Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

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Flocke
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Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Beitragvon Flocke » 06.09.2006, 19:17

So, meine allererste Rezension für die geneigten Leser dieser Rubrik einer für mich überraschenden Entdeckung im Bereich der phantastischen Literatur: "Die Stadt der träumenden Bücher" von Walter Moers. Und ein Experiment dazu, denn Herrn Moers kannte ich vorher nur von seiner Serie „Das kleine Arschloch“ und Käpt’n Blaubär. Aus dem Alter bin ich allerdings schon eine Weile raus.

Im Prinzip geht es um Bücher in jedweder Form, um Dichter und solche, die es werden wollen und allerlei spannende Dinge drumherum.
Wir befinden uns im Reich Zamonien, das ziemlich groß und von allen möglichen seltsamen Kreaturen bevölkert ist wie Hundlingen, Wildschweinlingen, Eydeeten, Schrecksen, Haifischmaden und nicht zuletzt Lindwürmern. Eine dieser Echsen, nämlich der junge Lindwurm und angehende Dichter Hildegunst von Mythenmetz, erbt von seinem Dichtpaten Danzelot von Silbendrechsler ein Manuskript, das perfekte Stück Literatur schlechthin. Leider ohne jeglichen Hinweis auf den Verfasser und so macht er sich auf die Suche nach diesem Genie. Er verlässt die Lindwurmfeste und begibt sich nach Buchhaim, der Stadt für alles, was irgendwie mit Büchern zu tun hat. Dort gibt es unzählige Antiquariate für sämtlichen existenten Literaturgattungen, eine „giftige Gasse“, in der die schlimmsten Literaturkritiker beheimatet sind, Horden von Agenten auf der Jagd nach neuen, viel versprechenden Talenten, Verlage, und Scharen von Touristen und Möchtegerndichtern, die in Buchhaim ihr Glück machen wollen, allerdings auch den „Friedhof der vergessenen Dichter“, auf dem die Gescheiterten in Erdlöchern hausen und für ein bisschen Kleingeld Stehgreifgedichte für Touristen verfassen. Eine Metropole, genau richtig für einen naiven Lindwurm. Die Suche nach dem unbekannten Autor stürzt Hildegunst in teils komische, teils wahnwitzige Abenteuer, in denen die geheimnisvollen Katakomben von Buchhaim und gefährliche Bücher eine wichtige Rolle spielen. Man erfährt, warum man nicht jedem Agenten trauen sollte, ein schlechter Ruf in der richtigen Umgebung das Überleben sichern kann, was Leidener Männlein mit Literaturkritik zu tun haben, dass Schrecksenprophezeiungen manchmal sogar zutreffen und das sowieso nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Hildegunst trifft auf seiner Reise viele seltsame Wesen, von denen ihm nicht alle gut gesonnen sind, löst ganz nebenbei eines der größten Geheimnisse der Katakomben und… na ja ich will nicht alles verraten.

Die Geschichte lässt sich zwar ein wenig langatmig an, kommt aber nach Hildegunsts Ankunft in Buchhaim in Fahrt und ist bis zum Schluss nur noch schwer zu bremsen. Die Spannung bleibt durchweg erhalten, auch wenn mir manche Dinge zu vorhersehbar waren. Und manchmal hab ich Tränen gelacht, nicht zuletzt wegen der phantasievollen Namen.

Sehr gefallen hat mir neben der Geschichte als solche die Detailverliebtheit. Moers hat ein eigenes Bücheruniversum geschaffen mit Dichtern, Stücken und allem, was dazu gehört. Faszinierende Namen und in meinen Augen sehr gelungene Anspielungen auf deutsche Literatur runden das Ganze harmonisch ab. Zum Beispiel gibt es da den Dichter Ojann Golgo van Fontheweg, bezeichnet als den „unerträglichen Platzhirsch der zamonischen Klassik, Liebling aller Kritiker und Schrecken aller Schulkinder.“ Oder Hulgo Bla als den bedeutendsten Vertreter des zamonischen Gagaismus. Oder Sanotthe von Rhüffel-Ostend…

Ich denke, die Zeitung „Die Welt“ hat das Buch nicht zu Unrecht als „die größte und schönste Liebeserklärung an das Lesen und die Literatur…“ bezeichnet. Dem kann ich mich nur anschließen, das Buch hat sich einen der vorderen Plätze auf meiner persönlichen Bestreader-Liste erobert.

Es ist 2004 im Piper-Verlag erschienen, als Taschenbuch dann in 2006.

Also dann auf zur nächsten Lesung zur Holzzeit.

Flocke
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Silentium
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Re: Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Beitragvon Silentium » 06.09.2006, 19:33

Hmmm... klingt verlockend. Hab ich promt auf meine amazon-Wunschliste gesetzt.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Beitragvon razorback » 07.09.2006, 01:34

Unbedingt auch "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" auf den Wunschzettel packen!!!

Und als Tipp für Dich Flocke: Du würdest es lieben - und festellen, dass Du aus dem Alter für manche Blaubär Geschichten noch lange nicht raus bist! ;-)
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

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Re: Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Beitragvon Flocke » 07.09.2006, 11:05

Hallo nochmal.

@razor

Gegen den blauen Bären habe ich ja nichts, bin beim Switchen auf Kika & Co. schon öfter bei ihm hängengeblieben. Das kleine Arschloch fand ich allerdings grenzwertig, gefällt mir gar nicht.
Aber jetzt habe ich ja wieder zwei triftige Gründe, den blauen Bären zu hofieren...
:-D

LG
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Re: Von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Beitragvon Flocke » 08.11.2006, 11:27

@razor

Unbedingt auch "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" auf den Wunschzettel packen!!!



Ja, das war ein guter Tipp, jetzt weiß ich wenigstens, woher der Kerl so gut lügen kann... :-D
Nein, ernsthaft, hab's kürzlich gelesen und es hat mir gut gefallen. Herr Moers hat Phantasie, das muß man ihm lassen. Und die nächsten Anwärter stehen schon auf der Liste.

Lieber Gruß
Flocke
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