Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

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gelbsucht
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Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon gelbsucht » 01.09.2003, 21:20

Hallo ihr,

ich hoffe ihr habt den Jahrhundertsommer unbeschadet überstanden, von wegen Sonnenstich, Dehydration, Ernteeinbußen usw. ;-)
Ich hab meinen Urlaub u.a. mal wieder damit verbracht, so viel wie möglich zu lesen, was für mich an sich schon Erholung ist, vorausgesetzt ich kann das lesen, was mir beliebt. Es hatte sich da in der Zeit vor den Ferien einiges in meinem Bücheregal angesammelt, wozu ich nicht gekommen war -- ehrlich gesagt, ich hab nicht mal die Hälfte von dem geschafft, was da lagert. Ich wollte auch über das eine oder andere der Bücher eine Rezension für das Forum schreiben, aber nicht zu allen - das ist mir dann doch zuviel Arbeit. Deswegen gehe ich mal den Weg und stell die Bücher, die ich in den letzten drei Wochen gelesen habe, erstmal vor. Vielleicht gibt's ja an dem einem oder dem anderen ein besonderes Intresse ... oder vielleicht ergibt es sich ja mal wieder, dass mehr als einer den Titel kennt, was einen Austausch oder eine Diskussion begünstigen würde. Also:
  • Wolfgang Büscher: Berlin - Moskau. Eine Reise zu Fuß.
  • Judith Hermann: Nichts als Gespenster.
  • Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche.
  • Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans.
  • Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns.
  • Trotzki (rororo-Monographie)
  • Thomas Mann: Lotte in Weimar
Also an der "Lotte in Weimar" bin ich im Augenblick noch dran.

An euch die Frage: Welches der Bücher würde euch (dem Namen nach) interessieren? Welches kennt ihr schon?

Und natürlich wäre ich nicht der, der ich bin, wenn ich euch nicht im Gegenzug direkt fragen würde: Was habt ihr denn so in diesem Sommer gelesen?

;-) gelbe grüße :-)
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon lilith » 01.09.2003, 21:56

ich hätt gern eine inhaltsangabe der trotzki-monographie...
hähähä, kleiner (schlechter) scherz :-D

ich tät mir judith hermann wünschen, weil ich noch nie was von ihr bzw. dem buch gehört habe. ist das jetzt eine peinliche wissenslücke?? :-o

besorgt,

lilith
Du siehst, ich will viel.

Vielleicht will ich Alles:

das Dunkel jedes unendlichen Falles

und jedes Steigens lichtzitterndes Spiel. [...]

(Rilke)

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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon charis » 02.09.2003, 10:30

hi ihr!

hm. also mich frisst der neid, was da alles gelesen wird...
naja, ich vermute, ihr seid alle kinderlos... ;-)

also ich hab es grad geschafft, folgendes zu lesen:

marianne fredriksson: eva
-> sehr empfehlenswert, feministisch-archaisch-mythisch-psychologisch.

t.c. boyle: tod durch ertrinken
-> kurzgeschichten, natürlich zum zerkugeln. z.b.: die story über diesen erfinder, der mit der entwicklung der stuhllosen katze den durchbruch schafft...!

michael moore: stupid white men (eher überflogen)
-> naja. nach zwanzig seiten geht der stil etwas auf die nerven... ansonsten, wenn die quellen tatsächlich alle so stimmen sollten und nicht überstrapaziert wurden, von den fakten her ein muss.

....

gelbsucht, die gespenster, das ist das NEUE judith hermann-buch, oder?
das würde mich auch interessieren, wie es dir gefallen hat.

liebe grüsse
charis

cute sushi lunches
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon cute sushi lunches » 02.09.2003, 16:00

Na ja gelbsucht,die meisten dieser Bücher würde ich zu keiner Zeit des Jahres lesen.
Von Wolfgang Büchscher habe ich noch nie etwas gehört,aber Judith Hermann finde ich derartig unsympathisch und hässlich,dass ich nie ein Buch von ihr anfassen würde.Ich hoffe,es hält mich hier niemand für intolerant,auch wenn ich das manchmal schon irgendwie bin.Die Judenbuche,nein danke,das klingt zu sehr nach Schullektüre,
und wenn ein Buch in meinem 10. Klasse Deutschbuch auftaucht,dann mag ich es bestimmt nicht lesen.Schiller fand ich schon immer grauenhaft,und dieses Stück von ihm ist eine weitere Bestätigung dafür.
Ansichten eines Clowns fand ich recht beerindruckend,auch wenn ich es nicht vollständig verstanden habe.Thomas Mann finde ich auch zu anstrengend.

