Der Mantel

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Hilbi
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Der Mantel

Beitragvon Hilbi » 28.06.2003, 12:06

Der Mantel

ich hatte einen mantel
manchmal redete er mit mir
er fragte mich wie das wetter draussen sei
er hatte immer angst zu frieren
wenn es draußen schneite sagte er: „zieh einen mantel an“
er war verrückt geworden
er hing zu lange in diesem second hand shop
auch im winter hing er da
jeden winter fror er mehrere tage am stück
eiszapfen machten sich breit
sie wollten ihn nur wärmen
doch das wusste der mantel nicht
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

vogel
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Re: Der Mantel

Beitragvon vogel » 02.07.2003, 20:15

haiho ...

des Ganze kommt mir irgendwie bekannt vor ... aber ziemlich sogar ...
sie wollten ihn nur wärmen
doch das wusste der mantel nicht

nach dem Motto : ich will dich was gutes, nur du weisst es (noch) nicht ... das kenne ich irgendwoher aus einem txt, aber mir fällt nicht mehr ein woher genau ...
ich hab des alles schon mal gelesen, nur eben nicht mit 'nem Mantel .... *seufz*

ich bin aber in diesem Fall wieder ziemlich am Verzweifeln, was das wirklich darstellen soll ...
der Mantel könnte irgendeine Person sein ... Mutter, o.ä. - das zeigt sich wohl am besten durch :
wenn es draußen schneite sagte er: „zieh einen mantel an“

Eltern wollen immer nur das Beste für ihre Kinder, dass ist seit jeher so ... und wird sich wohl auch nie ändern ...
es muss dann aber eine ziemlich stupide Beziehung sein :
ich hatte einen mantel
manchmal redete er mit mir


und keine Ahnung vielleicht werd' ich mal wieder zu krass; aber folgende Zeile :
er hatte immer angst zu frieren

und die darauffolgenden :
er war verrückt geworden
er hing zu lange in diesem second hand shop
auch im winter hing er da
jeden winter fror er mehrere tage am stück

sagen mir folgendes :
dass es sich hier wirklich um die ELTERN_KIND-Geschichte handelt ... wobei das Kind allerdings schon nicht mehr zu hause wohnnt. die Mutter Allzeit allein war/ist. und immer, wenn das Kind dann zu Hause ist (z.B. Weinhachten -> Winter), sorgt sich Mutter um so mehr um ihren Sprösling ... ist immer um sein Wohl besorgt und dass ihm ja-nix zustößt ("zieh einen Mantel an") ... denn die Mutter hat Verlustängste : das Kind könnte erfieren, etc. im Winter ....

allerdings steh ich vor dem Rätzel, warum eine Mutter in Gestalt eines Mantels sagt : "zieh dir deinen Mantel an" ... da versteh ich nur Bahnhof ...

Liebe Grüße
kleinervogel
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.

gelbsucht
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Re: Der Mantel

Beitragvon gelbsucht » 14.07.2003, 18:13

@kleinervogel,

Ich finde, hier ist dir eine sehr interessante Interpretation gelungen! Respekt.

Den "Mantel" als Symbol für eine bestimmte Person zu nehmen, ist schon mal ganz gewitzt. Es könnte zum Beispiel die Mutter des lyrischen Ich's sein. Aber du musst aufpassen: es heißt ja, der Mantel selbst würde frieren und nicht das lyrische Ich.
er hing zu lange in diesem second hand shop

Also diese Zeile ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass die betreffende Person ("der Mantel") etwas älter ist und lange alleine war. Vielleicht liegt es ja daran, dass sie die Welt als "kalt" empfindet:
eiszapfen machten sich breit
sie wollten ihn nur wärmen
doch das wusste der mantel nicht

Diese Eiszapfen sind wahrscheinlich wiederum Symbole für andere Menschen ... die "zwischenmenschliche Kälte", die Angst, die der "Mantel" empfindet, mag also die Ursache in längerer Einsamkeit und in einem zurückgezogenen Leben haben:
er hing zu lange in diesem second hand shop
auch im winter hing er da

Diese Weltanschauung projiziert der "Mantel" dann auch auf das lyrische Ich:
wenn es draußen schneite sagte er: „zieh einen mantel an“


@Hilbi,

Ich war vor einem Jahr in der Hamburger Kunsthalle. Drei Sachen sind mir von diesem Besuch in Erinnerung geblieben: die Bilder von Caspar David Friedrich, die mich schon immer fasziniert haben, der Film einer arabischen Künstlerin und ein Filzanzug von Joseph Beuys. Und an eben diesen Filzanzug musste ich sofort denken, als ich dein Gedicht gelesen habe.

;-) gelb :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

vogel
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Re: Der Mantel

Beitragvon vogel » 14.07.2003, 20:58

Hallo !

erstmal etwas das mir noch eingefallen ist bevor ich deinen Komentar gelesen hab, gelb :
allerdings steh ich vor dem Rätzel, warum eine Mutter in Gestalt eines Mantels sagt : "zieh dir deinen Mantel an" ... da versteh ich nur Bahnhof ...
soll wohl heißen : dass das Kind auch mal an seine Mam denken soll (hab ich gedacht befor ich deine Interpretation gelesen hab, was ich jetz denke weiß ich noch nich .. ma sehn .)

Aber du musst aufpassen: es heißt ja, der Mantel selbst würde frieren und nicht das lyrische Ich.
naja ... wie ich eben sagte : das Mütterchen ist einfach nur einsam ...

Diese Weltanschauung projiziert der "Mantel" dann auch auf das lyrische Ich:
Zitat:
Wenn es draußen schneite sagte er: „zieh einen mantel an"
wie meinst du dass ? ist es denn nun nicht so, dass der "Mantel" seinen Bestitzer schützen will ? wegen mir auch das LI .

und im Endeffekt handelt es sich meiner MEinung nach um ein Gedicht, dass wirklich mal das "kalte" dieser Welt darstellen will, was meinst du ?

tja, war ich halt sehr gewitzt, dass der Mantel eine kleine Babuschka is ! *breit grins*

liebe Grüße
kleinervogel
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.


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