James Joyce: Ulysses

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Joachim Stiller
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James Joyce: Ulysses

Beitragvon Joachim Stiller » 01.10.2013, 21:30

„Ulysses“ von James Joyce

Der Roman ist ein Epos, eine Chronik und ein Entwicklungsroman zugleich, den Joyce von 1914 bis 1921 in siebenjähriger Kleinarbeit schrieb. Der Roman ist an Vielschichtigkeit, Symbol- und Detailreichtum unübertroffen. „Ulysses“, was so viel heißt, wie „Odyssee“, ist die Beschreibung nur eines einzigen Tages, dem 16. Juni 1904 im Dubliner Leben des Kleinbürgers– und Anencenaquisiteurs Leopold Bloom. Die Odyssee von Homer dient dabei als Hintergrund und als Folie, wie sich noch zeigen wird.

Erzählt wird die Geschichte dreier Dubliner Einwohner am besagten 16. Juni von 8 Uhr morgens bis etwa drei Uhr des folgenden Tages: Leopold Bloom, seiner Frau Molly und dem jungen Lehrer und Schriftsteller Stephen Dedalus. Diese drei Hauptakteure kommen im Verlauf des Tages mit einer Unzahl von Personen aus dem Dubliner Leben zusammen.
Der Roman ist in 18 Episoden eingeteilt. Die ersten drei sind Stephen Dedalus gewidmet. Dieser kam aus dem Pariser Exil zurück, er Frühstückt mit einem Freund, dann arbeitet er in der Schule von Mr. Deasys und schließlich reflektiert er Teile seines Lebens am Strand. Hier taucht das Element des inneren Monologes zum ersten Mal auf.

In der vierten Episode wir Leopold Bloom eingeführt, der gutmütig, durchschnittlich, von ungarisch-jüdischer Abstammung ist. Er bereitet das Frühstück für seine Frau Molly, frühstückt aber selber nur eine Niere, die so herrlich „nach Urin schmeckt“ und beginnt seine Odyssee durch Dublin. Wie Odysseus verlässt auch Bloom seine Frau, doch sind seine Gedanken stets bei ihr. Er kauft sich ein Stück Duftseife, nimmt ein öffentliches Bad, geht zur Beerdigung seines alten Freundes Pyddy Dibnam, der an Herzschwäche gestorben ist (Hadesfahrt). Danach trifft er sich in der Redaktion der Zeitung Freeman’s Journal mit einigen Bekannten und verhandelt kurz über eine Anzeige. Als nächstes isst er eine Kleinigkeit zu Mittag, nachdem er Schwierigkeiten hatte, ein Restaurant zu finden. Er begibt sich in die Bibliothek, wo er nach einer alten Zeitung sucht. Sowohl in der Bibliothek, als auch in der Redaktion, wäre er beinahe Stephen begegnet, der sich je in einem Nachbarraum aufhält.

Dann wir das Dubliner Labyrinth beschrieben, die Irrfahrten Homers. Bloom begibt sich ins Restaurant Ormond und geht anschließend in Barney Kiermans Pub. Es kommt zum Streit mit einem Bürger, Bloom flieht, der Bürger schmeißt ihm aber eine Teedose hinterher, wie der Polyphem Odysseus den Felsen Bloom flieht zum Strand und findet bei Gerby etwas Ruhe. Er besucht nun die Freundin seiner Frau, Mrs. Purfoy, im Krankenhaus, die ein Kind bekommt. Dort trifft er auch endlich Stephen wieder.

Danach gehen beide zum Bordell der Bella Cohen, der Dubliner Circe. Diese Episode zieht sich allein über 200 Seiten hin. Circe verwandelt beide in Schweine: Blooms Phantasien sind pervers, und Stephens grotesk, doch Bloom begegnet seinem Sohn Rudy. Beide sind mal wieder auf der Flucht, diesmal zu Blooms Wohnung in der Eccles Street Nr. 7. Es ist schon früher Morgen. Bloom muss die Wohnung durch ein Hinterfenster betreten, um wie Odysseus unerkannt zu bleiben. Es beginnt ein Frage-Antwort-Spiel, bis Stephen das Haus verlässt.

Bloom legt sich neben seine schlafende Frau. Es beginnt in diesem Schlusskapitel der weltberühmte Monolog der Molly Bloom, der träumenden, der völlig interpunktionslos sich über 60 Seiten erstreckt. Molly, die von Bloom betrogen wird, findet am Ende zu ihm zurück: „... und dann hat er mich gefragt ob ich will ja sag ja meine Butterblume und ich habe ihn zuerst die Arme um den Hals gelegt ... ja ich will ja.“

Es gibt in dem Roman noch eine Vielzahl weiterer z.T. recht witziger Bezüge vom Ulysses zur Odyssee von Homer. Jedenfalls lässt Joyce die ganze Odyssee an einem einzigen Tag in Dublin der Jahrhundertwende spielen.
Joyce verwendet eine durchaus legere Sprache, die leicht in eine proletarische Dubliner Milleusprache einschlägt. Die Sprache ist manchmal pedantisch, dann wieder schockierend vulgär, bald witzig, mit Einschüben zahlreicher irischer Lied- und Versanfängen.

Die Erzählebenen wechseln von Episode zu Episode (Er-Erzählung, Frage-Antwort-Spiel, innerer Monolog), wodurch der Roman interessanter Weise eine zusätzliche Vielschichtigkeit erhält. Dies wir noch verstärkt durch den Hintergrund der antike Folie. Viele Bilder und Symbole tauchen auf, die alle Bezug zueinander haben. Der Roman ist phasenweise von einer schockierenden Freizügigkeit, was dafür sorgte, dass der Roman lange Zeit in den prüden angelsächsischen Ländern der Zensur an heim viel.

Joyce ist ganz Realist, seine Detailbeobachtungen haben in der Literaturgeschichte Maßstäbe gesetzt, denen vielleicht noch „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin oder „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Musil gerecht werden können.
Ohne Zweifel hat sich Joyce mit dem Ulysses ein unsterbliches Denkmal gesetzt. Der Roman ist nicht nur der bedeutendste des 20. Jahrhunderts, er ist auch der bedeutendste der gesamten künstlerischen Moderne.

Gruß Joachim Stiller Münster

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