Javier Marias: Der Gefühlsmensch

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Joachim Stiller
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Javier Marias: Der Gefühlsmensch

Beitragvon Joachim Stiller » 01.10.2013, 21:37

„Der Gefühlsmensch“ von Javier Marias

Ein Opernsänger macht während einer Zugfahrt von Mailand nach Venedig die Bekanntschaft mit dem Bankier Manur, dessen Frau Natalia und den ständigen und mysteriösen Begleiter dato. Als der Opernsänger zu Proben in Madrid ist, trifft er das Trio im selben Hotel wieder. Es kommt zu regelmäßigen Treffen des Sängers und Protagonisten mit Natalia, Dato ist aber immer anwesend. Beide verlieben sich. Kurz vor der Premiere von Verdis Otello kommt es zum Bruch. Manur durchschaut das Spiel des Sängers und macht dem Treiben ein Ende. Natalia verlässt daraufhin ihren Mann und trifft sich noch ein letztes Mal mit dem Sänger, worauf sich Manur überraschender Weise erschießt. Natalia kehrt nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr zu ihrem Sänger zurück.

„Der Gefühlsmensch“ ist eine klassische Liebesgeschichte, die einen so unvermittelt trifft, wie ein Hieb, gerade in den überraschenden Schlusswendungen. Marias versteht es, einen ungeheuren Spannungsbogen aufzubauen, der, was für Marias typisch ist, stellenweise unheimliche Züge annimmt, und hält diesen Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht. Erst am Ende entlädt sich die gesamte Spannung.

Die Sprache ist in der für Marias ebenfalls typischen Weise streng und nüchtern, arm an Adjektiven, dafür aber von einem ungemein flüssigen Rhythmus, was nicht zuletzt der guten Übersetzung zu verdanken ist. Der Schlussakkord löst alle versponnenen Fäden wieder auf. Das Ende kommt für den Leser sehr überraschend. Manur, der den Sänger zur Rede stellt, scheint allwissend, trotzdem verliert er seine Frau und bringt sich am Ende auf tragische Weise um.

Marcel Reich-Ranicki sagt über Marias, er sei einer der besten und bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller. Dem ist nichts hinzuzufügen. Darüber sollten auch vereinzelte stilistische Schwächen, wie etwa in dem Erzählwerk „Als ich sterblich war“ nicht hinwegtäuschen. Es handelt sich bei besagtem Werk nur um eine äußerst schlechte Übersetzung. Javier Marias, der noch sehr jung, aber bereits jetzt bester zeitgenössischer Schriftsteller Spaniens, wird einmal ein ganz heißer Kandidat für den Literaturnobelpreis sein.

Joachim Stiller Münster

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