Fremdheits-Dialoge

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Streusalzwiese
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Fremdheits-Dialoge

Beitragvon Streusalzwiese » 10.03.2013, 17:24

Fremdheits-Dialoge,
die nie stattfanden

Anja neu
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Re: Bildantwort

Beitragvon Anja neu » 10.03.2013, 19:29

Fremdheits-Dialoge, die nie stattfanden


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Streusalzwiese
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Re: Fremdheits-Dialoge

Beitragvon Streusalzwiese » 10.03.2013, 19:48

Post? Mortem? Dialog?

Gott: „Ich gratuliere. Du hast ein tadelloses Leben geführt und darfst deshalb in die ewige Glückseligkeit eingehen.“
Otto: „Aber ich bin doch Atheist! Wahrscheinlich sollte ich besser sagen: Ich war doch Atheist.“
Gott: „In der Beziehung bin ich kulant. Ich achte auf den Lebenswandel und nicht darauf wer was aus welchen Motiven heraus glaubt, oder auch nicht glaubt. Selbst Pascal ist hier und das trotz seiner seltsamen Wette.“
Otto: „Ich habe eine Bitte. Können wir uns Siezen? So vertraut, dass ein Du angemessen wäre, war ich zu Lebzeiten nicht mit Ihnen.“
Gott: „Ganz wie es Ihnen beliebt.“
Otto: „Da nun das geklärt ist, erlaube ich mir Ihnen eine Frage zu stellen. Gibt es die Möglichkeit die ewige Glückseligkeit zu beenden, wenn ich keinen Gefallen mehr an ihr finde? Auch als Atheist habe ich religiöse Schriften gelesen: Diese Frage wurde nicht einmal erwähnt, obwohl sie doch eine immense Bedeutung hat. Denn nur ungern lasse ich mich auf langfristige Projekte ein, wenn mir keine Exit-Möglichkeit offen steht. Und die Ewigkeit ist nun mal sehr, sehr langfristig.“
Gott: „Die Möglichkeit die ewige Glückseligkeit zu beenden, ist nicht vorgesehen. Es muss Sie doch glücklich machen, dass Sie auserwählt wurden. Welche Vorstellungen hatten Sie denn zu Lebzeiten vom danach?“
Otto: „Für mich bedeutete der Tod immer totale Auslöschung. Für mich war das danach immer ein Nichts; Schwärze ohne Beobachter. Es ist nicht so, dass mich diese Vorstellung restlos glücklich machte. Wenn ich mir mein Ableben vergegenwärtigte, rebellierte mein Narzissmus gegen die Vorstellung des Nichts-Werdens. Schlimmer war der Tod von Verwandten und Freunden. Die radikale Endlichkeit brachte das Grauen der Endgültigkeit in mein Leben. Alles was ich den Verstorbenen zu Lebzeiten nicht gesagt habe, bleibt für immer ungesagt, alles was ich ihnen nicht getan habe, bleibt auf ewig ungetan. Es gibt keine Chance etwas Wieder-Gut zu machen, wenn der Tod eingetreten ist. Das hört sich etwas pathetisch an, ist aber richtig. Mildernd ist, dass einen derartige Versäumnisse nur bis zum eigenen Tod kümmern müssen. Leichen im Keller verschwinden, wenn der Hausherr stirbt. So zumindest meine Vorstellung.“
Gott: „Aber warum wollen Sie dann nicht in die ewige Glückseligkeit eingehen? Im Paradies könnten Sie doch ihre Verwandten und Bekannten wiedersehen.“
Otto: „Ein Wiedersehen kann es nicht geben, nur ein Neusehen. Alles fließt, auch Menschen. Schon Klassentreffen bereiten mir Unbehagen. Ich habe mit den Fremden, die früher meine Klassenkameraden waren, nichts mehr zu tun. Es wäre peinvoll meinen Eltern gegenüberzustehen und - Fremde zu erblicken. Ich bin, seit ich sie zum letzten mal sah, geflossen, und auch meine Eltern hätten sich verwandelt, denn auch im Jenseits müsste man sich stetig verändern – denn nur das Nichts verändert sich nicht. Es kann keine Rückkehr zu einem vergangenen Zustand geben.
Auch ist es nicht so, dass die vollständige Auslöschung nur Schattenseiten hat. Die Endlichkeit verleiht den Dingen Tiefe. Ewige Dinge wären flach und ohne Bedeutung. Und es ist auch nicht so, dass ich der Idee des Paradieses nichts abgewinnen könnte. Als Durchgangsstation auf dem Weg zum Nichts würde ich es schon gerne mitnehmen. Aber wenn ich mich auf Gedeih und Verderb der ewigen Glückseligkeit überantworten muss, dann sage ich: Nein, danke!“
Gott: „Aber warum?“
Otto: „Ich bin nicht für die Ewigkeit geeignet. Es gibt keine Wonnen, die ich nicht auf Dauer als grauenhafte Folter empfände. Ich sehe nur zwei Möglichkeiten dieses Problem zu umgehen: Die erste wäre, mich so umzuformen, dass ich Ewigkeitstauglich würde. Aber in diesem Fall müsste man mich so massiv verändern, dass meine Persönlichkeit verloren ginge. Ich wäre dann nicht mehr vorhanden. Die zweite Möglichkeit wäre, die Ewigkeit so umzugestalten, dass sie vom Nichts nicht zu unterscheiden wäre. In beiden Fällen bekäme ich das Nichts.“
Gott: „Bevor Sie sich hier in philosophischen Spekulationen verlieren, sollte ich Ihnen noch etwas mitteilen: Ihr Herz hat vor wenigen Sekunden zu Schlagen aufgehört. Sie führen hier keinen Dialog , sondern Ihr bzw. mein, oder besser: das Gehirn führt einen Monolog. Was sich hier abspielt nennt sich Nahtoderfahrung, wie Du selbstverständlich weißt. Ich kehre angesichts dieser Aufklärung zum Du zurück. Ich muss zugeben: Es ist eine außergewöhnliche Nahtoderfahrung: Kein Tunnel, keine Lichterscheinung, kein Lebensfilm, keine Wiederbegegnung mit Verstorbenen. Aber Du warst ja schon immer ein seltsamer Typ. Seltsame Typen haben nun mal seltsame Nahtoderfahrungen. Da dies jetzt geklärt ist, werde ich dir noch

