Zwillinge

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Chialandra
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Zwillinge

Beitragvon Chialandra » 19.07.2003, 18:23

Zwillinge

Schmale Finger, die über dünnes Glas streichen,
Augen blicken in fremde Augen, jedoch die gleichen.
die Eine durch Licht, die Andre durch Schatten verführt,
hat jede die Hand der andren einst schon berührt.

Wange legt sich an Wange, getrennt nur durch Glas,
flüsternd die Eine, die ihre Vergangenheit vergaß.
Die Augen jetzt geschlossen, still bittend darum,
dass ihre Worte die Andre vernimmt, deren Lippen sind stumm.

Schwarz glänzendes Haar auf beiden Seiten,
beider Hände weiter suchend über kaltes Glas gleiten.
Gebunden durch Blut und ein gewispertes Wort,
sind sie zusammen gefangen an einem getrennten Ort.

Eingesperrt im einsamen Käfig der Zeit,
müssen Tränen genügen bis man bereit,
dass Licht und Schatten erneut sich vereinen,
um zu leben und sich zu ergänzen in Einem.

So sinken die Hände in finstrem Erkennen,
dass keine es schafft das Glas zu zersprengen.
Blicken Augen in fremde Augen, jedoch die gleichen
in stiller Hoffnung sie mögen den Geist der Andren erreichen.
Intelligenz, behaupten die Intelligenten, ist die Fähigkeit, sich der Situation anzupassen. Wenn du ein Buch verkehrt in die Hand genommen hast, lerne, es verkehrt zu lesen. (Wieslaw Brudzinski)

gelbsucht
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Re: Zwillinge

Beitragvon gelbsucht » 09.08.2003, 23:51

Hallo Marina,

du hast mich gebeten, meine Kritik an eurer "Reimerei", wie ich es sehr abfällig genannt habe, auszuführen, anstatt es einfach nur anzuschneiden und das auch noch am falschen Ort, um euch dann damit allein zu lassen.

Also! Es gibt in der Poesie, wie dir vielleicht bekannt ist, zwei entscheidende Formprinzipien:
    a.) Klang und Wortmelodie (wozu dann auch Reime und Assonanzen gehören)
    b.) Rhythmus und Metrum
Entsprechend diesen Prinzipien könnte man alle möglichen Gedichte etwa wie folgt systematisieren:
  • Gedichte ohne festes Metrum, ohne Reim (z.B. das Haiku)
  • Gedichte mit festem Metrum, ohne Reim (z.B. der Hexameter)
  • Gedichte mit festem Metrum, mit Reim (z.B. die klassischen Balladen)
Denkbar sind sicherlich auch Gedichte ohne festes Metrum und mit Reim. Allerdings muss ich gestehen, dass die meisten dieser Gedichte auf mich häufig eher dilettantisch wirken – so auch im Fall deines Gedichtes. Lass es mich anders ausdrücken: es gibt in der Literatur sicherlich auch Beispiele für gelungene Gedichte dieser Art. Allerdings werden wir beide uns mit deren Verfassern an lyrischen Fähigkeiten nicht messen können. Ich finde diese Form äußerst problematisch.

Man kann darüber streiten, welches der beiden genannten Formprinzipien das entscheidende ist. Als ich mit dem Schreiben von Gedichten anfing, hat mich mal jemand (genauer gesagt: mein Vater) belehrt, viel wichtiger als die "Reimerei" sei die Beobachtung des Versmaßes. Aber im Endeffekt ist das nicht richtig, denn gerade der Reim kann sehr viel zum Wohlklang des Gedichtes, zur Elleganz der Konstruktion und zur Verstärkung der Aussage beitragen. Das sollte man keinesfalls unterschätzen.

Meiner Meinung nach ist das entscheidende Problem der Form, die du hier gewählt hast, folgendes: du setzt die beiden Formprinzipien so ein, dass sie sich widersprechen, dass sie gegeneinander wirken. Mit dem Reim erzeugst du eine Verbindung, eine Konsonanz von zwei Zeilen. Aber gleichzeitig folgen diese beiden Zeilen (häufig) nicht dem selben Rhythmus – damit erzeugst du – gewollt oder nicht gewollt – eine Dissonanz zwischen zwei Zeilen. Das klingt einfach nicht gut in meinen Ohren, das empfinde ich als unschön. Und daher pflege ich es auch als "Reimerei" zu bezeichnen, weil es von einem unüberlegten und stümperhaften Gebrauch zeugt. Das ist so, als würdest du ein Musikstück komponieren, indem zwar immer wieder das erste Motiv wiederholt und variiert wird, was dem ganzen einen Zusammenhalt gibt, wie er auch in der Musik notwendig ist, doch gleichzeitig würdest du alle paar Takte den Rhythmus wechseln: hier ein bisschen Rock'n'roll, da ein bisschen Walzer, dann drei Takte lang ein Bossa Nova, dann drei Takte lang 2Step, darauf ein Fill-In mit ein paar Break-Beats, im Anschluss etwas Funk. Was meinst du: würde das gut klingen?

;-) gelbe grüße :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Chialandra
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Re: Zwillinge

Beitragvon Chialandra » 27.08.2003, 22:58

Hallo Gelbsucht :-)

Danke erstmal für die weitere Ausführung deiner Kritik ;-)
Ich denke ich verstehe was du meinst. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mit den verschiedenen Formprinzipien nicht sehr viel am Hut habe, ich hatte das wohl mal im Deutschunterricht :-& . Aber ich schreibe meine Gedichte oft aus dem Moment heraus, und versuche sie dann gar nicht erst in irgendeine Form reinzupressen. Zumal ich mich ja, wie gesagt, damit eh nicht gut auskenne :-))
Daher kann ich dein Urteil, es wäre stümperhaft und unüberlegt auch teils verstehen.

Naja, was den Rhythmus betrifft.. hmm an einigen Stellen holpert das Ganze schon, allerdings kann man es fast flüssig lesen ohne eben diese Holpersteinchen. Der Rhythmus ist hier also abhängig vom jeweiligen Leser.

Es soll ja eigentlich um den Inhalt eines Gedichtes gehen. Und wenn du damit nichts anfangen kannst, dann ist das ja auch ok.
Vielleicht gehst du deshalb so sehr auf die Form des Textes ein.

Liebe Grüße, Marina
Intelligenz, behaupten die Intelligenten, ist die Fähigkeit, sich der Situation anzupassen. Wenn du ein Buch verkehrt in die Hand genommen hast, lerne, es verkehrt zu lesen. (Wieslaw Brudzinski)


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