Empört Euch!

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berkali
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Empört Euch!

Beitragvon berkali » 10.10.2011, 16:46

Ich las kürzlich das Büchlein von Stéphane Hessel "Empört Euch!" Im Ullstein-Verlag erschienen. Der 1917 geborene Berliner und ehemaliger französischer Diplomat beklagt, dass der Finanzkapitalismus die Werte der Zivilisation bedroht und den Lauf der Welt diktiert und ruft zum friedlichen Widerstand auf. Er hat ja so recht. Bisher haben wir nur den Anfang der Menschheitsgeschichte geschrieben - für die Fortsetzung ohne Gewalt und Kriege sind wir doch alle verantwortlich! Oder nicht? Und wenn man nur ein wenig weiterdenkt - so vieles dreht sich im Kreise. Und so viele Ausweichmanöver vor ernsten Problemen. Vor allem: Wer schreibt die nächsten Seiten der Menschheitsgeschichte? Wer diktiert den Inhalt? Immer wieder dieselben Finanzkraken, die ganz oben sitzen und im Grunde genommen die Politik bestimmen? Ist es nicht an der Zeit, darüber mehr nachzudenken?
Gruß von berkali

DanBrown
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Re: Empört Euch!

Beitragvon DanBrown » 16.10.2011, 18:41

Klingt nach äußerst tagesaktueller Lektüre! Die Demos gegen die Wall Street und Konsorten werden ja immer mehr, richtig so!

berkali
Medusa
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Re: Empört Euch!

Beitragvon berkali » 16.10.2011, 19:46

Bevor das Licht ausgeht...

Donnerwetter, selten ist ein Buchtitel so hereingeplatzt in die gesellschaftliche Realität wie dieser von Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts.“ Einer, der aus dem Morgenrot Kommenden landet in der Abenddämmerung der Gegenwart. Mehr noch: In zunehmender Herbstkälte! Ohne diese Lektüre eines Schriftstellers aus den östlichen Gefilden zunächst gelesen zu haben, ahnt jeder Schlaukopf, wohin gegenwärtig der entlarvende Schuß mit dem sich abschwächenden Licht in Wirklichkeit geht. Da sind wir nämlich längst drin, in dieser Zeit. Denn seit das östliche Licht nicht mehr leuchtet, ist auch die Abendsonne am Horizont auf ewig am Verschwinden.

Manchen einstigen DDR-Bürgern gingen gleich nach der „Wende“ die Augen auf, so z. B. der ehemaligen Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Sie setzte alles daran, so sagte sie damals, eine andere Gesellschaft zu erreichen, und sie merke (…), das sei ja alles noch viel schlimmer, perspektivloser, ressourcenvergeudender und unsozialer als damals.

Wer wüßte und spürte das nicht: Europa ist krisengeschüttelt, das Kapital sucht krampfhaft mit einem gewaltigen „Rettungsschirm“ nach Auswegen, um zu überleben. Soziale Kämpfe erschüttern in riesigem Umfang die Ränder Europas. Siehe die spanischen Massenproteste, die Forderung nach tatsächlicher Demokratie, danach, beteiligt zu sein bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. So sieht es bei allen Protesten aus. Auch in Deutschland: Stuttgart 21 und der berechtigte enorme Widerstand im Südosten Berlins gegen das zukünftige Drehkreuz in Schönefeld, das so nicht geplant war, gegen Fluglärm und Nachtflugverbote von 22 Uhr bis 06 Uhr früh.

Horrorszenen? Ja, solange diesem verbrecherischen und kriminellen Tun nicht eine Mauer des Widerstandes entgegengesetzt wird. Insofern sind die Verleugnungen der positiven Errungenschaften der östlichen Länder, das Abschmettern jeglicher humanistischer Anliegen wie die Enteignungen der Betriebe und der großen Gutsherren auf dem Gebiet der DDR, dies sogar als Verbrechen zu bezeichnen, ein gewaltiger krimineller Akt. Auch menschenrechtsverletzend, so die Kriege. So schreibt Sahra Wagenknecht: „Krieg ist die größte Menschenrechtsverletzung, und mit Krieg wird nie ein Problem gelöst. Das steht auch im Programm, daß wir sehr deutlich sagen: Dieses ganze Humanitätsgerede, was steht da eigentlich dahinter, was sind eigentlich die ökonomischen Interessen hinter diesen Kriegen?“

Abnehmendes Licht! Und wie das in die aktuelle Situation paßt: Da hat soeben die an den Ketten der Finanzmacht liegende Justiz dem Widerstand des Volkes ein klares und kaltschnäuziges Nein zum Nachtflugverbot entgegengeschmettert. Eine Absage an den Volkswillen, eine bodenlose Ignorierung der Fakten, die dem engegenstehenden. Da tritt er glasklar hervor, der schier unüberwindliche Widerspruch zwischen Wirtschaftsinteressen und der Gesundheit der Menschen. Ein Grundkonflikt, siehe ebenso der Widerstand Hunderttausender gegen die Machenschaften der Banken und Konzerne.

