Die Stadt, der träumenden Bücher

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vogel
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Die Stadt, der träumenden Bücher

Beitragvon vogel » 05.01.2009, 23:54

Walter Moers: „Die Stadt der schlafenden Bücher“

Walter Moers gibt vor nur ein Übersetzer zu sein. Er überträgt die ersten beiden Kapitel der 25-bändigen Autobiographie "Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers" von Hildegunst von Mythennetz ins Deutsche und illustriert sie.
Die Geschichte spielt auf dem (fiktiven) Kontinent Zamonien, welcher bevölkert ist von allerlei Fabelwesen, Märchengestalten und sonstigen verrückten Daseinsformen. Der Held Hildegunst ist ein Drache (genauer: ein Lindwurm) von der Lindwurmfeste, dessen Bewohner berühmt dafür sind, dass sie später gefeierte Dichter werden. Deswegen bekommt jeder zukünftige Dichter einen Dichtpaten zugeteilt, der ihn alles lehrt, was es im Dichtergeschäft zu wissen gibt. Das beginnt natürlich bei der Dichtgeschichte (von der Stotterliteratur, zur Schrecksenliteratur, aber auch dem klassischen Barock..), sowie Lehrstunden über das Dichten.
Wie es das Schicksal will, stirbt Hildegunst Dichtpate Danzelot von Silbendrechsler als dieser gerade erst im zarten Alter von 77 Jahren ist. Er hinter lässt im auf dem Sterbebett noch einige gute Ratschläge, sein Haus und ein Manuskript. Dieser ist von unsagbarer Schönheit und Kraft, doch den Autor kennt niemand. Um den Schöpfer dieses Werkes zu finden, macht sich Hildegunst nun in die Stadt auf, die von Büchern nur so wimmelt: Buchhaim. Hier gibt es Antiquariate soweit das Auge reicht. Alles baut auf Büchern auf: es gibt Speisen in auf und von Büchern, der gesamte Alltag ist durch Bücher bestimmt. Sowohl der Verkauf, als auch die Jagd nach Büchern ist gewinnbringend in Buchhaim. Denn unter der Stadt befindet sich ein gewaltiges Labyrinth, tiefe Katakomben, die von den verschiedensten Daseinsformen bevölkert werden. Die schrecklichste von ihnen soll der Schattenkönig sein. Trotzdem wagen sich ständig mutige (gefährliche und blutrünstige) Bücherjäger hinab in die Dunkelheit um die begehrtesten Werke zu finden: Die Bücher der goldenen Liste. Doch alle Bücher in den Buchhaimer Katakomben haben etwas gemeinsam. Sie träumen davon, wieder an die Oberfläche zu gelangen und wieder zu leben und nicht wie die tief gelegenen zu Staub zu zerfallen...
Hildegunst macht sich auf die Suche nach dem Autoren des mysteriösen Textes. Dabei kehr er bei zwei verschiedenen Antiquariaten ein, und erhält sogleich Hausverbot; sie sind vollkommen verstört nach der Lektüre und werfen ihn ohne Begründung hinaus. Durch einen Verleger erhält Hildegunst dann die Adresse des sehr spezialisierten Antiquariats von Phistomefel Smeik. Dieser bittet um eine Nacht Bearbeitungszeit. Am nächsten Tag scheint Smeik das Rätsel gelöst zu haben. Bevor er es lüftet, will er Hildegunst aber noch etwas zeigen: Das Erbe seiner Familie. Beide gehen in die Katakomben und Smeik offenbart dem verblüfften Lindwurm seinen gefährlichen Plan, ganz Zamonien mit einer Flut von mittelmäßiger Literatur zu betäuben und dann an sich zu reißen. Zum Schluß zeigt er Hildegunst ein ganz besonderes Buch, welches nur zwei beschriebene Seiten hat auf denen steht: „Sie wurden soeben vergiftet.“ Hildegunst wird schwarz vor Augen und er findet sich stunden später tief in den Katakomben wieder – zusammen mit dem Manuskript, das einfach zu gut für diese Welt ist.

