Meinst du da die Metaphysik oder die Kritik am Realitätsgehalt einer Messung? Deine Andeutung bezügl. der Gläubigkeit macht neugierig. Könntest du das ev. in 1-2 Sätzchen ausführen? Würde mich interessieren...
Nee, das werden mehr als 1-2, aber selbst Schuld
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Ich mache es wieder am Beispiel von Kant, da ich den am besten kenne. Und ich vereinfache stark:
Kant hat sich - wie andere Philosophen vor ihm auch - mit der Frage beschäftigt, ob unserem Denken und Erkennen rein a-priorische Erkenntnis zu Grunde liegt, Erkenntnis also, die keinerlei Entsprechung in der wahrnehmbaren Wirklichkeit (der Erfahrung) hat.
Er ist auf eine Vielzahl solcher rein a-priorischen Erkenntnis gestoßen und hat sie kategorisiert - die berühmte Kategorienlehre, ausgeführt in der "Kritik der reinen Vernunft" (die zu lesen ist übrigens reine Folter).
Ein sehr einleuchtendes Beispiel dafür, was gemeint ist, ist die "Ursache". Die Konstruktion der "Ursache" ist rein a-priorische Erkenntnis. Wenn ich ein Glas zu Boden werfe, und es zerbricht, so nehme ich nur ein zu Boden fallendes Glas und sein Zerbrechen war. Ein Glas fällt. Ein Glas zerbricht. Den Zusammenhang - Fall (bzw. Aufprallen) bewirkt Zerbrechen - nehme ich nicht wahr, ich stelle ihn her. Und ich stelle ihn immer nur her, auch wenn ich eine Million Gläser zu Boden werfe und sie eine Million mal zerbrechen.
Nun hat es sich aber in jeder Hinsicht für Menschen als nützlich erwiesen, diese Art von Verknüpfung herzustellen. Auch wenn die "Ursache", streng gesprochen, eine reine Konstruktion des menschlichen Verstandes ist, komme ich mit Annahmen der Art: „Gläser, die zu Boden fallen, zerbrechen“ gut durchs Leben. Ob es so etwas wie eine „Ursache“ aber wirklich – also in einer angenommenen Realität – gibt, ist jenseits unserer Erkenntnisfähigkeit. Wir sind nicht fähig, uns unserer a-priorischen Erkenntnis zu entledigen.
Und so verhält es sich mit aller a-priorischen Erkenntnis: Ursache, Einheit, Vielheit, Raum, Zeit usw., usw.
Daher ist es uns Menschen auch nicht möglich, „ewige Wahrheiten“ zu ergründen. Jede Wissenschaft, insbesondere jede Naturwissenschaft, ist an a-priorische Erkenntnis gebunden. Dort wird gemessen, beobachtet und gerechnet. Das ist alles sehr nützlich – bringt aber eben keine Antworten auf Fragen nach der „Wirklichkeit“. Wir haben nicht einmal die Begriffe, solche Fragen zu stellen, weil wir auch in unseren Begrifflichkeiten gebunden sind.
Philosophiestudenten oder –schüler, die das zum ersten Mal begriffen haben, neigen dazu, die unangebrachte Arroganz der Physiker nun ebenfalls mit Arroganz zu belächeln. Was natürlich völlig unangebracht ist. Ich habe persönlich Philosophiestudenten verzweifeln sehen, weil sie nicht einsehen wollten, dass es sinnlos ist zu versuchen, sich aus der a-priorischen Erkenntnis zu lösen. Originaldiaolog:
Student: „Also kann es sein, dass zum Beispiel ein Außerirdischer den Baum da draußen ganz anders wahrnimmt als wir.“
Professorin: „Sicher.“
Student1: „Weil er andere a-priorische Erkenntnisse hat. Oder gar keine.“
Professorin: „Zum Beispiel.“
Student: „Aber er könnte es anders wahrnehmen. Wenn ich mir also vorstelle, wie er es wahrnimmt…“
Student2: „Ja, aber das geht ja gerade nicht.“
Student1: „Wieso, wenn ich ein Außerirdischer wäre…“
Student2: „Bist Du aber nicht.“
Student1: „Ja, aber wenn ich einer wäre, dann könnte ich es.“
Professorin: „Ja, sicher, aber das hilft ihnen ja nicht weiter. Sie sind ja an ihre menschliche Erkenntnis gebunden. Sie können also nicht wie dieser Außerirdische erkennen.“
Student1: „Aber wenn ich mir vorstelle…“
Student3: „Kannst Du aber doch nicht!“
Student1: „Wieso?“
Student3: „Weil Du an Deine menschliche Erkenntnis gebunden bist.“
Student1: „Aber wenn ich ein Außerirdischer…“
Usw., usw. Es ging noch eine Weile so weiter, und als sich auch noch die Seniorenstudenten einschalteten, drohte es, militant zu werden. Es blieb aber beim Streit der Argumente, der damit endete, dass Student1 am Ende schmollte, weil er kein Außerirdischer war. Den Baum hat das Ganze übrigens, so schien es jedenfalls, zu keinem Zeitpunkt beeindruckt
Es tut natürlich weh, wenn man sich mit Philosophie beschäftigt und feststellt, dass die Suche nach den großen, ewigen Antworten (Anfang, Ende, Gott etc.) schon vor mehr als 200 Jahren leider ergebnislos abgebrochen werden musste. Die Physik scheint sich dieser Erkenntnis übrigens auch zu nähern. (Siehe oben).
Bleibt die Religion, aber die ist natürlich völlig trostlos. Es mag sein, dass man sich den genannten ewigen Wahrheiten auf dem Wege der Mystik nähern kann – aber da kann mir dann eben auch niemand wirklich beantworten, ob meine Erleuchtung wirklich ein Blick über die letzte Grenze war, oder nur eine tolle Show meines Gehirns, das vom ewigen Meditieren genervt war. Da kann man eben nur glauben. Oder auch nicht.
Sollte Dich der ganze Komplex weiter interessieren, kann ich nur empfehlen, dass Du Dich mit den entsprechenden Philosophen selbst auseinandersetzt. Ich halte mich weder für fähig, noch nur für besonders talentiert, das vernünftig zu erklären.
P.S.: Es gibt einen Autor (nur einen, den ich kenne) der zumindest mal ernsthaft versucht hat, sich von "Zeit" ganz zu trennen: Kurt Vonnegut mit "Slaughterhouse 5". Was dabei rausgekommen ist, halte ich für ziemlich großartig, wenn auch sehr seltsam. Und er hat es eben mit gerade mal EINEM Begriff versucht, und auch das nur teilweise. Aber immerhin. Hut ab!