Soviel steht fest: Die im Süden und Südosten Berlins wohnenden und arg Betrogenen und schikanös Behandelten wissen es schon jetzt besser: Laut Meinungen von Experten kann es wohl nunmehr keine juristische Konfliktbereinigung mehr geben. Deshalb werden sie ganz sicher den Horrorszenen von ganz oben zunehmend und verschärft Paroli bieten. Zunächst – so kann man vermuten – wird es wieder eine Menschen- und Lichterkette um ein bestimmtes Amt geben. Ob den Insassen dabei nun endlich einmal ein Licht aufgeht? Man kann ja noch wörtlich hinzufügen „Wegtreten!“ Oder durch ein härteres Wort ersetzen… Ehe alles Licht verlischt!!
Gruß von berkali

hginsomnia
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Re: Empört Euch!

Beitragvon hginsomnia » 17.10.2011, 02:01

Das klingt ja recht umfassend, aber auch gleichzeitig wie in einen Topf geworfen.

Der konstruktiven Unruhe der gegenwärtigen Bewegung kann ich etwas abgewinnen, insofern, als dass ich sie derart konstruktiv finde, wenn sie neue Symbole schafft, die einem Protest ein (globales) Gesicht geben. Zwar fehlt dem Ausdruck noch die klare Ordnung, aber es ist m.E. nicht unbeachtlich, dass die Bewegung ausgerechnet in den U.S.A. ihren Ursprung fand, die, bei aller wirtschafltichen Schwäche, noch immer der Meister der Symbolik sind. Hier bleibt mir also die Hoffnung, der Protest möge sich im ersten Schritt global verfestigen und einen zweiten Schritt der Planung einleiten (eine vlt. naive Hoffnung, ich weiß).

Stuttgart 21 dagegen ist ein regionales Phänomen, dass sich eigentlich nur im bürgerlichen Ungehorsam mit Occupy Wall Street in Verbindung setzen lässt, nicht aber bezüglich der Dringlichkeit des Problems. Ich für meinen Teil habe Stuttgart 21 nicht begreifen können. Es war mir schlicht nicht möglich. Es wirkte auf mich wie eine regionale Bürgerbewegung, die medial zum Ausdruck der Politikverdrossenheit aufgeblasen wurde. Offensichtlich funktionierte das aber gut, denn es vergeht keine Talk-Show zum Thema, die nicht vom 'Wutbürger' spricht. Ich finde den Protest gegen den Bahnhof aus der Ferne etwas albern, aber das muss er nicht zwingend sein. Mir fehlt allerdings völlig die Identifikationsmöglichkeit, weshalb ich glaube, es ist nicht gut, singuläre Bürgerbewegungen gegen Bauvorhaben als strukturellen Protest auffassen zu wollen. Eine gewisse indifferente Unzufriedenheit ist natürlich schon auszumachen, aber sie scheint mir auf Dauer sogar kontraproduktiv wirken zu können; jedenfalls besteht die Gefahr.

Zu den Linken soviel: Von ihnen müsste ich eine strukturelle Antwort erwarten können, nur wohin ich blicke, sehe ich nichts. Die Linken bringe ich nun gar nicht mit den Protesten in Verbindung, außer natürlich dergestalt, dass ich sehe, dass sie sich gerne ihrer Strahlkraft bedienen möchten (es scheint ihnen nicht zu gelingen). Gleichsam funktionieren die Linken auch nicht als Protestpartei (da Piraten schon eher), da dies bedeutete, sie würden einige Faktoren innerhalb der Machtmechanismen, deren Teil sie sind, verändern wollen, um so die politische Struktur in einen anderen Zustand zu bringen (so wie es die Piraten, wenn auch für meinen Geschmack reichlich dämlich, zumindest propagieren). Hinsichtlich ihrer Transparenz sind nämlich die Linken den anderen Parteien ebenbürtig; wahrscheinlich stehen sie sogar noch hinter ihnen.