Moers (also Hildegunst) schreibst ein Epos nieder, das mich sehr beeindruckt hat. Ich habe es zu Weihnachten bekommen und rasant verschlungen.. Das ist eines der wenigen Bücher, dass ich im Hardcover besitze, und es lohnt sich! Dieser Buch ist selbst das, worüber es schreibt. Das Lesen wird so intensiv zelebriert, dass einem selbst nichts anderes übrig bleibt, als es auch zu zelebrieren. Der mystische Text des unbekannten Autoren wird zwar inhaltlich geschildert – es geht um eine Schreibblockade und den erlösenden ersten Satz „Hier beginnt die Geschichte.“ - aber nie wird darauf ein Stück zitiert. Trotzdem glaubte ich, ich hätte ihn gelesen. Lesen ist etwas so wunderbares, es scheint der Schlüssel zu allem zu sein; denn es bildet, unterhält, macht fiffig und beruhigt – abgesehen von den gefährlichen Büchern..
Die Welt der verschiedenen Wesen ist so schillern und schaurig schön.. Ich habe mich sofort in das Volk der Buchlinge verliebt. Klein und knuffig hätten sie keiner Visualisierung bedurft, aber mit den Bildern ist es noch schöner. Die Illustrationen sind unterstützend und treffend, ganze Seiten sagen das, was im Text steht. Einzig das Bild Hildegunst finde ich nicht so treffend, ich hatte ihn mir klein und knuffig vorgestellt (der alte Ego Grisu vielleicht). Aber so ist dieses Buch im Großen und Ganzen ein schönes Gesamtwerk für die künstlerische Fantasie – und im Regal sieht es auch noch gut aus.
Schade finde ich, dass einige Details nicht weiter verfolgt werden. Natürlich ist das Werk schon sehr umfangreich, aber einige Vertiefung wäre schön gewesen. Was hat es jetzt mit dem Dreikreis auf sich? „Macht, Macht, Macht“ finde ich etwas wenig, zumal er auf dem Buchumschlag ist. Im Allgemeinen ist das Ende sehr schnell durchexerziert. Schreckse und Eydeet helfen und verschwinden dann, keine Wort wohin, nur das es ihre Bestimmung ist und die Schreckse das gesehen hätte.. Unfug! Auch wird das Grundproblem an sich schnell und einfach gelöst.
Es war irgendwie unbefriedigend, als ich die letzte Seite um schlug. Nicht das ich mir Blut gewünscht hätte, aber es war so einfach. Eigentlich zu unpathetisch. Der Homunkoloss opfert sich, und dann ist das halt so. Sein Wunsch wird irgendwie nicht gefühlsecht vermittelt..

Trotzdem: Ich mag dieses Buch sehr. Es ist ein schönes Gesamtwerk. Ich habe eine Schwäche für Moers Stil und Bilderwelt entwickelt. Man kann ihn lieben, oder aber ihn hassen. Ich zähle mich zu den liebenden. Vielleicht ist es kein Buch für Kinder, denn ich habe mir manchmal wirklich gegrault – aber ich mag auch keine Spinnen. Aber ansonsten sehr zu empfehlen.
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.

Silentium
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Re: Die Stadt, der träumenden Bücher

Beitragvon Silentium » 06.01.2009, 15:18

Witzig - ich hab auch grad begonnen, genau dieses Buch zu lesen. (Vorweihnachtliches selbstauferlegtes Neuebücherkaufverbot - absoluter Tiefstand des SUB - Regal des kleinen Bruders geplündert)

Ich hab jetzt aus spoilergefahr deine Rezenszion nur überflogen,bin aber gespannt. Bisher sehr angetan: ganze Scheffel voll neuer Ideen und absurden Kreaturen, nix magersüchtige Elfen und telepathische Wolfsgefährten - Fantasy der guten Sorte, also.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

vogel
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Re: Die Stadt, der träumenden Bücher

Beitragvon vogel » 06.01.2009, 16:43

Welch Zufall :-)
Da bin ich ja mal gespannt, wie es dir gefällt. Ja, bei Moers gibt es auch etwas mehr fett auf der Hüfte, find ich gut. Hildegunst ist auch etwas beleibter :-D
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Flocke
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Re: Die Stadt, der träumenden Bücher

Beitragvon Flocke » 06.01.2009, 22:19

Hallo,ihr zwei...

Schaut mal ein paar Themen tiefer: von dichtenden Lindwürmern und träumenden Büchern

Ist ganz schnell eins meiner persönlichen Lieblingsbücher geworden.

Viel Spaß.
Flocke
...Der den Wind kennt / besser als alle Bücher / den Baum / frag nach Wahrheit...


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