Hallo zusammen,
man verzeihe mir, wenn ich mich jetzt in diese fortgeschrittene Diskussion noch einmische. Ich glaub, einige Argumente von kleinervogel wurden etwas voreilig abgewiesen und abgeschwächt. Hinzu kommt vielleicht, dass kleinervogel sich etwas schwer tut, was sie fühlt, was ihr widerstrebt, in ihrer Kritik deutlich zu machen. Ja, Kritik ist schwere Kost, besonders, wenn man drei Diskutanten gegen sich hat. Und obendrauf noch Celans "Todesfuge" – KAWUMMMMMM – da wäre ich aber auch erst einmal sprachlos. Deswegen will ich mal versuchen, dem kleinenvogel etwas unter die Flügel zu greifen. Kleinervogel, ich hoffe, du siehst mir diesen Ausdruck nach.
Im Grunde teile ich das Gefühl, das kleinervogel angesichts dieses Gedichtes zu haben scheint. Einerseits finde ich das Thema ziemlich spannend und interessant – auch als Mann sind mir gewisse Verunsicherungen und Verletzungen des Selbstbewusstseins nicht unbekannt. Andererseits habe ich in diesem Gedicht oft das Gefühl, dass Lanura dem Thema sprachlich nicht gewachsen ist, obwohl ihr vereinzelt auch treffende und überraschend gute Bilder und Ausdrücke gelingen. Auch in mir löst dieses Gedicht nicht das aus, was es auslösen sollte. Viele Stellen befremden mich: einige sind mir zu pathetisch, zu dick aufgetragen, zu übertrieben, andere sind ungewollt komisch, unangemessen lächerlich.
Liebe Lanura, ich hoffe du hältst diese Kritik aus. Das zu hören, muss hart und schmerzlich sein. Aber es ist durchaus meine Absicht, dich zu ent--Täuschen. Ich lege es mal ein wenig darauf an, dich zu verprellen: aber du solltest die Kritik von kleinervogel nicht mit so entschiedener Vehemenz abwehren, dass sie sich gezwungen fühlt, zu bedauern, sie formuliert zu haben. Das kann nicht Sinn der Sache sein, unabhängig davon, dass ich das Gefühl habe, dass kleinervogel Recht hat. Aber es geht nicht ums Recht haben ... es geht um das Zulassen von anderen Meinungen, das Sich-Stellen der Kritik und das ist das Schwierigste dabei: sie an sich heranlassen. Das ist schwer, das stelle ich auch immer wieder an mir selbst fest. Am schmerzlichsten ist immer die Kritik, die berechtigt ist.
Es ist eine Kernstrophe und ich finde dadurch, dass sie sich reimt hebt sie sich auch als solche ab. Spielerei ist es gewiss nicht!!
Warum sollte ich die Finger vom Reimen lassen? Ich sehe da keinen Grund zu.
Es spricht nichts, aber auch gar nichts, dagegen, in einen Text Reime mit Reinzubringen, zumal sie aussage kräftig sind.
Doch! Ich finde es spricht eine ganze Menge dagegen, Reime in einen Text zu bringen, wenn man dem nicht gewachsen ist, wenn man die Form nicht beherrscht. Ich bedaure, aber die Reime, die du in diesen Text einbaust, schaden ihm mehr, als dass sie ihm nützen – und das kann man hören! Durch die Reime heben sich zwar die Strophen vier und fünf und die letzten zwei Zeilen tatsächlich ab, aber auf sehr unelegante, dilettantische Art und Weise. Ich möchte hier auf die Kritik verweisen, die ich diesbezüglich bereits gegenüber Marina etwas ausgeführt habe. Denn sie richtet sich ebenso an deine Adresse:
http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=337Zu dem Einwurf mit der "Todesfuge" möchte ich eigentlich gar nichts sagen, da ich nicht wirklich den Sinn dahinter verstehen kann und dieses Beispiel ziemlich weit hergeholt finde. Die "Todesfuge" ist ein Beispiel, wie geschickt man
einen Reim zu Verstärkung und Verdichtung einer Aussage einsetzen kann. "Teufelskreis" ist dann das Beispiel, wie man es besser nicht macht!? Die fatale Wirkung liegt hier zwar vor allem in der Unrhythmik des Gedichtes, aber auch in der Beugung der Orthographie. Die Strophe vier ist grammatikalisch vollkommen aus den Fugen geraten, wie es mir scheint:
Druck wie ein Zwang so fesselnd und von Bedarf
Endloser Kreis treibt in des Wahnsinns Kern
gierig nehmend, verschlingen ohne Schluss
bis das Band nimmt seinen zwingenden Einfluss
Also angesichts dieses Kauderwelsch, sollte man erwägen, ob es nicht doch besser wäre, auf Reime zu verzichten, bis man die nötigen sprachlichen und handwerklichen Fähigkeiten erworben hat. Denn diese Reime verstärken und verdichten nichts, außer die Befremdung und Verstörung des Lesers.
