Sonntag - Freitag

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
aurifreo

Sonntag - Freitag

Beitragvon aurifreo » 21.01.2005, 13:58

Den Gedanken verlieren, wenn das Telefon Adieu sagt,
sich fallen lässt
und die reine Vernunft dir dein Ohr abnimmt.
Zwei Minuten Erinnerungen senken deinen Kopf und
Holen mit so viel Händen das kurze Telefonkabel zu dir zurück,
daselbst die Tasten im Kindesalter der Zeit rennen lernen müssen:
Stillstand rufen und dir Gleichmut ans Herz legen –
Wie die Tür am Abend zuvor.
Einfach den Boden an deiner Seite liegen lassen und
Die Wände unter dir festigen.
Und antworten, nicht das große Warum fragen.
Nur das Sein über dich werfen und gleich der Wirklichkeit
Als Grenzgänger leben.

(Hallo liebe Leute, nachdem ich einen eindeutigen Heinweis bekam "Ich will dir nur raten zu www.o-livro.de zu gehen. Dieses Forum hier ist tot.", bin ich nun hier, neu, hab ich keine Ahnung von nichts und niemanden und überhaupt. ;-)
Hallo. )

Hamburger
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Re: Sonntag - Freitag

Beitragvon Hamburger » 18.02.2005, 03:38

Hallo aurifreo,

herzlich willkommen im Forum. Und danke an den unbekannten Insider und natürlich dir, dass du seinem Tipp gefolgt bist.

Nun zu deinem Gedicht:
Ich bin mir keinesfalls sicher in meiner Interpretation, aber ich wage es trotzdem mal. Am Anfang sieht es so aus als ginge es um die Sehnsucht des LI nach seinem geliebten Partner:


Den Gedanken verlieren, wenn das Telefon Adieu sagt,
sich fallen lässt
und die reine Vernunft dir dein Ohr abnimmt.



Klingt nach Abschiedsgruß, Auflegen, Wiederkehr der Rationalität anstelle der Gefühle die das Gespräch gerade erzeugte. Die letzte Zeile klingt hier unfreiwillig blutrünstig, das müsstest du anders
lösen. ;-)


Zwei Minuten Erinnerungen senken deinen Kopf und
Holen mit so viel Händen das kurze Telefonkabel zu dir zurück,
daselbst die Tasten im Kindesalter der Zeit rennen lernen müssen:



Klingt für mich als wählte das LI noch mal. Es nimmt also das Gespräch abermals auf. Das kurze Telefonkabel müsste ja das zwischen Hörer und Telefon sein, ansonsten sind Telefonkabel nämlich – bei Umzügen kann man ein Lied davon singen – irre lang. Dass die Tasten rennen lernen müssen kann eigentlich nur heißen dass sie permanent beansprucht werden. Allerdings frage ich mich was hier das „Kindesalter der Zeit“ zu bedeuten hat. Ist damit das manchmal etwas (im positiven Sinne) kindlich-verspielte Verhalten von Verliebten gemeint? Hat die Zeit ein Alter? Nebenbei gesagt ein etwas pathetisches Bild, dass mir nicht besonders gefällt.


Stillstand rufen und dir Gleichmut ans Herz legen –
Wie die Tür am Abend zuvor.


Tja, wer kennt sie nicht, die sehnsüchtigen Blicke zur Tür und zum Telefon, die nichts als Stillstand verkünden, wenn der geliebte Partner nicht da ist. Auch dass diese Gegenstände dem LI durch ihre stoische Ruhe „Gleichmut ans Herz legen“ passt.



Einfach den Boden an deiner Seite liegen lassen und
Die Wände unter dir festigen.
Und antworten, nicht das große Warum fragen.


Den "Boden an deiner Seite liegen lassen" hört sich sehr umständlich an. Ebenso wie die gesamte zweite Zeile.
Dennoch: Wenn ich den Boden an meiner Seite liegen lasse (erinnert mich an die Wendung „links liegen lassen“, also „nicht beachten“) und die Wände unter mir festige (vielleicht nur auf dem Punkt wo ich stehe) dann bewege ich mich nicht von der Stelle. Nimmt man im Kontext die letzte hier zitierte Zeile dazu, dann könnte es sich bei dem Standort des LI hier um den Standort am Telefon handeln, also um das Gespräch, dass das LI aufnahm als es nach dem ersten Gespräch erneut wählte. Also sozusagen das Antwortgespräch. :-)
Dieses führt das LI ohne dass es lange darüber nachgedacht hat, einfach weil ihm danach ist zu antworten. Es fragt nicht nach dem großen „Warum?“.


Nur das Sein über dich werfen und gleich der Wirklichkeit
Als Grenzgänger leben.


Das sind große Begriffe, die du da verwendest. Aber sie scheinen zu passen. Durch die jetzige Emotion bedingt telefonieren und damit der wirklich vorhandenen Situation eine Entsprechung schaffen: nämlich in diesen Momenten als Grenzgänger zwischen eigener Wohnung und Verbindung zum geliebten Partner zu leben, so würde ich das interpretieren.

Dass es hier in irgendeiner Art und Weise um eine Wochenendbeziehung geht scheint sowieso schon aus dem Titel klar. Der Zeitraum der Telefonate liegt zwischen Sonntags (wo der/die Geliebte in der Regel wegfährt) und Freitags (wo der/die Geliebte in der Regel wiederkommt).

Insgesamt finde ich das Gedicht schön. Ich konnte zunächst nichts damit anfangen doch nach ein bisschen Reflexion ergibt es (für mich) einen Sinn. Ich bin aber jetzt weder so eitel zu glauben dass du es genauso oder so ähnlich gemeint haben musst wie meine Interpretation es sagt, noch mag ich dieses Gedicht „nur“ weil es für mich einen Sinn ergibt. Ich mag es vor allem deshalb, weil es in sehr eigentümlicher Weise unaufdringlich ist. Trotz mancher großer Begriffe, die hier aber ausnahmsweise einmal nicht als leere Hülsen ge-, missbraucht
wurden.

Allerdings passt die Bildersprache, wie ich finde, nicht immer (Zeile 3, Zeilen 9 und 10), was auch beim dritten Lesen noch einen unschönen Stolpereffekt verursacht.

Aber alles in allem ist dir da eine sehr gelungene Momentaufnahme zum Thema „Sehnsucht“ gelungen. Sag ich einfach mal. Und entschuldige die späte Antwort auf dein Gedicht, nächstes Mal geht’s hoffentlich schneller. B-)

Liebe Grüße,

Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)


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