Zum Krieg nur eine Frage:

Angenommen wir haben Krieg. Wie wäre er zu beenden?


Soviel für's erste,

LG
hginsomnia

berkali
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Re: Empört Euch!

Beitragvon berkali » 17.10.2011, 12:52

Hallo hginsomnia,
interessante Gedanken von Dir. Krieg? In jedem Fall verhindern, dann brauch man ihn auch nicht beenden. Regionales? Alle Spuren der Mißhelligkeiten weltweit führen immer nur zu einer tieferen Ursache. Wenn selbst ein Geißler in Stuttgart während einer Show das Wort Profitmaximierung in den Mund nimmt... Kaum einer scheut sich noch, das Wort Kapitalismus zu verwenden. Selbst die Dümmsten nicht. Ein Tipp: Lies mal heute in der jungen welt, da schreibt Werner Pirker unter der Überschrift "Global change now?" zu diesem ganzen Problem. Die Oberen können sich noch lächelnd geben: Noch ist das keine Weltrevolution!!
Gruß von berkali

hginsomnia
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Re: Empört Euch!

Beitragvon hginsomnia » 20.10.2011, 03:05

Hi berkali,

das ist mir zu einfach gedacht, so, als könnten wir die Verhinderer spielen. Daher bleibt die Frage: Angenommen es ist Krieg. Wie wäre er zu verhindern?

Wir können sehen, was passiert (in Libyen z.B.) oder auch wegsehen (in weiten Teilen Afrikas gerne und immer wieder - ein Blick nach Sierra Leone reicht aus, um zu wissen, was wir nicht sehen wollen). Sprich: Wollen wir wegsehen oder eingreifen (und dann auch militärisch und flächendeckend)? Die Frage der Verhinderung stellt sich vielfach nicht. Um eine Struktur des Friedens zumindest wahrscheinlich zu machen, ist die Wahl der Mittel nicht pauschal zu be- und verurteilen.

berkali hat geschrieben: Regionales? Alle Spuren der Mißhelligkeiten weltweit führen immer nur zu einer tieferen Ursache.


Da sage ich schlicht: Nein. Auch das ist viel zu einfach gedacht. Ein Beispiel: Angenommen, ich setzte mich dafür ein, dass ein alter Gutshof erhalten bleibt, obwohl die Kommunalpolitiker beschlossen haben, diesen abzureißen, und ich organisiere Protest gegen diesen Abriss. Ist das nicht doch eher monokausal? Muss ich deswegen ein 'Wutbürger' sein? Vertraue ich deswegen der Politik im Ganzen nicht mehr?

Für mich sind die Antworten klar: Kann sein, kann aber auch nicht sein. Der Protest als solcher ist nicht pauschal beschreibbar, weil auch der Protestler nicht auf ein Motiv reduziert werden kann.

berkali hat geschrieben:Wenn selbst ein Geißler in Stuttgart während einer Show das Wort Profitmaximierung in den Mund nimmt


Was soll das denn heißen: "Selbst ein Geißler"? Wenn selbst ein Attac-Mitglied ...? Ja, wenn nicht ein solches, wer denn sonst?

berkali hat geschrieben: Ein Tipp: Lies mal heute in der jungen welt, da schreibt Werner Pirker unter der Überschrift "Global change now?" zu diesem ganzen Problem.


Und er sagt, wie ich erwartet habe, gar nichts aus; schlimmer noch: er sucht überall Verknüpfungen, er sucht die einfache Vereinnahmung aller Proteste der letzten Zeit, wie sie m.E. nicht möglich ist. Was ich sehe ist: Populistische Phrasendrescherei ohne Relevanz. Sonst sehe ich nichts!

LG
hginsomnia

Berberitze
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Re: Empört Euch!

Beitragvon Berberitze » 16.04.2012, 11:27

DanBrown hat geschrieben:Klingt nach äußerst tagesaktueller Lektüre! Die Demos gegen die Wall Street und Konsorten werden ja immer mehr, richtig so!

Die Lektüre ist tatsächlich tagesaktuell, aber ... nichts neues ... also, ich habe mich beim Lesen gelangweilt. :-&
Ich hasse und ich liebe – warum, fragst du vielleicht.
Ich weiß es nicht. Ich fühl’s – es kreuzigt mich.
Catull


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