Herber Herbst

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Auf Eulen Schwingen
Sphinx
Beiträge: 118
Registriert: 19.10.2003, 15:31
Wohnort: Bayrisch-Schwaben

Herber Herbst

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 20.10.2003, 19:17

Herber Herbst

Der Dichter bedenket sein Ende und sein Wirken in der Welt


Der Lenz wie der Sommer, er schenkt Überfluss.
Der Herbst, nah am Winter, birgt ziemlich Verdruss.
Ich schüre den Ofen mit klammenden Gliedern
Und sinn´ ihnen nach, meinen Sommerpreisliedern.

Der Sommer entwichen, gar dürr schon die Auen,
Das feuchtende Wetter, es lehrt mich das Grauen.
Doch seht nur die Rebe - der Reben-Stock schwanger.
Wir pflücken die Süße, dann Tanz auf dem Anger!

Noch viermal zehn Herbste, wenn die sind entwichen,
Dann bin ich wahrscheinlich im Tode verblichen.
Mein Schreiben bracht Freude der Welt - Immerhin.
Was wird sie wohl sagen, wenn ich nicht mehr bin?
aes
(auf!eulen schwingen)

Hamburger
Phantasos
Beiträge: 1808
Registriert: 28.04.2002, 23:48
Wohnort: Hamburg

Re: Herber Herbst

Beitragvon Hamburger » 20.10.2003, 22:05

Hallo AES!

Herzlich willkommen im Forum. Leider fällt meine Kritik zu diesem Gedicht eher zwiespältig aus.

Das Gedicht schafft es nicht durchängig mich zu berühren. Das hat vor allem zwei Gründe....

1) Der Tonfall des Gedichtes kommt recht erhaben, negativ gesagt: geschwollen, daher. "Verdruss", "klammende Glieder", "gar dürr schon die Auen", "Das feuchtende Wetter" etc. - nimm es mir nicht übel, aber diese Ausdrucksweise bin ich eher aus Gottesdiensten gewohnt, besonders schmerzhaft wenn ich selber singen musste (was aber nun GottseiDank schon lange, lange her ist)
Dieser Tonfall wirkt auf mich aus diesem Grunde recht unnatürlich und geht mir daher nicht zu Herzen.

2) Einige Bilder finde ich ungewollt komisch. Ein entweichender Herbst oder im Tode verblichen sein - das wirkt auf mich eher bedeutungsschwanger und unpassend.

3) Du benutzt manchmal sehr allgemeine Begriffe: ""Überfluss", "Verdruss", "Grauen" - das Gedicht müsste an manchen Stellen etwas spezieller sein.

Aber ich will nicht nur meckern. So gefällt mir beispielsweise die Wendung in der zweiten Strophe recht gut. Erst lehrt das Wetter dir das Grauen, dann aber die Freude über den Rebstock (aber: Was um alles in der Welt ist ein Anger?)
Das kontrastiert auch die Melancholie des Gedichtes auf wunderbare Weise und macht sie dadurch glaubwürdiger. Diese zwei Zeilen habe ich wirklich nicht erwartet - und die sind wirklich gut.

Noch eine Anmerkung:


Mein Schreiben bracht Freude der Welt - Immerhin.


Na das kann ich aber noch nicht entscheiden. Also kannst du daraus keinen Absolutheitsanspruch für die ganze Welt ableiten. Also bitte vorläufig: "Mein Schreiben bracht Freude Teilen der Welt"
B-) B-)...

MFG,

Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

Auf Eulen Schwingen
Sphinx
Beiträge: 118
Registriert: 19.10.2003, 15:31
Wohnort: Bayrisch-Schwaben

Re: Herber Herbst

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 20.10.2003, 23:01

Dear Hamburger

Salute
bin offensichtlich mit dem stil des Gedichtes nicht richtig rübergekommen, ist ein bisschen antiquarisch-parodistisch so wie bei Barockdichtern der Marke Paul Fleming oder beim Naturalisten Arno Holz, der barocke Vagantenlyrik nachfühlt, zum Beispiel hier. Und da gehört dann oft so ein Vorspruch nach der Überschrift dazu:

Er bereut nichts; er wüntscht nur/ daß ihn noch Ein-mahl der Frühling freut

Ode Jambica.

