Erste Eindrücke

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Metägo
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Erste Eindrücke

Beitragvon Metägo » 26.09.2004, 20:43

Hallo,
ich habe mir eine Rowohlt-Ausgabe aus dem Jahre 97 besorgt und leider zu spät die Kritik am Überstzer Guido G. Meister gelesen; obwohl ich das Original nicht kenne, muss ich sagen, dass mir ebenfalls der genannte Kritikpunkt der hölzernen Sprache auffällt.
Ich bin etwa bei Seite 70 (von 250) angelangt und erster Eindruck ist, dass es Camus (oder Meister?) nur sehr punktuell gelingt, mich in seinen Bann zu ziehen. Das ist größtenteils während der Dialoge der Fall, wo der Leser versucht, sich ein Charakterbild des Arztes Rieux zusammenzufügen.
Die erlebte Rede beziehungsweise die Reflexionen des Dr. Rieux lassen durch ihre pragmatische Natur nur sehr eingeschränkt Schlüsse auf seinen Seelenzustand zu.
Der Leser sieht Rieux ständig handeln, was ihm ein zunächst edles (äußeres) Wesen verleiht; da allerdings auch seine Gedanken stets mit handlungsbezogenen Überlegungen beschäftigt sind, wird ein Einblick in den tatsächlichen seelischen Zustand erschwert, unterstützt durch sein schweigsames Wesen im Umgang Gesprächspartnern und Aussparung seiner Urteile im Bezug auf diese.

Verwirrt haben mich viele Kausalbeziehungen, die Camus knüpft und die ich teilweise nicht nachvollziehen kann. Leider finde ich im Moment kein Beispiel, aber häufig finden sich, soweit ich erinnere, solche Kausalverknüpfungen in den inneren Monologen Rieux'.

Als sehr gut gelungen hingegen erachte ich den Auftakt und die Hinführung des Lesers zur Gewissheit des Arztes und der Stadtbewohner über die Pest.
Obwohl, wie es der Titel ihm ja verrät, der Leser von vornherein die Symptome deuten kann und sich von vornherein über die Pest gewiss ist, entsteht eine gewisse Spannung.
Dass der Leser von Beginn an Bescheid weiß, richtet sein Augenmerk unweigerlich darauf, wie die Protagonisten mit den (teils eindeutigen) Symptomen umgehen.
Außerdem gelingt es Camus, die Ausnahmesituation oder besser, den kollektiven Umgang und die notwendige seelische Unfassbarkeit und Unbegreiflichkeit der Seuche zu evozieren und nach- und mitvollziehbar zu gestalten.

Soweit meine, zunächst noch sehr zwiespältigen, ersten Eindrücke.
Wo fass ich dich, unendliche Natur? Goethe, "Faust"

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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Metägo » 06.10.2004, 17:06

Hab ich irgendwie was nicht mitbekommen;
wann und bis wann soll denn "Die Pest" gelesen werden?
Und wird erst diskutiert, wenn das Buch ausgelesen ist, oder wie ist das?
Gibts irgendwelche "Leseregeln" oder Fristen, die ich möglicherweise schon verletzt hab?
Ich bin etwas orientierungslos, weil sich noch niemand außer mir zum Buch geäußert hat.
Oder gibts ein geheimes Insider-Forum? :-|

Oliver
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Silentium
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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Silentium » 06.10.2004, 17:11

Keine Sorge, keine Regeln verletzt. :-) Lesefrist ist bis Ende Oktober, man darf sich allerdings auch schon vorher äußern. Das allgemeine Schweigen liegt wohl- wie im Prolog grad fest gestellt, am fatalen Zeitmangel etlicher Mitglieder.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Metägo » 06.10.2004, 17:16

Danke für die schnelle Antwort.
Kannst denn du schon was zum Buch sagen?
Bin schon fertig, und würde gern ein paar Eindrücke erfahren. Sitze wie auf heißen Kohlen. ;-)

Oliver
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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Silentium » 06.10.2004, 17:48

Ich kann noch gar nix sagen, weil ich das Buch zwar schon längst bestellt hab, der Buchhändler unserer Schule aber kaum zu erreichen ist. Ich hab das Ding noch gar net. Wie sieht's mit dem Rest der Welt aus?
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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Fee » 06.10.2004, 17:52

Ich hab es, aber noch noch nicht gelesen.
:-((
"Ich kann nicht mit dir spielen", sagte der Fuchs. "Ich bin noch nicht gezähmt!"

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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Surjaninov » 06.10.2004, 18:57

Ich komme auch nicht recht zum lesen. Ich ziehe mal wieder um, und wenn ich dann mal lese, dann nicht viel.
Bin fast bei der Hälfte. Das bedeutet ich hab den Anfang schon wieder vergessen. Da war doch mal was....


