Gewalt - Eine wiederkehrende Angst?

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Leimrey
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Gewalt - Eine wiederkehrende Angst?

Beitragvon Leimrey » 27.12.2009, 18:17

Hallo, werte Community

Erster Post nachdem ich hier angemeldet habe... und ich stell auch schon meine erste Frage, die mich mit dem "alten Medium" Buch schon seit einer ganzen Weile beschäftigt, aber mir nirgendwo so recht beantwortet werden konnte

Gewalt - Etwas was sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden nie geändert hat. Sie erschüttert in jeder Form in welcher sie auftaucht. Ob es der Körper ist oder der Geist der von der Gewalt angeregt, zerstört oder gar erfreut wird... was bewirkt sie in unserem Leben? Ich will ehrlich sein, ich war niemals ein Freund des "Buches". Sicherlich werden manche angewidert zur Seite blicken, wenn ich hier das Medium Videospiel erwähne. Ein junges Medium, welches für viel Aufsehen gesorgt hat und es noch immer tut. Entwickler geraten in das Visier von "Jugendschützern" und besorgter Eltern, die Angst vor dem Medium Videospiel ist groß, da befürchtet wird, dass "Killerspiele" Kinder und Jugendliche zu sehr mit der Gewalt und anderen unsittlichen Themen konfrontiert.

Erst letztens hatte ich darüber eine Diskussion mit einem Freund von mir. Und da musste ich darüber nachdenken. Hatten andere Medien auch mit solch einer Furcht zu kämpfen? Wurde das "Buch" das gedruckte, gar das geschriebene Wort auch so gefürchtet? Ich habe zwar deutlicher weniger von Leuten gehört, die durch ein Buch sich inspiriert fühlten Menschen leid zuzufügen, aber ich dachte immer wieder... ein Buch ist doch auch etwas, welches eine große Immersion ermöglicht, ein Abtauchen in eine andere Welt. Es sind zwar keine "Bilder" die sich bewegen oder gar "Figuren" die man herumkommandiert, aber hat ein geschriebenes Wort nicht auch großen Einfluss? Oder ist ein Mensch der "liest" viel weniger empfänglich für dessen Inhalt? Man hört schliesslich auch nichts über "Zensur" in Büchern, ausser in extremen Fellen, als normalsterblicher. Liegt es einfach daran, dass die Einflüsse durch ein Buch ( egal ob Trivialliteratur oder Epiken ) nicht entschuldigt werden müssen, weil es ein Medium ist, welches ein jeder von uns kennt und auch die Ältesten von uns damit aufgewachsen sind?

Ob Dante oder Asterix, Gebrüder Grimm oder Batman...

Haben sie weniger Einfluss auf unser Leben? Tragen Bücher nicht genau so viel Gewalt in ihren Erzählungen und Geschichten?

Glaukos
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Re: Gewalt - Eine wiederkehrende Angst?

Beitragvon Glaukos » 27.12.2009, 19:25

hi und hallo, leimrey,

ein sicher sehr spannender fall war der "werther" von goethe; anscheinend haben sich einige junge leser mit der romanfigur sehr identifiziert und wie diese das leben genommen. so besehen hast du vermutlich recht, das buch hat einige leser inspiriert, etwas zu tun, was in dem buch ähnlich geschildert wurde.
das ist wohl ein generelles medienphänomen, und es hat mit unserer art des denkens zu tun.
wir nehmen etwas auf (via medium), vergleichen es mit eigenen erfahrungen, versuchen schlussfolgerungen zu ziehen und unser verhalten zu optimieren. wir wollen lernen - unseren horizont erweitern ... deshalb nutzen wir medien, deshalb kommunizieren wir. (natürlich auch, um unser gruppenverhalten auf ein gruppenziel hin zu optimieren.)

