"Recht" und "Gerechtigkeit"

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Hamburger
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"Recht" und "Gerechtigkeit"

Beitragvon Hamburger » 18.05.2002, 01:40

Ich habe vor gut einem Monat einen Kriminalroman gelesen, den ich heute empfehlen möchte. Es handelt sich um "Die Justiz" von Friedrich Dürrenmatt.

Die Story: Ein junger aufstrebender Anwalt nimmt in der Schweiz der 50er-Jahre einen seltsam anmutenden Auftrag eines Mörders an. Dr Hc. Isaac Kohler (Staatsrat), wegen eindeutig erwiesenen Mordes zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt, erteilt diesem jungen Mann (Anwalt Spät) den Auftrag, seinen Fall auf`s Neue zu untersuchen unter der Annahme, er - Kohler - sei nicht der Mörder
gewesen.
Spät nimmt den finanziell lukrativen Auftrag an, obwohl er ihn für sinnlose intellektuelle Spielerei des Zuchthäuslers hält.
Schließlich geschah der Mord in einem Restaurant vor Dutzenden von Zeugen und die Schuld des wohl verrückt gewordenen Staatsrates zu beweisen fiel dem städtischen Justizapparat sehr
leicht.
Doch Spät verwechselt eben diesen Justizapparat mit seiner Defintion der "Gerechtigkeit", was bittere Folgen hat.

Formelles: Die Handlung setzt bereits nach der Tat ein. Spät erzählt weitestgehend in der personalen Erzählweise in Rückblenden von dem, was passiert ist (der Mord, der Auftrag, die Folgen des Auftrages)und von der aktuellen Situation.

Grund der Empfehlung: Der Roman lebt von einem doppelten Spannungsverhältnis. Zum einen fragt sich der Leser unentwegt, wie Dürrenmatt in den Rückblenden um alles in der Welt die Situation zu Gunsten Kohler`s auflösen will, was Dürrenmatt bis auf geringe Schwächen (manchen mag die Auflösung etwas zu einfach erscheinen) meisterhaft gelingt.
Zum Zweiten führt Dürenmatt,indem er diese Auflösung betreibt, unerbittlich die vergangene Handlung aus den Rückblenden zusammen mit der aktuellen Situation Spät`s, dessen Gefühle und Handlungen immer verständlicher, immer nachvollziehbarer werden.

Friedrich Dürrenmatt gelingt es auf subtile Weise dem Leser nicht nur Spät`s Frust zu vermitteln, sondern in ihm gleichsam denselben Frust zu
erzeugen.
Frust über eine "Justiz", die - starr und unflexibel - jeden Fall denselben festgemeißelten Verfahrensregeln unterzieht und dabei zu einem höchst fragwürdigen Konstrukt verkommt.
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

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