Anja neu
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Beitragvon Anja neu » 12.03.2013, 20:04

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Re: Fremdheits-Dialoge

Beitragvon riemsche » 12.03.2013, 22:59

fremdheit ist in zusammensetzung ein grauenhaft korrektes wort. deswegen stört´s mich auch im spiegelbild. dialoge die nie stattfanden .... liesse mMn dem betrachter mehr an spielraum und interpretationsmöglichkeit.
beim zweiten bild schau ich auf die hände. sind ja drei und .... alle deformiert. auch die vom herrn der fliegen. absicht? der text ist mir _leg in artwork mein hauptaugenmerk auf die bildsprache_ fürs bild zu dick vertreten.

Streusalzwiese
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Re: Fremdheits-Dialoge

Beitragvon Streusalzwiese » 14.03.2013, 19:18

Wahltag

„Ich habe die Wahl getroffen. Der Zufall hatte zuerst mich getroffen. Aus sechs Milliarden Menschen wurde ich ausgewählt. Der Zufall war der Menschheit wohl nicht gewogen.
Wie es dazu kam: Nun, ich wurde von Außerirdischen entführt. Ja ich weiß wie sich das anhört und das wissen auch die Außerirdischen. Denn sie haben mir kein Redeverbot erteilt oder mein Gedächtnis gelöscht, was zweifellos in ihrer Macht stünde. Nein, nichts dergleichen. Sie haben mich entführt, mich abstimmen lassen und dann haben sie mir noch eine Analsonde eingeführt. Die Außerirdischen haben wohl einen grotesken Sinn für Humor.“
„Soso.“
„Mit dieser Geschichte hätte ich mich nur zum Clown gemacht. Aber heute kann ich sie ja erzählen. Also wie gesagt, die Außerirdischen entführten mich und ließen mich abstimmen. Sie werden sich jetzt fragen über was sie mich abstimmen ließen. Nun, sie ließen mich über die Existenz der Menschheit abstimmen. Sie führten mich in einen Raum in dem sich ein Knopf befand. Wenn ich den innerhalb einer Stunde drücke, dann wird das Leben auf der Erde weitergehen wie bisher, sagten sie. Wenn ich ihn nicht drücke, dann wird die gesamte Menschheit ausgerottet, fügten sie hinzu.“
„Soso.“
„Es gab keine Schwierigkeiten oder Aufgaben oder Fallen. Ich hätte einfach den Knopf drücken können und hätte damit die Menschheit gerettet. In Filmen sieht man immer wie die Helden in einem aufopferungsvollen Kampf gegen den Untergang der Menschheit ankämpfen. Wäre von mir etwas in dieser Richtung gefordert worden, wäre das Menschengeschlecht ohnehin hoffnungslos verloren gewesen. Irgendwelche Anstrengungen hätte ich für die Menschheit sicher nicht unternommen. Aber da das Drücken eines Knopfes keinen exorbitanten Aufwand bedeutet, habe ich mir die ganze Sache ernsthaft durch den Kopf gehen lassen.“
„Soso.“
„Ich habe nachgefragt wie denn die Menschen beseitigt werden sollen. Die Außerirdischen haben geantwortet, dass dies vollkommen schmerzfrei durch Atomisierung geschehen solle. Ich habe nachgefragt, was denn mit den ganzen Haustieren geschehen solle. Die würden doch dann elend zugrunde gehen, wenn sie nicht mehr versorgt werden. Auch da beruhigten mich die Außerirdischen. Um Haustiere wird sich ebenso gekümmert wie um das sichere Herunterfahren von Kernkraftwerken und ähnlichem technischem Zeugs. Es würde keine Katastrophen geben, der Mensch würde weg sein, und das wäre alles.“
„Soso.“
