Kapitalismus als "Schicksal"?

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le tob
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Kapitalismus als "Schicksal"?

Beitragvon le tob » 22.12.2003, 16:13

In der österreichischen Tageszeitung der Standard hat in der Wochenendausgabe eine interessante Serie begonnen, mit dem Titel Kapitalismus als Schicksal?
Um euch eine Vorstellung von der Serie zu geben hier die Einleitung:

Leben wir in der besten aller Welten? Oder gibt es irgendwo da draußen Alternativen? Sind Demokratie und freier Markt Zwillinge? Was heißt heute noch „Engagement“?- Mit besinnlichen Fragen wie diesen möchten wir ab heute fallweise Ihre Feiertagsruhe stören. Aufgeworfen hat sie Robert Menasse in der Friedpreisrede. Wir haben sie einigen Autoren weitergeleitet mit der Bitte um Antwort: rückblickend, vorausschauend, innehaltend.

Der erste Autor der nach politischen Möglichkeiten und Alternativen Ausschau gehalten hat, ist Wolfgang Müller Funk, ein Philosoph und Essayist.

Ich möchte ein paar Aussagen seines Textes darstellen:

Für ihn ist die neue Ökonomie, eine unverschämte, die mit dem Neoliberalismus einhergeht und der Ausbeutung, Kinderarbeit, soziale Ungleichheit und Neokolonialismus hinter schönen Designerformeln von Marktfreiheit prolongiert.

Der Autor sieht den Charakter dieses Marktkapitalismus als einen der wie in einem Fußballspiel bestenfalls die Regelen zum fairen Austrag vorgibt, aber keine korrektiven Regulationsmechanismen für die unzähligen Verlierer generiert.

Hierbei werden klar Werte, die nicht mit Geld messbar sind, strukturell missachtet.
Für den Autor ist das linke Argument wahr, dass sich der kapitalistische Markt mit autoritären gesellschaftlichen Lösungen verträgt und das diesem die Tendenz innewohnt.

Um die Frage zu klären was es als Alternative gäbe meint der Autor:
Dabei geht es nicht um DIE Alternative( wie weiland der Sozialismus) sondern um ein ganzes Bündel von Initiativen, Maßnahmen, Korrekturen und Gegenstrategien. Wenn es der demokratischen Linken ( oder anderen Gruppierungen) nicht gelingt, solche Schritte zu setzen, wird sie nicht nur den realen Neoliberalismus und ihre eigene Machtlosigkeit zementieren, sondern es werden – mangels demokratischer Alternativen- Bewegungen entstehen vor denen man sich schon heute fürchten muss.( vgl. Funk, der Standard 20/21. 12.03)




Was haltet ihr von diesen Ausführungen?
Was glaubt ihr wie man den Staat in Zukunft organisieren muss oder kann. Sind starke soziale Sparprogramme die Antwort auf alle finanziellen Probleme?
Brauchen wir eine starke Linke?
Findet man vielleicht in der Geschichte der politischen Theorie und Ideengeschichte von Aristoteles über Locke und Machiavelli bis hin zu Marx und Berstein Antworten?
Sind wir der Spielball multinationaler Unternehmen?
Was ist positiv an der Globalisierung?

Ich denke, dass dieses Thema ansprechend ist, da es schon heiße Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Kreuzritter Frantisek gegeben hat und ich denke das ein geistreiches Duell spannend sei.
"Seien wir realistisch-fordern wir das Unmögliche" Che

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Re: Kapitalismus als "Schicksal"?

Beitragvon razorback » 28.12.2003, 17:33

Ein besinnliches Thema, fürwahr... :-D

Ich finde alleine die Idee, eine bestimmte Form der politischen - oder auch wirtschaftlichen - Organisation könne "Schicksal" im Sinne eines "Endes der Geschichte" (der Begriff stammt, wenn ich mich recht erinnere, von Francis Fukuyama) sein ahistorisch und auch irgendwie naiv.

