Ostern

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Undine
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Ostern

Beitragvon Undine » 24.04.2003, 15:45

Ostern

der wind blies mir
sich ins gesicht als ich mich losriss
vom spielen (das wollte mich da behalten).
ich ging papa wecken der sich kurz hingelegt und zuvor noch das feuer
im kamin geschürt hatte
ich (kam vom spielen war vier) kletterte
auf ihn diesen berg papa
wer hat das gipfelkreuz (zur hölle!)
weg genommen ??
dessen haar rötlich schimmerte wie sonst
seine eigenhändigen ohrfeigen
doch papa (was ich gleich sah) hatte sich
irgendwie gar nicht im blick
der zielte mir auf den bauch schoss traf bohrte bis es weh tat
& hing doch nur klebrig außen an mir wie zwei flecken
marmelade
hat papa sich irgendwo (ganz in sich drin?) versteckt
weil ostern ist? doch waren seine türen alle drei offen & er nicht zu finden nicht drin und nicht da.
ich kam vom spielen war vier und sah hin
Ungeschriebene Dinge und Taten versinken im Dunkel und fallen dem Vergessen anheim, geschriebene aber werden beseelt.

Iwan Bunin, Literaturnobelpreisträger 1933

Undine
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Re: Ostern

Beitragvon Undine » 24.04.2003, 15:48

Hallo alle miteinander; Undine ist wieder da. Oben mal wieder ein Text von mir... ich bitte um schonungslose Kritik & Verbesserungsvorschläge ;-)
Ungeschriebene Dinge und Taten versinken im Dunkel und fallen dem Vergessen anheim, geschriebene aber werden beseelt.

Iwan Bunin, Literaturnobelpreisträger 1933

gelbsucht
Pegasos
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Re: Ostern

