Visegrad

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Visegrad

Beitragvon DerBaum » 03.10.2012, 09:50

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Write to University of Graz, Institute for Slavic Studies and express your
protest:

Institut für SlawistikKarl-Franzens-Universität Graz
A-8010 Graz, Merangasse 70/I

Tel.: +43 (0)316 380-2520

Fax: +43 (0)316 380-9773

e-mail: sekretariat.slawistik@uni-graz.at

Leitung:
Univ.-Prof. Dr. Peter Grzybek
e-mail: institutsleitung.slawistik@uni-graz.at

Die Brücke über die Drina war auch eine Hinrichtungsstätte
von Omerique Omerikanovich, Mittwoch, 3. Oktober 2012 um 02:13 ·
Vom 4. bis zum 6. Oktober findet in Višegrad (Bosnien und Herzegowina) das
literarturwissenschaftliche Symposium "Die Brücke über die Drina" statt. Das
Symposium ist nach dem gleichnamigen Werk des jugoslawischen Schriftstellers
Ivo Andric benannt und wird gemeinsam vom Institut für Slavistik der
Universität Graz und von der Stadt Višegrad veranstaltet.

Durch das nobelpreisgekrönte Werk Andrics wurde die Stadt Višegrad samt
ihrer osmanischen Brücke weltbekannt. Heute stehen beide jedoch auch für
eine andere, blutige und unrühmliche Vergangenheit, die keine ganzen zwei
Jahrzehnte zurückliegt. Im vergangenen Krieg in Bosnien und Herzegowina
(1992-1995) war Višegrad Schauplatz von Verbrechen, die selbst in diesem von
Krieg, Vertreibungen und Völkermord gebeutelten Land durch ihre Monstrosität
und Brutalität hervorstachen. Zwischen 1.700 und 3.000
muslimisch-bosniakische Einwohner der Stadt wurden von Angehörigern
serbischer paramilitärischer Einheiten brutal umgebracht; manche von ihnen
wurden auf der Straße hingerichtet, manche in ihren Häusern eingeschlossen
und lebendig angezündet. Die Mehrheit wurde jedoch ausgerechnet von der
Kuppel der weltbekannten Pfeilerbrücke in den Fluss geworfen. Im Zuge der
systematischen "Säuberung" der Stadt von Bosniaken wurden alle Moscheen in
und um Višegrad zerstört und jegliche Erinnerung an die bosniakische Präsenz
in der Stadt ausgelöscht. In dem berüchtigten Hotel Vilina vlas, einem
ehemaligen Kurort, wurden schätzungsweise an die 200 bosniakische Mädchen
und Frauen systematisch vergewaltigt und misshandelt. Vergewaltigungen von
Frauen fanden auch in den Schulen, Wohnungen und in der Polizei- und der
Feuerwehrwache statt. Wegen der Verbrechen in Višegrad wurden sieben
Angehörige serbischer Einheiten vom Haager Tribunal zu langjährigen bzw.
lebenslänglichen Strafen verurteilt, gegen fünf weitere Personen ist Anklage
erhoben worden.

Einige Opfer des Völkermordes von Višegrad konnten erst letztes Jahr
identifiziert und begraben werden, nachdem im Sommer 2010 aufgrund einer
Panne am Wasserkraftwerk Bajina bašta das Wasser des Sees Perucac
zurückgedrängt und ihre Überreste entdeckt wurden. Mindestens 600 Menschen
aus Višegrad gelten noch als vermisst. Und dennoch weigert sich die heutige,
nun fast ausschließlich serbische Bevölkerung der Stadt mehrheitlich, den
Völkermord und die Verbrechen an ihren ehemaligen Nachbarn anzuerkennen und
zu würdigen. Tomislav Popovic, Bürgermeister der Stadt und Mitveranstalter
des Symposiums über Andric, kündigte an, ein im Mai 2012 auf dem
muslimischen Friedhof Stražište im Gedenken an die Opfer errichtetes Denkmal
entfernen zu wollen.

Dafür unterstützen die Stadt Višegrad und die Regierung der Republika Srpska
umso eifriger das in der Nähe von Višegrad entstehende pseudo-historische
Gebäudekomplex Andricgrad, das vorgeblich zu Ehren des Nobelpreislaureaten
errichtet wird, jedoch kaum mehr als eine Vergegenständlichung
serbisch-nationalistischer Phantasmen auf Kosten des Steuerzahlers
darstellt. Einmal mehr wird das Werk des Literaten Andric für die
serbisch-nationalistische Ideologie missbraucht und dadurch entwertet.

