Stevo und der geruchlose Geselle

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Hamburger
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Stevo und der geruchlose Geselle

Beitragvon Hamburger » 03.02.2006, 13:43

Hallo zusammen,

seit etwas über zwei Jahren weiß ich um die verheerenden Wirkungen, die der Roman „Das Parfüm“ von Patrick Süßkind unter den Menschen (speziell den Männern…was? Ja, wir sind auch Menschen!) verbreitet. Hat man sich durch dieses Buch gequält, so gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten:

1. Man nimmt nie wieder ein Buch zu Hand.

2. Man nervt beständig alle Freunde und Bekannten mit der angeblichen Genialität dieses widerlichen Machwerkes. (das führt bei denen, die diesem Werben erliegen, dann oft zu 1 :-D ))

3. Man beschließt Schreiben könne so schwer nicht sein, wenn schon P. Süßkind mit einem solchen Witz von Buch Erfolg haben konnte. Und verliert folglich die Achtung vor jedem Literaturnobelpreisträger. B-)


Aller von Stevo beschworenen Gefahren zum Trotz habe ich das Buch nun gelesen…

Jean Baptiste Grenouille ist ein recht eigenartiger Mensch. Er hat die beste Nase der Welt und lebt durch und für seinen Geruchssinn. Ansonsten ist er recht unscheinbarer Natur. Auch besitzt keinen eigenen Körpergeruch.
Schon in seinen Kindertagen (das Buch spielt im Frankreich des ausgehenden 18.Jahrhunderts) bedeutet Leben für Grenouille Riechen. Er unterscheidet noch die kleinsten Nuancen, die die Düfte der Welt zu bieten haben. Nachdem seine Mutter ihn in einen Abfalleimer gebar und er nur durch Glück gerettet wird verläuft seine Sozialisation frei von Liebe und Zuneigung: die Amme gibt ihn der Kirche nach wenigen Wochen zurück, im Heim der empfindungslosen Madame Gaillard mag ihn keines der anderen Kinder und der Gerber Grimal beutet seine Arbeitskraft gegen geringstes Entgelt aus. Mit 15 begeht Grenouille seinen ersten Mord. Der wunderschöne Duft eines jungen Mädchens hatte ihn angezogen. Die Tat kümmert Grenouilles Gewissen nicht weiter, denn Werte wie Menschenwürde, Achtung vor fremden Leben, Respekt, Rücksicht etc. sind und bleiben Grenouille Zeit seines Lebens fremd. Vielmehr handelt er rein aus Mittel zum Zweck und verbessert sukzessive seine Fähigkeiten um zum einzigen Ziel zu gelangen, das er für sich als würdig erachtet: den größten Duft der Welt zu schaffen.

Ich mag „Das Parfüm“ sicher nicht so sehr es wie den „Zauberberg“ von Thomas Mann oder wie „Homo Faber“ von Max Frisch. Das liegt daran, dass mich das vordergründige Thema des Buches nicht besonders interessiert, auch wenn ich die Idee für interessant halte. Aber die Beschreibungen von Düften und Parfümhistorie gingen mir mit der Zeit halt auf die Nerven.

Dennoch: Es ist ein überdurchschnittliches Stück Literatur!

Gut, es ist konventionell aufgebaut. Das kann man mögen oder nicht. Aber es bietet trotzdem eine ganze Menge, mindestens deren Vier:

1. herausragende Charakterisierungen (besonders der Nebenfiguren und hier besonders Baldini und Antoine Richi)

2. eine tiefgängige moralphilosophische Auseinandersetzung mit dem Thema „Lieben und Geliebt-Werden“

3. einen feinen, sprachlich ausgereiften Erzählstil

4. Spannung (bis auf die meiner Ansicht nach sehr in die Länge gezogene Passage als Grenouille kurzzeitig zum Eremiten wird wollte ich immer wissen wie es ausgeht)


Fazit: Ich sehe keinen Grund dieses Buch zu verteufeln. Viel lieber würde ich hier im Forum ein bisschen drüber diskutieren. Weil ich das Gefühl habe, dass da eine ganze Menge drinsteckt, euch aber noch nicht mit allen meinen Überlegungen erschlagen will und hoffe der ein oder andere von euch kennt das Buch auch.

Also bleibt die Frage: Wer hat es denn noch gelesen und liebt/haßt es? (alternativ an Stevo: Warum haßt du es so sehr? B-) )

Gespannte Grüße,

Ham
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

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