Es gibt keine Katharsis

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Hamburger
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Es gibt keine Katharsis

Beitragvon Hamburger » 03.12.2005, 10:56

Buch: „American Psycho“

Autor: Bret Easton Ellis

Patrick Bateman lebt Mitte der 80er-Jahre als reicher Börsenmakler in New York. Er hätte es eigentlich nicht mehr nötig zu arbeiten. So ziemlich alles, was als hipp gilt (genug Geld auf dem Konto, teure Designeranzüge, eine Platin-Am-Ex-Karte, High-Tech-Fernseher, High-Tech-CD-Player, Seidenpyjamas, einen Teekessel der beim Wasserkochen „Tea for Two“ pfeift und fünfzigtausend weitere Sachen mehr…) – er besitzt es. Zudem wird im Buch kurz mal angedeutet dass seinem Vater irgendeine bedeutende Firma gehört.
Das Leben dieses Yuppies nun ist unendlich langweilig. Es sieht im Wesentlichen (keine chronologische Aufzählung) so aus: Fitnessstudio, exzessiver Drogenkonsum, Essen gehen in den feinsten Restaurants der Stadt, „Hardbodies“ (gemeint sind gut aussehende Frauen) aufreißen, sich über Paul Owen ärgern der den Fisher-Account hat, gänzlich oberflächliche und zynische Gespräche mit Arbeitskollegen bei gemeinsamen Essen (also jeden Tag) führen, ein paar Partys, zwei, drei Beziehungen zu gänzlich dümmlichen Frauen, ab und zu Sex, ein absurder Hang zur ausgiebigen Körperpflege, ein paar Stunden Büro jeden Tag, morgens die Patty-Winters-Showansehen, abends läuft David Lettermann, viel einkaufen, vor allem Designeranzüge, viele Videos ausleihen und wieder zurückbringen…
Das ist Patricks Leben. Inhaltsleer und bis ins Groteske oberflächlich. Ein so dumpfer und sinnloser Kosmos, dass es schmerzt. Eine Welt, in der man darauf achtet NICHT eingeladen zu werden um mit seiner eigenen goldenen Kreditkarte beim Bezahlen angeben zu können. Eine Welt, in der das eigene Standing davon abhängt, in welchem Restaurant man Reservierungen beschaffen kann. Die einzige Herausforderung besteht im Prinzip darin mehr zu haben als die Anderen haben und dies auch deutlich werden zu lassen. Allerdings nicht auf die prollige Tour, sondern wie es zu einem Yuppie passt: Feine Manieren, distinguiertes, ganz und gar elegantes Auftreten – aber eben auch egofixiert bis ins kleinste Äderchen und oftmals zynisch, teilweise auf brutalste Weise menschenverachtend.
Patrick benötigt eine Kompensation um dieses Leben ertragen zu können. Und so schlachtet er auf brutalste und bestialischste Art Menschen ab, meist Frauen, manchmal aber auch Bettler an der Straßenecke, ein kleines Kind im Zoo oder einen Arbeitskollegen. Gern foltert er seine Opfer vorher und steigert sich dabei in einen regelrechten Blutrausch.

Die Vollendung des amerikanischen Traums (Du kannst alles erreichen) wird für Patrick zum sinnentleerten Alptraum, den er nur noch durch seine Bluttaten ertragen kann.
Müsste ich das Buch auf eine Formel bringen, diese wäre es. Und mit dem ersten Teil dieser Formel müsste Ellis mich als Leser eigentlich sofort für sich gewonnen haben. Eine Abrechnung mit dem Materialismus ist mir literarisch jederzeit herzlich willkommen und dafür wäre ich sogar bereit viele widerliche Folterszenen in Kauf zu nehmen. Denn Gedärme und sonstiges Gekröse ist nicht so mein Ding.

Aber trotzdem lässt mich American Psycho zwiespältig zurück.

