Fuck Ferdinand

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mög
Sphinx
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Fuck Ferdinand

Beitragvon mög » 07.05.2005, 15:31

Ferdinand ist ein Trottel. Aber Kabale und Liebe ist toll.
Mein Betreig zum Schillerjahr.

Luise liebt Ferdinand und Ferdinand liebt Luise. Das ist eigentlich nicht der Stoff, aus dem man Trauerspiele macht. Doch genau das ist „Kabale und Liebe“, ein Trauerspiel, denn Luise Miller ist eine Bürgerliche, Ferdinand von Walter ein Adeliger, man lebt zu Zeiten des Absolutismus und Ferdinands Vater, der Präsident, hat nun einmal schon eine vielversprechendere Partie für seinen Sohn in Aussicht: Lady Milford, die Mätresse des Fürsten. Als der Sohn wider Erwarten nicht mitspielt, greift der Vater kurzerhand zu einer Intrige um das Liebespaar auseinander zubringen. Luise gerät so in eine ausweglose Situation: Sie erfährt, dass ihr Vater festgenommen wurde. Der einzige Weg ihn zu retten besteht darin einen von den Intriganten aufgesetzten Liebesbrief an den berüchtigten Weiberhelden Hofmarschall von Kalb zu schreiben. Dieser Brief wird Ferdinand zugespielt, der daraufhin, zutiefst verzweifelt und rasend vor Eifersucht sich und Luise vergiftet.

„Kabale und Liebe“ ist natürlich nicht nur eine tragische Liebesgeschichte, sondern in erster Linie auch eine Kritik an der Gesellschaft, eine Auflehnung gegen den Adel, ein Aufzeigen der dort herrschenden Missstände. Zwei junge Liebende, geopfert auf dem Altar machtpolitischer Interessen. Ein System, das so etwas zu lässt, kann ja nur falsch sein. Da ich allerdings davon ausgehe, dass niemand heute noch ernsthaft die Monarchie oder Aristokratie für eine brauchbare Staatsform hält, werde ich den gesellschaftlichen Aspekt des Dramas im Folgenden völlig ausblenden und mich stattdessen auf das persönliche Schicksal der Handelnden konzentrieren. Denn ich persönlich glaube ja, dass in „Kabale und Liebe“ die Liebe genau so viel Anteil an der Tragik hat wie die Kabale.

Also Ferdinand, lass uns mal so tun als wärst du keine literarische Figur, die dramaturgischen Gesetzen gehorchen muss, um die Aussage des Autors zu transportieren. Tun wir mal so, als wärst du einer, der tatsächlich gelebt hat, der Verantwortung übernehmen muss, für das was er tut. Das sieht nicht gut für dich aus.

Verdammt, du hast sie ermordet, Arschloch! Und zwar nicht mal erschlagen, im Überschwang der Gefühle, nein, heimtückisch vergiftet hast du sie. Du hast dir das überlegt. Ein kleiner, gemeiner, billiger Eifersuchtsmord war das, nichts weiter.

Dass du dem Brief Glauben schenkst –gut, das ist nachvollziehbar. Es ist schließlich ihre Handschrift und wer denkt schon daran, dass der eigene Vater gegen einen intrigiert. Dass du daher eifersüchtig wird – auch gut. Aber dass du sie deswegen umbringt – nein, das ist nicht zu rechtfertigen, und wenn sie dich hundertmal betrogen hätte! Mein Gott, du wärst nicht der erste, dem das passiert. Aber wenn du dir schon unbedingt einbilden willst, dass das der Ende der Welt ist, dann begrab eben deine Liebe, aber nicht Luise! Ein Mann mit Stil hätte sich damit begnügt, sich selbst umzubringen. Dann ist sie eben nicht dein, na und? Glaubst du, du hättest Anspruch auf sie? Glaubst du, du könntest über sie verfügen?

Das tust du nämlich, gib’s zu. Da schlägt der Adelige in dir durch. Denn, soll ich dir mal was sagen? -Du bist genau wie dein Vater. Genau, wie dein Vater, den du doch so sehr verachtest. Du lebst Absolutismus. Deine Liebe hat Absolutheitsanspruch. Und das ist das Problem. Du tötest schließlich nicht aufgrund der gesellschaftlichen Zwänge, du tötest aus Liebe, aus verletzter Liebe. Während Luise die Liebe für das Leben opfert (das Leben ihres Vaters nämlich), stellst du die Liebe über das Leben, und zwar blöderweise nicht nur über dein eigenes (was du von mir aus gern machen darfst), sondern leider auch über das von Luise.