Beitragvon gelbsucht » 25.04.2003, 03:10

Protokoll eines Chatgesprächs zwischen gelbsucht und Hamburger

gelbsucht (23:21:42): Und jetzt zu Muffin!
gelbsucht (23:21:49): Wie fandest du den Text?
Hamburger (23:22:19): Sehr gut. Sehr detailiert. Sehr intensiv beschrieben.
Weniger albern als sonst, dennoch an einigen Stellen recht witzig. Fast rundum gelungen.
gelbsucht (23:22:47): Ganz meine Meinung. Leider hab ich schon im JL meine Meinung dazu kundgetan.
gelbsucht (23:23:19): Und das Gedicht von Undine?
gelbsucht (23:23:29): Hast du das verstanden?
Hamburger (23:23:56): Hab ich einmal durchgelesen. Mir unverständlich.
Hamburger (23:24:13): Müsste man sich intensiver mit beschäftigen.
gelbsucht (23:24:21): Ich hab da auch so meine Probleme mit
Hamburger (23:24:50): Besser so ein Gedicht als eine Spam-Liebesgedichtattacke
gelbsucht (23:25:04): Da hast du auch wieder Recht
gelbsucht (23:25:18): Lust auf ein Experiment?
Hamburger (23:25:25): Gern.
gelbsucht (23:26:04): Wie wär's, wenn wir "Ostern" uns jetzt im Gespräch erschließen & kommentieren?
gelbsucht (23:26:28): Quasi im direkten Zwiegespräch
Hamburger (23:26:55): Schaffen wir das bis Mitternacht? Muss noch Herrn Weber und Herrn Mead gerecht werden?
Hamburger (23:27:05): Versuchen wir`s!
gelbsucht (23:27:11): Beiden auf einmal? An einem Abend?
Hamburger (23:27:41): Alles schaffe ich nicht mehr. Aber wenigstens einen Teil möchte ich noch lesen.
gelbsucht (23:27:46): Okay, es ist Ostern
gelbsucht (23:27:57): Ein vier Jahre altes Kind spielt
gelbsucht (23:28:08): Junge oder Mädchen?
Hamburger (23:28:39): Wollen wir nicht mal das Gedicht hier kurz abdrucken. Ich brauche es vor Augen.
gelbsucht (23:31:01): Wie wär's Zeile für Zeile?
Hamburger (23:31:48): Zeile für Zeile ist gut.
gelbsucht (23:31:51): Ist das "sich" in der zweiten Zeile nicht überflüssig?
Hamburger (23:32:12): Dachte ich auch schon
Hamburger (23:32:17): Aber ich glaube das ist Absicht.
gelbsucht (23:32:30): Der Wind blies sich mir ins Gesicht - ist doch seltsam
Hamburger (23:32:39): So wird der Wind richtiggehend personifiziert.
gelbsucht (23:32:57): Okay, klingt aber doch etwas merkwürdig
Hamburger (23:33:19): Stimmt. Aber hier liegt ja noch kein Verständnisproblem.
gelbsucht (23:33:30): Nein, keines
Hamburger (23:33:45): "als ich mich losriss"
gelbsucht (23:33:50): Auch eigentlich alles klar
Hamburger (23:34:07): Ja, aber nun ...
gelbsucht (23:34:15): Was?
Hamburger (23:34:24): "vom spielen (das wollte mich da behalten)"
Hamburger (23:34:44): Was wollte sie da behalten?
gelbsucht (23:34:48): Sie reißt sich los vom Spiel, dass sie fesselt, dass sie nicht loslässt
gelbsucht (23:35:02): Auch das Spiel wird personifiziert
Hamburger (23:35:17): Aha, okay, verstanden.
gelbsucht (23:35:23): Weiter?
Hamburger (23:35:44): "ich ging papa wecken der sich kurz hingelegt und zuvor noch das feuer im kamin geschürt hatte"
Hamburger (23:35:54): Alles klar, oder?
gelbsucht (23:36:02): Nö
Hamburger (23:36:07): Wieso nicht?
gelbsucht (23:36:16): Das Feuer im Kamin - zu Ostern?
Hamburger (23:36:31): Na ja, es gibt auch kalte Ostertage.
gelbsucht (23:36:39): Vorher spielt das Kind auch noch draußen
Hamburger (23:37:00): Kinder sind nicht so kälteempfindlich.
gelbsucht (23:37:03): Okay, es sind kalte Ostertage
Hamburger (23:37:05): Okay, also weiter.
Hamburger (23:37:18): "ich (kam vom spielen war vier) kletterte
auf ihn diesen berg papa"
gelbsucht (23:37:24): Auch klar
Hamburger (23:37:32): Moment.
Hamburger (23:37:40): "kam vom spielen war vier"?
gelbsucht (23:37:43): Der Vater ist für ein vierjähriges Kind ziemlich groß
gelbsucht (23:37:55): Sie ist vier Jahre alt, soll das heißen
Hamburger (23:37:56): Ja, klar, aber die Klammer.
gelbsucht (23:38:01): Das Komma fehlt
Hamburger (23:38:08): Das ist doch sehr abgehackt und auch ungewöhnlich
Hamburger (23:38:22): Das Alter wird nur eingeworfen und passt nicht so recht in den Kontext.
gelbsucht (23:38:58): Stimmt, aber die Zeitform durchbricht den Text
gelbsucht (23:39:08): Es ist also quasi eine Erinnerung!?
Hamburger (23:40:34): Ja, es ist eine, aber was meinst du mit
Hamburger (23:40:41): "die Zeitform durchbricht den Text"
gelbsucht (23:40:50): Da hab ich mich geirrt.
gelbsucht (23:41:00): Ist alles Vergangenheit.
Hamburger (23:41:14): Eben.
gelbsucht (23:41:17): Was bedeutet also dieses "war vier"?
Hamburger (23:41:29): Na, dass sie vier Jahre alt war.
Hamburger (23:41:33): Das ist schon klar.
Hamburger (23:41:39): Es ist nur eine ungewöhnliche Art,
Hamburger (23:41:43): sein Alter so einzuwerfen
gelbsucht (23:41:49): Stimmt
gelbsucht (23:42:01): Passt an der Stelle vielleicht nicht so richtig
gelbsucht (23:42:09): Auch die Klammer stört mich
Hamburger (23:42:14): So sprechen eigentlich nur kleine Kinder
Hamburger (23:42:21): So abgehackt
Hamburger (23:42:30): Ich find die Klammer auch nicht toll
gelbsucht (23:42:35): Aber was sollen die ganzen Klammern im Gedicht?
gelbsucht (23:42:51): Neigen kleine Kinder dazu, ihre Handlungen immer zu kommentieren?
Hamburger (23:43:13): Wie meinst du das?
gelbsucht (23:43:14): Und dabei auch immer als Entschuldigung für den Kommentar, ihr Alter gleich mitanzugeben?
Hamburger (23:43:27): Ach so
gelbsucht (23:43:42): Das in den Klammern sind Kommentare der Handlungen.
Hamburger (23:43:45): Nein, aber sie erzählen natürlich nicht so strukturiert wie Erwachsene
Hamburger (23:43:55): Da kann so was schon mal vorkommen auch wenn es unwahrscheinlich bleibt
gelbsucht (23:44:09): Okay, weiter?
