Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

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hginsomnia
Klio
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Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Beitragvon hginsomnia » 25.11.2012, 14:55

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Eine Skizze nur, gerade über 10 Seiten lang, aber was für eine:

"... Es gibt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, dass ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht. Andere Leuten setzten unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sin sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum ..."

Brauche ich mehr sagen? Es geht um den Tod, aber eben um einen solchen, wie ihn der Lyriker sieht und der LYriker Rilke scheint hier durch alle Sätze. Ich kannte die Skizze und hatte sie doch nicht mehr im Sinn. Man kann nicht so wenig Zeit haben, diese wenigen Seiten nicht zu lesen, also lesen Sie bitte Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke.

DerBaum
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Re: Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen ....

Beitragvon DerBaum » 25.11.2012, 15:00

Vor allem aber schien den Hunden der Aufenthalt in einem Raum, wo alle Dinge rochen, ungemein anregend. Die großen, schmalen russischen Windhunde liefen beschäftigt hinter den Lehnstühlen hin und her, durchquerten in langem Tanzschritt mit wiegender Bewegung das Gemach, hoben sich wie Wappenhunde auf und schauten, die schmalen Pfoten auf das weißgoldene Fensterbrett, gestützt, mit spitzem, gespanntem Gesicht und zurückgezogener Stirn nach rechts und nach links in den Hof. Kleine, handschuhgelbe Dachshunde saßen, mit Gesichtern, als wäre alles ganz in der Ordnung, in dem breiten, seidenen Polstersessel am Fenster, und ein stichelhaariger, mürrisch aussehender Hühnerhund rieb seinen Rücken an der Kante eines goldbeinigen Tisches, auf dessen gemalter Platte die Sèvrestassen zitterten.


Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge


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