Ehrlich, Ferdinand, ich war lange auf deiner Seite. In dieser einen Szene, da zum Beispiel, als du Luise anflehst, dir zu sagen, dass sie den Brief nicht geschrieben hat, da habe ich wirklich mit dir gelitten. Durchgerüttelt hätte ich sie da am liebsten, die Luise, und sie angeschrieen: „Mädchen, pfeif auf den Schwur (denn sie hat natürlich deinem Vater geschworen, nichts zu verraten), sag’s ihm!“ Angesichts dieses eklatanten Mangels an Moral auf Seiten ihrer Widersacher – kann sie sich ihnen gegenüber ernsthaft zur irgendetwas moralisch verpflichtet fühlen? Aber weißt du was: Mittlerweile versteh ich sie. Sie musste dich anlügen, damit du sie hasst. Nur so konnte sie dich los werden. Und los werden musste sie dich, du hättest ihre Familie ins Unglück gestürzt. Sie hätte sich selbst willig für dich geopfert (... Dies bisschen Leben – dürft ich es hinhauchen in ein leises schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen! – Das war nach deinem Geschmack, nicht?) aber nicht Vater und Mutter und das hättest du nie kapiert. Sie konnte dir nicht die Wahrheit sagen, weil du dich von Anfang an geweigert hast, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Versteh mich nicht falsch, Standesunterschiede sollten zwar kein Hindernis sein, doch zu deiner Zeit waren sie eben eines. Ich sage nicht, dass man vor Hindernissen kapitulieren soll, aber das Charakteristische an ihnen ist nun einmal, dass man nicht einfach über sie hinweggehen kann. Man muss eine Möglichkeit suchen, sie zu umgehen und wenn es nicht anders geht, dagegen anrennen, aber selbst in diesem Fall schadet es nicht, im Vorhinein zu überlegen, wo das Hindernis eventuell Schwachstellen haben könnte. Nur leider bist du die ganze Zeit viel zu sehr damit beschäftigt, verliebt zu sein, um solche Überlegungen anzustellen. Luise ist schlauer als du, sie kann eins und eins zusammenzählen und sieht das Unglück kommen. Aber als sie dir ihr Herz ausschüttet und mit dir über ihre Befürchtungen spricht, was sagst du ihr da? - „Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einem Blick – in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch Klugheit neben deiner Liebe? – Schäm dich!“

Schäm du dich, Ferdinand, sag ich da nur.

Von dir kann sie also keine Hilfe erwarten, das ist Luise wohl sehr schnell klar. Als der Hilfsintrigant ihr von der Verhaftung ihres Vaters berichtet, kommt sie deswegen nicht einmal auf die Idee, sich an dich zu wenden.

Es ist ja nicht so, dass du deinem Vater völlig machtlos gegenüberstündest. Der werte Herr Papa ist durch unlautere Mittel an die Macht gekommen, er hat seinen Vorgänger unsanft beiseite geschafft. Du weißt das und kannst seinen Vater damit erpressen. Einmal tust du das auch, als nämlich der Präsident der Familie Miller einen Besuch abstattet, deine Luise als Hure beschimpft und sie an den Pranger stellen will. Da drohst du „der Residenz eine Geschichte zu erzählen, wie man Präsident wird“ und siehe da, es funktioniert, der Vater zieht unverrichteter Dinge von dannen.

So abgeschmackt es auch klingt, aber Feuer lässt sich manchmal eben wirklich am besten mit Feuer bekämpfen, Erpressung bekämpft man folglich am besten mit Erpressung.
Natürlich, den eigenen Vater zu erpressen, ist ein Mittel zu dem man nur im äußersten Notfall greifen sollte, aber dass dieser äußerste Notfall eintreten würde, war vorhersehbar. Man hätte dieses Mittel also viel gezielter einsetzen können.

Wie auch immer, selbst wenn du partout nicht auf Erpressung zurückgreifen willst, dann hättest du dir eben etwas anderes überlegen müssen. Aber etwas hättest du dir überlegen müssen, bevor er Luise in Teufels Küche bringt. Trottel!


Ich weiß, ich gehe völlig falsch an diese Sache heran. Ich sollte diese groß angelegten Gefühle und Gestalten nicht nach meinen kleinlichen Maßstäben messen. Das hier ist schließlich Sturm und Drang, hier hat Vernunft nichts verloren. Und doch - ich weiß nicht warum, ich bin sonst gar nicht so besonders praktisch veranlagt – irgendetwas in mir will einfach unbedingt einen Weg finden für diese Liebe. Das ist das Eigenartige an Schillers Figuren: Sie sagen Dinge wie „schröcklich“, plagen sich mit einem Problem herum, das uns in dieser Form eigentlich nicht mehr berührt – der Adel ist schließlich heutzutage nur mehr für die Regenbogenpresse von Bedeutung - und trotzdem bringt Schiller mich dazu, mich hier völlig lächerlich zu machen und über mehrere Seiten hinweg gegen eine fiktionale Figur Gift und Galle zu spucken. Super, Schiller. Echt toll.
Man müsste das System seiner Widersprüche finden, indem man ruhig wird. Wenn man die Gitterstäbe _sähe_, hätte man den Himmel dazwischen gewonnen. (Elias Canetti)

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