Für einen der zu diesem Urteil führenden Faktoren kann Ellis allerdings recht wenig: Von den Folterszenen wurde mir übel. Ich habe selten so schnell Szenen gelesen, einfach nur um sie fertig gelesen zu haben. Das Überspringen dieser Seiten lag sehr nahe, aber ich habe durchgehalten. Ob die Szenen allerdings „gut“ sind müssen im Serienkillerfoltergenre erfahrenere Leser beurteilen.

Viel mehr stören mich einige andere Punkte, zunächst die Kleinigkeiten: Was Bateman in seinem Büro eigentlich wirklich arbeitet erfährt man nicht. Ich kann mich nicht an eine Szene erinnern, in der es wirklich um seine Arbeit ging (ausgenommen von den Lückenfüllern wie „ein paar Telefonate im Büro erledigt“). Gerade ich als Börsenmakler-Unbewanderter hätte mir ein paar Verkaufsgespräche und sonstige Arbeitssituationen gewünscht, in denen die Gier nach Geld intelligent bloßgestellt wird (man erinnere sich an diese phantastische Szene im Film „Wall Street“, als Gordon Gecko seine Rede hält: (…)“weil die Gier gut ist!“) ). Aber nichts davon, Ellis scheint keine Ahnung zu haben wie es an der Wall Street wirklich zugeht, denn er verschenkt das gesamte Potenzial, das Patricks Arbeitsplatz geboten hätte.

Merkwürdig auch: Patrick begeht mindestens 40 Morde und kommt gerade einmal zufällig mit der Polizei in Kontakt. Nur ein Privatdetektiv stellt ihm ein paar Fragen, als das Verschwinden eines Arbeitskollegen (Paul Owen) untersucht wird. Keine Spur führt zu Bateman. Fragwürdig, wenngleich diese Übersteigerung wohl gleichzeitig sinnbildlich für Patricks Unantastbarkeit stehen soll. Auch erscheinen die verschwundenen Menschen damit als für die Gesellschaft uninteressant, was einen besonderen Sarkasmus des Buches zeigt. Dennoch ist dieser Punkt von der Logik her schwer nachzuvollziehen.

Dritter kleiner Kritikpunkt: Timothy Price, ein Arbeitskollege Patricks, wird auf den ersten knapp 100 Seiten des Buches eingeführt und verschwindet dann leider völlig, taucht nur gegen Ende noch einmal kurz auf. Dabei handelt es sich um einen interessanten Charakter, der auch auf Bateman Einfluss nimmt. Denn Price ist in seinem Hohn direkter, in seiner Menschenverachtung offener, steht zudem durch seine Extrovertiertheit ständig im Mittelpunkt. Bateman wirkt gegen ihn teilweise, so drückt es eine seiner Freundinnen, Evelyn, einmal aus „wie der nette Junge von nebenan“. So bemüht sich Bateman in Anwesenheit von Price zum Beispiel bei den Tischgesprächen antisemitischen Reden seiner Gesprächspartner entgegenzutreten oder die moralische Verpflichtung der amerikanischen Regierung den Armen zu helfen hervorzuheben. Einige Auftritte mehr von Price hätten dem Buch insgesamt sehr gut tun können. Er ist, wie Bateman einmal sagt „der einzige interessante Mensch, den ich kenne“ – und ausgerechnet dieser Mensch verschwindet urplötzlich und spielt für das Buch dann nur noch am Schluss eine winzige, marginale Rolle.

