Franz Kafka: Der Prozess

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Joachim Stiller
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Franz Kafka: Der Prozess

Beitragvon Joachim Stiller » 01.10.2013, 21:32

„Der Prozess“ von Franz Kafka

Der Roman erschien erstmalig 1925, 10 Jahre nachdem Kafka ihn geschrieben hat. Es handelt sich dabei um eine Art absurden Pseudokrimi. Erzählt wird die Geschichte von Herrn K. Auf diese Schlichtheit werden wir noch zu sprechen kommen. An seinem 30. Geburtstag erfährt Herrn (Joseph) K. dass er verhaftet ist. Irgend jemand muss ihn denunziert haben. Wir sehen, alles beginnt wie ein ganz gewöhnlicher Krimi, doch bekommt der Roman schon bald eine ganz andere Wendung.

Als Herr K. nach dem Frühstück läutet, treten seien Wächter Franz und Willem ein, die ihm nochmals bestätigen, dass er verhaftet ist. Seine Sachen muss er abgeben. Doch Herr K. lässt sich nicht einschüchtern; er glaubt an den Rechtsstaat und an seine Unschuld.

Das Gericht verfügt über Herrn K. ohne Anwendung sichtbarer Gewalt. Das Zimmer von Fräulein Bürstner wird zum Verhandlungsraum umfunktioniert. Nach der ersten Verhandlung kann er sein Leben ganz normal weiterführen. Bald erhält er eine Vorladung für den nächsten Sonntag, allerdings ohne Zeitangabe. Und so verspätet sich Herr K. um „eine Stunde und fünf Minuten“. In der nächsten Woche findet keine Verhandlung statt. Herr K. lässt sich vom Gerichtsdiener die auf dem Dachboden des Hauses befindliche Kanzlei des Gerichts zeigen. K bricht zusammen, und muss hinausgetragen werden. Auf drängen seines Onkels bestellt er einen Advokaten, der ausgerechnet den kümmerlichen Namen „Huld“ trägt. Doch auch dieser zeigt sich ohnmächtig vor den Mühlen der Justiz. Am Vorabend von K’s 31. Geburtstag wird das Todesurteil vollstreckt. In einem Steinbruch wird K. mit Messern hinterrücks exekutiert.

Kafka macht es dem Leser nicht unbedingt leicht, seine Werke, vor allem auch den Prozess zu verstehen.
Grundsätzlich prallen hier zwei sich ausschließende Vorstellungswelten aufeinander: Die Gerichtsbarkeit, die sich von der vermeintlichen Schuld angezogen fühlt, wenn auch zu Unrecht, und die Vorstellungswelt von Herrn K. der an eine höhere Gerechtigkeit glaubt, die sich allerdings nur als leeres Ideal entpuppt. So entsteht eine Art gleitendes Paradox, ein Zirkel, der an Absurdität kaum zu überbieten ist. Überhaupt ist das Werk von Kafka voll solcher absurder Motive, wodurch der Begriff des Kafkaesken geprägt wurde. Die Kafka-Forschung findet immer neue Absurditäten in seinem Werk.
Eine gewisse Parallele der Ausweglosigkeit der Situation findet sich auch in Kafkas bekanntester Erzählung „Die Verwandlung“, die mit dem berühmten Satz beginnt: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu seinem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Gregor Samsa, der verwandelte Käfer verreckt am Ende, da er nicht mehr gefüttert wird.

Man könnte in dem Prozess, um mit Adorno zu sprechen, eine, wenn auch unbewusste, Vorwegnahme des Nationalsozialismus sehen, Aber wir wollen hier nicht zu weit gehen. Zentrales Motiv in Kafkas Werk ist und bleibt das Absurde, das die Menschen immer weiter von sich selbst und ihrer Umwelt entfernt. Es werden Menschen gezeigt, die in einer völlig entfremdeten Welt oder Situation leben, ein marxistischer Widerspruch in einer Zeit wachsender Industrialisierung, Technisierung und Individualisierung und nicht zuletzt Anonymisierung. Daher trägt unser Hauptdarsteller auch schlicht den anonymen Namen „Herr K.“

Kafka selber war Zeit seines Lebens von tiefen Selbstzweifeln geplagt, so nennt er den Prozess ein unvollendetes Werk, was nie jemand nachvollzogen hat. Ich selber hingegen habe überhaupt keinen Zweifel an der Güte und Qualität des kafkaschen Werkes. Nicht zuletzt auch wegen seiner überragenden Intelligenz nimmt Franz Kafka eine Sonderstellung in der Weltliteratur ein.

Gruß Joachim Stiller Münster

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