Volker Hage – Zeugen der Zerstörung

Was liest Du gerade? Was kannst Du empfehlen? Was war ein Reinfall? Benutze dieses Forum, um Deine eigenen Rezensionen zu publizieren.
solneman
Erinye
Beiträge: 21
Registriert: 15.11.2003, 20:33

Volker Hage – Zeugen der Zerstörung

Beitragvon solneman » 02.02.2004, 02:34

Volker Hage – Zeugen der Zerstörung Die Literaten und der Luftkrieg

W.G. Sebald hat in einigen Vorlesungen vor seinen Studenten die These aufgestellt, dass „die deutsche Nachkriegsliteratur“ „fast total“ „zum alliierten Bombenkrieg geschwiegen“ habe. Sebald konnte zu dieser These kommen, weil er die wichtigsten Werke, die tatsächlich relativ kurze Zeit nach dem Krieg genau zum Thema erschienen sind, einfach nicht zu Kenntnis genommen hat, allen voran Gerd Ledigs „Vergeltung“.

Sehr zurecht hat sich nun Volker Hage darangemacht, genau diese völlig aus der Luft gegriffene These gründlich zu widerlegen. Überzeugend gelingt ihm der Beweis, dass der Eindruck des Schweigens weniger von der Anzahl der geschrieben Bücher entstanden ist (das waren wenige, aber was für welche!), sondern eher daher, dass diese Bücher vom Nachkriegspublikum nicht oder nur sehr wenig gelesen und von den Zeitungen nicht besprochen wurden. Wer wollte es denn schon so genau wissen, was da einer im Bombenkeller bei den Angriffen und unmittelbar danach erlebt hat? Fast alle überlebenden Zeitgenossen, zumal in den größeren Städten, hatten in ihrer Grauenhaftigkeit ähnlich schockierende und eine Menschenseele lebenslang unheilbar beschädigende Bilder gesehen.

So unhaltbar die These Sebalds also war, so nutzbringend hat sie gewirkt, denn nun ist nach langer Zeit offenbar wieder ein Thema geworden, worüber so lange nicht geredet werden konnte: Die „Deutschen als Opfer“. Als hätten „die Deutschen als Täter“ angesichts der industriellen Tötung von Millionen Unschuldiger in den Konzentrationslagern nun nicht wirklich genug und für alle Zeiten zu schweigen! Seltsam verknotet flechtet Hage sowohl bei seinem einleitenden, lohnenswerten Essay als auch bei den vielen Interviews mit zeitgenössischen Autoren den politisch korrekten Hinweis auf dieses Thema ein, und es ist deutlich abzulesen, dass es ihm wohl lieber gewesen wäre, es ganz umgehen zu können. Es ist eben nicht leicht, Auschwitz mitzudenken. Aber es ist immer noch bitter nötig!

So bleibt – bei aller Verdiensthaftigkeit dieses Buches und seiner lobenswerten, weiter ins Thema führenden Bücherliste am Schluss – als Einwand immer noch das bestehen, was nach dem Krieg die Deutschen zurecht zum Schweigen gebracht hat: Solange nicht auch die Geschichte des letzten Nazi-Opfers erzählt, beklagt und betrauert worden ist, hat kein Deutscher das Recht, auch nur Piep zu sagen zum kleinsten Kratzer, die ihm eine alliierte Bombe wie auch immer zugefügt hat – heißen diese Deutschen nun Wolf Biermann, Monika Maron oder Walter Kempowski.

Zurück zu „Rezensionen“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 41 Gäste