Nun zu meinen beiden Hauptkritikpunkten:

1. Das Buch ist literarisch ziemlich schwach auf der Brust.

2. Das Buch ist viel zu lang.

Zu 1) Als Beleg mögen hier die Aufzählungen dienen. Und wenn ich Aufzählungen sage meine ich Aufzählungen. Nicht das, was wir normalsterbliche Leser so kennen, also zwei, drei, fünf, sechs, acht, neue aufgezählte Punkte. Nein, teilweise zieht sich das in dem Buch über Seiten hin! Zwei, drei Seiten mit Beschreibungen (z.B. was Patrick alles in seiner Wohnung stehen hat oder wie sein Büro aussieht) sind keine Seltenheit. Das wäre noch nicht so schlimm, wenn es nicht a) literarisch so mies gemacht wäre (ich hab das und das und das und das und das…grrr…) und nicht b) die ewig gleiche Stoßrichtung hätte (schaut wie oberflächlich Patrick ist – was der alles hat) sowie nicht c) fürchterlich langweilig wäre, da sich der normalsterbliche Leser unter diesen ganzen Marken sowieso nicht auskennt, folglich auch mit den meisten beschriebenen Dingen nichts anfangen kann. Das gilt besonders für die Kleidungsfrage: Beinahe jede menschliche Begegnung wird in dem Buch nach dem Motto „A trug das und das und das und B dies und jenes“ eingeleitet. Das ist auf Dauer fürchterlich öde, hemmt den Lesefluss und die darin steckende Kritik an der Oberflächlichkeit der Yuppie-Welt versinkt in diesen endlosen Widerholungsschleifen.

Zu 2) Die Botschaft des Buches hätte locker auf der Hälfte der Seiten transportiert werden können. Patricks bereits beschriebener Kosmos wiederholt sich so oft, dass man irgendwann nur noch gähnt wenn es zum X-ten Mal in einem zynischen Tischgespräch darum geht welchen Anzug man zu welchen Socken trägt oder wenn Patrick zum 30.Mal das morgendliche Thema der Patty- Winters-Show erwähnt. Es mag eine Möglichkeit sein dem Leser die Langeweile und Leere dieser Welt dadurch zu verdeutlichen, dass man ihm schier endlos die gleichen Komponenten vorwirft. Trotzdem wirkt es auf Dauer sehr dröge und nervt mit der Zeit gewaltig.

Aber, und jetzt noch ein paar positive Worte: das Buch hat dennoch seine großen Momente.

Die Gespräche mit Price gehören dazu, Patricks Sekretärin deren Bild von Patrick falscher nicht sein könnte und die ihm in einer großartigen Szene ihre Liebe zu ihm gesteht, weil er so „mitfühlend“ sei, auch die von allen anderen Personen wie selbstverständlich angenommene Harmlosigkeit Batemans und die treffende Beschreibung des Nicht-Vorhandenseins jeglichen tieferen menschlichen Mitgefühls zeichnen das Buch allemal aus. Es handelt sich wirklich um eine bittere, wütende und verdammt direkte Abrechnung mit dem amerikanischen Traum.
Auch ist die Charakterzeichnung des Patrick Bateman insgesamt gelungen und nicht eindimensional geraten. Patricks moralische Anwandlungen (vor allem in der Gegenwart vom Timothy Price) und seine manchmal durchbrechende Verzweiflung einer Welt frei von ideelen Werten nicht mehr entrinnen zu können zeigen, dass Patrick sich durch seine Taten zwar Kicks holen kann, seinem Leben aber danach genau so ohnmächtig und manchmal sogar total überfordert gegenübersteht wie zuvor. Patricks Befriedigung ist immer nur von kurzer Dauer. Auf Grund der Perversität der Welt kann es keine Heilung, keine Erlösung für ihn geben. Er bleibt immer ihr Produkt.

Und das ist das Beunruhigende und auch heute noch Aktuelle an der Darstellung des Pat Bateman: Er ist kein Fremdkörper in einem sonst gesunden gesellschaftlichen Gefüge. Er ist ein Produkt der Anti-Moralität und Anti-Sozialität dieses gesellschaftlichen Gefüges.