gelbsucht (23:44:21): Der schwierige Teil kommt ja erst noch ...
Hamburger (23:44:44): Also:
Hamburger (23:44:57): "wer hat das gipfelkreuz (zur hölle!)
weg genommen ??"
gelbsucht (23:45:08): Das Gipfelkreuz?
gelbsucht (23:45:16): Sowas denken kleine Kinder nicht!
Hamburger (23:45:24): Das stimmt.
gelbsucht (23:45:30): Das ist zu komplziert für einen vierjährigen Verstand
Hamburger (23:45:33): Also eine Erinnerung einer Erwachsenen?
gelbsucht (23:45:44): Hier übertreibt Undine es mit der Vater-Berg-Metapher
Hamburger (23:45:51): Was soll das Gipfelkreuz sein?
gelbsucht (23:46:12): Sie greift hier nochmal auf den Vater als Berg zurück
Hamburger (23:46:19): Das ist mir klar.
Hamburger (23:46:28): Aber was ist das Gipfelkreuz?
gelbsucht (23:46:36): Keine Ahnung
gelbsucht (23:46:49): Vielleicht hat er ja sonst eine Mütze auf? ;-)
Hamburger (23:47:17): Ich hab einen Verdacht, aber ich sprech ihn noch nicht aus
gelbsucht (23:47:25): Okay
gelbsucht (23:47:38): Auf jeden Fall ist dann von seinen Haaren die Rede
gelbsucht (23:47:45): Gipfel = Haare!
gelbsucht (23:48:16): Verstehst du diese Assoziation?
Hamburger (23:48:21): Wie kann denn Haar wie Ohrfeigen schimmern?
gelbsucht (23:48:38): Das verstehe ich auch nicht
gelbsucht (23:48:40): Rötlich = wie Ohrfeigen
Hamburger (23:48:42): Nööö - aber ich sprech meinen Verdacht doch aus...
Hamburger (23:48:46): Kennst du das Lied "Böser Wolf"
Hamburger (23:48:48): von den Toten Hosen?
gelbsucht (23:48:57): Nein
gelbsucht (23:49:05): Oder ich erinnere mich nicht mehr
Hamburger (23:49:30): Geht's hier vielleicht um Kindesmissbrauch?
Hamburger (23:49:36): Ich werd das Gefühl nicht los.
gelbsucht (23:49:43): Ja, das denke ich auch
Hamburger (23:49:48): Auch wenn ich es am Gedicht noch nicht belegen kann.
gelbsucht (23:49:55): Doch, kann ich schon
Hamburger (23:50:03): Ich bin gespannt.
gelbsucht (23:50:15): Eins nach dem anderen
gelbsucht (23:50:20): Nochmal zurück zu den Ohrfeigen
gelbsucht (23:50:50): Die Haare schimmern wie seine Ohrfeigen?
gelbsucht (23:50:55): Rötlich
Hamburger (23:51:01): Welche Haare denn?
gelbsucht (23:51:10): Des Vaters Haare
Hamburger (23:51:11): Wir müssten wissen, was für Haare sie meint?
gelbsucht (23:51:29): Es heißt: dessen Haar
gelbsucht (23:51:42): Und nicht: meine Haare
Hamburger (23:51:59): Übrigens, kleine Anmerkung...
gelbsucht (23:52:06): Aber der Vergleich ist irgendwie schief!
Hamburger (23:52:07): Stilistisch find ich das ziemlich cool.
gelbsucht (23:52:14): Was?
Hamburger (23:52:27): Erst kommt die Frage die mit Papa anfängt und lässt man die aus, dann liest man...
Hamburger (23:52:33): "papa, dessen haar."
Hamburger (23:52:37): Eindeutig doppeldeutig.
gelbsucht (23:53:00): Verstehe ich nicht
Hamburger (23:53:14): Egal, ich hab ne Assoziation
Hamburger (23:53:31): "dessen haar rötlich schimmerte wie sonst
seine eigenhändigen ohrfeigen"
Hamburger (23:53:58): Wer Ohrfeigen bekommt kriegt mindestens rote Backen. Bei richtig heftigen blutet man.
Hamburger (23:54:08): Das könnt den schiefen Vergleich gerader machen
gelbsucht (23:54:09): Hmm.
gelbsucht (23:54:22): Aber die eigenen roten Backen sieht man nicht
Hamburger (23:54:31): Aber man fühlt sie. Ausserdem gibt es Spiegel.
gelbsucht (23:54:40): Und so um die Ecke denken kleine Kinder nicht
Hamburger (23:54:52): Das ist doch eine Erinnerung. Eine Erwachsene kann so denken
gelbsucht (23:55:10): Aber ich finde den Vergleich für die Perspektive eines Kindes, die hier eingenommen wird, doch recht kompliziert
Hamburger (23:55:19): Das stimmt.
gelbsucht (23:55:35): Warum dann die Kindsprache, wenn es ein Erwachsener sein soll?
Hamburger (23:56:08): Das ist wirklich merkwürdig. Hast recht.
gelbsucht (23:56:14): Weiter!
Hamburger (23:56:20): Aber es heißt imerhin: war vier
Hamburger (23:56:24): Und nicht: bin vier.
gelbsucht (23:56:32): Das stimmt
gelbsucht (23:56:48): Das ist ein Widerspruch: Kindsprache vs. Erinnerung
gelbsucht (23:57:07): Man erinnert sich in der Sprache, die man als Erwachsener spricht
Hamburger (23:57:08): Stimmt.
Hamburger (23:57:15): "doch papa (was ich gleich sah) hatte sich
irgendwie gar nicht im blick"
gelbsucht (23:57:20): Die Zeile versteh ich gar nicht!
gelbsucht (23:57:31): Er "hatte sich gar nicht im blick"?
gelbsucht (23:57:37): Sich im Blick haben?
Hamburger (23:57:50): Ist irgendwie nicht bei sich. Hatte sich nicht unter Kontrolle.
gelbsucht (23:58:04): Ja, das habe ich auch assoziert.
gelbsucht (23:58:12): Ist aber etwas krude ausgedrückt.
gelbsucht (23:58:22): Aber könne wir so durchgehen lassen
gelbsucht (23:58:30): Weiter!
Hamburger (23:58:47): "der zielte mir auf den bauch schoss traf bohrte bis es weh tat
& hing doch nur klebrig außen an mir wie zwei flecken"
Hamburger (23:59:03): Hmm ...
gelbsucht (23:59:07): Die erste Zeile: der Missbrauch
gelbsucht (23:59:25): Sehr bildhaft und deutlich beschrieben
Hamburger (23:59:21): Aber warum: Bauch?
Hamburger (23:59:35): Warum nicht: Unterleib?
gelbsucht (23:59:37): Umschreibung! Kindersprache!
Hamburger (23:59:55): Okay
gelbsucht (00:00:01): Bohrte bis es weh tat, ist doch ziemlich eindeutig
Hamburger (00:00:08): Stimmt.
Hamburger (00:00:26): Diese Zeile ist sehr schaurig
Hamburger (00:00:34): Besonders in der Kindsprache
gelbsucht (00:00:40): Ja!
Hamburger (00:00:41): Vermag sie zu erschüttern
gelbsucht (00:00:48): Aber auch irgendwie billig, find ich
Hamburger (00:00:56): Find ich nicht
Hamburger (00:01:06): Warum billig?
gelbsucht (00:01:16): Zu eindeutig.
gelbsucht (00:01:26): Zu direkt.
