TV und ich.
Charis, meine Gute, da hast du ein interessantes Thema eröffnet. Ich musste eine Weile drüber nachdenken ... eigentlich hab ich keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Okay, gehen wir der Reihe nach.
Die erste Sendung, an deren Konsum ich mich erinnere ...
Schwierig. Wie du vielleicht weißt, habe ich die ersten dreizehn Jahre meines Lebens in der Endphase des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaats zugebracht. Ich bin mit Pittiplatsch und Schnatterinchen aufgewachsen und das Sandmännchen hat mich abends ins Bett gebracht. Eine Erinnerung, die sich sehr tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat, ist Pan Tau (wobei es sich um eine Gestalt aus tschechoslowakischen Kinderfilmen handelt), ich glaube, wie er auf der Tragfläche eines Flugzeugs sitzt und sich an den Hut tippt. Kennt hier jemand Pan Tau!?
Dann Wickie, Pinocchio und Biene Maja. Ein Kult hat sich in den letzten Jahren an diese Erinnerungen drangehängt und millionenschwer verkauft.
Ehrlich, ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube, bei uns lief "Der Maulwurf", "Lolek und Bolek" und irgendwelche anderen Trickfilme. Das meiste davon waren Importe aus den sozialistischen Nachbarstaaten, zumeist aus der ČSSR. Dann gab es noch eine ganze Menge DEFA-Filme, viele Märchenverfilmungen und so. Am lebhaftesten habe ich noch "Das kalte Herz" in Erinnerung, wenn man bedenkt, dass das 1950 gedreht wurde, kein schlechter Film. Ich erinnere mich auch an ein paar russische Märchen: die Baba Jaga hatte ein Hexenhaus, das auf riesigen Vogelfüßen stand und sich darauf drehen und schwerfällig bewegen konnte. Das werde ich, auch wenn ich dir heute nix mehr von der Handlung sagen könnte, nie mehr vergessen. Es sind alles einzelne Bilder, die mir ins Gedächtnis kommen. Und dann liefen um Weihnachten immer die Winnetoufilme bei uns – in meinem Alter damals war das der absolute Kult!!!
Ansonsten weiß ich nicht mehr viel davon: es gab ja nur die zwei staatlichen Fernsehsender. Zuverlässig verkündete abends "Die aktuelle Kamera" wie gut es uns allen geht und wie schlecht euch im Westen.
Nicht unähnlich der Szenerie in "1984". Dann gab es vielleicht noch ein Krimi der Reihe "Polizeiruf 110" und – ich glaube, einmal im Monat – "Ein Kesselbuntes", das war eine Art Unterhaltungsshow. Da tanzte dann zwischendrin immer das Fernsehballett der DDR. Und dann gab es noch Kuriositäten wie die "Rumpelkammer". Merkwürdig, dass ich mich ausgerechnet daran noch so deutlich entsinne, obwohl es wahrscheinlich die langweiligste Sendung ist, die man sich als Kind vorstellen kann. Der Vorspann: Musik, ein alter Mann kommt eine Treppe herauf, schließt eine Gattertür auf und betritt einen ziemlich verstellten und zwielichtigen Dachboden: die Rumpelkammer. Er moderiert die Sendung und stellt Schnipsel und Ausschnitte aus alten Filmen und Filmmusik vor.
Dreizehn. Umzug in größere Wohnung. Aufgrund massiver Überredungs- und Bestechungstaktik in Richtung Ernährer gibt es als Bonus Kabel. Glückrad. Shows. Serien. Soaps. Mainzelmännchen. Werbung. Werbung. Werbung. Trash as Trash can.
In den 80er Jahren schickte sich dann das imperialistische Ausland an, seine verleumderische Propaganda und Agitation auch in den Osten auszustrahlen: wir empfingen Westfernsehen! Und mussten dafür noch nicht mal Gebühren bezahlen!!!
