Nathan der Weise

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Moeros
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Nathan der Weise

Beitragvon Moeros » 13.09.2002, 16:58

Hallo,

Ich habe zuletzt das Stück "Nathan der Weise" von Lessing gelesen. Ich bin so begeistert von diesem Werk, daß ich jedem nur wärmstens empfehlen kann es einmal zu lesen.
Ich glaube gerade heutzutage hat das Stück wieder an Aktualität gewonnen.
Lessing hat in der sogenannten "Ring Parabel" das friedliche Nebeneinander verschiedener Religionen (Christentum, Judentum, Islam) propagiert. Naturgemäß hat er damit viele Zeitgenossen empört.

Was haltet ihr von dem Stück ?



schönen Gruß,
Moeros

razorback
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon razorback » 13.09.2002, 17:15

Es ist grossartig - und wird spätestens seit meiner Schulzeit (80er) einer Generation nach der anderen dadurch versaut, dass es im Deutschunterricht von lustlosen Lehrern verhunzt wird. Aber ein Lichtblick - es gibt kaum eine Provinzbühne, die es nicht mindestens einmal in jeder dritten Saison spielt. Wer es ertragen kann, einen Theaterabend im selben Saal mit mindestens drei Schulklassen zu ertragen, die man dorthin gezwungen hat: Unbedingt ansehen!
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gelbsucht
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon gelbsucht » 14.09.2002, 01:42

Hallo ihr beiden!

Ich kenne gerade nur die "Ringparabel" daraus und woher? Genau: aus der Schule.
Es ... wird spätestens seit meiner Schulzeit (80er) einer Generation nach der anderen dadurch versaut, dass es im Deutschunterricht von lustlosen Lehrern verhunzt wird.
Hier ist einer! :-| Darum würde mich gerade interessieren, was das Stück sonst so auszeichnet. Ich habe ehrlich keine Ambitionen zu sogenannten Lehrstücken, die mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen und ihr schwärmt beide so von dem Stück -- da werde ich natürlich neugierig. Bitte, bitte erzählt mir noch ein bißchen mehr. Worum geht es? Wann spielt es? Was macht es spannend? Ich werde es ganz bestimmt nicht allein wegen 5 Seiten Ringparabel (die Lessing bei Boccaccio abgekupfert hat) lesen!
Moeros:
Ich bin so begeistert von diesem Werk
Razorback
Es ist grossartig

Dann rückt mal mit den Gründen heraus, warum es so toll ist! Ich bin gespannt, vor allem weil auch gerade in Bezug auf die griechische Tragödie meine schulischen Traumata überwunden habe (siehe "Rezensionen").

MfG,
gelbsucht
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razorback
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon razorback » 16.09.2002, 15:50

Ach hier ist der Nathan gelandet...

Du hast mich erwischt, gelbsucht - zumindest in der Hinsicht, dass es lange her ist, dass ich Nathan gelesen habe. Sehr lange. Ich sehe ihn mir aber - wie gesagt - ganz gerne im Theater an (obwohl da das letzte Mal auch schon wieder lange her ist. Genaugenommen war ich viel zu lange nicht mehr im... ach, egal).

Ich kann also hier nicht mit besonders gelungenen Textstelle aufwarten. Die gibt es wohl, aber ich kann das Stück weder auswendig, noch habe ich es vorliegen. Warum also finde ich es grossartig (für eine Lehrparabel):

1.) Es ist zweifelsohne ein Lehrstück - aber eben eins ohne erhobenen Zeigefinger. Es hat eine spannende Handlung, die Probleme der Figuren wirken (in Kriegswirren) keineswegs auf die Moral hin konstruiert, und es ist gerade so zeitlos, dass es nicht nervt.

2.) Die Ringparabel - als zentrales Lehrstück - ist für die Figuren eine wirkliche Hilfe, lebensgemäss in ihrer Situation und wohl auch noch teilweise in Lessings Zeit. Heute ist sie das vermutlich nicht mehr - Glaubenskriege haben heute noch weniger mit Religion zu tun als damals (weil unsere Zeit einfach areligiöser ist), der Hinweis auf den gemeinsamen Ursprung und den gemeinsamen Gott hat vermutlich keinerlei Überzeugungskraft (deshalb ist das Stück auch nur beschränkt zeitlos).

3.) In dem Stück wird auf schon ziemlich moderne (na ja...) Art noch einmal an eine traditionelle Art der Toleranz appelliert. Man hat das Gefühl, es könnte klappen - oder hätte klappen können.

4.) Die Figuren - gerade Recha und der Tempelherr - sind in ihrer Unvollkommenheit ziemlich sympathisch.

