leere) Kreuz ein Symbol für den besiegten Tod sein soll, oder?
Ich weiß es und es wundert mich trotzdem. Das Folterinstrument als Symbol für Auferstehung, für "Ich bin das Leben". Hat dich das noch nie gewundert? Bedeutsam ist sicherlich die Anschaulichkeit des Symbols - gerade in den Zeiten des Analphabetismus oder in der Zeit vor Luther, der ja so nett war das lateinische Kauderwelsch zu übersetzen und das dogmatische Monopol der Kirche aufzubrechen. Ich stelle es mir auch nicht so einfach vor, etwas so abstraktes und widernatürliches wie die Auferstehung möglichst prägnant und einfach darzustellen, sprich auf ein Zeichen zu reduzieren.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)


Zurück zu „Epilog“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 50 Gäste