O göldner Vorjahrs-Schein/
brächstu doch bald herein!
Noch Ein-mahl möcht ich sehn
die Kindgens Kräntze drehn!
Itzt pfeifft der Wind auß Pohlen/
dan dantzt man auff Violen/
dan hängkt ob grüner Au
die Lufft Hertz-Himmelblau;
ümb bundte Kiesel schwäzzt der Bach/
der Gukguk rufft das Echo wach!

Frau Venus/ fast entblöhßt/
dan in ihr Hifft-Horn stöhßt/
ihr Kleid auß Doppel-Dafft
weht zihrlich auff-gerafft!
Sie hat mich gantz besessen/
ich kan es nicht vergessen/
alß ich im braunen Hahr
noch jung und frölig war!
Da machten uns vergnügten Sinns
die gelben Himmels-Schlüsselgins!

Wir saßen Hand in Hand/
manierlich und galant/
kein Lüfftgen blihß durchs Moos/
wir lihßen uns nicht lohß/
wenn das besüsste Lallen
der kleinen Nachtigallen
mich offt mit sanfftem Drang
ihr für die Knye zwang.
Mein Hertzgespan/ mein Augendrohst!
Wie hat sie mich dan lihb-gekohst!

Sie hat mir manche Nacht
den Rihgel auff-gemacht;
waß heymlig dan geschehn -
kein Mäntsch hats zugesehn!
Ich lag ihr fäst am Hertzen/
ich pflag mit ihr zu schertzen/
ich lihß ihr keine Ruh/
du lihbstes Seelchen du!
Sie war mein A/ sie war mein O/
künt ichs - ich dhät es noch-mahl so!

Salute

P.S.

Deine klugen Anmerkungen zum "Panther" haben mir sehr eingeleuchtet. Bin dann ziemlich auf den Konjunktiv und das Perspektivenproblem in dem Rilke-Gedicht abgefahren.
aes
(auf!eulen schwingen)

Hamburger
Phantasos
Beiträge: 1808
Registriert: 28.04.2002, 23:48
Wohnort: Hamburg

Re: Herber Herbst

Beitragvon Hamburger » 21.10.2003, 00:58

Nochmal Hallo AES!

Ich bin gespannt, wie andere dieses Gedicht von dir beurteilen werden. Vielleicht ist mein Urteil bezüglich dieser Stilrichtung einfach nur grundsätzlich zu negativ. Das möchte ich keinesfalls ausschliessen.
Es wäre lieb von dir, wenn du das von dir nun gepostete Gedicht von Arno Holz in den "Club der toten Dichter" verschiebst, denn dann könnten wir dort weiter darüber diskutieren. Ferner kann ich dir natürlich überhaupt nicht verzeihen, dass ich nach deinem letzten Posting immer noch nicht weiss, was ein Anger ist, aber kommt Zeit, kommt Antwort ;-)

Was den "Panther" angeht, so habe ich deinen Beitrag schon bemerkt und gelesen und werde bald was dazu sagen. Wir Beide sollten da durchaus drüber quatschen, denn ein so gutes Gedicht verdient viele viele Postings.
Zur Erklärung muss ich anfügen: "Der Panther" ist wirklich eines meiner absoluten Lieblingsgedichte. Alleine das Sprechen dieses Gedichtes sorgt bei mir (noch immer) für eine Gänsehaut.

Bis denn und ich wünsch dir was,

Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)

Auf Eulen Schwingen
Sphinx
Beiträge: 118
Registriert: 19.10.2003, 15:31
Wohnort: Bayrisch-Schwaben

Re: Herber Herbst

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 21.10.2003, 08:46

Dear Hamburger,

der Anger (Grasplatz im Dorf, Gemeindewiese, auch nur überhaupt "Wiese") inmitten der folgenden schönen Passagen hat das Kopfkino in Gang gesetzt:

Bertha jedoch und Otto, so wie auch Folko und Gabriele, gedachten des Abends, wo ähnliche Fackellichter aus diesem Anger einen Kampfesrund bezeichnet hatten, und empfanden ihr jetziges Glück in erhöheter Süßigkeit. (Quelle: Friedrich de la Motte Fouqué - Der Zauberring Schluß/1)

Der beschied die Gemeinde auf einen Anger, hieß sie männiglich einen Kreis beschließen, dann trat er mitten unter sie und ließ das untrügliche Sieb laufen, welches nie verfehlte den Missetäter zu offenbaren. (Quelle: Joh. Karl August Musaeus -)

