Im Gedränge der Leere

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Hilbi
Melpomene
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Im Gedränge der Leere

Beitragvon Hilbi » 15.05.2003, 20:07

im gedränge der leere

sie hatte ihre jacke auf der weide vergessen
er hatte sie gefunden und sofort gewusst dass die jacke ihr gehörte

als sie zurückkam pfiff er ein lied
gab ihr die jacke
sie sagte danke
und er ging

es hat gewackelt
du hast verloren
nein
es hat nicht gewackelt
ich gebe dir ja recht
du brauchst nicht aus dem fenster springen
es hat keinesfalls gewackelt
du brauchst das nicht tun
es war doch nur ein scherz weißt du
spiel weiter
du bist dran
ich hab vergessen dass du immer noch an sie denkst
ja du kannst darüber reden
nein es macht mir nichts
erzähl mir die stelle wo du ihre jacke fandest
sie hatte ihre jacke vergessen
und du hast sie gefunden
sie ist zurückgekommen
und du hast sie ihr gegeben
sie bedankte sich und
du bist gegangen
was willst du eigentlich
du hast doch alles richtig gemacht



im gedränge der leere (2)


während er wackelte und wackelte;
und ich ins verstummen geriet
der wolken wegen wie ich ihm sagte;
erzählte er mir immerzu wie es wahr

sie hatte ihre jacke vergessen
und er hatte die jacke aufgehoben
dann kam sie und er gab sie ihr

aber sie hätte die jacke auch so wieder gefunden
sie hatte doch gewusst wo sie lag
sie hätte sie auch aufheben können
das dachte ich jedoch verschwieg ich das

er wackelte
die stäbchen flogen durch die luft

er erzählte

und dann hatte sie danke gesagt
und ist gegangen
und er hat ihr hinterher geschaut

: schreib ihr doch einen brief wie es wirklich wahr
schlug ich vor
er bekniete mich um briefpapier
ich gab
er schrieb
er schrieb sehr lange
endlich war er fertig
ich schaute ihn an
hoffte er würde das geschriebene für sich behalten
aber nein
er rief: ich habe ihr alles geschrieben
die ganze wahrheit

er las es mir vor:
„liebe frau
wie oft sitzt man an den gepflogenheitren tagen und ruht sich aus
heisst hier und da etwas willkommen und zieht sich ansonsten zurück
man stellt sich einen papierkorb mitten in einer gebirgslandschaft vor
von weitem kehrt ein echo zurück
wie geht das dass man den ganzen tag nur an das eine denkt
wie kriege ich es fertig einen geldautomaten aufzuschrauben ohne dass man mich erkennt
mit freundlichen gruß
dein andi“



Das ist man schnell leid


oft stand er im feld
an jenem ort wo er ihre jacke fand
aber umsonst
nicht mal ein brief
irgendein zeichen ihrer liebe
und sie hatte ihn doch lieb
sonst hätte sie doch nicht
danke
gesagt
man sagt doch nicht
danke
wenn man jemand nicht lieb hat
er sucht das feld ab
nicht mal ihre mütze lag da
er durchsucht sogar den himmel nach zeichen
gleich wird er anfangen zu beten
er überlegt sich seinen hamster umzubenennen
aber er hatte doch keine ahnung wie sie hieß
er starrte in irgendeine richtung
es war gar nicht sicher ob es diese richtung überhaupt gab
seine augen hätten gerne die farbe gewechselt
ABER DAS WAR NICHT MÖGLICH!
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

gelbsucht
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Re: Im Gedränge der Leere

Beitragvon gelbsucht » 17.05.2003, 02:43

Hallo Hilbi!

Mit "gepflogenheitren tagen" ist dir ein wunderschönes Wortspiel geglückt. Das vorweg.

Nun, ich nage noch ein bißchen an dem Text herum. Okay, drei Gedichte, ein Ereignis. Eine flüchtige Begegnung, eine einseitige Verliebtheit (wie bei "auf bewährung"). Sie ist Gegenstand einer Erzählung - zwei Freunde sitzen zusammen und spielen offenbar Mikado (wie seltsam). Der eine erzählt und wackelt, der andere hört zu und denkt sich seinen Teil. Du stellst der Version des Verliebten, die Version des Zuhörers gegenüber. Die Version des LI ist nüchterner - wir folgern: Liebe verklärt Ereignisse.

Der Brief ist mir noch ziemlich unklar. "einen papierkorb mitten in einer gebirgslandschaft"? klingt als will der verliebte den brief gleich wieder wegschmeissen ... und wenn er nicht den Namen der Angehimmelten kennt, noch weniger die Adresse, dann ist der Brief tatsächlich im Mülleimer am besten aufgehoben. "von weitem kehrt ein echo zurück"? Das passt vielleicht auch dazu: das ungehörte Rufen des Einsamen, nicht wahr? "wie kriege ich es fertig einen geldautomaten aufzuschrauben ohne dass man mich erkennt"??? beim besten willen, hier komme ich nicht mehr mit.

Hey, kann mir mal jemand helfen? Wo seid ihr denn alle hin?

Beim letzten Gedicht verändert sich wohl die Erzählperspektive ein bißchen - das LI ist untergetaucht. Da sitzt man offenbar auch nicht mehr beim Mikado zusammen. Auch hier knobbele ich noch ein wenig an den letzten vier Zeilen herum.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)


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