„Nun, sie werden vielleicht denken, dass mich so eine Wahl belastet oder aufwühlt hätte. Dem ist nicht so. Ich war ganz locker und entspannt. Ich überlegte ohne Aufgeregtheit. Ich habe den Knopf nicht gedrückt. Warum nicht? Das kann ich nicht genau sagen. Wenn das Wahlprozedere anders gestaltet worden wäre, also dass ich durch das Drücken eines Knopfes den Untergang der Menschheit herbeiführen hätte können, dann hätte ich den Knopf ebenfalls nicht gedrückt. In diesem Fall wäre ich mir schuldig vorgekommen. Ein Selbstmordattentat auf die gesamte Menschheit hätte ich in meiner damaligen psychischen Verfassung nicht zustande gebracht. Aber so wie es gelaufen ist, empfand ich mich einfach als unbeteiligter Zuschauer eines Geschehens.“
„Soso.“
„Schuldig fühle ich mich nicht. Schuld ist ein soziales Gefühl. Ich weiß, dass es keine Zeugen meines schändlichen Nichthandelns geben wird. Abgesehen von den Außerirdischen. Aber die sind zu fremd, als dass mir ihre Meinung etwas ausmachte. Ich weiß nicht, ob sie mich dafür verachten oder ob sie verstehen warum ich so gehandelt habe wie ich es tat. Ich glaube nicht, dass die Außerirdischen überhaupt so etwas wie Verachtung kennen, aber das ist ohnehin egal. Die Wahl ist getroffen und die verbleibende Zeit zu kurz um sich mit derartigen Fragen zu beschäftigen. Ich hätte Skrupel gehabt ein einzelnes Leben mit dieser Wahl zu beenden. Aber bei der gesamten Menschheit war ich hemmungslos.“
„Soso.“
„Nun, die Wahl war vor zwei Wochen. Heute ist der letzte Tag der Menschheit. Um Mitternacht verteilen sich die Atome aus denen die Menschen zusammengesetzt sind in alle Richtungen. Bin ich ein Misanthrop? Ja. Wie sehr ich Menschen hasse, wurde mir erst jetzt wieder klar. Ich habe alle negativen Erlebnisse wieder entkorkt. Alles was mir von Menschen angetan wurde kam mir wieder ins Bewusstsein. Nein, das macht mich nicht unglücklich. Im Gegenteil: Ich bin dauergeil. Ich spritze über den Untergang der Menschheit ab. Das ist die geilste Wichsvorlage, die ich jemals hatte. Ich lief die letzten zwei Wochen mit einem Dauergrinsen herum. Ich sah die dämlichen Fressen der Hohlköpfe, denen ich auf der Straße begegnete und dachte: Nicht mehr lange. Das einzige, was ich bedauere ist die Schmerzlosigkeit des Todes. Sie bekommen nichts von ihrer Auslöschung mit. Ich wäre bereit Schmerzen auf mich zu nehmen, damit auch die Menschen Schmerzen erleiden. Ich habe vorhin gesagt damals wäre ich nicht in der psychischen Verfassung gewesen ein Selbstmordattentat auf die Menschheit vorzunehmen. Heute wäre ich bereit dazu. Ich stehe zu meinem Hass auf die Menschen. Er war immer da, auch wenn ich ihn verschüttet hatte, weil ich mich an mein eigenes erbärmliches Leben klammerte.“
„Soso.“
„Einen Vorteil habe ich gegenüber den Nichtwissern. Da ich weiß, wann die Welt untergeht, weiß ich auch ab wann ich kein Geld mehr benötige. Ich habe alle meine Habseligkeiten verscherbelt, meine Konten überzogen um mir so ein Luxusleben zu ermöglichen. Ich fresse Kaviar zum Frühstück. So toll ist das Zeug auch nicht. Würstchen mit Kartoffelsalat schmeckt mir besser, aber man will halt alles mal ausprobiert haben. Heute werde ich mich noch mit Champagner besaufen. Den Kater muss ich ja nicht aushalten.“
„Soso.“