Hamburger (00:01:26): Eben Kindsprache
Hamburger (00:01:33): Zweite zeile
gelbsucht (00:01:42): Zitier noch mal!
Hamburger (00:02:00): "& hing doch nur klebrig außen an mir wie zwei flecken"
gelbsucht (00:02:17): Orgasmus, Erschöpfung!
gelbsucht (00:02:26): Wie zwei Flecken?
gelbsucht (00:02:32): Das versteh ich nicht
Hamburger (00:02:44): "marmelade" kommt danach
gelbsucht (00:02:57): Wie zwei Flecken Marmelade?
gelbsucht (00:03:05): Mhh.
gelbsucht (00:03:09): Was meinst du?
Hamburger (00:03:17): Der erschöpfte Körper
Hamburger (00:03:30): des missbrauchenden Vaters klebt am Körper des Kindes
gelbsucht (00:03:38): Aber warum zwei Flecken Marmelade?
Hamburger (00:03:46): Ziemlich hart.
Hamburger (00:03:54): Weiss nicht.
gelbsucht (00:03:56): Zu deutlich, für meinen Geschmack
Hamburger (00:04:11): Jetzt komm ich wieder mit: eben Kindsprache
gelbsucht (00:04:28): Aber die "zwei" muss etwas bestimmtes bedeuten.
gelbsucht (00:04:35): Marmelade ist rot
Hamburger (00:04:49): Und?
gelbsucht (00:04:51): Das mit der roten Farbe hatten wir schon mal ...
gelbsucht (00:04:54): Die Haare
gelbsucht (00:05:03): Aber zwei rote Flecken?
Hamburger (00:05:09): Schimmerten rötlich
Hamburger (00:05:24): Was soll das ein?
gelbsucht (00:05:30): Ich komm nicht dahinter
Hamburger (00:05:43): Ich auch nicht
Hamburger (00:05:48): Weiter?
gelbsucht (00:05:51): Ja.
Hamburger (00:05:54): "hat papa sich irgendwo (ganz in sich drin?) versteckt"
gelbsucht (00:06:34): Ein Rückgriff auf das: "doch papa (was ich gleich sah) hatte sich irgendwie gar nicht im blick"
gelbsucht (00:07:03): Der Täter, der nicht er selbst ist?
gelbsucht (00:07:11): Ist auch ein Klischee
Hamburger (00:07:21): So nach dem Motto: der Mann, der das tut, ist nicht der wahre Papa. Nicht der, den ich sonst kenne.
gelbsucht (00:07:32): Gefällt mir nicht, dass der Vater durch den Mund des Kindes hier quasi noch entschuldigt wird.
Hamburger (00:07:47): Sehe ich auch so.
gelbsucht (00:07:50): Als unzurechnungsfähig
Hamburger (00:08:02): Na ja, oder einfach als ...
Hamburger (00:08:16): Ambivalent
gelbsucht (00:08:27): Ambivalent?
gelbsucht (00:08:32): Wie meinst du das?
Hamburger (00:09:03): Das kann ich nicht ausdrücken, ohne dass es sich schaurig anhört.
Hamburger (00:09:15): Erspar mir das. Gedanke ist nicht so wichtig.
gelbsucht (00:09:22): Bitte. Machen wir weiter
Hamburger (00:09:48): Genau, machen wir weiter
Hamburger (00:09:51): "weil ostern ist? doch waren seine türen alle drei offen & er nicht zu finden nicht drin und nicht da."
Hamburger (00:10:09): Türen? Welche Türen?
gelbsucht (00:10:15): Das Kind mutmaßt, das sich der Vater wegen Ostern versteckt
Hamburger (00:10:21): Klar
Hamburger (00:10:28): Aber welche Türen
Hamburger (00:10:32): Drei offene Türen?
gelbsucht (00:10:33): Wenn es zwei Türen sind, hätte ich gesagt: es sind die Augen!
gelbsucht (00:10:35): Aber drei?
Hamburger (00:10:46): Könnte die dritte Tür ... ?
Hamburger (00:11:00): Du weisst schon!
Hamburger (00:11:09): Aber neee, das ist zu abgehoben, oder?
gelbsucht (00:11:13): Sag es
Hamburger (00:11:34): Na, der Reissverschluss zur Hose
gelbsucht (00:11:42): Möglich. Nennt man doch auch so.
Hamburger (00:11:50): Glaubst du wirklich?
gelbsucht (00:11:55): Keine Ahnung.
Hamburger (00:12:05): Zwei Türen sind die Augen und eine ist der Reissverschluss?
gelbsucht (00:12:12): Aber der Zusammenhang von Augen - Reissverschluss passt nicht
Hamburger (00:12:20): Stimmt.
gelbsucht (00:12:37): Außerdem passt es nicht zusammen, mit dem "Der Papa ist nicht da"
gelbsucht (00:12:47): Was also dann?
Hamburger (00:13:15): Sie kann doch keine Eingänge am Körper meinen.
gelbsucht (00:13:16): Aber es heißt: "ganz in sich drin"
gelbsucht (00:13:37): Also muss sie etwas am Körper meinen
Hamburger (00:14:00): Aber was?
gelbsucht (00:14:04): Vielleicht die Sinne: Augen, Ohren, Fühlen?
Hamburger (00:14:22): Schmecken, riechen
gelbsucht (00:14:47): Wohinter kann sich der Vater verstecken, ist die Frage.
gelbsucht (00:14:59): Bzw. woran sieht man, dass jemand nicht er selbst ist
gelbsucht (00:15:08): Ich komme nur immer wieder auf die Augen
Hamburger (00:15:12): Also die Augen sind der Spiegel der Seele
Hamburger (00:15:22): Um mal einen alten abgehalfterten Spruch aufzugreifen
gelbsucht (00:15:25): Aber dann passt das mit der "drei" nicht.
gelbsucht (00:15:54): Die Frage bleibt: was ist die dritte Tür?
Hamburger (00:16:10): Der Mund?
gelbsucht (00:16:28): Warum der Mund?
Hamburger (00:16:29): Auch Sprache sagt etwas über den Menschen aus?
gelbsucht (00:16:34): Das stimmt.
Hamburger (00:16:43): Es könnte ja heissen:
Hamburger (00:16:48): Er sah mich nicht und er sprach nicht mit mir.
gelbsucht (00:16:53): Bei so einem Missbrauchsakt, entstehen sicherlich auch Töne, die nicht zu diesem Menschen passen
Hamburger (00:17:03): Bingo. Das könnte es sein.
Hamburger (00:17:18): Und es entstehen unpassende Blicke
Hamburger (00:17:30): Unpassend ist viel zu harmlos ausgedrückt
gelbsucht (00:17:42): Richtig
gelbsucht (00:17:56): "alle drei offen & er nicht zu finden nicht drin und nicht da. ich kam vom spielen war vier und sah hin"
gelbsucht (00:18:14): Nicht drin und nicht da?
Hamburger (00:18:21): Na, sie konnte ihn nicht ansprechen und nicht ansehen.
gelbsucht (00:18:27): "offen" - spricht eigentlich auch für den Mund
Hamburger (00:18:28): Sie fand sein Versteck nicht.
Hamburger (00:18:33): Er war ein anderer Mensch
Hamburger (00:18:41): "nicht drin und nicht da" ist doppelt gemoppelt
gelbsucht (00:18:54): Deswegen wundert es mich