Fazit deshalb – trotz allem: ein lesenswertes Buch!
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razorback
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Re: Es gibt keine Katharsis

Beitragvon razorback » 03.12.2005, 11:51

Ham, da hast Du ein Buch besprochen, das mich seit Jahren interessiert und mich in dem dringenden Wunsch bestärkt, es zu lesen. Mein Interesse rührt aus drei Quellen:

1.) Ich bin in den 80ern aufgewachsen, ich habe (als Sohn eines soliden Kaufmanns und einer soliden Kauffrau und Hausfrau) diese ganze Entwicklung des aufkommenden Yuppietums gleichsam von aussen erstaunt beobachtet, ebenso wie der Skeptizismus, der sich mit zuerst in dem von Dir zitierten, wirklich sehr sehenswerten Film "Wall Street" publikumswirksam artikulierte. Und ich glaube, dass dieser Yuppiegeist durchaus nicht tot ist, im Gegenteil.

2.) Ich mag den Film. Ich weiss nicht, ob ihn jemand kennt. Der Film hat für mich einen zentralen Fehler - er stellt Bateman deutlich als individuellen Psychopathen dar, die Tatsache, dass er die extreme Zuspitzung einer durchaus lebendigen, wirkmächtigen Denkart ist, tritt in den Hintergrund. Immerhin bleibt noch genug Kritik übrig, um den Film sehenswert zu machen.

3.) Ich mag den Stil. Ich meine den Kleidungsstil. Ich kann mich an Filmen wie Wall Street, American Psycho nicht satt sehen, und wenn ich den Ton wegdrehe, finde ich Gordon Gecko und Patrick Batemann toll anzusehen. Gut - nicht die Frisuren. Aber die Klamotten...
Das mag hier den einen oder anderen überraschen, aber ich bin ein begeisterter Anzugträger. Hätte ich das Geld, sie mir zu kaufen, ich könnte ewig über die Schönheit der Manschettenknöpfe parlieren :-D

Ich finde es recht interessant, dass es meist die grausamen Zeiten sind, in denen die Grausamsten am besten angezogen sind. Die Nazis waren da eine - fast will ich sagen löbliche - Ausnahme. Die sahen in ihren kackbraunen oder schwarzen, eigentlich lächerlichen Phantasieuniformen genau so aus, wie es sich für sie gehörte. Aber sonst... Schade eigentlich...

Ich betone diesen letzten Punkt so sehr, weil die Körperpflege und das Styling im Film einen sehr breiten Raum einnehmen. Ästehtik und Geschmack - eigentlich positive Dinge - werden Bateman da zum Lebensersatz und -elexier. Das erstreckt sich nicht nur auf Körper und Kleidung. Eine der stärksten Szenen im Film beinhaltet einen Monolog über Genesis (die Band) , den Bateman zwei Frauen hält, während er sich darauf vorbereitet, sie zu ermorden. Würde mich interessieren, ob der auch im Buch ist.

Ich glaube, die Metzelorgien, die Ellis, wie Du ja auch schreibst, so detailliert schildert, könnten eine Zuspitzung für das amerikanische Publikum sein. Wir Europäer, die wir dem Yuppiegeist und seinen Folgen immer etwas skeptischer gegenüberstanden als die Amerikaner (nicht skeptisch genug, aber skeptischer), brauchen das vielleicht nicht so. Die Amis brauchen es heute vielleicht auch nicht mehr so. Aber in seiner Erscheinungszeit musste das Buch vielleicht so drastisch sein, um zu verhindern, dass zuviele amerikanische Leser schulterzuckend sagen: "Na und? Ist doch okay." Schade ist nur, dass dieses offenbar als Zeitkritik doch recht wertvolle Buch eben wegen dieser Metzelorgien berühmt und also auch darauf reduziert wurde.

Vielleicht ist es aus dem selben Grunde auch so lang. Vielleicht muß mancher diese Wiederholungen lesen, bis ihm das Kotzen kommt, um zu verstehen, was an Patricks Denken so verheerend ist.

Das sind alles nicht wirklich Interpretationsansätze, sondern Fragen. Schließlich habe ich das Buch noch nicht gelesen ;-) . Ich werde es aber dringend nachholen!