Ich glaube, das Programm aus dem Westen war ein ganz entscheidender Faktor für den Anfang vom Ende, vor allem diente es der Verstärkung der Unzufriedenheit in der ostdeutschen Bevölkerung. Die Bilder aus dem Westen wurden zum Maßstab für den eigenen Lebensstandard, vielen wurde jetzt der Mangel erst so richtig bewusst. Außerdem gab es nun mit den Nachrichten aus dem Westen tägliche Gegendarstellungen zu den Lügen und der Parteipropaganda des ZK. Ich glaube, es gibt sogar Untersuchungen, die belegen, dass sich die Berichterstattung des DDR-Fernsehens danach Schritt für Schritt verändert hat – man konnte den Leuten einfach nicht mehr alles auftischen. Auf diesem Nährboden konnte dann auch das junge und im wahrsten Sinne des Wortes "revolutionäre" Sendeformat "Elf 99" entstehen, das schließlich beim Umbruch der DDR eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Was mich diese Geschichte vor allem lehrt, ist, dass man den Einfluss und die Macht der Medien, insbesondere des Fernsehens nicht unterschätzen soll. Wir können noch so skeptisch gegenüber den Medien, den Nachrichten und der Werbung sein, im Endeffekt ist alles, was wir über diese Welt denken, was wir uns wünschen oder was wir am Wahlsonntag ankreuzen, maßgeblich davon beeinflusst. Auch Amerika und Russland sind augenblicklich exzellente Beispiele für die Reichweite und Bedeutung der Medien – und ihre Auswirkungen auf das älteste und auf eines der jüngsten demokratischen Systeme.
Okay, wir hatten also Westfernsehen. Zuerst die ARD, und etwas später auch das ZDF. Natürlich hatte ich von Politik damals keine Ahnung. Um so mehr interessierten mich die
Serien im Vorabendprogramm. "Ein Colt für alle Fälle", "Simon & Simon", "Ein Trio mit vier Fäusten" und wie sie alle hießen. Ab da begann meine TV-Junkie-Karriere. Ich glaub, ich habe wirklich keine dieser dämlichen
Serien ausgelassen. Wir wohnten in einer dieser Plattenbausiedlungen, was allerdings zu DDR-Zeiten sehr komfortabel war, da wir Fernwärme, Gas und ein richtiges Bad hatten. Meine Eltern hatten in ihrem Schlafzimmer, das direkt neben meinem Zimmer lag, einen kleinen Schwarzweiß-Fernseher stehen. Rotes Plastikgehäuse. Wir wohnten im 5. Stock und direkt darüber, im 6. Stock, war der Flur zum Fahrstuhl. Ich konnte hören, wenn der Fahrstuhl auf der Etage hielt und an ihren Schritten konnte ich meine Eltern erkennen. Und so habe ich, waren die beiden abends ausgeflogen, heimlich ferngeguckt und zwar das, was ich wollte. Jetzt fragt mich nicht, was! Ich glaub das war die Zeit, in der ich voll auf Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Filme abgefahren bin. :-&
Ich hab viel Zeit vor der Glotze verbracht, viel zu viel. Und wenig und ungern gelesen, als ich einen richtigen Heißhunger auf Bücher bekam (das fing bei mir eigentlich erst mit der Oberstufe an), war es eigentlich schon viel zu spät. Ich glaube, einen Teil meiner Bildung verdanke ich der Schule und den anderen dem Fernsehen. :idiot:
Das Kino. Schachtelkino. Dirty Dancing. Michael J. Fox. Popcorn.
Tja, und Kino kam bei mir auch erst viel später. Ich war in der DDR wahrscheinlich öfter im Theater und in der Oper als im Kino. Und merkwürdigerweise ist der einzige Film, an den ich mich ganz bewusst und deutlich erinnern kann, dass ich ihn in Halle-Neustadt im Kino gesehen habe, ein Streifen aus den USA: "Die Reise ins Ich." Das muss 1988 gewesen sein und ich muss zehn oder elf Jahre alt gewesen sein. Ich habe echt krampfhaft überlegt, was davor war, aber es fällt mir einfach nicht mehr ein. Seltsam. Richtig zum Cineasten bin ich dann erst geworden, als ich meinen Führerschein hatte und später durch den Umzug nach Düsseldorf. Die kleinen Programmkinos hab ich richtig lieb gewonnen: sie sind gut erreichbar (eins ist quasi hier gleich bei mir um die Ecke), zeigen interessante Filme und sind bei uns im Vergleich zu den Multiplex-Majors nur halb so teuer. Die kleinen Kinos haben sich in Düsseldorf zusammengeschlossen, für 10 Euro (Studenten nur 5 Euro
) kriegt man eine MEK-Karte, mit der man ein Jahr lang nur 3 oder 4 Euro pro Film zu bezahlen braucht. Da kann man wirklich nix gegen sagen.