Ich finde es echt interessant,dass es tatsächlich Leute gibt,die sowas in ihrer Freizeit lesen.Das soll jetzt auf keinen Fall etwas gegen sie bedeuten,vielleicht bin ich ja noch zu jung und sprunghaft für solche Literatur.

Na ja egal,jetzt kommt meine Liste,ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Dagmar von Gerdorff - Goethes Mutter (ein Geschenk meiner Oma,das seit Weihnachten bei mir rumlag,und ich war zu faul um zur Bücherei zu gehen,also las ich es,und es war sogar interessant,obwohl mich Goethe an und für sich nicht interessiert)

Jack Kerouac - Unterwegs

Aldous Huxley - Cynthia

Lydia Lunch - Paradoxie

Alfred Andersch - Sansibar oder der letzte Grund (auch dieses Buch flog bei mir herum,
und wieder war ich zu faul um mir etwas anderes zu suchen,aber dieses Buch war echt dämlich)

Lexikon der Serienmörder

im Moment:Joyce Carol Oates - In der Region von Eis

gelbsucht
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon gelbsucht » 02.09.2003, 19:07

Hallo ihr Lieben!
ich tät mir judith hermann wünschen, weil ich noch nie was von ihr bzw. dem buch gehört habe. ist das jetzt eine peinliche wissenslücke??

Nö. Aber vielleicht ein Zeichen dafür, dass dich Bestsellerlisten in der letzten Zeit nicht die Bohne geschert haben. Dabei weiß ich allerdings nicht wie das in Austria aussah. Zumindest in Deutschland war "Nichts als Gespenster" einige Zeit Nummer Eins.
gelbsucht, die gespenster, das ist das NEUE judith hermann-buch, oder?
das würde mich auch interessieren, wie es dir gefallen hat.

Ja, das ist es. Ob der Nachfrage werde ich das Buch als erstes rezensieren. Rechnet in den nächsten Tagen damit.
hm. also mich frisst der neid, was da alles gelesen wird...
naja, ich vermute, ihr seid alle kinderlos...

Ja, kinderlos und orientierungslos, wahllos und schamlos. :-D Aber in Wirklichkeit sieht das nach mehr aus als es ist. Die Judenbuche beispielsweise hat nur fünfzig Seiten ... das liest man zwischen Vesper und Abendbrot.
Na ja gelbsucht, die meisten dieser Bücher würde ich zu keiner Zeit des Jahres lesen. [...] Ich finde es echt interessant, dass es tatsächlich Leute gibt, die sowas in ihrer Freizeit lesen.

Mann, du ziehst ja mal wieder vom Leder!
Judith Hermann finde ich derartig unsympathisch und hässlich, dass ich nie ein Buch von ihr anfassen würde.

Also diesen ganz subjektiven Eindruck kann ich nicht teilen. Mich hat ein Spiegel-Interview mit der Autorin dazu bewegt, "Nichts als Gespenster" zu lesen. Maßgeblichen Anteil an meinem oberflächlichen Interesse an Autorin und Buch, das durch den Artikel ausgelöst wurde, hatten dabei die Fotos. Hässlich? Nein. Ich finde sie auf eine gewisse Art sehr hübsch, sie hat eine sehr smarte und etwas kühle Eleganz. Mir hatte es vor allem der Blick auf den Fotos von ihr angetan – der eine seltsame Scheu und Melancholie auszudrücken schien, aber gleichzeitig von sehr fiel Gefühl und Nachdenklichkeit zeugte. Ich frage mich immer noch, ob das an den Fotos lag, an der Art der Fotographie, also ob es sich um eine geschickte marketingwirksame Illusion handelte oder ob es wirklich vorhanden ist, was ich mir einbildete zu sehen. Aber nach dem Buch zu gehen, ist es wirklich so. Dazu später mehr!
Die Judenbuche, nein danke, das klingt zu sehr nach Schullektüre,
und wenn ein Buch in meinem 10. Klasse Deutschbuch auftaucht, dann mag ich es bestimmt nicht lesen.

