Nach Nirgendwo

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Jack Swallow
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Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 03.12.2007, 21:09

Rennend und keuchend durch ein Erdbeerfeld, verfolgt von meiner Furcht,
hatte ich bald eine Landstraße erreicht.
Mitten auf der Straße saß eine große Krähe, die eine Maus riß.
Ich fragte sie nach dem Weg nach Nirgendwo.
Die Krähe schaute auf und begann krächzend zu lachen.
Nach einer Weile sprach sie schließlich:
"Es gibt kein zurück!
Es gibt niemals ein zurück!
Weißt du das denn nicht?"
Und sichtlich amüsiert,
wandte sie sich wieder ihrer Beute zu.
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

Glaukos
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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 03.12.2007, 22:05

was wohl max brod dazu sagen würde?
PLAGIAT??
HOMMAGE??

(ich sag das: ich mags)

Jack Swallow
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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 05.12.2007, 14:31

Er würde dazu wahrscheinlich sagen,
"Jetzt schau und glaub's mir doch endlich, Franz...
Deine Texte sind super..."
PLAGIAT??
HOMMAGE??

INSPIRATION!!

(Vielen Dank... auch für das nicht zitieren :-)) )
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 05.12.2007, 14:54

ehrlich, inspiration?

gibts das noch?
ist das nicht verboten heute?

Jack Swallow
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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 05.12.2007, 17:50

Soll mal jemand versuchen, mir das Einatmen zu verbieten...
Na ja, das war jetzt Inspiration im medizinischem Sinne.

Wenn inspiratio = Einhauchen von Leben, Beseelung heißt, wäre es ja wider der Vernunft, diese zu verbieten :-|
Vorallem wäre solch ein Verbot wahrscheinlich eine große Inspiration um dasselbige zu missachten, oder?
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 05.12.2007, 21:53

"erst erhielt ich die Inspiration, dann erhieltest du die Respiration".

du=leser.
ich=autor.

jo. das gefällt mir, als bild.

"verboten" war polemik.
setz dich mal als dichter auf ein podium und verkünde, wenn dich eine/r fragt: und wie kamen sie auf das thema? -
"ich hatte da eine inspiration ..."

wie sagte helmut schmidt mal: "wer visionen hat, soll zum arzt gehen."

das hat m.E. auch schon die dichtung erfasst ...

mir egal, wie jemand dazu sagt ...

... ich bin da eher schlicht in der antwort:

"es hat mir gefallen, also habe ich es gemacht."

heute, wohlgemerkt.
morgen denke ich wieder ganz anders. schön blöd, dass die zeit nicht stehenbleibt und man immer wieder neuen unsinn von sich geben darf ;-)

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 05.12.2007, 22:00

Inspiration... Respiration... Transpiration... EGAL!

Hauptsache ist, es kommt zum Vorschein... :-D
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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 05.12.2007, 22:04

ja aber bitte, unbedingt.

du wusstest, worauf ich anspielte?

auf die maus, die läuft und dann werden die mauern enger und am schluss ... kommt die katze ... wie heißt das stück nochmal? brillante miniatur ...

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Khadija » 05.12.2007, 22:54

wie heißt das stück nochmal?


Kleine Fabel.

http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1354&kapitel=1#gb_found
...words strain,
Crack and sometimes break, under the burden,
Under the tension, slip, slide, perish,
Decay with imprecision, will not stay in place,
Will not stay still.

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 05.12.2007, 23:45

gracias, khadija.

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 06.12.2007, 11:43

Der Text, der mich zu dieser Transinspiration geführt hat, war "Gibs auf" von Franzl...

Nichtsdestotrotz hast du einen verdammt scharfen Blick diesbezüglich...
:respekt:
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 06.12.2007, 13:58

erkenne ich an der art der sprache ...
gibs auf ist auch klasse, ja.

franzl hat in diesen miniaturen wohl einiges von fernöstlichen ideen verwestlicht. zen-weisheiten z.b.

gibs auf hab ich mal in der schule meinem für seinen sadismus+zynismus berühmtberüchtigten deutschlehrer interpretiert ... ich glaube, ich habe fünf minuten ad hoc darüber referiert ... während ich das tat, dachte ich: SO VIELE WORTE über eine so kurze story ... war spannend, solch einen vortrag zu halten im unterricht.
der lehrer hat mich nur angesehen; die anderen haben nicht viel verstanden, aber ... es muss sich hübsch angehört haben.
franzl hat m.e. versucht, in diese kurzgeschichten "ein ganzes leben" hineinzupacken. das ist das besondere daran für mich.

es passt auf gibs auf als auch auf die kleine fabel ...

... ein anhauch davon ist auch in deiner kürzestgeschichte. finde ich.

lg
tolya

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 07.12.2007, 08:42

Ganz meine Meinung... (seine Texte sind klasse..., aber das mit den Zen-Weisheiten ist mir neu.)