Kino.
Einmal pro Monat vielleicht?
Einmal die Woche, mindestens. Oder Theater. Sonst krieg ich 'nen Rappel.
Heute. Der Fernseher steht so herum, weil er eben HERUM steht. Manchmal staube ich ihn ab. Manchmal schauen meine Kinder ein Video. Ich habe zwei Kanäle. ORF eins und zwei. In Griesel-Optik. Und ein paar slovakische und ungarische Schemen. Hausantenne. Der GIS-Mann hat mich beim Schwarzsehen erwischt. Obwohl ich nimmer schaue.
Tja, es sind jetzt bald 3 Jahre, dass ich kein Fernseher mehr hab. Und ich gedenke auch nicht, mir in nächster Zeit wieder einen anzuschaffen. Wozu auch? Und die GEZ (so heißt das bei uns), schreibt mir derweil unverschämte Drohbriefe. :sauer:
Muss Frau fern sehen, um informiert zu bleiben? Mir fehlen die Bilder. Zu Madrid. Zu Washington. Zu Bagdad. Zu Wien Offiziell. Ich sollte ein Zeitungsabo lösen. Aber ich hasse den vollen Altpapiersack. Vielleicht genügen auch Bilder im Kopf.
Nein, muss sie nicht! Und er auch nicht. Und, was heißt überhaupt, "informiert" sein!? Schau dir doch mal die Nachrichten an. Ich will noch nicht einmal darauf hinaus, dass Bilder manipuliert werden können, aber überleg doch mal, welchen Ausschnitt der Wirklichkeit du hier Tag für Tag präsentiert bekommst: Unglück, Terror, Verbrechen, Korruption, Skandale, Mord- und Totschlag ... ehrlich, das ist doch unerträglich! Da entsteht wirklich der Wunsch, wegzuschauen; denn was für ein Gesamtbild, was für einen Eindruck erhält man letztendlich dadurch von der Welt? Wenn man sich einmal etwas gründlich damit beschäftigt hat, wie in den Medien "Informationen" selektiert und verarbeitet werden (und ich will gar nicht unterstellen, dass da eine Absicht dahinter steht), kann man, was einem da letztendlich präsentiert wird, nicht mehr einfach so hinnehmen. Das sich ständig wiederholende Muster zum Beispiel, wie über die Tagespolitik berichtet wird, hängt mir mittlerweile so zum Hals heraus! Es ist doch kein Wunder, dass die Leute politikverdrossen sind. Aber die Hauptursache dafür ist nicht die Politik (auch wenn sie das Spiel mitspielt und sich inzwischen sehr gut darauf eingestellt hat), sondern die Art der Berichterstattung. Und deswegen brauch ich auch keine Tageszeitung, der Großteil der Informationen darin, ist irrelevant – für mein Leben.
Ich denke, es liegt auch einfach daran, dass die kognitiven Fähigkeiten des Menschen (z.B. Gedächtnis, logisches Denken etc.) beschränkt sind und dass wir in einer modernen Welt leben, in der mediale Reize immer mehr zunehmen – Fernsehen, Handy, Internet, Werbung, Computer, Kino, Radio, Zeitung, e-Mail usw. Es gibt ganz einfach ein Overflow an medialen Angeboten und wir müssen auswählen. Oder anders gesagt: nicht wir wählen aus, sondern wir werden "angewählt". Von Medien angesprochen, die um Marktanteile und Werbegelder konkurrieren. Unsere Aufmerksamkeit ist die Ressource, um die hier gekämpft wird. Aber sachliche, trockene Informationen sind nicht gerade das, was unsere Aufmerksamkeit erregt, nein, es ist das bunte Bild der halbnackten Frau auf der Programmzeitschrift, es ist die Riesen-Skandal-Schlagzeile, es sind Emotionen, es sind aufregende, bestürzende, traurige, lustige, komische, kuriose, absurde Geschichten, die uns bewegen und unser Gedächtnis besetzen. Wer wirklich informiert sein will, der muss sich in einen reizarmen Kokon (z.B. eine Bibliothek) verkriechen und lesen, schreiben, ordnen, systematisieren, auswählen, kritisch hinterfragen ... aber wer hat schon die Zeit dazu?