Es ist stark zu bezweifeln, dass den Grazer Slavisten der historische wie
auch der gegenwärtige politisch-ideologische Kontext unbekannt ist, in
welchem die von ihnen mitgetragene Veranstaltung stattfinden soll. Auch der
Missbrauch von Andrics Werk für die Legitimierung sowohl der Verbrechen an
den Višegrader Bosniaken während des Krieges als auch des gegenwärtig
durchgeführten Großprojektes Andricgrad dürfte nicht unbekannt geblieben
sein, haben schließlich viele Autoren und Journalisten aus Bosnien und
Herzegowina, Serbien und anderen Ländern ausführlich darüber geschrieben.
Und dennoch findet sich unter den vielen im Programm des Symposiums
angekündigten Vortragstiteln nicht ein einziger, der sich mit der
Problematik der vergangenen wie gegenwärtigen nationalistisch-politischen
Instrumentalisierung von Ivo Andrics Werk auseinandersetzt. Über ein
literaturwissenschaftliches Symposium, das Literatur anscheinend völlig
losgelöst aus ihren aktuellen Bedeutungszusammenhängen betrachtet, ließen
sich auch ohne die geschilderten Zusammenhänge viele kritische Worte sagen.

Doch dies ist nicht das größte Problem. Schwerer noch wiegt der Umstand,
dass die Grazer Mitveranstalter die bisherigen Appelle der Kriegsopfer und
Hinterbliebenen ignoriert haben, in zwei kleinen, freilich nicht besonders
schwer zu vollziehenden, symbolischen Akten der Višegrader Opfer zu
gedenken. So bat die Vereinigung Cuprija die Grazer Slavisten darum, die
Teilnehmer des Symposiums an einem anderen Ort als in dem berüchtigten Hotel
Vilina vlas unterzubringen, in dem während des Krieges
Massenvergewaltigungen stattgefunden hatten. Ferner baten sie um eine
symbolische Ehrerweisung für die Opfer auf dem muslimischen Friedhof
Stražište vor Beginn der Veranstaltung. Beide Bitten blieben ohne Antwort.

Es bleibt zu hoffen, dass die Grazer Mitveranstalter des Symposiums ihre
Entscheidung überdenken werden, diese Bitten, und damit auch die furchtbaren
Verbrechen in Višegrad und deren Konsequenzen für die heutige Zeit zu
ignorieren. Als Unterzeichner_in dieses Briefes appelliere ich nachdrücklich
an sie, dies zu tun. Gerade die mangelnde Bereitschaft dazu, sich kritisch
und selbstkritisch mit der jüngsten Vergangenheit und mit Kriegsverbrechen
auseinanderzusetzen liegt im Kern vieler gesellschaftlicher Probleme im
heutigen Bosnien und Herzegowina. Einer solchen Haltung mit eigenem Beispiel
Vorschub zu leisten wäre verantwortungslos. "Die Brücke über die Drina" war
zweifellos ein bedeutsames literarisches Werk. Die Brücke über die Drina war
aber auch eine Hinrichtungsstätte. Das Letztere zugunsten einer vermeintlich
"neutralen" und einer "rein literaturorientierten" Haltung zu ignorieren,
würde nicht nur bedeuten, sich in einem aktuell hochpolitisierten
Zusammenhang von Nationalideologen instrumentalisieren zu lassen. Es würde
auch bedeuten, Literatur dem Leben zu entrücken und auf die bedruckten
Blätter zwischen zwei Umschlagsseiten zu reduzieren. Und das wäre ganz
gewiss nicht im Sinne jenes berühmten Absolventen der Universität Graz
gewesen, dessen Werk bei der Veranstaltung gewürdigt werden

riemsche
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Re: Visegrad

Beitragvon riemsche » 03.10.2012, 23:29

ich nehme an, wenn du den beitrag postet, wurden tragisch trockene fakten hinterfragt und der dafür kompetente ansprechpartner gefunden. werd mich _bin steirer und bildungslücken sind zu füllen_ auch selber _so weit wie es das netz zulässt_ schlau machen. wäre meine erste protestnote auf die virtuelle - text kopieren und (in adresscopy nach gefühl zu mobilisierende empfänger aus dem privaten adressbuch einfügen) an die vorgegebene mailadresse der institutsleitung senden ??
riemsche


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