CKLKH Fischers "Grosse Kannibalenschau"

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Sibylle
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CKLKH Fischers "Grosse Kannibalenschau"

Beitragvon Sibylle » 09.09.2011, 09:11

Der Titel klingt reißerisch, aber das Buch hat die Aufmerksamkeit, die ein solcher Titel erzeugt, sehr wohl verdient. Es beginnt ganz harmlos, mit einer gutbürgerlichen Szene am Sonntagmorgen beim Frühstück, im Jahr 1899. Heinrich Herrmann, der eben erst von einer kräftezehrenden Reise aus Deutsch-Neuguinea zurückgekehrt ist, geniesst die Ruhe, seinen Kaffee und die Zeitung, als das Dienstmädchen ihn mit der Meldung aufschreckt, er müsse sofort in den Zoo, seine Wilden würden streiken.
Die Reise nach Deutsch-Neuguinea hatte nämlich den Zweck, für die beliebten Völkerschauen des Zoos Hagenbeck neue Wilde zu finden. Das war für den Agenten gar keine einfache Aufgabe, denn die Sensationslust der europäischen Zoobesucher verlangt nach immer neuen, noch exotischeren Wilden, die aber nicht allzu gefährlich sein dürfen, sonst werden sie für den Zoo zum Sicherheitsrisiko. Und da die Konkurrenz auch nicht schläft, musste Heinrich Herrmann noch gegen den Kollegen aus Paris durchsetzen. Nun hat er also seinen Stamm Kopfjäger gegen alle Widrigkeiten nach Hamburg gebracht, doch hier fangen die Probleme erst an...

Die Vorstellung, fremde Völker in Zoos und Variétés zur Belustigung der Massen auszustellen, wirkt heute barbarisch, dies war aber vor noch nicht allzulanger Zeit in Europa durchaus üblich. Das war mir zwar bewusst, trotzdem war ich etwas überrascht, als meine Großmutter mir beiläufig erzählte, sie habe in ihrer Kindheit noch die „Lippennegerinnen“ im Zoo Basel gesehen. 8-) Das war damals ein großes Spektakel, da wurde im Zoo extra ein „Eingeborenendorf“ aufgestellt, für das man separaten Eintritt zahlen musste, um dann den Wilden beim Kochen, Essen und Tanzen zusehen zu können. Universitäten und Museen nutzten die Gelegenheit für Studien und fertigten, falls eines der Ausstellungsstücke am ungewohnten Klima oder einer Krankheit starb, auch gerne anatomische Präparate an. Die Wilden wurden zwar selten gewaltsam verschleppt, in der Regel wurde mit dem lokalen Häuptling, König oder Stammesführer über die Reise verhandelt, aber die wenigsten hatten eine Ahnung, was auf sie zukommen würde, noch konnten sie sich gegen Misshandlung zur Wehr setzen.

Genau an diesem Punkt setzt CKLKH Fischer mit seiner „Grossen Kannibalenschau“ an, indem er die Rollen vertauscht. Weil sich seine Wilden einen Anwalt nehmen und auf ihre Vertragsrechte pochen, bringen sie die gängigen Vorstellungen von wild und zivilisiert durcheinander und sorgen für wunderbar skurile Momente. Der Autor spielt gekonnt mit den Klischees, lässt großartige Bilder entstehen und immer wieder ins Absurde kippen. Besonders gelungen ist die Szene eines gutbürgerlichen Geburtstagsfestes, bei dem sich die biederen Hamburger Bürger unerwartet den Südseeinsulanern gegenübersehen und sich so gar nicht kultiviert benehmen. :-D

Fazit: großartige Unterhaltung, die auch zum Nachdenken anregt.

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