gelbsucht (00:19:22): "ich kam vom spielen war vier und sah hin"
gelbsucht (00:19:29): Nochmal das Alter
Hamburger (00:19:50): War eigentlich nicht notwendig
gelbsucht (00:19:52): Was soll denn dieses "sah hin" zum Schluss?
Hamburger (00:20:04): Vor allem hätte sie sich die klammer am anfang sparen können
gelbsucht (00:20:15): Die letzte Zeile erscheint mir irgendwie überflüssig
Hamburger (00:20:30): Das Alter am Schluss hätte noch einen viel härteren Effekt gehabt, als dieses Gedicht ohnehin schon hat, bei dem es mir kalt den Rücken runterläuft.
gelbsucht (00:20:50): Die Anspielung auf das Verstecken in der vorletzten Zeile wäre ein viel besserer Abschluss des Gedichtes
Hamburger (00:21:31): Wäre auch gut, stimmt
gelbsucht (00:21:46): Was bedeutet dieses "sah hin"?
gelbsucht (00:21:53): Ich sah hin, aber sah ihn nicht?
Hamburger (00:22:07): Glaube ich schon, ja.
gelbsucht (00:22:25): Dann sind wir durch
Hamburger (00:22:34): Mir kommt da ein Gedanke
Hamburger (00:22:42): Aber ich weiss nicht, ich weiss nicht
gelbsucht (00:22:50): Sag schon
Hamburger (00:23:00): Aber prügel mich nicht.
gelbsucht (00:23:07): Doch
Hamburger (00:23:20): Sollen wir nicht mal einen Dialog abdrucken, wenn wir uns ein Gedicht erarbeiten?
Hamburger (00:23:29): Es muss nicht unbedingt dieser sein!
Hamburger (00:23:44): Aber das wäre doch auch mal ein Experiment wie die im Forum darauf reagieren!
gelbsucht (00:23:49): Wir werden den hier abdrucken ... ich werd ihn gleich noch ein bißchen glätten
Hamburger (00:23:57): Glätten?
gelbsucht (00:24:08): Sprachlich und stilistisch
Hamburger (00:24:16): Warum?
gelbsucht (00:24:18): Fehler beseitigen.
Hamburger (00:24:27): Rechtschreibfehler: okay
Hamburger (00:24:31): Aber stilisitisch?
gelbsucht (00:24:32): Damit es besser aussieht
gelbsucht (00:24:39): Nein, nicht wie du meinst
Hamburger (00:24:41): Ich weiss nicht.
Hamburger (00:24:47): Es sollte natürlich sein.
Hamburger (00:24:52): So wie es entstand.
gelbsucht (00:25:01): Aber zum Beispiel die großen Zitate rausnehmen ...
gelbsucht (00:25:17): Das Durcheinander ein bißchen beseitigen.
Hamburger (00:25:21): Okay, aber keine Passagen weglassen oder umordnen
gelbsucht (00:25:27): Keine Sorge, ich hab dafür ein Händchen
Hamburger (00:25:33): Das hoffe ich.
Hamburger (00:25:46): Jetzt da du auf meine Idee angesprungen bist ...
Hamburger (00:25:57): und da ich weiss dass Undine dass hier alles lesen wird,
Hamburger (00:26:01): frage ich ...
gelbsucht (00:26:01): Wollte ich von vornherein!
Hamburger (00:26:09): Echt?
gelbsucht (00:26:11): Ja.
Hamburger (00:26:15): Schuft!
gelbsucht (00:26:21): War alles ein Planspiel
Hamburger (00:26:28): Verbrecher!
gelbsucht (00:26:40): Find ich originell und Undine wird sich darüber freuen
Hamburger (00:26:49): Wegelagerer!
Hamburger (00:26:53): Ich frage also
Hamburger (00:27:17): und bitte diese Frage drin zu belassen:
gelbsucht (00:27:25): Nö. Ich bin doch ein Schuft :-D
Hamburger (00:27:44): Doch! Also: Wie muss man drauf sein, um so ein Gedicht zu schreiben?
Hamburger (00:27:52): Was schiesst einem da durch den Kopf?
Hamburger (00:28:14): Ich hab immer noch Gänsehaut.
gelbsucht (00:28:15): Das fragst du aber sie und nicht mich, oder?
Hamburger (00:28:27): Ich frage dich nach deiner Vermutung.
gelbsucht (00:28:50): Sie versucht sich an einem schwierigen Thema.
gelbsucht (00:29:08): Ich bin mir nicht sicher, ob sie ihm gerecht wird.
gelbsucht (00:29:19): Manche Sachen find ich zu direkt.
gelbsucht (00:29:27): Oder widersprüchlich.
gelbsucht (00:29:55): Andere unangemessen: Stichwort Unzurechnungsfähigkeit
gelbsucht (00:30:05): Aber vielleicht ist das ja auch von ihr beabsichtigt?
Hamburger (00:30:11): Ich gebe dir recht. Aber die Art der Darstellung. Die ist sehr ... und das meine ich positiv:
Hamburger (00:30:17): ungewöhnlich.
gelbsucht (00:30:28): Das stimmt.
Hamburger (00:30:28): Normalerweise triefen Gedichte zu diesem Thema ...
Hamburger (00:30:39): vor Moral und Schwarz/Weiß-Darstellung.
gelbsucht (00:30:48): Da gebe ich dir Recht.
Hamburger (00:30:53): Sie war, immerhin das muss ich ihr lassen, sehr effektvoll.
Hamburger (00:31:13): Leider: ich kann dann immer schlecht schlafen.
gelbsucht (00:31:13): Ich hatte keine Gänsehaut.
Hamburger (00:31:20): Echt nicht?
gelbsucht (00:31:22): Nein.
Hamburger (00:31:28): Warum nicht?
gelbsucht (00:31:45): Keine Ahnung.
Hamburger (00:32:41): Meldet sich da nicht dein Mitgefühl? Bei so einem Gedicht?
gelbsucht (00:33:15): Es bewegt mich nicht so sehr. Ich weiß auch nicht.
gelbsucht (00:33:30): Diese Missbrauchsgeschichten finde ich abgedroschen.
gelbsucht (00:33:37): Die lösen bei mir nichts aus.
gelbsucht (00:34:08): Für dich ist das hier eindringlich, für mich nicht
Hamburger (00:37:04): Für mich war es eindringlich genug. Wenn ich mir vorstelle, dass wir mit unserer Interpretation der drei Türen Recht hatten und der Vater anders schaut und stöhnt ... das ist widerlich eindringlich. Diese Vorstellung tut so weh, die löst bei mir große Betroffenheit aus.
Hamburger (00:37:30): Aber wenn du es nicht so empfindest: Ich will dir um Gottes willen nicht vorschreiben, was du zu empfinden hast.
gelbsucht (00:37:44): Hier zeigt sich, wie ich finde, wieder:
gelbsucht (00:38:18): Gedichte können bei verschiedenen Menschen, sehr verschiedene Reaktionen auslösen - auch bei einem ähnlichem Verständnis des Inhaltes.
gelbsucht (00:38:48): Sollen wir das wirklich mit reinnehmen?
Hamburger (00:39:19): Das überlasse ich dir.
gelbsucht (00:39:25): Okay.