:-D

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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon Metägo » 06.10.2004, 23:40

Noch was Generelles, zur Überstzung:
Ich weiß nicht, ob ihr alle die Meister-Übersetzung habt. Aber ich habe wie schon oben erwähnt sehr häufig Probleme mit Camus' oder Meisters Kausalverknüpfungen gehabt, oder ums einfach zu sagen: Verständnisprobleme. Das ist mir bisher noch nie oder selten so bei Büchern gegangen, wenn ich mich dann gezwungenermaßen darauf konzentriert habe: Wie meint er das? Was will er damit sagen?

Das hat mir auch die Lektüre recht leidlich gemacht, da mir diese Verständnisprobleme durchweg begegnet sind; und eben die unverstandenen Stellen schienen mir dann die philosophisch wichtigsten. War also keine nette Bettlektüre, sondern durchaus ein wenig Quälerei.
Was mich nun interessiert: Diejenigen, die die Meister-Übersetzung haben: Hattet ihr ähnliche Probleme? Und diejenigen, die eine andere haben: Hattet ihr welche?

Oder sollte man sich vorher fundierte Camus-Philosophie-Kenntnisse (abgesehen von Sisyphus) aneignen?
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Re: Erste Eindrücke

Beitragvon [) i r k » 07.10.2004, 04:52

So, heute habe ich mir die Deutsche Erstausgabe bestellt ... das ist die Übersetzung von G. Meister, illustriert mit 8 Holzschnitten von Perrin. Die aktuelle Rowohlt-Ausgabe (Deutsch von Uli Aumüller) habe ich ja bereits gelesen. Ich glaub, ich werde mir vorher aber noch die Monographie über Camus zu Gemüte führen. Das wird sicherlich einige Fragen klären, die ich in Bezug auf "Die Pest" habe.
Ich weiß nicht, ob ihr alle die Meister-Übersetzung habt. Aber ich habe wie schon oben erwähnt sehr häufig Probleme mit Camus' oder Meisters Kausalverknüpfungen gehabt, oder ums einfach zu sagen: Verständnisprobleme.

Was mich nun interessiert: Diejenigen, die die Meister-Übersetzung haben: Hattet ihr ähnliche Probleme? Und diejenigen, die eine andere haben: Hattet ihr welche?

Also, Oliver, ich kann dich beruhigen: ja, ich hatte diese Problem auch. Und ich glaube nicht, dass es an der Übersetzung liegt (ich habe, wie bereits gesagt, die Übersetzung von Meister noch nicht gelesen), sondern, dass diese Probleme textimmanent sind, also von Camus beabsichtigt. Ich hab auch längst nicht alles verstanden, obgleich ich mir inzwischen ein paar Meinungen zurecht gelegt habe. Aber das Spektrum philsophischer Themen in "Die Pest" sollte auch nicht unterschätzt werden. Und gerade deshalb habe ich das Buch vorgeschlagen: weil ich es nicht verstanden habe, weil ich das als Herausforderung empfinde, weil ich es gern noch mal lesen wollte und, weil man den Inhalt und den Sinn so eines Buches in einer Leserunde wie dieser vielleicht etwas leichter erschließt ... nun, das hoffe ich zumindest.

Apropos Verständisprobleme: Was genau meinst du eigentlich mit "Kausalverknüpfungen"? Könntest du dafür ein Beispiel geben? Und auch für die Beanstandung der "hölzernen Sprache" hätte ich gern ein oder zwei (bin ich unverschämt, wenn ich drei sage?) Beispiele, die mir das veranschaulichen. Ansonsten ist mir dieser Einwand nämlich vollkommen unbegreiflich.
Das hat mir auch die Lektüre recht leidlich gemacht, da mir diese Verständnisprobleme durchweg begegnet sind; und eben die unverstandenen Stellen schienen mir dann die philosophisch wichtigsten. War also keine nette Bettlektüre, sondern durchaus ein wenig Quälerei.

Nein, also dazu kann ich schon mal sagen: das war bei meiner Erstlektüre ganz anders, obwohl es mir, was die Verständnisprobleme betrifft, ganz ähnlich ging wie dir. Ich bestreite nicht, dass dieses Buch anspruchsvoll ist, aber ich habe kaum einen philosophischen Roman gelesen, der sich so eindringlich und anschaulich mit moralischen Fragen beschäftigt. Und so hat mich dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite vollkommen in den Bann gezogen.

Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich das mag, wenn mir Bücher nicht schon beim ersten Lesen all ihre Geheimnisse und Intentionen preisgeben, sondern sich zieren und sträuben, wenn sie mir einen Spielraum für Interpretation lassen, wenn sie mich zum Denken herausfordern, wenn sie mir nicht auf dem silbernen Tablett Antworten und platte Welttheorien servieren, sondern Fragen und Zweifel ins Ohr flüstern, wenn sie mich bis in meine tiefsten Gedanken verfolgen ... ja, wenn sie mich quälen. Salopp gesagt: Von den Büchern, die mich gequält haben, hab ich im Endeffekt auch am meisten profitiert.

Ich glaub, ich werde - inspiriert durch kv. - das mit dem Lesetagebuch auch mal versuchen. Das reizt mich irgendwie - und scheint mir zugleich der beste Weg zu sein, mit diesem Buch zu Rande zu kommen.

Grüße.
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)


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