Mein Wille

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nandresen
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Mein Wille

Beitragvon nandresen » 23.05.2003, 11:44

Ich bin gegen meinen Willen geboren
Ich habe meist gegen meinen Willen gelebt
Ich sterbe gegen meinen Willen

gelbsucht
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Re: Mein Wille

Beitragvon gelbsucht » 23.05.2003, 16:55

Hallo nandresen,

also dieses Gedicht empfinde ich ein bisschen hochgestochen. Kein Mensch, der geboren wird, kann vorher gefragt werden, ob er das will. Das selbe betrifft den Tod. Eigentlich wählt nur der Selbstmörder, der Lebensüberdrüssige den Tod - sprich: will sterben. Ansonsten suchen wir es uns nicht aus. Aber ich empfinde es als relativ unsinnig, einen Satz wie "Es ist gegen meinen Willen" anzuwenden auf etwas, das gar nicht in unserer Macht steht, das ganz und gar notwendig und unabänderbar ist. Ebenso könnte ich sagen: Es ist gegen meinen Willen, von der Schwerkraft der Erde angezogen zu werden. Aber was ändert das?

Außerdem zeugt dein Gedicht von einem großen Widerspruch: wenn man nicht sterben will, dann doch nur, weil man leben will. Das steht aber im Widerspruch zu Zeile 2. Aber wie kann beides gegen den Willen eines Menschen sein? Leben und Tod zugleich? Das bleibt mir unverständlich.

gelbe grüsse
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Hamburger
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Re: Mein Wille

Beitragvon Hamburger » 24.05.2003, 11:34

Hallo ihr Beiden!

Zunächst mal steht da das Wörtchen "meist" in Zeile 2, welches den völligen Widerspruch aufhebt. Nicht immer war also beides - Leben und Tod - gegen den Willen des Menschen.

Mir gefällt das Gedicht zwar auch nicht besonders, jedoch lässt sich die Zeile 2 auch anders lesen, so dass sich kein Widerspruch mehr mit Zeile 3 ergibt.

Und zwar so, dass der Lebende oft gegen seinen Willen gehandelt hat. Oft sprechen wir, wenn wir sagen "Ich habe zu der und der Zeit so und so gelebt" von unseren Handlungen, von dem was zu der Zeit unser Leben ausmachte.
Dann ergäbe sich kein Widerspruch, ausser vielleicht der, wie man gegen seinen eigenen Willen handeln kann. Hier könnte man dann den innereren Schweinehund ins Spiel bringen und sagen: Ich wollte immer ganz anders leben (handeln), aber ich habe es nicht geschafft. Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach. Zwar habe ich meine Zweifel ob der Korrektheit dieser Aussage, denn das Versagen kann ja darauf zurückzuführen sein, dass die Versuchung stärker war, man ihr nicht widerstehen konte, der Wille zu der (eigentlich gewollten) Lebensform also zu schwach war. Ist dann aber nicht automatisch der Wile zur anderen Lebensform zu stark?
Na ja, das würde ich denn gern die Psychologen klären lassen.

Letztlich gefällt mir das Gedicht nicht aufgrund seiner Pathetik und seines zumindest in Zeile 1 deutlichen Nihilismus.
Zeile 1 ist unsinnig - da stimme ich gelbsucht zu und die Aussage:"Hätte man mich doch gefragt, dann hätte ich vielleicht nicht geboren werden müssen", die da so oder so ähnlich mitschwingt ist sehr weinerlich.

Mir gefällt einzig Zeile 2, wenn man sie so deutet, wie ich es tat. Denn damit kann ich mich identifizieren. Auch ich will oft ganz anders handeln und schaffe es doch nicht, was mich dann sehr enttäuscht. Doch ich hätte mir zumindest eine Bebilderung gewünscht, anstatt einen einfach hingeschriebenen Satz.

Den Widerspruch sehe ich nicht wie gelbsucht zwischen Zeile 2 und 3, sondern zwischen Zeile 1 und 3. Erst nicht geboren werden wollen und dann nicht sterben wollen, tss, tsss.
Aber gut, das lässt sich durchaus zusammen denken: Ich wollte nicht auf die Welt kommen, aber dann war sie so schön, (obwohl ich - Zeile 2 - nie das erreichte was ich wollte) das ich da bleiben
wollte. B-)

Das wirkt etwas unreflektiert, oder?

MFG,

Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)


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