ENDE
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Re: Ostern

Beitragvon Undine » 25.04.2003, 11:36

Hallo ihr zwei!! Ihr seid einfach lustisch ;-) ; hängt euch richtig rein. Erstmal zum Verständnis des Inhalts (ich weiß inzwischen, dass der schwer zu erschließen ist, hat mir jemand versichert, der selber schreibt & publiziert und den Text auch erst beim zweiten Lesen verstanden hat 8-o ): es geht um ein Kind, dass Ostern vom Spielen ins Haus kommt und seinen toten Vater findet: "papa...hatte sich irgendwie gar nicht im blick" heißt: sein Blick war leer, tot, er war eben einfach und buchstäblich nicht mehr drin. Der Blick (zwei Augen) befand sich in Höhe des Bauches des Kindes und bewegte sich nicht, was dem Kind Angst machte ("schoss traf bohrte"); der Blick - also die Augen - hingen an ihm leblos wie zwei Flecken irgendwas. Es sucht seinen Vater; das Kind sieht ja, dass er irgendwie nicht da ist, was Tod bedeutet, weiß es noch nicht und überlegt deshalb, ob er sich versteckt hat. Es ist Ostern und an Ostern werden ja auch andere Sachen versteckt, warum also nicht der Vater? (Sehr kindlich gedacht, aber warum nicht plausibel?). Doch es sieht ihn nirgends. Die Augen geben kein Lebenszeichen, der Mund steht offen und sagt nichts (die drei Türen). Ich weiß, ich habe da ein sensibles Thema berührt. Und diese Missbrauchssache, die euch durch den Kopf ging, ist soweit nicht hergeholt. Solche Vermutungen wollte ich im Leser durchaus erwecken; der Missbrauch könnte ja bereits stattgefunden haben, deshalb könnte das Kind an klebrige Marmeladeflecken denken...? Ist sicherlich provokant, geb ich zu.
Auch die anderen Aspekte, die ihr angedacht habt, sind so gewollt (es handelt sich hier um ein ziemlich gründlich durchkonstruiertes Gedicht); allerdings will ich nicht alles auf einmal verraten ;-) :-)) .
Liebe Grüße
Undine
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Re: Ostern

Beitragvon razorback » 25.04.2003, 12:24

Hey, hier kann man was lernen! Grossartige Form der Kritik, die Herren. B-)

Undine, leider kann ich jetzt nicht mehr unbelastet an Dein Gedicht herangehen, da der Dialog der Beiden mir sehr viel erschlossen und mich natürlich auch beeinflusst hat. Soviel aber dennoch:

Ich hatte auch den starken Eindruck, dass Missbrauch das Thema sei. Ich fand die Bildsprache komplex und schwierig, aber dennoch sehr gelungen, da sie die Assoziationskraft des Lesers frei liess, ohne ihn aus dem (scheinbaren) Thema zu entlassen. Ein sehr gelungenes Gedicht also.

Nach Deiner Erklärung muss ich dieses Lob allerdings einschränken - selbst Schuld, warum lässt Du Dir auch in die Karten gucken? :-D
Aber ernsthaft: "Kind findet seinen toten Vater" ist ein hartes, schwieriges Thema. "Kind findet seinen toten Vater und vielleicht hat der es mal missbraucht" - damit hast Du Dich vielleicht etwas übernommen.
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Re: Ostern

Beitragvon Spiderman » 25.04.2003, 13:33

Ja, für mich las es sich auch so, dass es um sexuelle Gewalt geht. "auf den Bauch zielen, schiessen, bohren bis es weh tut" läßt eigentlich keinen anderen Schluß zu. Gleichzeitig bleibt das Gedicht verwirrend, nebulös. Das ist nicht unbedingt schlecht, weil es sich einer intensiven, dichten Sprache bedient. Gerade das Setzen der Klammern halte ich für ausgesprochen gelungen, weil so ein innerer Dialog entsteht.

Allerdings - nach Deiner Erklärung - halte ich die Verknüpfung "Tod des Vaters entdecken" und "könnte ja was mit sexuellen Missbrauch zu tun haben" für nicht redlich. Auf ein extremes Thema noch eins drauf zu setzen, um so eine starke Wirkung zu erzielen halte ich für Effekthascherei. Wenn man sich also genauer mit dem Gedicht befasst und dahinter kommt, bleibt vom intensiven ersten Eindruck wenig übrig.

Bleib auf alle Fälle an dem Gedicht dran. ich kann mir vorstellen, dass es noch richtig gut werden kann.

Liebe Grüße

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Re: Ostern

Beitragvon Undine » 25.04.2003, 15:11

@razorback: "Aber ernsthaft: "Kind findet seinen toten Vater" ist ein hartes, schwieriges Thema." Das habe ich bereits zugestanden und noch mehr (auch sehr gute) Lyriker versuchen sich an schwierigen Themen; ich bin nur dabei, ein solches lyrisch umzusetzen - also bitte genau diese Umsetzung kritisieren.
@razorback: "Kind findet seinen toten Vater und vielleicht hat der es mal missbraucht" 1. ist explizit nur Thema "Kind findet seinen toten Vater", das zweite ist implizit, mir selbst ist diese Assoziation beim Schreiben nur durch den Kopf gegangen und das Gedicht m u s s auch nicht unbedingt dahingehend verstanden werden folglich handelt es sich (@Spiderman) n i c h t um Effekthascherei.
@razorback:"damit hast du dich vielleich etwas übernommen." ??? Versteh ich nicht ???
Gruß Undine
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Re: Ostern

Beitragvon gelbsucht » 25.04.2003, 23:46

Hallo Undine,
Hallo die Herren Kritiker!

Vielleicht noch ein paar Gedanken zu deinem Gedicht, Undine, diesmal in etwas kompakterer Form.