Ich halte es inzwischen so, dass ich meinen Bedarf an Tagesnachrichten zu einem Großteil aus dem Internet akquiriere. Dort habe ich wenigstens noch ansatzweise das Gefühl, beeinflussen zu können, was für Informationen ich auswähle, auch wenn (oder gerade weil) das Spektrum von der absurdesten Verschwörungstheorie bis zum unverständlichen Fachchinesisch reicht. Und ich gebe die Themen vor, die mich interessieren, anstatt einen fertigen Mix vorgesetzt zu bekommen und ihn zu schlucken oder dumm zu sterben. Da kommt es dann schon mal vor, dass es mich auf abseitige Wege führt, dass ich mich über den aktuellen Despotismus in Europa (Ukraine) auf dem Laufenden halte oder über die politische Situation in Mittelamerika. Ich setzte den Fokus, ich blende ein. Allerdings ist es auch eine interessante Frage, wie das "Internet" funktioniert und fluktuiert. Als Speicher von Wissen, von Informationen ist es extrem unzuverlässig, auch wenn es die größte Bibliothek der Welt ist, die Halbwertzeit von Informationen ist so kurz wie bei keinem anderen Medium zuvor. Auch das ein Kennzeichen der Entwicklung: Buch, Zeitung, Fernsehen, Computer, Internet ... die Halbwertzeit der Informationen hat stetig abgenommen. Dennoch bin ich immer wieder fasziniert von dieser Erfindung, von der Fülle der Informationen, von der Idee der globalen Vernetzung, von dem Reichtum der Meinungen, von dem technischen Wunderwerk, das es möglich macht, von der Freiheit, der Vielfalt und der Größe des Konglomerats menschlicher Gedanken. Da fühle ich mich durchaus auch einmal geneigt, ein Dankeschön ins Pentagon zu entrichten. Aber natürlich auch das nichts als Selbstbetrug: die Verzerrung dieses Informationsangebots besteht schon allein darin, dass Milliarden von Menschen ausgeschlossen sind, weil sie a.) Analphabeten sind oder b.) kein Strom, Telefon, Computer und Internetanschluss haben oder c.) von den Staaten, in denen sie leben, davon abgehalten werden (Iran, China). Mit der Folge, dass die westliche Denke auch hier dominiert. Außerdem hat sich die Anarchie der Anfänge zunehmend in einen mit Werbebannern zugepflasterten Marktplatz verwandelt. In dieser Beziehung ist kaum ein Unterschied zum Fernsehen erkennbar.
Mehr Zeit bleibt nicht. Hausputz.
Irgend etwas stimmt hier nicht.
Wo sind die Stunden, die ich - verglichen mit dem österreichischen Durchschnitt - an Plus zur Verfügung haben müsste?
Ich sehe nicht mehr fern. Ich habe dennoch: Keine Zeit. Warum? Irgend etwas stimmt hier nicht. Vielleicht befinde ich mich über einem Zeitloch.
Führt eigentlich ein bisschen weg vom Thema: Zeitmanagement!? Auch meine Zeit ist knapp, obwohl ich jetzt schon so lange kein Fernsehen mehr habe. Ich bin oft nervös, innerlich aufgekratzt, hibbelig und irgendwie gehetzt, weil
immer irgendwas zu tun ist, weil mir immer
irgendwas im Kopf rumspukt. Das hat, meine ich, also nix mit dem Fernsehen zu tun. Das Internet hat bei mir den Fernsehkonsum abgelöst und jetzt dessen Stellenwert eingenommen. Das nennt man: vom Regen in die Traufe kommen. Okay, ich lese jetzt definitiv mehr als zu meiner TV-Junk-Glanzzeit. Aber es könnte mehr sein, finde ich. Ich könnte auch mehr schreiben ... ach, lieber nicht, sonst strapaziere ich nur unnötig eure kognitiven Potentiale, euer Zeitkonto und eure Geduld.
Grüße.