In gewisser Weise gebe ich dir Recht. Ehrlich gesagt: zu meiner Schulzeit hätte es mich auch abgehalten. Aber die Perspektiven ändern sich vielleicht, wenn man die Klassenräume hinter sich gelassen hat. Ich sehe auch nicht ein, warum ich mein Leben lang eine Abneigung und ein Vorurteil aufrecht erhalten sollte, nur weil die Pädagogen bei mir einige Schaden angerichtet haben. Darum lese ich auch Sachen, die "zu sehr nach Schullektüre" miefen – um mir mein eigenes Urteil zu bilden. Im Fall von Goethes Romanen "Die Leiden des jungen Werther" und den "Wahlverwandtschaften" hat sich das z.B. wirklich gelohnt.
Schiller fand ich schon immer grauenhaft, und dieses Stück von ihm ist eine weitere Bestätigung dafür.

Na ja, mein Urteil über Schiller ist nicht so eindeutig und streng. Was das Stück "Die Jungfrau von Orleans" angeht, bin ich aber bereit mich deiner Meinung anzuschließen. Es ist mit Abstand das Schlechteste, was ich in diesem Sommer gelesen habe. Einfach viel zu pathetisch und unglaubwürdig -- katholischer Kitsch. Die letzte Verfilmung der Story von "Jeanne d'Arc" ist um einiges besser, fesselnder und historisch genauer. Mal ein Beispiel für die Traumfabrik in Hollywood.
Thomas Mann finde ich auch zu anstrengend.

Probier's doch mal mit der relativ kurzen und flüssig geschriebenen Novelle "Mario und der Zauberer", die ich vor meinem Urlaub in diesem Forum rezensiert habe:

http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=373

Du wirst es nicht bereuen! Glaub mir.
Aldous Huxley - Cynthia

Lydia Lunch - Paradoxie

Zu beiden Titeln würde es mir gefallen, mehr zu erfahren. Von Huxley kenne ich nur seinen berühmten Roman "Schöne neue Welt", den ich abgesehen von den ersten Kapiteln ganz furchtbar fand.
Alfred Andersch - Sansibar oder der letzte Grund (auch dieses Buch flog bei mir herum, und wieder war ich zu faul um mir etwas anderes zu suchen, aber dieses Buch war echt dämlich)

Ein Buch, das ich in der Schule lesen musste. Keine Ahnung. Die Form und der Inhalt – beides schreit nach Langeweile. "Dämlich" ist, denke ich, das passendste Wort dafür.

;-) gelb :-)
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Spiderman
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon Spiderman » 02.09.2003, 21:20

Hola!

Also mich würde auch eine Rezension des Hermann-Buches interessieren. Hab's noch nicht gelesen, war aber seinerzeit von ihrem ersten Buch (Sommerhaus später) sehr begeistert. "Nichts als Gespenster" habe ich v.a. deshablb bisher nicht gelesen, weil ich Angst vor einer Enttäuschung hatte. Vielleicht, gelbsucht, kannst Du mir ja die Angst nehmen.

Was ihr berühmtes Foto angeht: das finde ich ziemlich albern. Kennt jemand Manowar? Das ist eine ziemlich peinliche Heavy-Metal-Band, deren Mitglieder sich mit Vorliebe in Lederunterwäsche mit geölten Muskeln und in Kämpferpose fotografieren lassen. Das Foto von Judith Hermann kommt mir irgendwie ähnlich vor: ziemlich geposed. Es sieht für mich nach der Pose einer hyperlakonischen hypersensiblen weltentrückten Tochter aus gutem Hause, die aber das wahre Leben schon kennengelernt hat, aus. Ich weiß nicht, vermutlich kann Judith Hermann gar nichts für das Foto. Der Fotograf hat es wahrscheinlich einfach geschossen und dann war's auf dem Buchdeckel. Jedenfalls kommt es mir total übertrieben vor.