Er kommt über Auen und Wiesen, umgeht auf trocknem Anger manchen kleinen See, erblickt mehr bebuschte als waldige Hügel, überall freie Umsicht über einen wenig bewegten Boden. (Quelle: Johann Wolfgang Goethe - Wilhelm Meisters Wanderjahre / II. Buch, 8. Kapitel - 1)

Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt." (Quelle: Felix Dahn - Ein Kampf um Rom / III.4)

"Gern lief ich noch auf den Anger und brächte der Mutter zum Abend die Waldblumen, die sie so liebt, mehr als unsre stolzesten Gartenblumen. (Quelle: Felix Dahn - Ein Kampf um Rom / Va.1a)

Aber dann treff' ich mich auf ein paar liebe Minuten mit Brigitten auf dem Anger, und es ist Alles wieder gut. (Quelle: Otto Julius Bierbaum - Pankrazius Graunzer / XXVIII)

Er hatte aber mit dem Singen kaum begonnen, da ertönte vom Waldrande daher über einen grünen Anger hinweg ein ganz leises Geigenspiel, das ein wenig zitternd, aber völlig rein die Melodie des Liedes wie ein zartes Echo widerhallte. (Quelle: Paul Heyse - Spielmannslegende / B-)

Es ist nicht möglich, meine Lerngedanken zusammenzubringen, sie hüpfen wie die Frösche auf einem grünen Anger herum. (Quelle: Projekt Gutenberg)

so braucht er nicht, wie Tibull, seine Wiesen und Anger durch die Magie seiner Einbildung in ein wollüstiges Elysium zu verwandeln, wo (Quelle: Horaz - Horazens Briefe / I. Buch, 4. Brief (2))

So saß sie einst mit ihrer Arbeit auf dem Anger, Leonore zu ihrer Seite und ein saugendes Kind an der Brust, als sie von ferne herauf eine wunderbare Gestalt kommen sahen. (Quelle: Ludwig Tieck - Der Runenberg / 4)

Sie ritten eben über einen weiten, grünen Anger. (Quelle: Joseph von Eichendorff -)

Einzelne bunte Reiter flogen in allen Richtungen über den grünen Anger, einzelne Schüsse fielen bis in die tiefste Fernen hin und her im Walde. (Quelle: Joseph von Eichendorff -)

Da sah er das Fräulein auf einem schönen Zelter unten über den grünen Anger ziehen. (Quelle: Josef Freiherr von Eichendorff - Das Marmorbild / 6)

Hunde der Unterwelt schwärmten bellend um sie her. Der Anger zitterte unter ihrem Tritt, und die Nymphen des Flusses Phasis heulten. (Quelle: Gustav Schwab - Sagen / Iason erfüllt des Aietes Begehr)

Wasen: Rasen, Anger. (Quelle: Eduard Mörike - Das Stuttgarter Hutzelmännlein / 13)

Zuweilen, an milden Sommerabenden, wenn drinnen die Hausbewohner schon zur Ruhe waren und nur die einsame Sternennacht im Flusse widerschien, zogen von dorther klare Geigentöne über Dorf und Anger. (Quelle: Theodor Storm - Zur »Wald- und Wasserfreude« / 7)

Was in die Granitquader dieses Obelisken eingemeißelt ist, ergreift die Seele des Wanderers mit wunderbarer Gewalt: "Auf diesem Anger, an diesem Wasser ist der Herzschlag des Waldes!" (Quelle: Richard Siegemund - Die Zigeunerin von Krummau)

Die Ursula schlieft wieder aus ihren Pantoffeln und geht auf den Anger. (Quelle: Ludwig Thoma - Die Probier)



Aes, der wieder mal aus den Pantoffeln schlieft

Äh, ja. Bonustrack:

Und besonderen Spaß macht mir der Dr. Dr. Anger in den folgenden Zitaten. Dir vielleicht auch?