das buch ist nur eines vieler medien.
und es gibt so viele genres und spielarten; romane sind nur ein kleiner teil der buchwelt.
was sagt man im übrigen zu büchern wie der "bibel"? sie ist auch über weite strecken ein erzählbuch, eine fantasiesammlung, basierend auf einigen mythen oder dem hörensagen von den altvorderen. eigentlich war sie somit seit jeher primär fiktion, auch wenn die menschen sie für das wort gottes und damit wirklichkeit hielten.
heute erklären medienwissenschaftler, dass selbst die presse, die dem anspruch gerecht zu werden versucht, die wahrheit medial zu publizieren (und dann auch zu interpretieren), ihrem anspruch nur annähernd gerecht werden kann.
man könnte das flapsig eine "mediale unschärfe" nennen: wahrheit und fiktion sind immer ein wenig miteinander vermengt - denn ein 100prozentig fiktiver text oder film ist auch nicht vorstellbar: wir würden gar nichts darin erkennen, er hätte null struktur, wäre pures chaos. medien treffen somit immer eine auswahl - nähern sich einem thema an.

das computerspiel mag heute vornehmlich der unterhaltung dienen, aber es wird vermutlich schon bald auch unsere arbeitswelt mitbestimmen: wir werden dann als "avatare" in konferenzen gehen, virtuelle räume durchstreifen und dort kommunizieren - das wird einige zeit sparen, die wir heute mit anfahrt und rückfahrt verlieren ;)
so besehen könnte man computerspiele als eine vorbereitung auf die lebenswelt von morgen ansehen - wie die tamagochis die handys symbolisierten ...

du hast recht, bücher sind in der regel einwegkommunizierend: hier der sender (oft schon tot), dort der empfänger. im computerspiel meint der spieler eine freiheit zu besitzen - doch letztendlich wird auch hier von den programmierern ein handlungsverlauf vorgegeben, und mit dem handlungsverlauf auch eine moral. die spielräume mögen größer sein als in einem roman, aber sie sind nicht unendlich. beim roman kann ich mir die romanfiguren oft so vorstellen, wie ich möchte, weil der autor gar nichts über haarfarbe etc. schreibt usw..
jeder leser hat eine eigene imaginierte welt vor augen, so wie der computerspieler einen individuellen weg durch die story wählt.
der leser ist eher ein zuschauer, aber der computerspieler ist letztlich in der regel auch nur einer, der ein ziel verfolgt: das spiel erfolgreich zu spielen, die meisten punkte zu sammeln. die punkte erziehen ihn - und erziehen ihn auch gegen seine individualität; um erfolgreich sein zu können, muss er die norm erfüllen.

der inhalt des spiels: extrem variabel. das ähnelt den büchern: von extremliebesschnulzen bis zu hardcoremassakern ist wohl alles möglich.

ich stecke nun in der computerspielewelt nicht allzu tief drin, aber mein eindruck ist: die allermeisten spiele sind moralisch verträglich im sinne der aktuellen gesellschaftsmoral.
es ist wie im buch: ich kann, wenn das brutale ekel den sanften jüngling tötet, partei des ekels ergreifen und den jüngling sadistisch mitmeucheln, ich kann ebensogut den jüngling bedauern und das ekel hassen - oder ich kann das ganze als eine "story" begreifen und eine moralische wertung weitestgehend herauslassen, also: mit weniger gefühlen lesen und das thematisierte "phänomen" nüchtern zu hinterfragen versuchen.

übers fernsehen heißt es: dumme werden beim fernsehen dümmer, kluge klüger.
sofern es stimmt - mag es auch auf andere medien zutreffen ...

gruß
tolya

DerBaum
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Re: Gewalt - Eine wiederkehrende Angst?

Beitragvon DerBaum » 28.12.2009, 15:12

Die Leute bringen sich auch um, wenn sie eine fünf statt
einer Drei würfeln, es kommt doch immer nur darauf an
wo sie stehen

[) i r k
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Re: Gewalt - Eine wiederkehrende Angst?

Beitragvon [) i r k » 13.01.2010, 03:19

Nun, ich glaube, dass der ideologische Wirkungseinfluss und die dadurch ausgelöste (zwar unintendierte, aber dennoch historisch im Zusammenhang stehende, also kausal belegbare) Gewalt von Büchern wie "Die Bibel", "Das kommunistische Manifest" oder "Mein Kampf" (um nur drei zu nennen) viel gravierender ist als jedes Videospiel (oder alle Videospiele zusammen). Man darf die Macht der Worte keinesfalls unterschätzen. Die Schriften Luthers waren u.a. der ausschlaggebende Anlass für den Dreißigjährigen Krieg.