Was habe ich diesen Sommer gelesen? Ich springe auf den Zug auf: eine Rezension dürft Ihr Euch wünschen.

* David Foster Wallace: Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich. Das ist ein Bericht über eine siebentägige Luxuskreuzfahrt, an der D.F.W. als Journalist teilgenommen hat.

* Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave Ende der 70'er, Anfang der 80'er Jahre.

* Michel Houellebecq: Plattform. Dürfte hinreichend bekannt sein. Die Liebesgeschichte eines Beamten, der als Sextourist unterwegs ist und mit seiner neuen Liebe, ein touristisches Erfolgskonzept entwickelt.

* Paul Auster: Die Musik des Zufalls. Ein Typ auf zielloser Reise durch Amerika liest einen bankrotten Zocker auf, mit dem er sich zusammentut und alles auf eine Karte setzt.

* Nick McDonell: Zwölf. Das Buch wurde in den letzten Monaten ziemlich gehyped, v.a. weil der Autor so verdammt jung (17 Jahre alt) und gut ist. Es geht um einen hochbegabten Drogendealer, um Sex, Drogen, Einsamkeit und Leere.

So viel zum Thema: was Spiderman gelesen hat.

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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon Sick Steve » 03.09.2003, 14:23

Schiller? Böll? Mann? :-D :-D :-D Ich hab' Harry Potter 1 - 4 gelesen, das war gerade so anstrengend und anspruchsvoll, wie ich es zur Zeit eben noch vertrage!
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon razorback » 03.09.2003, 15:00

Von gelb hätte ich auch gerne die Trotzki Biographie - ohne Scherz! Ich besitze sie selbst, habe sie... äh... vor etwa 12 Jahren mal gelesen und das meiste wieder vergessen :-| . Alleine deshalb...

Meine eigene Liste (seit Juni etwa):

Neu gelesen:

J. K. Rowling - Harry Potter and the Order of the Phoenix

Paul Auster - Mond über Manhattan (Hörbuch)

Wieder gelesen:

Sebastian Haffner - Anmerkungen zu Hitler

Yukio Mishima - Patriotismus (Kurzgeschichte die in der neuesten Deutschen Aufmachung so tut, als ob sie eine Novelle sei :-D )

James McPherson - Für die Freiheit sterben (Monographie über den Amerikanischen Bürgerkrieg - bin etwa zu einem Drittel durch)

Das klingt nach viel Lesezeit - ist aber traurig wenig (Haffner und Mishima sind extrem kurz, Auster habe ich auf dem Weg zur und von der Arbeit gehört). Aber mein Urlaub kommt noch... :-))
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon Hamburger » 04.09.2003, 10:48

Hallo razorback!

Ganz speziell interessiert mich, wie dir der Hafner gefallen hat. Über Sebastian Hafner, eine interessante und widersprüchliche Figur, habe ich in letzter Zeit einiges gelesen. Unter anderem sollen seine Anmerkungen zu Hitler laut Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki mit das Beste sein, was je über Hitler geschrieben wurde. Also lautet meine Frage: Kannst du das Buch empfehlen?

MFG,

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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon razorback » 04.09.2003, 14:57

Ja!

Ich würde mich auch MRRs Meinung anschliessen (die mich nichtsdestotrotz etwas wundert - Haffners Buch fehlt gänzlich die "Errottische Komponentä", die Reich-Ranicki doch letztlich immer so wichtig war :-D )

Das Büchlein von Sebastian Haffner besitzt viele viele Vorzüge, die für mich wichtigsten will ich kurz nennen:

1.) Es ist knapp, lesbar, verständlich und - zumindest für den historisch Interessierten - spannend. Es ist in erster Linie ein Buch zum Lesen, weniger eins zum Arbeiten.