Der Fehler der Deutschlehrer ist übrigens meist, dass sie nicht sehen oder sehen wollen, dass die Moral leider nicht mehr zeitgemäss ist. Sie wünschen sich, glaube ich, letztlich, dass ihre Schüler das alles auf heute übertragen und denken, Israeli und Araber (als die, die sich derzeit im Nahen Osten schlagen) seien allesamt unglaublich dämlich. Schliesslich glauben sie doch alle an den selben Gott. Warum umarmen sie sich also nicht? Das macht den Nathan im Deutschunterricht zuweilen etwas unappetitlich (oder machte - dass ich auf der Schule war ist nämlich AUCH lange her).
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon cute sushi lunches » 16.09.2002, 22:08

Ich kämpfe mich gerade durch den Nathan und gehöre zu den bedauernswerten Personen,die ihn im Deutsch LK durchnehmen.
Bin ich eigentlich ein wenig blöd oder warum kommt er mir sprachlich manchmal ein bisschen schwierig vor?

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon Hamburger » 17.09.2002, 10:30

Hallo zusammen!

Ich dringe einmal ein in die bisherigen Lobpreisungen und vertrete eine andere Meinung. Allerdings habe ich das Stück vor 5-6 Jahren im Deutschunterricht gelesen und kann daher nicht mehr völlig detailiert begründen, was gut war und was nicht.
Aber einen Eindruck habe ich immer noch und das ist folgender: "Nathan der Weise" ist ein sehr wertvolles Stück wegen der "Ringparabel". Sie ist zweifellos grandios erzählt und sehr bewegend, kurz: ein Meisterstück.
Jedoch fiel meiner Meinung nach der Rest des Stückes gegenüber der "Ringparabel" deutlich ab. Das Stück ist ansonsten ziemlich ereignisarm im Sinne von langatmig und insbesondere die aufgebauten Konflikte werden in einem ärgerlich kitschigen Happy-End auf den letzten zwei Seiten (!) gelöst. Sicherlich war dieses optimistische Ende dem Grundtenor des Buches geschuldet. Gerade wenn in der "Ringparabel" von der Versöhnung der drei Weltreligionen die Rede ist und davon, das jeder der drei Brüder seiner wohlempfunden Liebe nacheifern soll wäre es unpassend gewesen die Konflikte zwischen den Personen im Buch (ich möchte jetzt nicht den hauptsächlichen Konflikt verraten, sonst verrate ich das Ende) konfliktbeladen enden zu lassen.
Lessing werfe ich nicht vor, dass es ein Happy-End gab, sondern wie er es am Ende gestaltet, geradezu hastig einschieb. Das fand ich damals höchst unüberzeugend.
Wenn sich eine anregende Diskussion ergibt, wäre ich allerdings bereit, das Stück noch einmal zu lesen. Ich habe es ja seit Jahren zu Hause, da mir die "Ringparabel" sehr an`s Herz gewachsen ist.

MFG,

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon nihil00 » 19.06.2004, 12:23

Ein unsägliches, moralintriefendes, weltverbesserisches Werk.

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon razorback » 20.06.2004, 01:56

Eigentlich, nihil, wollte ich jetzt mit Dir streiten. Aber dann habe ich Dein grossartiges Gedicht "Alaska" gelesen, und jetzt habe ich zum Streiten keine Lust mehr. Tja, Chance vorbei. Vielleicht beim nächsten Mal.
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon nihil00 » 20.06.2004, 02:47

das sollte ja nun kein grund sein, sich nicht zu streiten.

ich stelle gern die ganze epoche der aufklaerung, angefangen bei kant, in frage, weil ich den ansatz, menschen durch literatur belehren zu wollen, schlichtweg fuer falsch halte. der beste lehrer ist das leben selbst. wenn, dann koennen buecher nur als katalysatoren funktionieren. deswegen gibt es, wie an anderer stelle hier im forum als frage aufgeworfen, auch keine antwort auf: welches buch hat dein leben veraendert?

dass jemand trotzdem gefallen an werken der aufklaerung findet, ist kein grund zum streiten. eine jede meinung steht fuer sich selbst.

viele grueße
arne

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon razorback » 20.06.2004, 11:01

Eigentlich, nihil, streite ich ganz gerne. Allerdings hätte ich Dich ursprünglich gerne auf Deine plakative Aussage reduziert, und das hätte eben keinen Spaß mehr gemacht.

Zwei Definitionsfragen habe ich an Dich - oder eher eine:

Wie definierst Du "belehren"? Vor allem in Abgrenzung von dem, was Du eine "Katalysatorfunktion" nennst.

Ich frage, weil ich hier an anderer Stelle schon ganz entschieden die Meinung vertreten habe, dass Literatur - Belletristik zumindest - die in erster Linie belehren will, schlecht sein muß. Meines Erachtens muß Literatur vor allem unterhalten wollen. (So, jetzt ziehe ich meinen Helm an und gehe in den Graben, Du kannst aber gerne oben bleiben und sehen, was da so geflogen kommt :-D ).
Ich gehe übrigens auch davon aus, dass Lessing in erster Linie unterhalten wollte oder zumindest musste (deshalb die einfache aber spannende Geschichte um den Tempelritter und Recha).