Also eigentlich ist der Gegenstand deines Gedichtes, sagst du, ein Kind, das seinen unerwartet verstorbenen Vater findet. Der Inzest ist zwar durchaus mitangelegt, mitintendiert, aber nicht eigentlich das Thema deines Gedichtes. So verstehe ich dich.

Natürlich verwundert es mich, wie die anderen auch. Gerade das Aktiv der Verben bei der entscheidenden Stelle spricht, bei meiner Rezeption des Gedichtes, gegen den Tod. "der zielte ... schoss traf bohrte bis es weh tat" Das klingt für mich quicklebendig, statt nach: plötzlich und unerwartet verstorben. Und, wenn ich an die starren, leeren Augen eines toten Menschen denke, dann assoziere ich damit nicht einen zielenden, zielsicher treffenden, bohrenden Blick. Außerdem, ist das mit dem "Bauch" äußerst irreführend:
Der Blick (zwei Augen) befand sich in Höhe des Bauches des Kindes
Wie darf ich mir das situativ vorstellen? Das Kind ist, wenn es vier Jahre alt ist, klein - zugegeben. Aber vorher schreibst du zwei andere Sachen: a.) der Vater hat sich hingelegt, ich folgere: er liegt, b.) das Kind ist auf den Vater geklettert. Wie kann nun der Blick des Vaters den Bauch des vierjährigen Kindes treffen. Dazu bedarf es doch schon einer etwas ungewöhnlichen anatomischen Anordnung. Wenn der Vater liegt, starrt sein toter Blick entweder zur Decke oder zur Seite. Stell ich mir vor.

Also, tut mir leid, aber die Assoziation "Missbrauch" ist bei diesem Gedicht einfach naheliegender, als die Assoziation "Kind findet toten Vater". Diese Ansicht teile ich wohl mit den anderen. Ich bin gespannt, was Herr Hamburger davon hält, dem das Gedicht ja sehr viel besser gefallen hat als mir.

Prinzipiell finde ich Mehr- und Doppeldeutigkeit in Gedichten wichtig. Aber, dass sich zwei derart schwerwiegende Themen hier überlappen sollen, ist dann doch etwas ... wie soll ich es sagen? Gewagt? Zuviel des Guten? Überladen?

Aber egal, welches Thema nun dominiert, das Gedicht überzeugt mich nicht. Fesselt mich nicht. Das liegt zum einen daran, dass die Perpektive und Sprache des Kindes wohl nicht ganz glaubwürdig und konsistent ist, obwohl das insgesamt schon ziemlich beeindruckend ist. Würde ein vierjähriges Kind sagen: "das feuer im kamin geschürt"? Würde es die Vater-Berg-Metapher so weit denken und dann etwas kompliziertes sagen wie: "wer hat das gipfelkreuz (zur hölle!) weg genommen ??" Übrigens ist mir immer noch nicht klar, wofür das Gipfelkreuz überhaupt stehen soll - vielleicht bist du so lieb (auch wenn es eigentlich meine Aufgabe ist, das herauszufinden)?

Andererseits wirkt das Gedicht auf mich sehr stark konstruiert, durchdacht und steril, ja kalt. Denken kleine Kinder so nüchtern? Die Empfindungen und der Wille des Kindes sind fast vollkommen ausgeblendet. Es ist ein kleiner naiver, aber dafür sehr sachlicher Beobachter, der anscheinend weder Angst noch Schmerz kennt - was mich sowohl angesichts eines "toten Vaters", als auch angesichts eines "Missbrauchs" verwundert. Es entsteht für mich bei diesem Gedicht keine Atmosphäre, die meine Gefühlswelt anspricht. Dieses unschuldige, kindliche Geplapper verleiht weder dem einen, noch dem anderen Thema Gefühl und Eindringlichkeit. Am Anfang des Gedichtes ist diese Art des Redens sicherlich noch angebracht und effektvoll, aber desto länger es dauert, desto unglaubwürdiger wird mir das ganze. Hier bist du zu konsistent: es fehlt der Wendepunkt in der Art, wie das Kind spricht, der Wendepunkt, wo die unschuldige Neugier in Unsicherheit, in Ängstlichkeit übergeht - "Papa hör auf!" Du gestehst damit deinem kleinen Erzähler auch keine Entwicklung, keinen Erkenntnisprozess zu; aber Kinder können Situationen durchaus deuten und schnell verstehen, dass etwas nicht stimmt, dass das Spiel kein Spiel mehr ist.

Hierbei gibt es ein weiteres Problem. Das betrifft die Zeitform, die du gewählt hast. Du benutzt die einfache Vergangenheit: es handelt sich um eine rückblickende Erzählung, vielleicht um eine Erinnerung. So sachlich, nüchtern und emotionslos - das passt vielleicht auf den Augenblick, in dem alles passiert, aber nicht auf den Schrecken der Vergangenheit. Beim Missbrauch ist anzunehmen, dass Gefühle wie Scham oder Ekel die Erinnerung verzerren oder Bilder unstrukturiert und lückenhaft bleiben aufgrund von Verdrängung. Bei der Erinnerung an das Finden des toten Vaters, sollten Schmerz, Trauer oder ähnliches mitschwingen. All das fehlt deinem Gedicht. Du erzählst die nackte Gegenwart, aber benutzt unangebrachterweise eine Vergangenheitsform.

Und die zwei Flecken Marmelade? Was hat es damit auf sich? Das sollen auch die Augen sein?
der Blick - also die Augen - hingen an ihm leblos wie zwei Flecken irgendwas.
Aber was soll dann bitte das "klebrig" im selben Satz? Und mir Augen als Marmeladenflecken vorzustellen, fällt mir auch etwas schwer. Hier wird's surreal - oder ungewollt komisch.

;-) gelbe grüsse :-)

ps. Ich glaube, ich bin jetzt viel zu tief in deinem Text drin. So analytisch Gedichte zu behandeln, ist mir selbst etwas suspekt. Denn Wirkung ist bei Lyrik allemal wichtiger als Logik.
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Re: Ostern

Beitragvon razorback » 26.04.2003, 17:02

Hallo Undine!