2.) Trotz der Kürze seines Werkes bietet Haffner für so ziemlich jede Frage, die sich im Zusammenhang mit Hitler stellt eine Antwort. Es bleibt dem wachen und kritischen Leser überlassen, ob er sich Haffners Erklärungen und Thesen anschliesst. Einleuchtend sind sie alle, überzeugend, so finde ich, die meisten. Die Denkansätze sind teils sehr originell und helfen, vieles zu verstehen.

3.) Haffner schreibt mutig und dadurch aufrichtig. Er scheut sich in den Kapiteln, in denen er sich mit Hitlers Leistungen und Erfolgen auseinandersetzt nicht, Tendenzen eine Absage zu erteilen, die alles was Hitler gesagt und getan hat nur deshalb für falsch zu halten, weil er es gesagt und getan hat:

Zwei plus zwei bleibt vier, auch wenn Hitler zweifelsohne zugestimmt hätte. Das Hitler falsch gerechnet hat, schafft die Zahlen nicht ab.


Diese Offenheit erlaubt es ihm, Hitlers Geschichts- und Menschenbild zu sezieren und es in seiner ganzen mörderischen Absurdität vorzuführen. Hitlers politisches Weltbild nimmt er ähnlich auseinander und zeigt darüberhinaus, dass der politische Hitlerismus mit seinem Antisemitismus von der Logik her nur unter größten Verrenkungen zu verbinden ist. Möchte man den Argumenten des (Neo)Nazismus argumentativ begegnen, so ist man mit diesem Buch besser bedient als mit irgend einem Werk, das vor allem der Political Correctness verpflichtet ist. Und nebenbei räumt Haffner auch mit einigen scheinbar unausrottbaren Stereotypen ("jüdische Rasse", "Die Geschichte ist eine Geschichte des Kampfes" etc.) auf.

4.) Haffner zeigt klar, dass Hitler nicht nur eine politische Figur, sondern einfach auch ein wahnsinniger Massenmörder im kriminalistischen Sinne war. Das klingt so selbstverständlich, aber wenn man hört wie (bis heute zuweilen) immer noch die Opfer des Holocaust gegen beispielsweise Deutsche Bombenopfer aufgerechnet werden, so ist es sehr erhellend vorgestellt zu bekommen, dass die Morde an Juden etc. eben keine "Kriegsverbrechen" sondern schlicht und einfach fabrikmässiger Massenmord waren.

Und all das in Haffners typischem Stil, den ich ob seiner Klarheit und Präzision liebe. Ich will nicht verschweigen, dass einige von Haffners Thesen auch sehr umstritten sind. So gibt es Stimmen, die dem Buch vorwerfen es führe das ganze Dritte Reich und alles, was in ihm geschah mehr oder weniger Monokausal auf Hitler zurück. Andere bestreiten Haffners These, dass Hitler zuletzt die Deutschen ebenso vernichten wollte wie seine vorherigen Opfer. Wie gesagt - das Buch will kritisch gelesen werden (Ich neige trotzdem eher Haffner zu, als seinen Kritikern). Ausserdem hat es ein paar Jährchen auf dem Buckel, die Bezüge auf in den 70er Jahren aktuelle Historikerdebatten wirken etwas angestaubt. Aber es ist absolut erhellend uneingeschränkt empfehlenswert und darüberhinaus preiswert und an einem Nachmittag zu lesen. Was will man mehr.Und es wird nicht langweilig. Ich lese es - immer wieder mit Gewinn - mindestens einmal im Jahr (ebenso übrigens wie Haffners "Preussen ohne Legende).