Andererseits habe ich auf die Frage, welche Bücher das Leben verändert haben, zwei Bücher genannt: Die "Kritik der reinen Vernunft" und "Das Buch der fünf Ringe". Nun ist das beides keine Belletristik, bei Kant merkt man überdeutlich, dass er sich um den unterhaltenden Aspekt wirklich gar keine Gedanken macht (es gibt kaum einen öderen Lesestoff als dieses, wie ich finde, grandiose Buch). Musashis Buch ist vermutlich nur deshalb mit Genuss lesbar, weil Dichtkunst zur Ausbildung der Samurai zählte und er wohl nicht anders konnte. Dennoch - ohne diese beiden Bücher wäre mein Leben heute anders, bzw. ich würde anders leben. Fällt das bei Dir unter "Katalysator", "Lebenslehren" - und wo ziehst Du die Grenzen? Hat "Verändern" überhaupt etwas mit "Lehre" zu tun?
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon nihil00 » 20.06.2004, 23:45

Das Belehren in der Aufklärung bezieht sich vor allem darauf, dass der Autor dem Leser seine als für richtig empfundene Moral nahelegen möchte. Deswegen sind die Gattungen Fabel und Lehrgedicht in dieser Stilepoche auch so beliebt gewesen. Für mich ist das eine sehr aufdringliche, vor allem aber unnotwendige Art der Kommunikation.

Ein Buch kann ein Katalysator sein, wenn es Gedanken, die man selbst schon hatte, ausformuliert (ihnen also eine konkretere Form gibt) oder diese weiter vorantreibt. Ein Buch "baut" nur dort, wo es bereits ein Fundament vorfindet.

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon Edekire » 21.06.2004, 15:09

Warum sollte mich nicht ein Buch auf einen völlig neuen Gedanken bringen können? ?-(
Ich bin mal ganz einfach der Meinung, das das geht. Schließlich gibt es vieles über das ich erst nachdenke, wenn ich etwas darüber lese. Dann kann ich ja schlecht behaupten es wäre ein Fundament dagewesen, oder?
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
sarah kane

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon nihil00 » 22.06.2004, 16:40

Nichts ist völlig neu. Alles setzt auf bestehendem auf. Wenn der Inhalt eines Buches z.B. jenseits des Erfahrungs- und/oder geistigen Horizonts seines Lesers liegt, wird es ihm auch nichts sagen. Da fehlt es dann am Fundament.

Auf welche Gedanken käme ein 9-jähriger, wenn er Nietzsche liest?

Silentium
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Re: Nathan der Weise

Beitragvon Silentium » 22.06.2004, 23:35

*duck* Darf ich mich kurz einmischen?

Eine Frage: Diese Fundamente, auf denen das Buch aufbaut- woher sollen die kommen? Rein auf empirischer Welterfahrung beruhen?
Wenn ich meinem 9-jährigen Brüderlein Nietzsche gäbe, könnte er kaum was damit anfangen. Wenn er sich jetzt allerdings sieben Jahre lang mit seinen Computerspielen beschäftigt, wird er damit noch immer nichts anfangen können. Wenn er brav liest, von mir aus mit Kinderbüchern anfängt und sich nach und nach durchliest bis zu dem Punkt, wo ein Nietsche in der Literatur auftaucht, dann schon, glaube ich. Könnte man nicht- ich meine, vielleicht verstehe ich da jetzt grundsätzlich was falsch- genau so, wie man sagt "Bücher bauen auf Fundamenten auf" sagen "Bücher schaffen Fundamente"? Müsste man dann jedem, der Nietzsche liest und halbwegs versteht zugestehen, ähnliche Gedankengänge schon gehabt zu und nur darauf gewartet zu haben, dass sie jemand ausformuliert?
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Nathan der Weise

Beitragvon nihil00 » 23.06.2004, 01:10

Entweder, ein Gedanke fällt auf fruchtbaren Boden, oder er wird verworfen, weil man ihn nicht versteht oder er der eigenen Lebenserfahrung und der einem selbst eigenen Logik widerspricht.

Natürlich sind Bücher auch imstande, den Bau von Fundamenten anzuregen, wenn sie den Geist dazu überreden können, sich zu bewegen. Das kann dann sowohl bei Büchern geschehen, die einem selbst behagen als auch bei denen, die das genaue Gegenteil provozieren.

Auf jeden Fall ist der Gedanke überholt, der besagt: Lies dieses Buch und Du wirst die Welt verstehen - wie man es, zugegeben in abgewandelter Form, mit der Bibel, dem Koran, den Werken von Marx u. Engels etc. praktiziert hat. Die eigene Lebenserfahrung ist durch nichts zu ersetzen, so dass jemand, der über sie in nur unzureichendem Maße verfügt, nichts aus Büchern gewinnen kann, die von einem weitaus höheren Stand als dem seinigen geschrieben worden sind.


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