Eine Grundlage der kapitalistischen Wirtschaft ist ja immer noch die Ausbeutung von Menschen - nur hat sich das Klassensystem eben insofern verschoben, dass es jetzt auch eine geographische Komponente hat. Die Ausgebeuteten wohnen nicht mehr in den Arbeitervierteln um die Ecke, sondern auf anderen Kontinenten. Insofern mag es durchaus sein, dass Marx lange nicht so tot ist, wie er gemeinhin geredet wird, sondern einfach nur - wie alle seine Zeitgenossen - nicht in der Lage war, sich eine "Globalisierung" des Kapitalismus vorzustellen (Leuten die versuchen, Geschichte vorauszusagen passiert sowas des öfteren :-p ) und somit im Zeitrahmen arg danebengehauen hat. (Ich bin kein Marxist, aber ich halte aauch nicht alle Marxisten per se für Nostalgiker.)

Hinzu kommt, dass unsere kapitalistischen Gesellschaften ja auch auf einem ungeheuren Raubbau an natürlichen Ressourcen bzw. Rohstoffen beruht, was auch nicht ewig durchzuhalten ist. Die Frage ist, was zuerst kommt - wissenschaftliche Erfolge, die den Raubbau unnötig machen oder der Zusammenbruch des Systems.

Zu Deinen Fragen:

Was haltet ihr von diesen Ausführungen?


Siehe oben - vernünftig, selbstverständlich, immer noch ein wenig phantasielos :-D

Was glaubt ihr wie man den Staat in Zukunft organisieren muss oder kann.


Oh, da hätte ich viele Ideen - immerhin schreibe ich phantastische Literatur ;-) . Keine Ahnung, was davon realistisch ist. Die technologischen Möglichkeiten in unserem Teil der Welt entwickeln sich so rasant, dass mir eine realistische Voraussage künftiger Willens- und Meinungsbildungsprozesse kaum möglich erscheint. Gleichzeitig öffnet sich die Schere zum Rest der Welt immer weiter. Die Bevölkerung - und damit die Gefahr von Hunger und Seuchen - nimmt rasant zu, die natürliche Umwelt wie wir sie kennen wird radikal verändert und das politische System mit dem wir (also, wir im Nordwesten) versuchen, dem zu begegnen stammt aus dem 18. Jahrhundert. Da kommen interessante Zeiten auf uns zu...


Sind starke soziale Sparprogramme die Antwort auf alle finanziellen Probleme?


Ist eine rethorische Frage, oder? :-D

Brauchen wir eine starke Linke?


Zwei Gegenfragen: Brauchen wofür, und was würdest Du heute als "Linke" bezeichnen?

Findet man vielleicht in der Geschichte der politischen Theorie und Ideengeschichte von Aristoteles über Locke und Machiavelli bis hin zu Marx und Berstein Antworten?


Antworten... ich wäre ja schon froh, wenn jemand da Anregungen suchen würde.

Sind wir der Spielball multinationaler Unternehmen?


Sieht im Moment so aus, glaube ich aber lang- oder mittelfristig nicht. Um es ganz platt zu sagen - Unternehmer kann man erschiessen, einsperren, enteignen oder des Landes verweisen, Unternehmen kann man vergesellschaftlichen, ruinieren, ihrer Existenzgrundlage berauben. Wir leben in einem System, dass die Symbiose von Politik und Wirtschaft fördert und haben eine politische Klasse die glaubt, was der Wirtschaft nütze, nütze auch den Menschen. Das ist eine Momentaufnahme. In welche Richtung sich das ganze Entwickelt - da gibt es viele denkbare Möglichkeiten (s.o.). Eine Herrschaft der Oligarchen ist wohl eine - aber eben nur eine.

Was ist positiv an der Globalisierung?


Du sitzt im Warmen, trinkst preiswerten Kaffee, surfst im Internet, hast Zugang zu Medikamenten die auf kanadischer Grundlagenforschung beruhen und verdienst mehr als 100 Euro im Monat? Na siehste... Für uns Aristokraten ist sie momentan fast nur positiv.

Alles Gute vom alten Stammtischpolitisierer Razorback
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You


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