Auch Fußballplätze gibt es nicht, eine Kuhwiese, eine Müllhalde, ein baumloser Anger müssen reichen, und oft genug gibt es nicht mal die: in Halle an der Saale wächst mitten auf dem Spielfeld, durch ein Gitter geschützt, eine Friedenseiche. (Quelle: Die Zeit 2000)

Orhan Pamuk:The Anger of the Damned New York Review of Books; 15. November 2001 (Quelle: Die Zeit 2001)

"Zur Aufrechterhaltung der Spielstärke und zum Einkauf neuer Spieler", berücksichtigte Dr. Dr. Anger, "brauchte der Vorstand Gelder, die er nicht aufführen durfte und deshalb aus einer schwarzen Kasse nehmen mußte. (Quelle: Die Zeit 1964)


P.S.
Das Arno-Holz-Gedicht steht hier eigentlich vor allem, um das Genre Barockgedicht und liebevolle Parodie ohne Demontage zu skizzieren, also ein Genre, das in "Herber Herbst" angespielt wird. Eine vertiefte Interpretation im Dichter-Ordner ist wohl gar nicht so ergiebig. Oder doch?
aes
(auf!eulen schwingen)

Gucil
Kerberos
Beiträge: 7
Registriert: 27.09.2003, 00:56
Wohnort: Hamburg

Re: Herber Herbst

Beitragvon Gucil » 21.10.2003, 19:13

Moinsen,
Ich finde es in der tat nett, mal wieder ein solches Gedicht zu lesen.
Es ist eine gute Übung, um sich mit den Stilelementen einer Epoche besser vertraut zu machen, und zu erkennen welchen regeln, diesen zu folgen hatten.

Auch gut finde ich, das mal wieder etwas mehr im Wortschatz herumgekramt wurde, wenn auch nur mit zwei Worten (Lenz und Anger).

Aber ich hoffe das dies nicht so bleibt.
Es könnte doch durchaus interresant sein, ein wenig aktueller zu sein, ruhig mit dem Sinn für korpulente Sinngebung der ausgesuchten Zeitgedichtsepoche.

Es mag romantischer sein mit einen Brennofen zu heizen, aber das taten mit ähnlichen Beschreibungen, schon viele andere. Das Thema Alter gebunden an Zeit mit ihren Geheimnissen, sozusagen der Rückbetrachtungsfokus der gern eingenommen wird, um dem Tempus etwas Ruhe zu verleihen oder gar Erfahrungswerte zu generieren, kann natürlich recht spannend sein, aber die Aufgabe mit altem Stil heutiges zu beschreiben könnte belohnender sein, als vorhandenes Wissen nur wiederzukauen, was nicht heissen soll das es schlecht ist.

Würde mich jedenfalls auf aktuellere Gedichte freuen, die dann vielleicht auch etwas eigenes erkennenlassen.
cu Gucil
Lasst uns von Demokratie träumen und den Alltag vergessen.

Auf Eulen Schwingen
Sphinx
Beiträge: 118
Registriert: 19.10.2003, 15:31
Wohnort: Bayrisch-Schwaben

Re: Herber Herbst

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 21.10.2003, 19:33

Dear Gucil,

thanks for lecture und nicht zuletzt für den Term "korpulente Sinngebung".

Salute
aes
(auf!eulen schwingen)

gelbsucht
Pegasos
Beiträge: 1105
Registriert: 25.04.2002, 20:55
Wohnort: Das Dorf der Dussel an der Düssel

Re: Herber Herbst

Beitragvon gelbsucht » 13.11.2003, 19:11

Hallo AES,

ich bin geneigt mich der Meinung von Hamburger anzuschließen. Barock hin, Barock her, bei diesem Thema hast du dich irgendwie ein bisschen übernommen. Auch Hamburgers Eindrücke bezüglich dem geschwollenen und behäbigen Stil und der ungewollten Komik teile ich. Was mich an diesem Gedicht mit Nachdruck beeindruckt, ist das Metrum. Leider drängt sich mir dabei zugleich das Gefühl auf, dass unter der Beobachtung dieses anspruchsvollen Versmaßes, der Inhalt in Mitleidenschaft gezogen wurde und das ist nimmer ein guter Stil, insistiere ich und kann nicht anders, weil ich doch so ein Inhalt-und-Form-im-Einklang-Fetischist bin.
Der Lenz wie der Sommer, er schenkt Überfluss.
Der Herbst, nah am Winter, birgt ziemlich Verdruss.

Ja, schon der Auftakt zu diesem Gedicht ist irgendwie komisch, gerade die zweite Zeile find ich ziemlich ulkig. Alle vier Jahreszeiten in zwei Zeilen zu pressen, ist auch ein Glanzstück (allerdings ein überflüssiges), das dir keiner so schnell nachmachen wird.
Ich schüre den Ofen mit klammenden Gliedern
Und sinn´ ihnen nach, meinen Sommerpreisliedern.