WARNUNG! Fast hätte ich es vergessen: Sollten dies Junghistoriker lesen - bloss nicht im Studium auf Haffner berufen. Ich habe das in einem Seminar mal gewagt - puh. Die Druckwelle, als der Professor explodierte, war vermutlich noch in Peking zu spüren. Dabei ging es gar nicht darum ob das was ich (bzw. Haffner) gesagt hatte richtig oder falsch war. Alleine der Name Haffner ist für manchen Prof ein rotes Tuch. Hat nicht Geschichte studiert, der Mann! Frechheit, das ! :-D :-D :-D
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon cute sushi lunches » 09.09.2003, 16:58

Huxley - Cynthia

Du magst Schöne neue Welt nicht,Dirk?
Cynthia würde dir wohl auch nicht gefallen,
denn es ist für meine Begriffe recht typisch für Huxley.Es ist eine kleine Sammlung von Kurzgeschichten.Sie erzählen zum großen Teil auf zynische Weise vom Leben und Schein und Sein der Reichen und Schönen aus Huxleys Zeit.Er macht sich vielfach einfach lustig über die Oberflächlichkeit und Dummheit seiner Generation.
Allerdings schreibt er auch über die Armen und die Leidtragenden des Zweiten Weltkrieges,und dies auf eine sensible und gleichzeitig grausame Weise.
Lesen tut es sich wunderbar,der Stil ist flüssig aber nicht anspruchslos.Vielleicht wär's ja doch einen Versuch wert.

Lydia Lunch - Paradoxie

Lydia Lunch ist eine Künstlerin aus Amerika,die recht schräge Musik und Filme macht und noch komischere Bücher schreibt.
Paradoxie ist eine Art autobiographischer Roman.Sie schreibt über ihre Kindheit und Jugend,in der sie von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde.Wahrscheinlich als Folge davon bekam sie ein recht seltsames Verhältnis zu Männern.Sie beschreibt das so:

Rücksichtslos eigensinnig und egoistisch.
Ein von Instinkt getriebenes Tier.Immer auf der Jagd nach dem nächsten leckeren Happen,dem nächsten nichtsahnenden Opfer,der nächsten einfältigen Unschuld.Im Prinzip will ich nicht verstümmeln oder töten,sondern befriedigen.Mich befriedigen.
Wenn das auf Kosten eines anderen geschieht,seines Stolzes,seiner Eitelkeit oder gar seiner Existenz,auch gut.Ich war immer aufrichtig.Zu mir.

Obwohl das recht spannend klingt,artet das Buch immer mehr zu einer Sex-und Gewalthymne aus,die irgendwann einfach aufhört.

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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon gelbsucht » 19.09.2003, 01:29

Hallo Leutz,
Das Foto von Judith Hermann kommt mir irgendwie ähnlich vor: ziemlich geposed. Es sieht für mich nach der Pose einer hyperlakonischen hypersensiblen weltentrückten Tochter aus gutem Hause, die aber das wahre Leben schon kennengelernt hat, aus. Ich weiß nicht, vermutlich kann Judith Hermann gar nichts für das Foto. Der Fotograf hat es wahrscheinlich einfach geschossen und dann war's auf dem Buchdeckel. Jedenfalls kommt es mir total übertrieben vor.

Aber das merkwürdige ist, dass sie anscheinend auf allen Fotos so aussieht. Okay, lassen wir es. Ist ohnehin immer etwas spekulativ, jemanden nach der Außenfassade zu beurteilen (obwohl wir das natürlich tagtäglich tun, ohne darüber nachzudenken). Auf jeden Fall möchte ich nicht wissen, was einer von mir hält, wenn er mich nicht kennt und ein paar Fotos von mir in die Hände kriegt.
Was habe ich diesen Sommer gelesen? Ich springe auf den Zug auf: eine Rezension dürft Ihr Euch wünschen.

Also, Spidertom, ich würde gern mehr über den Auster erfahren.
Von gelb hätte ich auch gerne die Trotzki Biographie - ohne Scherz! Ich besitze sie selbst, habe sie... äh... vor etwa 12 Jahren mal gelesen und das meiste wieder vergessen. Alleine deshalb...

Siehe Thread "Weites Land" ...

http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=417

Du magst Schöne neue Welt nicht, Dirk?

Nö, und wenn ich mich richtig des Vorwortes erinnere, dann hatte der Autor später selbst auch ein gespaltenes Verhältnis zu dem Buch, das ihn weltbekannt gemacht hat. Und wie fällt dein Urteil darüber aus?
Cynthia würde dir wohl auch nicht gefallen, denn es ist für meine Begriffe recht typisch für Huxley.