1.) "Hartes, schwieriges Thema" - das ist keine Kritik! Ich finde es absolut in Ordnung, dass Du Dich eines solchen Themas annimmst. Was wäre denn die Alternative - nur noch über seichte, einfache Themen schreiben? :-D

2./3.) Effekthascherei - nee, sehe ich auch nicht. Allerdings muss ja irgendwas schief gelaufen sein, wenn wir alle unabhängig voneinander etwas anderes für das Zentralthema halten, als Du beabsichtigt hast. Von daher die Überforderung: Du hast das (eventuelle) Nebenthema "Missbrauch" in Kauf genommen und damit eine Schwerpunktverlagerung riskiert, die vielleicht zu verhindern gewesen wäre.

Schönes Wochenende

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Re: Ostern

Beitragvon Hamburger » 27.04.2003, 01:32

Grüß euch Gott, alle miteinander (ich bin aber nicht der Vogelhändler),

also auf die Thematik "Kind findet toten Vater" wäre ich in meinen Interpretationsbemühungen niemals gekommen. Dazu erschien mir der Vater an einer zentralen Stelle viel zu aktiv...

der zielte mir auf den bauch schoss traf bohrte bis es weh tat
& hing doch nur klebrig außen an mir wie zwei flecken marmelade


Dass hier von des Vaters Blick die Rede ist, müsste genauer herauskommen. Aber ich schliesse mich hier auch gelbsuchts Kritik an, komme ebenfalls zu dem Schluss: Die ganze Stelle hätte ganz anders geschildert werden müssen.

Das Gedicht finde ich nach wie vor nicht schlecht. Die Personifizierung des Windes und des Spieles und die mehrdeutigen Zeilenumbrüche

ich (kam vom spielen war vier) kletterte
auf ihn diesen berg papa
wer hat das gipfelkreuz (zur hölle!)
weg genommen ??


gefallen mir besonders gut. Mich hat dieses Gedicht, da ich ja auch glaubte es ginge hauptsächlich um das Thema "Missbrauch" an das Lied "Böser Wolf" von den Toten Hosen erinnert. Ich werde dieses Lied einmal bei Songs & Lyrics einstellen.

Weniger gut gefällt mir die doppelte Altersangabe und die teilweise viel zu nebulösen Bilder. Nachdenken bei der Interpretation ist ja gut und schön, aber es müssen auch irgendwo Antworten zu finden sein um das Rätsel zu entschlüsseln. Dafür dürfen die Bilder aber zum Beispiel, wie bei der schon zitierten Stelle des Blicks des Vaters nicht so unpräzise sein und auf falsche Spuren leiten.

Nicht überzeugend fand ich...


Ich weiß, ich habe da ein sensibles Thema berührt. Und diese Missbrauchssache, die euch durch den Kopf ging, ist soweit nicht hergeholt. Solche Vermutungen wollte ich im Leser durchaus erwecken; der Missbrauch könnte ja bereits stattgefunden haben, deshalb könnte das Kind an klebrige Marmeladeflecken denken...? Ist sicherlich provokant, geb ich zu.


das, was du hier geschrieben hast. Ich finde es sehr gut, dass du ein sensibles Thema berührst, aber den Missbrauch noch als eventuell stattgefunden mit ins Gedicht zu schreiben, indem du Formulierungen verwendest, die so gedeutet werden können (und meiner Meinung nach hast du die Formulierungen so verwendet, das man es so deuten kann), ist nicht nur provokant: mit dieser Vorgehensweise wirst du schlicht und einfach beiden Themen nicht gerecht.
Deinem sensiblen Hauptthema erstmal nicht, weil du es durch ein weiteres sensibles Nebenthema verwässerst und unglaubwürdig machst. Eine Vierjährige, die ihren toten Vater unter diesen Umständen findet, okay, aber die auch noch zusätzlich vielleicht missbraucht worden ist - das ist mir eindeutig zu boulevardesk, einfach zu viel des Guten, oder Besser: des Schrecklichen.

Zweitens: Welche Funktion erfüllt denn in deinem Gedicht der angedeutete Missbrauch? Du wirst diesem sensiblen Nebenthema doch in keinster Weise gerecht, wenn du es noch als Anhängsel einwirfst. Dieses Anhängsel finde ich, ist, wenn es schon um die Thematik "Kind findet toten Vater" gehen soll, vollkommen überflüssig.

Fazit: Ein ambitioniertes, stilistisch interessantes, überfrachtetes, nebulöses Gedicht.

MFG,

Hamburger
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Re: Ostern

Beitragvon gelbsucht » 27.04.2003, 03:14

Hallo Undine,

warum hast du deinen Text (ohne jede weitere Begründung) gelöscht? Ich find's schade. Erstens: es besteht kein Grund, denn schlecht ist er keinesfalls. Und zweitens: die Kritiken hängen jetzt im luftleeren Raum. Wenn später jemand kommt, sich das Thema anzuschauen, findet er nur die Kritiken und keinen Text, an dem er sich sein eigenes Urteil bilden kann.

;-) gelbe grüsse :-)
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Re: Ostern

Beitragvon Hamburger » 28.04.2003, 01:26

Liebe Undine!

ich finde es nicht in Ordnung, dass du dein Gedicht gelöscht hast. Einige Mitglieder haben sich Gedanken darüber gemacht und etwas dazu geschrieben. Ich ebenfalls. Die Kritik war meiner Meinung nach bei allen sachlich und korrekt vorgetragen. Du musst auf diese Kritik natürlich nicht eingehen. Aber du solltest zu deinem Gedicht stehen.

Deshalb protestiere ich ausdrücklich dagegen, dass du es gelöscht hast. Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter, auch wenn es vermessen klingt: Im Chat-Gespräch haben sich gelbsucht und ich sehr reingehangen in die Interpretation des Gedichtes. Diese Anstrengungen entwertet dein Vorgehen nun nachträglich. Ich bitte dich in aller Form das Gedicht wieder zu posten. Ich kann für die Löschung nämlich nicht den geringsten Grund erkennen.

MFG,

Hamburger
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Re: Ostern

Beitragvon razorback » 28.04.2003, 14:06

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