Das Interessante an den Kafka Kurztexten ist ja, daß eigentlich nur diese ad hoc Interpretationen, also die spontan intuitive Herangehensweise, seinen Texten gerecht werden.

Franzl umschreibt Situationen, die etwas bewirken das mit dem ratio kaum zu fassen ist. Diese unbeschreibliche, manchmal beklemmende Unausweichlickeit.


Der vernünftige Mensch ist eingebettet (oder eher verfangen) in ein Etwas, das sich seinem Einfluß und Kontrolle entzieht und eigendynamisch im Hintergrund agiert.

Es hat keinen Namen, es hat kein Gesicht, es hat keine Intention und entzieht sich vollständig der vernünftigen Deutung.

Dennoch versteht man es, eben intuitiv. Das Faszinierende an seinen Texten ist, daß er einen wortlosen Raum schafft, der trotzdem sehr "dicht" ist...
und gut zu erfühlen.
:-()
Habe die Erfahrung mit den "Ledernacken"- Deutschlehrern bezüglich von Kafkaminiaturtexten auch gemacht :-D
Bei diesen Texten hat das Pochen auf die "Interpretationsfreiheit" immer sehr gut funktioniert...

Wenn man sich vorstellt, daß der Franzl seine Werke nach seinem Tod verbrannt haben wollte, muß man sich schon Fragen, ob man sich auf die Selbsteinschätzung allgemein überhaupt verlassen kann. Nee, man muß sich das nicht fragen. Die Antwort lautet definitiv nein, ist wahrscheinlich zu einseitig...

Insofern können wir dem Max wirklich dankbar sein...

(Einer meiner bevorzugten Texte ist die "Heimkehr". Je älter ich werde, desto besser kann ich den Text nachvollziehen...)

Grüße
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Glaukos » 07.12.2007, 16:30

was ist nochmal das heimkehr-stück? das mit den pferden und dem aufbruch ...? habe da bestenfalls ein paar rudimente im schädel ;-)

die zen-connection ist mehr oder minder auf meinem eigenen mist gewachsen. aber es ähnelt dem. wie brechts "keuner"-texte. dort ist es beabsichtigt - ob kafka zen-bücher gelesen hat, weiß ich nicht.

aber: etwa die geschichte mit dem polizisten (gibs auf), ähnelt ja dem zen. der polizist wäre somit der zen-meister.


ja, in kafka erkenne ich den erfinder des modernen verschwörungsroman, anton wilson oder eco oder dan brown sind legitime nachfolger von kafka und dessen prozess oder schloss ... jedenfalls bin ich noch auf einen "bruderschaften"-roman vor kafka gestoßen, der ähnliche eindringlichkeit gehabt hat; ich meine hier eine PARANOIDE eindringlichkeit.
vermutlich brauchte es dazu auch erstmal den modernen staat und verwaltungsapparat ...

wie man es auch dreht und wendet, kafka hat viel erahnt und vorausgespürt; und dem gespür einfache worte gegeben.

Jack Swallow
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Re: Nach Nirgendwo

Beitragvon Jack Swallow » 09.12.2007, 19:48

Das Heimkehr - Stück ist das mit der Heimkehr... :-))
Nachzulesen bsp. unter Heimkehr (Kafka)

Meinst du mit dem Zen = Polizist den Hinweis , nicht dem Verstand "anzuhaften" um die Weisheiten des Unbewußten wirken zu lassen (Satori)?
Also, "gibs auf" mit deiner Rennerei, "gibs auf" mit deinen Zielen? Könnte passen...

Hat was von dem (wars der Zen-?)Meister, der seinen Schülern paradoxe Fragen stellt, und egal wie sie es beantworten, eine fette Ohrfeige gibt...

Es gibt, was dieses "Kafkaeske" angeht, verschiedene mögliche Sichtweisen.

Man betrachtet es entweder sachlich, als so eine Art Vorläufer der "Verschwörungsromane"
oder man betrachtet es "philosophisch", als ein Aufflackern des hinter der realen Welt stehenden geheimnisvollen Urgrundes ("Sein" als Spinnennetz, in dem man sich verfängt).
Wie auch immer, es lebe die "Interpretationsfreiheit" in einem vernünftigen Rahmen...

Die, von dir erwähnte, paranoide eindringliche Anspielung Kafkas auf den Staat und seinem technokratischen Gebaren, stimmt wahrscheinlich.

Andererseits könnte es auch so sein, wie es Umberto Eco in dem Roman "Die Insel des vorigen Tages" einen seiner Protagonisten sagen läßt:
"Es kommt oft vor, daß die Menschen, um sich nicht einzugestehen, daß sie selbst die Autoren ihres Schicksals sind, dieses Schicksal als einen Roman betrachten, der von einem phantasievollen schurkischen Autor erdacht worden ist"...

Grüße
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)


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