Ich weiß nicht, was typisch für Huxley ist. Ich habe ja nur "The brave new world" und "The doors of perception" gelesen. Ich würde ihm durchaus noch eine Chance geben – ich merke mir mal "Cynthia" vor.
Ich hab' Harry Potter 1 - 4 gelesen, das war gerade so anstrengend und anspruchsvoll, wie ich es zur Zeit eben noch vertrage!

Sick Stevo – also mich würde ja wirklich mal interessieren, was ein Psychobilly-Gitarrist-und-Sänger von einem Kinder- und Jugendbuch wie "Harry Potter und der Stein der Weisen" hält, und was ihn (abgesehen von dem Trend und Hype um die Bücher und die Autorin) dazu gebracht hat, es zu lesen. Wenn du dazu was schreiben magst, dann mach aber dafür ein neues Thread auf. Ich kann mir vorstellen, dass es zu diesem Thema eine größere Resonanz/Diskussion gibt.

;-) gelb :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

malino
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Re: Und was hast du in diesem Sommer gelesen?

Beitragvon malino » 30.09.2003, 01:43

Hallo,
will mit etwas Verspätung auch bei euch mitspielen und sagen, was ich diesen "Sommer" alles gelesen habe - der Sommer war lang.

Habe AUCH gelesen

Nick McDonald "Zwölf" - wie Spidertom
Gar net schlecht fand ich des!

Jack Kerouac - "Unterwegs" wie Cuty. Kennt ihr bestimmt alle, ihr Bildungsjunkies, oder? Hat mir auch sehr gut gefallen.

Habe angefangen - Ingeborg Bachmann - "Malina"
fand diese Beschreibung weiblicher Neurosen weitaus interessanter als ich immer befürchtet hatte, leider ist mir aber bei der Hälfte des Buches ein anderes dazwischen gekommen:

Alex Garland - "Der Strand". Verfilmt als "the beach" mit Leo DiCaprio, dessen schauspielerisches Talent ich seit "Gilbert Grape" verteidige. Trotzdem fand ich den Film recht mies, umso positiver überrascht war ich von dem Buch. Sehr spannend und eine gute Sache für unintellektuelle Phasen. Keine Chance für Ingeborg...

Aglaja Veteranyi - "Das Regal der letzten Atemzüge". Grandios dichte, aufregende lyrische Prosa. Hätte nicht gedacht, dass ich die letzten drei Wörter mal zusammen in einen Saz packen würde, aber diesem Buch erweise ich die Ehre. Vielleicht ein Frauen-Buch, aber auch für Frauen mit y-Chromosom.

Judith Hermann - "Sommerhaus - noch später"
Ne, tut mir leid, das erste war groß, aber "Nichts als Gespenster" hat mich einfach nur gelangweilt. "...und sie rauchte eine Zigarette." Ich hab diese selbsverliebte, orientierungslose Passivität irgendwie satt. Das Schlimme ist, das ich manchmal Sätze schreibe und denke, scheiße, woran erinnert mich das bloß. Ist schon der "Sound" meiner Generation, aber vielleicht geht mir ja auch meine Generation auf die Nerven, inklusive mir selber?

Ach, ja, noch eins für Gelbsucht:
ETA Hoffmann: "Das Fräulein von Scudéry", kennst du das? Für die, die wissen wollen, von wem Patrick Süskind für das Parfum abgeschrieben hat.. Hoffmann war seinerzeit Bestsellerautor, das merkt man dem Buch an, es ist äußerst spannend und verwickelt. Nur leider so verwickelt, dass die Lösung etwas an den Haaren herbeigezogen scheint.

Ein letztes fällt mir ein, das ich erwähnen möchte: Gabriel Garcia Marquez: "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" Hat mir meinen Glauben in den Glanz des allwissenden Erzählers zurückgegeben - ein einziges großes Vergnügen.

Schöne Grüße,
malino


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