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Wahltag

Beitragvon Anja neu » 16.03.2013, 20:35

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Streusalzwiese
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Re: Fremdheits-Dialoge

Beitragvon Streusalzwiese » 20.03.2013, 19:56

Dialog zwischen einer Penisvorhaut und einer Klitorisvorhaut in die sich der Vorhautgott einschaltet

Eine Frau und ein Mann sitzen in der Sauna. Während sie schwitzen unterhalten sich die Vorhäute über Gott und die Welt. Später unterhalten sie sich mit Gott über die Welt. Die Menschen – von den Vorhäuten liebevoll Trägerpilze genannt- führen ihre eigene Unterhaltung.


Penisvorhaut (PV): „Wir können ja das Gespräch von letzter Woche wieder aufnehmen. Was bin ich? Was ist die Welt? : Ich habe festgestellt, dass die Welt größtenteils finster und ich in dieser Finsternis ruhend bin. Es gibt kurze Phasen der Helligkeit, auf die ich ergriffen reagiere. Ich bin dann hin- und hergeworfen, gerüttelt und geschüttelt. In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger ob es überhaupt richtig ist, dass ich ergriffen bin. Es könnte ja auch sein, dass ich ergriffen werde. Kann es sein, dass ich keinen freien Willen habe? Dass mich eine fremde Macht lenkt?
Klitorisvorhaut (KV): „Du mit deinen Zweifeln. Du steigerst dich da in etwas hinein. Man kann alles bezweifeln, die Existenz des Guten wie des Bösen, obwohl wir doch beides öfters vor Augen haben. Wir könnten ja einer Sinnestäuschung aufgesessen sein. Man kann auch bezweifeln, dass es andere Häute gibt. Es könnte sein, dass ich das ganze Universum träume. Ebenso könnte das Freiheitsgefühl trügerisch sein. Wenn wir Vorhäute keinen freien Willen haben, wer soll dann einen haben? Unsere Trägerpilze vielleicht?“
Beide lachen.
PV: „Die Existenz des Bösen lässt sich nicht leugnen. Als ich es das erste mal sah, wusste ich: Das ist das Böse. Niemand musste es mir erklären. Ich sah diesen langen Gegenstand der in der Sonne glänzte und erkannte, dass von ihm Gefahr ausgeht. Sein ganzes Wesen ist durch und durch auf Vernichtung ausgelegt. Dieses Ding kennt keine Gnade, nichts häutisches ist in ihm. Seitdem habe ich das Böse in vielen Manifestationen erlebt, gemeinsame Attribute waren die Spitze und der Glanz.“