Diese zwei Zeilen gefallen mir gar nicht schlecht! Obwohl Strophe eins, Zeile drei auch irgendwie seltsam ist. Der Ausdruck "klammende Glieder" ist zwar sehr schön, aber einen Ofen schürt man mit einem Haken, dachte ich. Und hast du schon mal einen Ofen geschürt? Also den möchte ich sehen, der dabei noch klammende Glieder hat! Die müssen schon triefen, um noch kalt und klamm zu sein, wenn die Tür zum Ofen erst einmal offen ist.

In Strophe zwei werden die Zeilen plötzlich von einer Zäsur unterbrochen:

U – U U – U | U – U U – U

Wozu das? Da wird man ja verleitet, die Strophe in einem ganz anderen Rhythmus zu sprechen, und zwar so:

Der Sommer entwichen,
Gar dürr schon die Auen,
Das feuchtende Wetter,
Es lehrt mich das Grauen.

Doch seht nur die Rebe –
Der Reben-Stock schwanger.
Wir pflücken die Süße,
Dann Tanz auf dem Anger!
Der Sommer entwichen, gar dürr schon die Auen,
Das feuchtende Wetter, es lehrt mich das Grauen.

Auch bringt dieser neue Rhythmus einen etwas abgehackten, weniger ernst zu nehmenden Tonfall ins Gedicht, es wirkt jetzt sehr viel lakonischer, was aber wiederum ganz im Gegensatz zu der ästhetischen Wortwahl und dem gehobenen Sprachgestus steht. Daher rührt die Komik. Eine Zeile wie "Das feuchtende Wetter, es lehrt mich das Grauen" wirkt darum ziemlich albern. Eine Ängstlichkeit, ein Grauen kommt hier nicht auf. Ist dieser Kontrast Absicht? Dein Verweis auf das Gedicht von Arno Holz legt das nahe.
Doch seht nur die Rebe - der Reben-Stock schwanger.
Wir pflücken die Süße, dann Tanz auf dem Anger!

Ein schöner Reim. Es wird immer lustiger, find ich.
Noch viermal zehn Herbste, wenn die sind entwichen,
Dann bin ich wahrscheinlich im Tode verblichen.

Also im Thread "Der Gesang der fünf Pilger" hast du dich mit dreimal zehn Herbsten beschieden. Aber, wie sagen die Vulkanier: Frieden und langes Leben! ;-) Ich glaub, das Reimpaar habe ich zuletzt in dem Gedicht "Die letzte Suppe" von Silentium ebenfalls als etwas angestaubt bekrittelt. Allerdings passt diese Wortwahl zu deinem Gedicht sehr viel besser.
Mein Schreiben bracht Freude der Welt - Immerhin.
Was wird sie wohl sagen, wenn ich nicht mehr bin?

"Tschüs!", vielleicht? Die erste Zeile ist ziemlich hochgestochen, so ein eingebildetes Ich kommt nicht gut. Dieses einsilbige "Immerhin" ist irgendwie ganz, ganz seltsam. Was ist der Sinn dieser Antwort, die das Ich sich selber gibt? Außerdem ist mir schleierhaft, wie sich das inhaltlich in das Jahreszeiten-Bild fügt? Die Wendung zur Vergänglichkeits-Melancholie erscheint mir missglückt.

Ganz ehrlich: dieses Barock-Revival ist nicht mein Ding. Du beschwörst damit eine ziemlich stereotypische Jahreszeitaufnahme und verpackst sie in ein altmodisches Sprachgewand. Der Pathos verpufft aber in kleinen Ulksalven. Für mich ist dieses Gedicht nicht einzuordnen: will es jetzt ernst oder lustig sein? Und das ist auch sein größter Mangel.

;-) gelb :-)


p.s. Übrigens ist das Gedicht von Arno Holz große Klasse. Ich bin darin - schon wieder! - einer Meinung mit Ham. Es wäre wirklich eine Bereicherung für das Forum "Club der toten Dichter". Aber wir wollen dir da ja nicht reinreden ... "tue es, tue es, tue es"! :-D
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)


Zurück zu „Gedichte“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Bing [Bot] und 93 Gäste