Allerdings sind Videospiele nicht ideologisch, sondern fiktional. Da besteht also ein fundamentaler Unterschied. Solange ich weiß, dass ich mich in einer virtuellen Erzählung bewege, solange ich das Spiel als Spiel wahrnehme, wird es, wenn keine anderen Faktoren hinzukommen, mich nicht in einen Menschenschlächter verwandeln.

Nebenbei: Die Diskussion um Gewalt verherrlichende Spiele oder Musik verschleiert leider viel zu oft auch die sozialen Ursachen und die politische Verantwortung. Dazu möchte ich dir folgendes Interview empfehlen:
Interview mit Gewaltforscher Heitmeyer

Die Zunahme von Kriminalität hat immer eine Geschichte. Sie ist häufig der Ausdruck eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts.

Des Weiteren möchte ich auch eine kritisch-historische Perspektive empfehlen: Gewalt ist der Normalzustand. Der Frieden und die Demokratie, in der wir leben, sind 60 Jahre alt. Und selbst das gilt nicht für die Gesamtheit aller Deutschen. Noch vor ca. 20 Jahren lebte ich in einem Land, in dem es keine freien Wahlen gab, in dem Menschen eingesperrt wurden, wenn sie anders dachten und darauf bestanden, ihre Meinung frei zu äußern, ein Land, in dem man erschossen wurde, wenn man es verlassen wollte. Ich verstehe das Zustandekommen von Hysterie in Anbetracht von singulären Gewaltereignissen wie 9/11 oder einem Amoklauf wie den von Erfurt. Was ich aber nicht verstehe, ist die blinde Idealisierung von Sicherheit und Frieden. Denn das ist Selbstbetrug:

1.) Es gibt eine Staatsgewalt, dazu gehören in Deutschland 250.000 Polizisten, die unser Eigentum und Leben schützen (wenn's sein muss auch mit Wasserwerfern, Schlagstöcken, Pfefferspray und Schusswaffen).
2.) Terror kann auch im Inland, innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsordnung entstehen: RAF.
3.) Die deutschen Exporte in der Rüstungsindustrie sind ein Wachstumsmarkt:
Deutschland steigert Waffenverkäufe um 70 Prozent
4.) Sicherheitstechnik, Personen- und Objektschutz sind ein Wachstumsmarkt.
5.) Mehr als 3000 deutsche Soldaten in Afghanistan. U.v.m. mehr anderswo:
Laufende Auslandeinsätze der Bundeswehr

Oder schau dir die Geschichte Amerikas, der ältesten Demokratie der Welt an: Eroberung des Landes, Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg, Indianerkriege, Sklaverei, Amerikanischer Bürgerkrieg. Dann zoomen wir in die neuere Geschichte: Kalter Krieg, Vietnamkrieg, Koreakrieg, Krieg gegen den Terror, Irakkrieg... ausführliche Liste unter:
Militäreinsätze und Kriege der USA von 1950 bis 1999

Wie du schon richtig sagtest:
Gewalt - Etwas was sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden nie geändert hat.


Gewalt ist überall. Aber wir müssen uns klar machen, dass Gewalt vor allem von Staaten ausgeht. Gewalt ist immer ein Begleitphänomen von Herrschaft.

Hier noch eine kleine Leseempfehlung. Die Herkunft und die Geschichte des Begriffes "Terror": Terror#Begriffsgeschichte.

Daraus sei folgendes zitiert:
In einem „Tugendstaat“ seien das Volk durch Vernunft zu leiten und die Feinde des Volkes durch „terreur“ zu beherrschen, so Robespierre am 5. Februar 1794 vor dem Konvent: „Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend. Der Terror ist nicht ein besonderes Prinzip der Demokratie, sondern er ergibt sich aus ihren Grundsätzen, welche dem Vaterland als dringendste Sorge am Herzen liegen müssen.“ Dem Exekutivorgan dieses Staatsterrors, dem Pariser Revolutionstribunal, fiel Robespierre noch im selben Jahr schließlich selbst zum Opfer.

Die beiden Sätze "Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend." würden vermutlich viele al-Qaida-Anhänger unterschreiben.

Und zum Schluss noch ein Schuss Dialektik:
Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

(Bertolt Brecht: "Das Lied von der Moldau")


Gruß,
[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)


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