Danke!!!
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

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Re: Es gibt keine Katharsis

Beitragvon Hamburger » 05.12.2005, 00:04

Guten Abend razorback,

Schön dich in dem Wunsch bestärkt zu haben das Buch zu lesen. Das freut den Rezensenten. :-)

Ich kenne übrigens den Film auch und finde ihn ebenfalls gut. Aber aus anderen Beweggründen als du. Denn trotz des von dir angeführten zentralen Fehlers des Films bietet er mir sozusagen eine Light-Packung des Buches und lässt viel weg. Paradox: Das bemängelt man ja sonst immer bei Literaturverfilmungen. Hier, finde ich, umso mehr nach der Lektüre des Buches, ist das gerade von Vorteil (siehe meine Kritikpunkte Aufzählungen, Kosmos Patrick)

Der von dir zitierte Monolog über Genesis im Film gehört übrigens auch zu meinen Lieblingsstellen. Wie Christian Bale da mit der Axt in der Hand hinter den Frauen herumhampelt und über die CD monologisiert ist wirklich großes Kino :-D (was das Buch angeht will ich hier nichts vorwegnehmen)

Deine Meinung zu den Ausführlichkeiten der Metzelorgien ist interessant, in dem Fall wäre ich einfach nur auf dem falschen Kontinent geboren. :-| Oder, fieser formuliert, gerade auf dem Richtigen...:-D


Schade ist nur, dass dieses offenbar als Zeitkritik doch recht wertvolle Buch eben wegen dieser Metzelorgien berühmt und also auch darauf reduziert wurde.


Yepp. Darauf reduzieren lässt es sich wirklich nicht.

Bin sehr gespannt wie dir das Buch letztendlich gefallen wird.
Und fühle mich zu weiteren Rezensionen ermuntert. So ein Rezensionsfeedback ist doch was Herrliches… B-)

Aber mein Entsetzen…


Hätte ich das Geld, sie mir zu kaufen, ich könnte ewig über die Schönheit der Manschettenknöpfe parlieren :-D


...hierzu möchte ich dir trotzdem nicht verhehlen.

Also ohne Worte: 8-o 8-o 8-o 8-o

Schmunzelnde Grüße vom Jeans- und T-Shirt-Typen,

dem Ham
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

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Re: Es gibt keine Katharsis

Beitragvon Glaukos » 09.01.2006, 10:15

"Ellis: Man kann eine Welt, über die man schreibt, nicht nur hassen. Man muss sogar etwas verliebt sein. Sonst bringen Sie die Energie gar nicht auf, die nötig ist, um eine Welt einzureißen. Man muss etwas lieben, um es hassen zu können."


"Ellis: Genau das war das Problem: Dieses Buch war ein großes Missverständnis. Dabei ist es eigentlich eine sehr einfache Geschichte. Die Leute, die das Buch am meisten hassten, dachten, die Darstellung von frauenfeindlichen Szenen sei selbst frauenfeindlich. So waren die Zeiten damals: sehr politisch korrekt, mit recht wenig Gespür für die verschiedenen Bedeutungsebenen. Was natürlich die größte Ironie ist, denn schließlich geht es genau darum in American Psycho – dass die Oberfläche alles verdeckt, dass jemand nur noch in einer Fassade lebt und nicht mehr dahinterschauen kann."

ein Interview, das euch vielleicht interessiert ...

