Klare Suppe

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Hilbi
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Klare Suppe

Beitragvon Hilbi » 14.05.2003, 19:12

Klare Suppe


„komm wir gehen habichtsuppe essen“
sie sprach das zu mir
ich schaute sie an
der wind machte was mit ihren haaren
„gehen wir los“ rief sie erregt
was war mit ihr los
ich war sprachlos
ging aber mit
das lokal war gut dekoriert
suppenteller hingen an den wänden
die bedienung roch nach billigen fussel
es wurde gespart wo es nur möglich war
wir bestellten habichtsuppe
„groß oder klein“ fragte die bedienung
sie rief ausgelassen, „groß, nun machen sie schon - töten
sie die habichte- denn frisch muss die suppe sein sonst essen
wir sie nicht; im übrigen; packen sie auch was für den hund ein;
es gibt in jedem gedicht ein hund“
ich schaute sie an
sie war so anders
so konkret; so lustig; ja fast schien es mir als wollte sie der bedienung irgend etwas zustecken
: ich werde heiraten sprach sie hölzern; ganz ohne gänsefüßchen
wir hörten aus der küche ein großes gekeife und geschnatter
man hatte das gefühl als würde der meeresspiegel singen
wie leicht war es sich jetzt aus dem staub zu machen
aber ich blieb; ich wusste nicht warum
vielleicht weil ich seit drei tagen mein eigenes karies aufaß damit ich wenigstens etwas zum beissen habe
plötzlich war es still
der tod ging an uns vorbei
ich sah ihm hinterher
er hatte eine habichtspfote in der hand und lächelte
dann kam die bedienung
und brachte uns die habichtsuppe
und was soll ich sagen
man konnte sie essen
wir verliessen das lokal
am anderen ende der strasse saß ein hund
er schien schon eine weile gewartet zu haben
er gähnte
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

gelbsucht
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Re: Klare Suppe

Beitragvon gelbsucht » 14.05.2003, 21:15

Okay, ich versuche mal eine Interpretation. Aber bitte nicht lachen.

Wenn man auf der ersten Ebene zuerst einmal alles Absurde weglässt, passiert in dem Gedicht folgendes: eine Person A (weiblich) lädt eine Person B (männlich, möglicherweise auch weiblich) zum Essen ein. Die Person B wundert sich über Person A - so kennt man sie nicht. Es ist also hier eine Veränderung eingetreten im Leben von A. An entscheidender Stelle rückt dann A mit der Sprache heraus: ich werde heiraten.

Dann natürlich die Frage: was bedeutet der Habicht bzw. die Habichtsuppe? Es könnte sich zum einen um die Freiheit und Selbstbestimmung von A handeln. Oder: Es sind die Hoffnungen von Person B auf Person A. Das fände ich persönlich noch plausibler. Im selben Moment, wo Person A mit der Sprache herausrückt, wird in der Küche der Vogel getötet. Symbolisch werden also hier diese Hoffnungen (die Liebe, die Zuneigung, die Gefühle, die B für A hegt) geschlachtet und am Ende sogar "den Hunden" zum Fraß vorgeworfen.

Hier teilt es sich auch: Person A ist sehr energisch und impulsiv ... eine Frau, die weiß, was sie will. Das lyrische Ich hingegen steht ganz passiv daneben, staunt und weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Interessant ist auch, dass das Geständnis, also der entscheidende Satz im Gedicht, mit dem "sprach sie hölzern" verbunden ist. So ganz unbefangen ist A also nicht, als sie B diese Mitteilung macht. Da ist das sonstige Bild der energischen, zielstrebigen, fröhlichen Frau durchbrochen: Sie ahnt wohl, was sie dem lyrischen Ich damit antut.

Ich glaube, du spielst hier mit dem Sprichwort: "Jemandem reinen Wein einschenken." Bloß, dass der "reine Wein" bei dir "klare Suppe" ist. Eben reiner Wein für Abstinente. ;-)

Gefällt mir sehr das Gedicht.

Und übrigens: der "fussel" heißt "fusel". Und dann heißt es auch: die bedienung roch nach billigem fusel.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Hilbi
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Re: Klare Suppe

Beitragvon Hilbi » 14.05.2003, 21:41

für diese interpretation musst Du unbedingt einen Preis bekommen :-)
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?


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