nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
gelbsucht
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nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon gelbsucht » 26.01.2005, 23:11

ein versuch nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz :-)

fieber

für I.R.

wie ein namenloser schwarzer vogel
umkreist mich die müdigkeit
fieberwärmewellen durchfluten mich
und verebben tief im rückenmark

ich hab das zeitgefühl verloren
ein strudel zwischen den buhnen
wo im gegenstrom ein stück holz
auf der stelle treibt und

ich blicke herab auf einen
wabernden teppich aus treibgut
und meinem schwindel-ich
wird schwindelig

was ich jetzt bräuchte ist ein schluck
vom guten Ol' Death Whispering,
von dem süßen wein auf deinen lippen
dem trank, der unsterblich macht
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Silentium
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Silentium » 27.01.2005, 15:19

Sorry, dirk, aber wenn du erst krank sein musst, damit du wieder schreibst, werde ich dich vergiften müssen... ]:-)
Ehrlich, tut gut, endlich wieder einen text von dir zu lesen.


Gefällt mir extrem gut. Bei den letzten zwei Zeilen bin ich mir noch nicht sicher und die zwei adjektive in der ersten Zeile sind mindestens ein Adjektiv zuviel. "buhnen" oder "bühnen?

Sonst wirklich sehr, sehr schön. :-)

Am besten:
und meinem schwindel-ich
wird schwindelig


Ganz liebe Grüße, Silly
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Glaukos » 27.01.2005, 17:45

Hallo Gelbsucht,


ich störe mich an einigen Wendungen.

"Fieberwärmewellen durchfluten mich ..."

Fieberwellen genügte. Fieber ist immer warm, mein ich.

"...und verebben tief im rückenmark"

Tief? Also das Rückenmark ist meiner Meinung nach nirgendwo tief. Eher lang?



"ein strudel zwischen den buhnen"

Was bitte ist ein Buhne?


"und meinem schwindel-ich
wird schwindelig"

Na ja. Auch nicht so originell.


"was ich jetzt bräuchte ist ein schluck
vom guten Ol' Death Whispering"

Schluck groß geschrieben?


Nun, was sagt mir all das? Ein Ich ist müde wie ein schwarzer Vogel, hat Fieber und will einen süßen alten Todesflüsterwein von den Lippen des Du trinken ...
... vielleicht hilft es mir ja weiter, wenn du mir verrätst, was die Buhnen sind.


Die vier Strophen übrigens scheinen mir zu absichtsvoll als Strophen geordnet. das mit dem "und" am Zeilenumbruch ist für sich allein originell, aber ansonsten scheint es mir sehr willkürlich zu sein ...

Außerdem ist mir zu oft vom "ich" die Rede. Das könnte man auch indirekt ausdrücken. Nicht dass ich was gegen Ichs in Gedichten hätte, hier aber ist mir das doch etwas zu vordergründig.

Aber nichts für ungut,
für Verse nach so langer Pause ists nun auch nicht wirklich schlecht ;-)

Liebe Grüße
Tolya

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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Silentium » 27.01.2005, 18:25

Fieberwellen genügte. Fieber ist immer warm, mein ich.


Nicht unbedingt. Die Körpertemperatur ist zwar permanent erhöht, aber man muss es nicht so empfinden. Die Hälfte der Zeit ist einem einfach nur verdammt kalt (mir zumindest).
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Glaukos » 27.01.2005, 19:05

Also wenn ich Fieber habe, ist mir elend fieberglühwelligheiß ;-) Ansonsten ist es kein Fieber, sondern Schüttelfrost.

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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Silentium » 27.01.2005, 19:56

Hab's nachgeschlagen:

Im typischen Fieberanfall kommt es zuerst zu einer Verstellung der Temperaturregelungszentren. Die normale Temperatur wirkt nunmehr wie Kälte, löst also physiologische Aufheizungsreaktionen aus: Vasokonstriktion [Verengung der Gefäße]der Haut, Kältezittern (Schüttelfrost) und subjektives Frieren. Dadurch steigt die Kerntemperatur bis zum neuen Sollwert an, auf dem dann ganz normal geregelt wird. Beim Fieberabfall entgegengesetzte Reaktion, der Körper ist nunmehr gegenüber dem neuen Sollwert zu warm, es kommt zur Entwärmungsreaktion: Gefäßerweiterung, Schweißausbruch und subjektives Hitzegefühl. Durch diese Erwärmungsvorgänge sinkt die Kerntemperatur ab, bis wieder der Normalwert erreicht ist.


Quelle: Kurzgefasstes Lehrbuch der Physiologie, Wolf D. Keidel, Thiemeverlag

Hamma also beide Recht: man kann frieren und/oder man kann Schüttelfrost haben. Der Schüttelfrost und das Frieren zeigen also, dass das Fieber erst im Anmarsch ist. Obwohl es ja wurscht ist, weil ihm eh heiß ist, was heißt, dass das Fieber schon wieder sinkt.
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon razorback » 28.01.2005, 16:12

Ist das echt 'ne Diskussion wert? :-D Na, dann: Für mich ist es bei Fieber typisch, dass ich das Gefühl habe, mir sei KALT. Weil ja auch die Aussentemperatur relativ zu meiner Körpertemperatur sinkt - nicht unlogisch, oder? Von daher finde ich die Fieberwäremewellen erhellend, Fieberwellen würde für mich nämlich sonst - ganz subjektiv - Kälte und/oder Schwäche bedeuten.

