Habe die Pest vor einer guten Woche zuende gelesen. Von mir aus kann's losgehen...
(Zitat Spider)
Na dann fangen wir doch einfach an. Ich freue mich riesig auf die Diskussion mit euch die ich hiermit offiziell für eröffnet erkläre.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin jämmerlich an meinem eigenen Anspruch gescheitert und habe kein Essay auf die Beine gestellt, nicht einmal einen Poetry-Chat. Und meine Gedanken zu diesem Buch sind immer noch außerordentlich ungeordnet, wahrscheinlich auch oberflächlich. Und ich habe von den bisherigen Beiträgen, die sich inhaltlich mit dem Buch beschäftigen, noch keinen gelesen. Tiefer als ich kann man also gar nicht mehr sinken.
So, und jetzt zur Sache selbst:
Ich beginne mit der Sprache des Buches, die mir ausnehmend gut gefallen hat. Camus` Erzählweise ist fast spartanisch und weitgehend frei von bombastischen Bildern. Nicht künstlich gesteigerte Vergleiche sondern das beschriebene Schicksal der Menschen und der Gang der Handlung faszinieren, wenngleich festzuhalten bleibt: An äußerer Handlung passiert gar nicht so viel. Die Pest kommt, steigt an, die Kurve schwankt ein wenig hoch und runter und die Pest verschwindet wieder. Kommen allerdings bombastisch erscheinende Bilder (der „Dreschflegel“) vor oder wird der Schrecken der Pest ausgiebig geschildert (zum Beispiel der Tod des Jungen, bei dem sich die 4 Hauptfiguren des Buches, ich glaube zum einzigen Mal überhaupt, in einem Raum befinden), so geschieht dies in funktionaler Natur. Kein Bild erschien mir nur um seiner Selbst Willen da zu sein. Der Versuchung sein Handlungsszenario voyeuristisch auszuschlachten hat sich Camus erfolgreich verschlossen. Als sehr ironisch ist in diesem Zusammenhang Grands Suchen nach dem perfekten Satz, und seine Entscheidung die Adjektive wegzulassen, anzusehen. Der künstlerische Ausdruck findet bei Camus seine Perfektion in der Einfachheit, Schlichtheit, Klarheit. Gerade das bewundere ich an diesem Werk.
Das Buch wird natürlich noch von weiteren Faktoren getragen: Erst einmal sind die Figuren allesamt sehr gut charakterisiert, ja ich würde sogar behaupten dass es sich nach langer Zeit mal wieder um ein Buch handelt, bei dem ich nie das Gefühl hatte dass eine der den Handlungsverlauf beeinflussenden/tragenden Figuren von der Charakterisierierung her gesehen abfällt.
Camus` Charaktere wirken unter anderem durch ihre authentischen Brüche niemals eintönig. Der emotionale Ausbruch des ansonsten äußerlich ruhigen und gegen die Pest ankämpfenden Arztes Rieux, die Entscheidung des Journalisten Rambert trotz aller Mühen kurz vor dem Ziel die Stadt doch nicht zu verlassen und – meine Lieblingsszene – die Szene in der sich der recht rätselhaft wirkende Tarrou Rieux offenbart mögen als, sicher nicht einzige, Beispiele hierfür dienen.
Zum Zweiten weist schon die Vorbemerkung von Daniel Defoe
Es ist ebenso vernünftig, eine Art Gefangenschaft durch eine andere darzustellen, wie irgend etwas, was wirklich existiert, durch etwas, was nicht exisitiert.
darauf hin, dass es sich bei diesem Buch um eine Parabel handelt. Aber was ist ihr Thema? Mit einer geordneten Beantwortung dieser Fragestellung tue ich mich noch etwas schwer.
Einiges ist mir aufgefallen und das werfe ich jetzt mal einfach in den Raum:
Soziologisch gesehen beginnt der Vergesellschaftungsprozess durch die Pest ein Stück weit von vorn. Eine vormals offene ist nun eine kasernierte Gesellschaft und die marktwirtschaftlichen Elemente, die zuvor das Leben der Mitbürger weitgehend regelten und bestimmten (und die Camus`ja schon zu Beginn des Buches einer Kritik unterzieht), sind fast bedeutungslos geworden. Natürlich gibt es einige Profiteure der Pest wie zum Beispiel Cottard und natürlich muss die Ärzteschaft um die Bereitstellung von zum Beispiel Arzneien mit den zuständigen Behörden feilschen. Aber die vormalige soziale Ordnung der Gesellschaft wird neu durchmischt, da die Pest letztlich vor niemandem haltmacht. Die sozialen Akteure sind in ihrer Existenz bedroht und die Frage, die sich nun stellt ist, wie sie dem begegnen. Der Mechanismus, der sie nun bedroht und regiert, ist die Pest. Ich denke, das dies mindestens eine Grundfrage des Buches ist: Wie verhält sich der Mensch im Angesicht seines eigenen Todes? Ich glaube auch dass durch diese Grundfrage und durch die angesprochene kasernierte Gesellschaft als strukturelle Bedingung unter der diese Grundfrage gestellt wird ein sehr klarer Blick auf die vielen Facetten der menschlichen Natur möglich wird. Deshalb finde ich dieses Buch übrigens gerade in der heutigen Zeit noch wertvoller zu lesen, da wir in wesentlich ausdifferenzierten Gesellschaften leben als es zu Camus` Zeiten der Fall war.