http://www.zeit.de/2006/02/Titel_2fEaston_Ellis

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Re: Es gibt keine Katharsis

Beitragvon Spiderman » 10.01.2006, 00:11

Es ist einige Zeit her, dass ich das Buch - mit gemischten Gefühlen - gelesen habe. Die Metzelszenen: großartig! Aber der Rest und die Gesellschaftskritik: naja! ;-) Im Ernst, mein Eindruck war, dass es B.E.E. auf vielen Seiten darauf anlegte, seine Leser zu langweilen oder zu quälen. Deshalb die vielen Wiederholungen, die Details aus der Welt der Markenartikel, deshalb die genauen Beschreibungen der Bluttaten.
Aber bei einer Sache bin ich mir nicht sicher: passieren die Morde wirklich oder finden sie in der Phantasie des Ich-Erzählers statt? Auf mich wirkte es so, als bildeten die Folterszenen Batemans Unbewußtes ab, bzw. die Brutalität hinter der glänzenden Oberfläche. Ich meine, der Irrealismus der Morde und der Verfolgungsjagden spräche dafür.

Es grüßt
Spiderman
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

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Re: Es gibt keine Katharsis

Beitragvon Hamburger » 18.01.2006, 22:15

Guten Abend,

@Glaukos

Das Interview ist interessant. Allerdings fand ich den Gebrauch des Wortes „Ironie“ hier nicht konsistent. Ich habe mal die zweite Stelle, die du zitiert hast, etwas erweitert mit den drei Aussagen davor und die mitzitiert. Dann liest sich das so…


ZEIT: Jetzt werden Sie ironisch.

Ellis: Ironie war doch das Zeichen jener Zeit.

ZEIT: Bis Sie Ihren Killer losschickten, Bateman, den American Psycho, die Rache an der Ironie.

Ellis: Genau das war das Problem: Dieses Buch war ein großes Missverständnis. Dabei ist es eigentlich eine sehr einfache Geschichte. Die Leute, die das Buch am meisten hassten, dachten, die Darstellung von frauenfeindlichen Szenen sei selbst frauenfeindlich. So waren die Zeiten damals: sehr politisch korrekt, mit recht wenig Gespür für die verschiedenen Bedeutungsebenen. Was natürlich die größte Ironie ist, denn schließlich geht es genau darum in American Psycho – dass die Oberfläche alles verdeckt, dass jemand nur noch in einer Fassade lebt und nicht mehr dahinterschauen kann.


…und macht mich stutzig. Wenn „Ironie“ das Zeichen der Zeit war, wie kann dann gleichzeitig „recht wenig Gespür für die verschiedenen Bedeutungsebenen“ geherrscht haben?

Dieses Gespür ist doch Vorraussetzung für Ironie. Und gerade die von Ellis so kritisierte Oberflächlichkeit und Fassadenhaftigkeit des gesellschaftlichen Lebens weist doch auf eine sehr unironische Gesellschaft hin. Die Figuren des Buches sind doch eher eiskalte, menschenverachtende Zyniker – aber zwischen Ironie und Zynismus besteht wiederum ein großer Unterschied. Insofern sehe ich das Buch eher als Rache am oberflächlichen Zynismus der Zeit. Hmmm, rede ich hier glatt gegen den Autor und seine eigenen Worte zu seinem eigenen Buch an…

Übrigens hat mich das erste Zitat an eine meiner Lieblingszeilen aus „Let there be Rock“ von den Tocos erinnert – „Und alles was wir hassen/seit dem jüngsten Tag/wird uns niemals verlassen/da man es eigentlich ja mag“. :-)

@Spiderman

Ja, die gemischten Gefühle hatte ich auch. Zwar genau andersherum wie du(Metzelszenen: igitt, Gesellschaftskritik: ganz gut) – aber immerhin auch gemischt. B-)
Bei den Morden bin ich mir auch nicht sicher. Am Aller-Unrealistischsten fand ich da die Verfolgungsjagden. Da habe ich sofort gesagt, dass kann nicht 1:1 passiert sein. Es ist ja durchaus eine Mischung aus wahrhaftig stattfinden Morden (zum Beispiel an den Obdachlosen) und eingebildeten Morden (Stichwort Verfolgungsjagden) möglich. Aber was hier genau in welchem Verhältnis steht war mir auch nicht so ganz klar.

Freundliche Grüße,

Ham
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