Peter Handke: Die linkshändige Frau

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Joachim Stiller
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Peter Handke: Die linkshändige Frau

Beitragvon Joachim Stiller » 30.09.2013, 12:39

„Die linkshändige Frau“ von Peter Handke

Die Erzählung von Peter Handke erschien 1976 und ist ein Arbeitsergebnis aus seinem Drehbuch zum gleichnamigen Film. Erzählt wird die Geschichte einer Ehekrise. Eine uns zunächst unbekannte Frau kündigt spontan ihre Ehe auf, um sich selber zu entdecken. Später erfahren wir dann, dass sie Marianne heißt, eine Frau, die, durchaus im Kontext zum Titel, ohne jede Eigenschaften bleibt, verheiratet mit dem ebenfalls vollkommen eigenschaftslosen Verkaufsleiter „Bruno“ (ein Allerweltsname). Sie wohnen mit ihrem gemeinsamen Sohn in einer Bungalowsiedling am Rande einer uns unbekannten Großstadt.

Als Bruno von einer Geschäftsreise zurückkomme, kündigt Maianne ihm die Ehe, er zieht zur gemeinsamen Freundin, der Lehrerin Fanciska. Marianne nimmt ihre frühere Arbeit als Übersetzerin wieder auf. Sie hält sowohl gegenüber ihrem immer aufdringlicher werdenden Mann stand, als auch gegenüber Franciskas Angebot, sich an einer Frauengruppe zu beteiligen. Später verliebt sie sich in einen Schauspieler. Am Schluss der Erzählung kommt es zum großen Show-down, bei dem sich alle Personen noch einmal in Mariannes Wohnung treffen. Doch Marianne und ihr Sohn bleiben am Ende allein zurück.

Die Erzählung ist eine reine Beziehungsgeschichte. In Zeiten des beginnenden Kommunikationszeitalters (Handke) beschreibt der Österreicher Peter Handke die totale Kommunikationslosigkeit und Kommunikationsunfähigkeit der Menschen. Die stellenweise kafkaesken Szenen werden mit geradezu Wittgensteinschem Sprachduktus in absoluter Nüchternheit beschrieben, ja, der Stil ist fast ein Berichtender, ohne dass dadurch die Erzählung leiden würde. Handke verwendet vor allem im ersten Drittel, der Noch-Zeit der Beziehung eine fast gänzlich adjektivlose Sprache, die in ihrer eigenschaftslosen Härte und in ihrem militärischen Stakato-Stil kaum zu ertragen ist. Damit verweist Handke auf die Kommunikationsunfähigkeit der Menschen. Später, nach dem Bruch, etwa ab dem zweiten Drittel, lockert und klart die Sprache etwas zur typisch Handkeschen halb-adjektivischen Sprache auf.

Die teilweise kafkaesken Sprachbilder sind sehr genau austariert und werden zu Chiffren des „Nicht-Mehr-Miteinander-Reden-Könnens“, z.B. formt Marianne ihre Hände zu einem Trichter, um ihren Sohn vom Fernseher wegzubekommen, oder bei der Begrüßung auf dem Flughafen legt Bruno Marianne den Kopf auf die Schulter, „als ob er sich ausruhen wolle“. Wer erinnert sich da nicht an das Kindergartenspiel: „Pfütze, Pfütze, zehn Minuten Stütze“.

Handke ist ein technischer Meister, ein Meister der Kommunikationslosigkeit, der Trostlosigkeit und der Hoffnungslosigkeit, bis hin zur Depression. Buchtitel, wie „Wunschloses Unglück“, „Versuch über die Müdigkeit“ oder „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ sprechen Bände.

Handke ist wohl der vielleicht trostloseste und depressivste Schriftsteller der Gegenwart, nicht zuletzt wegen seiner hoffnungslosen Perspektivlosigkeit. Und trotzdem sind seine Werke durchaus sehr fordernd, und, ob ihrer rein technischen Qualitäten, sogar sehr anregend. Handke lebt heute, ähnlich wie Milan Kundera, in der Nähe von Paris.

Gruß Joachim Stiller Münster

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