Viele Wege, mit dem Schrecken umzugehen, werden dann charakteristisch an den Figuren des Buches dargestellt. Zwei möchte ich zum Schluss zunächst exemplarisch herausstellen.
Rambert ist lange der Überzeugung er sei ein Sonderfall. Seine Argumentation erinnert an das neoliberale Diktum, dass jeder seines Glückes Schmied sei, denn laut Rambert liegt das Glück der Gesellschaft vor allem im Glück des Einzelnen. Würde die Gesellschaft ihm sein Glück, nämlich die Ausreise zu seiner geliebten Frau, verweigern, so würde sie, folgte man dieser Logik, sich auch ein Stück ihres eigenen Glückes berauben. Also müsse die Gesellschaft ihn quasi um ihrer Selbst Willen gehen lassen. Zusammengefasst trägt er dies den ganzen wichtigen Menschen vor, mit denen er spricht. Dabei erscheint eine Überprüfung seiner Argumentation von Beginn an hohl, denn Rambert übergeht den Unterschied zwischen einer offenen Gesellschaft (in die er fliehen will) und einer geschlossenen Gesellschaft (in der er festsitzt) leichter Hand. Die kasernierte Gesellschaft, in der er sich befindet, hätte nämlich überhaupt nichts davon ihn gehen zu lassen außer der Gefahr eines Aufruhrs würde dieser Fall bekannt. Insofern kann sie keinen Gewinn daraus schlagen die Vorschriften für ihn nicht gelten und ihn gehen zu lassen. Schließlich besitzt Rambert auch keine Machtmittel, die der kasernierten Gesellschaft gefährlich werden könnten. Selbst wenn er sich mit anderen Fremden zusammentut, die sein Schicksal teilen, befände sich Rambert immer noch in einer machtlosen Minderheit. Also sucht er sich seinen eigenen Weg und erkennt im letzten Moment, dass ihn das Schicksal dieser Menschen, mit denen er ungewollt ein Leid teilt, doch etwas angeht. Er bleibt also und wendet sich ihnen zu. Dies ist eine bemerkenswerte Handlung und ein schöner Kniff in der Geschichte, liegt doch somit das Wohl der Gesellschaft nicht im egoistischen Streben des Einzelnen nach Glück, wie Rambert selber erkennt, sondern in solidarischem Handeln gegenüber seinen Mitmenschen.
Dieses solidarische Handeln gegenüber seinen Mitmenschen übt der Arzt Rieux die ganze Zeit aus. Von Beginn an tut er seine Arbeit ruhig und gewissenhaft und selbst als sie seine Käfte eigentlich übersteigt findet er Wege sie fortzusetzen. Dabei wirkt er, was ihn unheimlich symphatisch und lebensecht macht, ganz und gar nicht wie ein Held sondern wie ein ruhiger, beständig für die gute Sache tätiger Mensch. Wobei seine Ruhe ambivalent zu sehen, mehr äußerlicher Natur ist.
Als ich vor 6 Jahren meinen Zivildienst begann hat mir einer meiner Mitbewohner bei einem der ersten Abendgespräche in der WG gesagt sein Lieblingsbuch sei „Die Pest“ von Camus. Auf meine Nachfrage warum das so sei antwortete er: “Wegen dem Arzt. Ich hab das Buch gelesen als ich mich damals mit 20 beim Fußball verletzte. Ich hatte einen Kreuzbandriss. Ich spielte schon in der Landesliga, hätte vielleicht noch höher spielen können, aber nach einiger Zeit wurde klar, ich würde nur noch unter Schmerzen weiterspielen können. Ich musste aufhören. Da hat mir der Arzt imponiert. Er sitzt in der Scheiße, kann nichts machen und macht immer weiter.“
Was Sönke, so hieß mein Mitbewohner, damals sehr drastisch und etwas ungelenk ausdrückte trifft exakt den Kern wie ich finde – "er macht immer weiter." DAS ist das Bewundernswerte an dieser Figur. Sie ist schon vor der Pest helfend tätig, sie ist es während der Pest in weit größerem Umfange und sie wird es nach der Pest wieder sein. Und egal was sie alles verliert und wie groß ihre Zweifel am Sinn, oder besser: an der Wirkung der Tätgkeit ist (ist sie nicht doch nur ein unwichtiger Tropfen auf dem heißen Stein?) – sie hört nicht auf. Ohne sich zu brüsten, zu erhöhen, große Worte zu machen. Und gerade weil Rieux damit im oberflächlichen Verständnis der meisten Menschen nicht zum Helden taugt, gerade deshalb ist er für mich einer. Ich erkenne hierin auch einen Appell an den Leser, gerade in Verbindung mit Camus Aussage man müsse sich „Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“. Und gerade weil eine an den eigenen Kräften und am Gang des Weltenlaufs zweifelnde Figur mir diese Botschaft überbringt wirkt diese Botschaft bemerkenswert ungekünstelt, geradezu natürlich, als gäbe es die klebrigen Gutmenschen gar nicht, von denen man sich, verkündeten sie Ähnliches, mit Grausen abwenden würde.
So, ich kann gar nicht aufzählen was jetzt alles noch fehlt, was ich vergessen und übersprungen habe. Aber das soll für heute trotzdem reichen. Jetzt zähl`ich auf euch.
Vorfreudige Grüße,
Euer Hamburger