Prosaische Lyrik, lyrische Prosa - das and. Extrem

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Hamburger
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Prosaische Lyrik, lyrische Prosa - das and. Extrem

Beitragvon Hamburger » 08.12.2003, 17:37

Hallo liebe Diskutanten!

Eigentlich habe ich es immer gewusst, dass sich alles irgendwann einmal rächen wird. Schon als Kind habe ich es erahnt und auch als jugendlicher Literaturliebhaber mehr erfühlt, dass alle Urteile, die ich je über Literaten gesprochen habe, einmal auf grausamste Art und Weise auf mich zurückschlagen werden. Und wenn nicht alle Urteile, dann doch immerhin die, die einen ganz bestimten Bereich betreffen.

Marquis de Sade hat einmal, sicherlich eine nicht ganz unpassende zeitgeschichtliche Person was dieses Buch betrifft, nach seiner Verhaftung (wegen ausgebübten Sadomasochismus der damals noch gar nicht so hieß) auf den ihm entgegengeschleuderten Satz seiner Häscher, nun würden ihm alle Gespielinnen, die er durch seine Praktiken schänden könnte, im Kerker vorenthalten bleiben, sinngemäß gesagt: "So könnt ihr mich nicht brechen. Nur wenn ihr mir alles gebt, wenn ich alle meine Lüste und Leidenschaften ausleben kann - und das mehrmals, bis sie mir alle fad geworden sind, erst dann werdet ihr sie mir ausgetrieben haben."

Tja, was hat das mit mir zu tun? Ganz einfach. Jahrelang habe ich, insbesonders und vor allem in meiner Rolle als Kritiker von Texten und Gedichten bei O livro - zwar kam ich nicht so oft dazu, aber es ist ja auch nicht so, dass ich mich gar nicht eingemischt hätte - wenn mir etwas nicht gefiel vor allem eines scharfzüngig analysierend kritisiert: Das war mir zu platt. Da sind zu wenig Bilder. Da kann ich mich nicht reinversetzen. Das ist oberflächlich, weil keine Bilder da sind. Wo sind die Bilder, wo?, etc, etc., etc.

Und jetzt habe ich dieses Buch gelesen, genau wie ihr, und eine Bilderflut hat mich überwältigt. "Metapherkaskaden", ja, das trifft es Silentium. Eine 5000köpfige Bilderhydra, mindestens drei Metaphern pro Absatz, teilweise drei in einem Satz und ich bin ehrlich gesagt fast daran zugrunde gegangen. Ich habe, da mich viele Metaphern sehr berührten aber leider auch ekelten, sogar körperliche Reaktion gezeigt und bei der Repitierung des Erika-Briefes von Walter Klemmer....gekotzt. Sogar zweimal. So sehr hat mich das teilweise angeekelt.
Und da liest man von euch in der bisherigen Diskussion so nebensächlich, das war ja ein bisschen anstrengend zu lesen und die Frau hätte ja auch Lyrikerin werden können und so...
Bitte? Also diese Erkentnisse reichen ja wohl für einen eigenen Thread! Die Jelinek hätte nicht, die sollte sofort Lyrikerin werden! Sie war nicht ein bisschen anstrengend zu lesen, sie war (sprich das Buch) ein körperliches Erlebnis zu lesen. Ich habe mich vor etwas längerer Zeit entschlossen, das Buch am Stück wegzulesen als ich merkte, ich komme mit der Taktik der Häppchen nicht weiter, denn die Geschichte ist ja durchaus spannend erzählt.
150 Seiten habe ich da an einem Tag geschluckt, es war nicht schrecklich, auch nicht schön, es war - ich weiß nicht, merkwürdig. Ich fühlte mich wie durch Blei beschwert und meine Magensäfte brodelten. Selten habe ich ein Buch derart intensiv erlebt wie dieses. Und noch seltener fiel mein Urteil inhaltlicher Natur (dazu jedoch morgen in einem neuen Thread mehr)
als auch stilistischer Natur gemischter aus.
Was aber den Stil angeht, so werde ich es mir schwer überlegen noch einmal Jelinek zu lesen. Jedes Gedicht kommt mir danach so lächerlich platt vor und manches (Kloszene) will ich mir gar nicht so genau vorstellen können. Ausserdem nutzten sich einige Metaphern zwar ab, wurden aber (ich fand für meinen Teil den "aufgeblähten Schwanz" besonder abstoßend) mit der Zeit immer ekliger.
Intensität ist ja gut und schön und ich tue Buße sie immer im Übermaß verlangt zu haben, aber eine Möglichkeit sich während des Lesens maßvoll auszuruhen weil einfach nur die Handlung simpel und unspektakulär vorangetrieben wird wäre mir ebenfalls sehr willkommen gewesen.
Ich habe, das gebe ich offen zu, manche Bilder die ich nicht gleich verstand, nicht mehr intensiver untrsucht gegen Ende des Buches. Das hätte mein Körper nicht mehr mitgemacht.

Dieser Stil, so these ich nun zum Abschluss und weiß ich werde auf Widerspruch treffen, ist einfach des Guten viel zu viel.
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

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