KV: „Das Gute manifestiert sich bevorzugt in stabförmig vibrierender und kugelförmig sprudelnder Gestalt. Um noch einmal auf die Beschaffenheit der Welt zurückzukommen: Die Welt anfangs weit, wurde in meiner Jugendzeit immer enger.“
PV: „Ich durchlebte genau die entgegengesetzte Entwicklung zu deiner Welt. Ich war Anfangs eng und wurde dann immer weiter. Es gibt wohl viele Welten, die in die gemeinsame Welt münden. Wir sind am Anfang alle Einzelhänger. Seltsamen Gedanken nachhängend. Man glaubt nicht einmal daran einzig zu sein; denn dazu benötigt man Andere zur Abgrenzung. Wer allein ist, kann nicht auf den Gedanken einzig zu sein kommen. Die Anderen treten spät in das Leben. Erst dann werden solipsistische Gedanken möglich. Es ist schon eine ironische Welt in der man Andere braucht um zu denken, dass man einzig sein könnte.“
KV: „Eine seltsame verwirrende Welt ist das: Die Gräser und Sträucher sind da um die Trägerpilze zu ernähren, die Trägerpilze sind dafür da uns zu tragen. Aber wir, die wir an der Spitze des Seins stehen, haben keine Aufgabe. Wir müssen unser Leben als Selbstzweck begreifen.“
PV: „Auch hier beschleichen mich Zweifel: Ich weiß nicht, ob die Trägerpilze nur da sind um uns zu beherbergen. Ich habe schon Trägerpilze gesehen, die keine Haut hatten. Erstaunlich: Trägerpilze die nichts tragen. Das gibt mir zu denken. Sind sie eine Laune der Natur oder ein Zeichen? Es ist, als wollte die Natur uns mitteilen, dass wir so wichtig nun auch wieder nicht sind. Dass eine Welt ohne Häute möglich ist.“

Ein Aufguss erfolgt; in dem Dampf erscheint ein fledermausähnliches Wesen, das sich den Vorhäuten zuwendet.

