Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften

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Joachim Stiller
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Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften

Beitragvon Joachim Stiller » 01.10.2013, 21:39

„Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil

„Der Mann ohne Eigenschaften“ beginnt 1913, dem Vorabend des ersten Weltkrieges, im Wien des kaiserlich-königlichen Österreich, das Musil „Kakanien“ nennt. Ulrich, die Hauptperson, kehrt 32-jährig aus dem Ausland nach Wien zurück, und mietet sich ein kleines Jagdschlösschen. Er stammt aus wohlhabenden Verhältnissen. Drei Versuche, als Offizier, Ingenieur bzw. Mathematiker „ein bedeutender Mann“ zu werden, sind für Ulrich unbefriedigend verlaufen. Schließlich erkennt er, dass ihm das Mögliche mehr bedeutet, als das Wirkliche und er nimmt „ein Jahr Urlaub von seinem Leben“. Er fühlt sich bald als Mann ohne Eigenschaften.

Im weiteren Verlauf des Romans entspinnt sich nun ein Kaleidoskop des modernen Wien und der österreichisch-ungarischen Monarchie, aber dieser szenische Hintergrund ist für Musil, anders als etwa für Joseph Roth, nicht Milieu einer historischen Romans, sondern ein „besonders deutlicher Fall der modernen Welt“.

Im Zentrum der weiteren Handlung steht die „vaterländische Aktion“ als deren Sekretär Ulrich nun auftritt. Ein Komitee soll die Feierlichkeiten zum siebzigjährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs I. im Jahr 1918 als „Parallelaktion“ zu dem im selben Jahr stattfindenden dreißigjährigen Regierungsjubiläums Wilhelms II. vorbereiten. Ihr beißend-ironisches Doppelgesicht erhält die Parallelaktion dadurch, dass das Jahr 1918 den Zusammenbruch der beiden Monarchien durch das Ende des ersten Weltkrieges bedeutet. Das geplante Jubelfest enthält also von Vornherein die Attribute einer Beerdigung.

Musils „Mann ohne Eigenschaften“ ist der vielleicht ungelesenste Roman deutscher Sprache, er ist trotz seiner über 1000 Seiten unvollendet geblieben – einen zweiten Band hat Musil nicht mehr vollenden können – und letztlich muss der Roman als gescheitert gelten. Wer sich dennoch einmal daran versucht, wird ein faszinierendes Universum entdecken. Der Roman ist voller eindrucksvoller Gestalten, wie dem wahnsinnigen Mädchenmörder Moosbrgger oder dem General Stumm von Bordwehr, der glaubt, er könne mit militärischem Drill Ordnung in das Durcheinander aller denkbaren Ideologien bringen.
Die Sprache ist voller ironischer Anspielungen und auf eindrucksvolle Weise bilderreich, wie es dies lange nicht gegeben hat. Musil reiht sich mit diesem, seinem bedeutendsten Werk, ein in eine Linie mit James Joyce und Marcel Proust und braucht ihren Vergleich nicht zu scheuen. In gewisser Weise erleben wir gerade heute eine Renaissance des lange vergessenen Werkes.

Gruß Joachim Stiller Münster

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