Kommen wir mal zu der am meisten diskutierten Stelle des Gedichtes:
Rundlicher Leib fett gedacht
gesundes Mädchen krank gemacht
Hier muss ich unterscheiden!
Rundlicher Leib fett gedacht
Diese Zeile ist - für sich genommen - ziemlich gut. Ein treffender Ausdruck, eine gute Wahl der Worte.
gesundes Mädchen krank gemacht
Aber was soll diese Zeile? Okay, du verbindest sie mit der vorangegangen Zeile durch einem Reim. Was bringt dir das? Ich will es dir sagen: du schaffst einen ganz lächerlichen, ungewollt komischen Akzent. Eine Aussage wie "Gesunde Mädchen krank gemacht" ist einfach (im Gegensatz zu der vorhergehenden Zeile) viel zu läppisch und platt. Sprich das mal laut! Wie klingt das? Klingt das nicht ein bisschen nach Kleinkindersprache? -- "Mama, der hat Ball kaputt gemacht!" Außerdem ist die Zeile auch inhaltlich vollkommen überflüssig. Was du mit diesem rohen, ins Alberne entgleisenden Einwurf sagst, soll ja eigentlich der Gegenstand deiner Beschreibungen, deines Gedichtes als ganzem sein. Was soll also diese Zeile? Einzig der Reim ist keine ausreichende Rechtfertigung. Im Gegenteil: du machst damit die Wirkung der gelungenen Zeile, die vorangeht, noch mit zunichte. Was schade ist.
Noch ein paar ausgewählte Beispiele, wo sich sprachlichen Schieflagen in deinem Gedicht zeigen – meiner Meinung nach. Ich habe die Weisheit ja auch nicht mit Löffeln gefressen
Eng an die Wand der Klippen gedrückt
verweilt sie in der Bucht der Einsamkeit
Du willst hier Bedrängnis, Einengung, Beklemmung und negativ konnotierte Einsamkeit ausmalen, vermute ich. Warum funktioniert das nicht ganz? Aus zweierlei Gründen:
a.) das Wort "verweilt" ist im Gegensatz zu "gedrückt" viel zu weich, viel zu positiv besetzt,
b.) und auch "Bucht" ist viel zu positiv ... mit der Einsamkeit einer Bucht oder Lagune assoziiere ich Urlaub und Entspannung. Das ist eine gute, eine erholsame Art von Einsamkeit.
doch versagen sie kläglich
bei dem Versuch die Brückenpfeiler zu stützen.
Die Brückenpfeiler sind die Wangenknochen im Gesicht des Mädchens? Das find ich auch ziemlich seltsam und unpassend. Wenn ich an Wangenknochen eines jungen Mädchens denke und dann an die riesigen, klobigen Pfeiler von Brücken. Das ist irgendwie schief. Außerdem ist der Bezug unklar: wer ist sie, wer versagt hier? Die "knochigen Wangen"??? Knochige Wangen versagen bei dem Versuch, die Brückenpfeiler zu stützen? Das macht irgendwie keinen Sinn und alles andere noch weniger – Hautlappen können ja sicherlich nichts stützen ... vielleicht liegt es an dem Verb "stützen"?
Und wieder entlädt sich
der zierliche Körper im Meer
mittlerweile fällt ihm das gar nicht mehr schwer
Autsch! Das wirkt auf mich wieder ziemlich lächerlich und komisch und, wenn ich an das qualvolle Würgen und Erbrechen denke, reichlich unpassend, ja es kommt mir fast schon euphemistisch vor. "Der zierliche Körper entlädt sich im Meer"??? Was assoziierst du mit im Meer entladen? Also ich denke da nicht unbedingt zuerst an Übergeben. Es soll ja "zierliche Körper" geben, die schon mal im Wasser ihrem Bedürfnis nachgeben – bei deiner Ausdrucksweise lässt es sich nicht vermeiden, auch daran zu denken. Und bei Entladungen denke ich an elektrische Impulse, an einen Blitz oder so ... also "entlädt" ist wirklich reichlich absurd und indiskutabel. Aber die Krönung ist die Zeile: "mittlerweile fällt ihm das gar nicht mehr schwer". Das ist noch um einiges platter und roher als: "gesundes Mädchen krank gemacht". Das ist gefühllos und der Reim tut sein übriges, diese läppische, sich grausam im Ton vergreifende Bemerkung noch zu steigern.
Das reicht.
mit gelben grüßen
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)