BAT: „Faltet euch, Häute! Huldigt mir! Ich bin es, euer Gott! Nennt mich heiliger Hautflügler.“
PV: „Heiliger Hautflügler, dich gibt es wirklich?“
BAT: „Ja, mich gibt es. Das war jetzt keine besonders geistreiche Frage. Seid froh, dass ich kein Fragenlimit habe. Sonst hättet ihr schon eine Frage verballert.“
KV: „Heiliger Hautflügler, wie sieht die Welt wirklich aus? Was ist die wahre Sicht auf die Welt?“
BAT: „Ich sehe mehr als ihr Begrenzten, ich habe die BAT-Sicht. Ich höre den Infraschall der Elefanten, ich nehme den Ultraschall der Fledermäuse wahr. Ich höre auch die Lautäußerungen der Trägerpilze. Ich sehe alles was so vorfällt. Ob im mikroskopischen oder makroskopischen Bereich. Alle Wellenlängen des Lichts sind mir vertraut. Ich kann Magnetismus fühlen, ebenso elektrischen Strom, kein Geruch ist mir fremd. Aber deine Frage kann ich nicht zu deiner Zufriedenheit beantworten. Denn auch bei mir ist Wahrnehmung an einen Verarbeitungsmechanismus gebunden. Das ist dir dann wieder nicht wahr genug. Du willst wissen wie die Welt aussieht wenn man sie von Außen anschaut. Diese Frage ist Unsinn. Auch Götter können die Welt nur von innen ansehen. Wenn ich sage Gras sei grün, dann habe ich keinen Grund daran zu zweifeln, dass es sich wirklich so verhält. Ich habe mich für die erkenntnistheoretische Position des naiven Realismus entschieden und flattere ganz gut damit. Die meisten Götter sind naive Realisten.“
KV: „Du kannst die Lautäußerungen der Trägerpilze wahrnehmen? Die geben Laute von sich?“
BAT: „Die kommunizieren sogar; zur Zeit will der männliche Trägerpilz vom weiblichen Trägerpilz ein bisschen Mitleidssex abpressen.“
PV: „Hast Du die Welt erschaffen?“
Bat: „Quatsch; ich habe gar nichts geschaffen. Ihr redet schon so wie eure Trägerpilze. Erschaffung ist keine gute Erklärung für die Existenz der Welt. Denn den Erschaffer müsste ja auch wer erschaffen haben. Und den Erschaffer des Erschaffers müsste auch jemand geschaffen haben. Und so fort.“
PV: „Was sollen wir Häute tun? Immer nur Abhängen kann doch nicht der Sinn des Lebens sein.“
BAT: „Ja, es gibt eine Welt jenseits des Abhängens und der alleinigen Geworfenheit. Eine Welt der Zweisamkeit und auch der Vielsamkeit. Für die Erschließung dieser Welten braucht ihr – ich sage es nur ungern – die Mithilfe eurer Trägerpilze. Wobei sich der männliche Trägerpilz nicht eben geschickt anstellt. Zur Zeit sieht es nicht gut mit dem Mitleidssex aus; der männliche Trägerpilz hat die Nummer overstretched. Er hat dem weiblichen Trägerpilz gerade erklärt, er sei schon öfters auf den Großmuttertrick hereingefallen. Er habe also älteren Damen, die sich für seine Großmutter ausgaben, Geld gegeben um ihnen so die Teilnahme an einer Kaffeefahrt zu ermöglichen. So wird das nichts mit der Zweisamkeit.“
PV: „Worauf dürfen wir hoffen?“
BAT: „Worauf immer ihr auch hofft, hofft nicht auf mich. Ich verspreche euch garantiert nichts. Wunscherfüllung liegt nicht in meiner Macht. Am besten ihr befreit euch von Hoffnungen und beginnt im Augenblick zu leben. Die heutige Lust liegt näher als die zukünftige. Ich weiß, das ist eine Binsenweisheit. Aber wie schon gesagt: Erwartet nichts, auch nicht von Göttern.“
KV: „Bist Du unsterblich?“
BAT: „Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass ich bisher noch nicht gestorben bin. Genau genommen kann ich nicht einmal das sagen, denn ich könnte ja schon gestorben sein. Ich kann sagen, dass ich noch nicht gestorben bin oder wenn ich gestorben sein sollte ich nicht tot geblieben bin. Aber ob das auch so bleibt kann ich nicht sagen. Es ist mir auch egal.
Die kleinen Tode liegen mir näher als der große.“