Ich hoffe, Dirk, Du hasst Buhnen gemeint, das Wort ist so schön und stirbt wohl aus, da ist eine kurzfristige Wiederbelebung erfreulich. Für die angehörigen fremdartiger Bergvölker: Eine Buhne ist... äh... öhm... also, so einer Art Damm.

Ach so, dass Gedicht...
Es gefällt mir, besonders gefällt mir, wie Du es schaffst, den Kitsch zu umschiffen (und wer schwarze Vögel und süssen Wein auf Lippen bemüht, der begibt sich sehenden Auges in Kitschgefahr). Ist aber nicht kitschig, bei Dir, deshalb bleiben die Bilder stark.

Was ich mich aber dennoch frage:

Wieso "namenlos"? Kreisen namenlose Metaphervögel anders als solche mit Namen? Wieso nicht einfach "schwarzer Vogel" (ja, ja, die Adjektive und ich).

Und eine Frage an mich selbst: Wieso gefällt mir das "wabernd" hier nicht? Ist doch eins schönes Wort uns passt gut ins Bild... dennoch... irgendwie stört's mich.

Und das Ende der dritten Strophe ist vielleicht zu lustig. Das ganze Gedicht hat einen schönen Schuss leichten Humors, da kracht dieser kleine Schenkelklopfer etwas zu sehr rein, finde ich.

Ansonsten: :applaus:
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Silentium » 28.01.2005, 18:57

Eine Buhne ist... äh... öhm... also, so einer Art Damm.


???
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon razorback » 28.01.2005, 21:11

Kurz einen Blick in den Duden geworfen:

Buhne, die;-, -n (künstlicher Damm zum Uferschutz)
O You who turn the wheel and look to windward,
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Silentium » 28.01.2005, 21:22

merci
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Spiderman » 29.01.2005, 20:41

Na, gelbdirk, das wurde ja auch allerhöchste Zeit, dass Du wieder was schreibst! Du kannst nämlich schreiben, wie dieses Gedicht beweist, wenn mir auch manches in dem Gedicht nicht gut gefällt.

Die Metaphorik der ersten drei Strophen finde ich sehr gut ausgestaltet. Die erste Strophe bleibt auf der körperlichen Ebene, beschreibt einfach den geschwächten Organismus des Ich. Danach findet ein Wechsel auf die Bewußtseins-Ebene statt. Die Ordnung und Zielgerichtetheit von Gedanken und Gefühlen geht verloren. Der Bewußtseinsstrom wird zum Strudel, die Bewußtseinsinhalte zum wabernden Teppich. Schwindel ist da nur konsequent.

Die vierte Strophe ist m.E. überflüssig, weil's mir wurscht ist, was das LI meint zu brauchen. Das LI sollte besser im Zustand der drei ersten Strophen verbleiben und nicht zu schnell nach einem Gegengift suchen.

Im Gedicht stören mich neben der vierten Strophe ein paar Kleinigkeiten, die von meinen Vorkritikern schon benannt wurden. Das Adjektiv "namenlos" finde ich beim schwarzen Vogel nicht geschickt. Besser klänge noch "Vogel ohne Namen". Auch die "fieberwärmewellen" gefallen mir nicht gut, sind an der Stelle zu sperrig, Wellen-Gefühle aufkommen zu lassen.

Insgesamt für mich ein ordentliches Gedicht mit Schwächen.

Spiderman
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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon vogel » 03.02.2005, 11:54

Hallo meine Lieben !

ich sitzte gerade in der Schule - Freistunden - leider kann ich deshalb das Gedicht nicht lautlesen und muss es immer in meinem Kopf dahin hallen lassen ... Aber ich will versuchen es morgen noch mal zu lesen .. daheim und laut.

wie ein namenloser schwarzer vogel
du weißt gar nicht wie schön das ist .. okay eion vogel .. ein schwarzer ... aber das ist schön .. einfach nur schön ..

hm, ich würde es gern lautlesen das gedicht, aber auch so gefällt er mir irgendwie. es hat was ... :-)


grüße.
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.

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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon vogel » 03.02.2005, 16:42

so, made ist daheim, was sie jetzt ganz toll findet, aber auch noch eine menge für morgen machen muss, doch nichts desto trotz ... :-)

auf der stelle treibt und

ich blicke herab auf einen
wabernden teppich aus treibgut

Hm, mich stört auch das Enjambemant. Wenn das "und" in der nächsten Strophe wäre, erstes wort dieser Zeile, wäre das kein Problem, aber hm, so ist es arg seltsam zu lesen ...


Aber Dirk, doch gefällt mir sehr :-)
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.

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Re: nach langwieriger gedichteschreibenabstinenz

Beitragvon Flocke » 03.02.2005, 21:58

O.K., noch eine, die den Chef kritisiert.

Mir gefällt das Gedicht bis auf die letzte Strophe. Da muß ich dem beipflichten, der meinte, dass sie aufgesetzt wirkt. Ich denke, dass der Text auch ohne sie funktioniert, es sei denn, die angesprochene Person hat Heilungsfunktion.

Der namenlose schwarze Vogel, warum nicht? Gibt doch auch genügend benamste Viecher, denke nur an Poes Raben Nevermore... Hier also mal einer ohne, kein Problem.

Eine Stelle stört mich dann noch etwas, der doppelte Schwindel am Ende der 3. Strophe. Vielleicht kann man das "schwindelig" ersetzen? Denn das Schwindel-Ich find ich gar nicht übel.

Lieber Gruß
Flocke
...Der den Wind kennt / besser als alle Bücher / den Baum / frag nach Wahrheit...


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