Karmelitermarkt und ein Davor und Danach

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
charis
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Karmelitermarkt und ein Davor und Danach

Beitragvon charis » 13.09.2003, 15:23

Stimmfetzen Regenschleier
unter und über Markisen.

Reife und Unreife
Avocados.
Daneben Salbei.
Und Thymian.

Rabenvögelschatten
ziehen zärtlich
über die Schultern.

Sonnenblumenstaub
malt sich gelb
in Handflächen.

Feigenfleisch
in violetter Haut.

Du kniest vor mir
greifst in meinen Nacken
umhüllst wenn mich schauert
und findest mich

Auch noch schön.

Was machen sie aus
die Raschen,
die Schnellen,
die Hurtig’ und Hastigen -
all die Ahnungslosen
Alltage?

In mir fließen
Blut und Tränen
und
tropfen auch bisweilen
auf Holzböden.

Und noch Zitronenduft
von frisch
gerissenen
Zesten.

So ist es.
Das Alles.

Spiderman
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Re: Karmelitermarkt und ein Davor und Danach

Beitragvon Spiderman » 15.09.2003, 20:58

...ja...nein...doch..vielleicht...hm, ich tue mich nicht leicht bei der Beurteilung / Kritik / Würdigung des Gedichtes. Einerseits gefällt es mir ganz gut - andererseits will der Funken bei mir nicht so recht überspringen.

Was mir gut gefällt:
* der Übergang von des Auslagen des Marktes zur zweisamen Erotik
* der nüchterne Tonfall
* Wörter wie Sonnemblumenstaub oder Rabenvögelschatten. Wenn ich solche Wörter meinen englischen Freunden zeige, liegen die einen Tag lang lachend auf dem Boden und wundern sich, wie eine Sprache so lange Wörter zustande bringt. Mir gefällt's.
* Dass Blut und Tränen bisweilen auf Holzböden tropfen.

Was mir nicht so gut gefällt:
* Die Verben-Armut in den ersten beiden Strophen.
* Dass die Bilder sehr schnell vor dem inneren Auge verblassen.
* "in mir fließen Blut und Tränen" klingt für mich pathetisch, aber nicht authentisch. In diesem Kontext wirkt's überzogen.
* "So ist es / Das Alles" finde ich recht einfallslos als Schluß.

Okay, charis, soviel von meiner Seite zu Deinem Gedicht. Trotz der Kritik ist es für mich ein charis-Gedicht, was nix anderes heißt als: ich hab's sehr gerne gelesen und es ist besser als vieles, was ich gedruckt in Lyrikbänden lese.

Liebe Grüße

Spider
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

gelbsucht
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Re: Karmelitermarkt und ein Davor und Danach

Beitragvon gelbsucht » 15.09.2003, 22:24

Hallo Charissimo,

mir gefällt das Gedicht ohne Einschränkungen – es macht diesen lebendigen, glücklichen, leicht beschwingten Eindruck auf mich. Und es macht Spaß es laut zu sprechen. Worte wie Markisen, Avocados, Salbei, Thymian, Rabenvögelschatten, Feigenfleisch, Zesten und ähnliche verleihen deinem Gedicht diesen unverbrauchten, hellen Klang.
Was machen sie aus
die Raschen,
die Schnellen,
die Hurtig’ und Hastigen -
all die Ahnungslosen
Alltage?

Das wirkt auf mich, als hättest du Spidermans "Ungeschriebene Gedichte" beherzigt bzw. das selbe Thema in einer Charis-Variante bearbeitet ... Kann das sein? Oder ist das zu weit hergeholt?

;-) gelb :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)


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