PV: „Warum hast Du uns erschaffen?“
Bat: „Ihr mit eurer blöden Erschaffung. Ich habe niemanden erschaffen. Aber bitte, wenn ihr unbedingt etwas erschaffenes haben wollt, dann nehmt mich. Die Sache verhält sich nämlich umgekehrt zu euren Vorstellungen. Götter werden von Gläubigen geschaffen. Neben mir gibt es und gab es noch viele Götter. Auch die Trägerpilze haben ihre Gottheiten. Die meisten traten aber nicht in Erscheinung, weil sie sich schämten. Fehlkonstruktionen. Neben der Allmächtigkeit noch Allgüte und ähnlicher Blödsinn in sie hineinkonstruiert.
Die Götter, die gütig und allmächtig waren, scheiterten an der Beschaffenheit der Welt. Denn die Allmacht eines Gottes bedeutet nicht, dass er die Welt verändern könnte. Gottes Allmacht gilt in der göttlichen Sphäre, nicht in der Weltlichen.“
KV: „Es gab Götter? Also sind Götter doch sterblich?“
BAT: „Die Allmächtigen selbstverständlich schon. Allmächtige Götter können aufgrund ihrer Allmacht sterben. Die Macht Nichts zu werden, sich endgültig abzuschaffen hat jeder allmächtige Gott. Von dieser Möglichkeit wurde auch Gebrauch gemacht. Es gab eine Suizidwelle unter den Pilzgöttern. Das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit brachte sie um. Denn man machte sie auch Mitleidig. Allgelassenheit hat der Pilz seinen Göttern nicht mitgegeben. Das hätte sie retten können, oder aber die Allgeilheit. Meine gläubigen Vorhäute haben mich mit dieser wertvollen Eigenschaft ausgestattet. Dies ist auch die einzige Alleigenschaft die ich besitze. Die Allgeilheit bewahrt mich davor, dem Elend auf der Welt allzu große Bedeutung beizumessen. Es gibt viel Elend in der häutigen Welt: Manche Häute werden vernichtet sobald sie das Licht der Welt erblicken, ausgemerzt auf Befehl der Pilzgötter. Manche sind auch krank und verkrüppelt. Meine Geilheit bewahrt mich vorm Mitleid.“
KV: „Die Pilzgötter wollen uns Häuten ans Leder?“
BAT: „Wollten, denn die Götter haben sich ja suizidiert. Sie hinterließen aber Anweisungen, nach denen sich die gläubigen Pilze immer noch richten. Es ist eine gespannte Beziehung zwischen uns Häuten und den Trägerpilzen. Denn nicht nur die Götter, auch die Moralapostel wollen euch ans Leder. Vorhin hörte ich mit einem Ohr, wie ihr euch beschwertet keine Aufgabe zu haben. Es wird euch schockieren zu erfahren, dass ihr doch Aufgaben habt und das für die niedere Lebensform der Trägerpilze. Das ist kein Widerspruch zur Spitzenstellung der Häute. Das obere Sein ist immer der Diener des niederen Seins. So habt ihr neben einer Schutzfunktion auch die Lustfunktion. Das gilt besonders für dich, Penisvorhaut. Als Wichshilfe bist du unersetzbar. Und genau deswegen wollen euch die Moralpilze abschneiden.“
PV: „Das ist furchtbar. Haben die Pilze denn nur tote Götter? Keine lebenden, die die Anweisung geben können die Häute zu ehren und sorgsam zu behandeln?“
BAT: „Nein, es gibt nicht nur tote Gottheiten denn es werden neue Götter geschaffen. Aber von denen ist nichts positives für die Häute zu erwarten. In neuerer Zeit gleichen die Trägerpilzgötter Gespenstern. Nichts kraftvolles und vitales ist in ihnen.
Es sind abstruse Götter mit nebulösen Eigenschaften, die keinen Einfluss nehmen, die zudem weder in Erscheinung treten noch nachweisbar sind, die auch nicht allmächtig sind und sich somit nicht suizidieren können. Traurige Gestalten, die verurteilt sind schattengleich herumzuschleichen.“
KV: „Du hast die Welt nicht erschaffen, du hast uns nicht erschaffen, du betonst deine Machtlosigkeit in weltlichen Dingen, du versprichst nichts. Was ist das Positive an dir?“
BAT: „Meine Lockerheit. Ich habe keine Gesetze erlassen, die Bestrafungen vorsehen. Es passiert gar nichts, wenn man behauptet, dass es mich nicht gibt. Gläubige Vorhäute sind da ebenfalls ganz locker; sie wissen dass es mich gibt, komme ich doch manchmal auf ein zwangloses Gespräch vorbeigeflattert. Es gibt deshalb nur sehr wenige ABATisten. Und die dürfen sagen was sie wollen. Enge ist bei uns Vorhäuten Kinderkram. Eifersüchtig bin ich auch nicht. Wenn eine Haut noch einen anderen Gott ins Boot holen will, habe ich nichts dagegen. Einem flotten Dreier bin ich nicht abgeneigt. Jetzt da ich das sage, fällt mir ein, dass ich heute noch was vor habe. Dann macht’s mal gut. Bleibt geschmeidig. “

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Heute Häute...

Beitragvon Anja neu » 23.03.2013, 14:23

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