Christkind vs. Weihnachtsmann

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Silentium
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Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 03.12.2003, 20:36

Sorry, bräuchte eventuell Hilfe. Kann mir wer sagen, wo der Reim eiert?

Christkindsmord

Die fetten Weihnachtsmänner grinsen-
mit Rauschebart und rotem Hut
und eure kleinen Kinder linsen
hin zur festlich-teuren Bilderflut

Der Nikolaus steht seit September
aus Schokolade im Regal
übt sich bis jetzt, Beginn Dezember
in schmelzend-bräunlichem Zerfall

Polyester hat den Schnee ersetzt
Das Goldenrosa trifft als Schock
Hat er das Auge schwer verletzt
kehrt höhnisch wieder der Barock

Auf immergrünen Plastikzweigen
Summen Lämpchen unverdrossen
Mit Zuckeräpfeln, Datteln, Feigen
Hat das Christkind sich erschossen
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

vogel
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon vogel » 04.12.2003, 20:42

*in schallendem Gelächter ausbrech* Gut, Silentium, das ist echt gut, das habe ich heute echt gebraucht. Denn war ich nicht gestern erst in einem von diesen Großen Diskountern und was grinst mich an : Irgendson Schokoweihnachtsmann .. Das verführt immer so, aber diesmal hab ich mich dann doch behersscht (obwohls eigentlich bei mir noch egal ist, obs nun nen halber oder ganzer Mann war - noch ...) Aber mich würde es nicht wundern, wenn wir in ein paar Jahren um die Zeit schon OSterhasen zu kaufen kriegen würden .. Zwar finde ich, dass das Weihnachtsgeschäft erst spät begann und ziemlich schlecht läuft, aber die ollen Dinger gibts trotzdem jedes MAl früher ...

Hm, wegen den Reimen .. Das ist nicht so mein Gebiet ... Ich weiß nicht, es sind Holperer drin, glaub ich, aber da kann ich dir echt nicht weiter helfen, sry ..
Gibts denn hier eigentlich keinen staatlichgeprüften Reimexperten, der immer alles besser weiß ?


Liebe Grüße
kleinervogel
Mein Ich ist ein Pfogel aus Metall, doch Du hast ihn berührt und beschützt.

Silentium
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 04.12.2003, 22:28

Liebe kv, glaub mir oder nicht, die osterhasenstrophe hatte ich drin und wegen reimischem kathastrophalzustand wieder rausgestrichen. :-D
Scheußlich, das erste von den Weihnachtsmannviechern hab ich anfang september aufgespürt. Bis zum vierundzwanzigesten will ich von Weihnachten schon gar nichts mehr wissen. Und vor allem: was macht der Weihnachtkerl in meinen heidnischen Gefilden, wo seit Urzeiten das liebliche Christkind die Geschenke bringt? *flenn*
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gelbsucht
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon gelbsucht » 16.12.2003, 02:48

Hey Silentium,

es macht mir immer mehr Spaß deine Gedichte zu lesen – auch ohne irgendeinen Altersbonus in Rechnung zu stellen. Ich habe inzwischen auch den Eindruck, dass du von Gedicht zu Gedicht immer besser wirst. So muss das sein! Weiter so! Was mich mal interessieren würde: wie viel Zeit wendest du für so ein Gedicht in der Regel auf? Wie lange hast du an diesem hier herumgefeilt? Ach, und wo wir gerade dabei sind, dich ins Kreuzverhör zu nehmen, was ich dich schon immer mal fragen wollte: bist du eigentlich ein Mann oder eine Frau?
Gibts denn hier eigentlich keinen staatlich geprüften Reimexperten, der immer alles besser weiß?

Nicht immer, aber immer öfter. :-D
Und auch nicht staatlich geprüft, sondern selbsternannt. Die Urkunde des "Staatlich geprüften Reimfuzzis" eigenhändig gefälscht und für echt erklärt. ;-)

Also gegen die Reime in diesem Gedicht habe ich nix einzuwenden, sieht doch alles ganz gut aus! Mein Favorit: "Schock" – "Barock"! Den finde ich richtig originell. Aber vielleicht magst du ja ein paar Worte zum Rhythmus hören, Silentium? Ich würde zwar nicht sagen, es eiert und holpert wie wild. Das wäre etwas übertrieben. Auch finde ich es, ehrlich gesagt, verdammt beeindruckend, zu sehen, wie du dich um eine strenge Form bemühst, wie hartnäckig du an Reim und Metrum herumbastelst. Aber es gibt sicherlich noch ein paar Stellen, die verbesserungsbedürftig sind. Ich bitte dich, schmeiß aber nicht wieder das ganze Gedicht um (wie bei "Die letzte Suppe"). Nimm es einfach als Tipps für die nächste Runde.
Die fetten Weihnachtsmänner grinsen-
mit Rauschebart und rotem Hut
und eure kleinen Kinder linsen
hin zur festlich-teuren Bilderflut

Eine super erste Zeile. Ein super Auftakt. In dieser Zeile gibst du bereits den Ton und das Sujet für das ganze Gedicht vor. Gefällt mir ausgesprochen gut. Ist auch meine absolute Lieblingsstelle. Die folgenden drei Zeilen sind inhaltlich etwas blasser und fader, finde ich, aber als Intro okay. – In den ersten drei Zeilen haben wir es wohl mit einem Jambus zu tun – du beginnst jede Zeile unbetont und jede Zeile umfasst genau vier betonte Stellen. In der letzten Zeile gibt es einen Bruch: sie beginnt betont und hat eine betonte Silbe mehr. Das kann man machen. Ich muss zugeben, dass es mir an dieser Stelle gar nicht so übel gefällt, weil es rhythmisch einen kleinen Akzent setzt, der inhaltlich am Ende der Strophe eher fehlt.
Der Nikolaus steht seit September
aus Schokolade im Regal
übt sich bis jetzt, Beginn Dezember
in schmelzend-bräunlichem Zerfall

Eine abgerundete Strophe. Zeile drei fällt rhythmisch etwas aus dem Rahmen, geht mir hier aber wie bei der Strophe zuvor: empfinde ich als Akzent, als Betonung, als erfrischenden Wechsel, nicht als störend.
Polyester hat den Schnee ersetzt
Das Goldenrosa trifft als Schock
Hat er das Auge schwer verletzt
kehrt höhnisch wieder der Barock

Wie viel Silben hat "Polyester"? In deinem metrischen Schema werde ich dazu verleitet, es dreisilbig zu sprechen, tatsächlich sind es aber vier Silben. Die erste Zeile hört sich nicht gut an, finde ich. Sie fällt einfach aus dem bisherigen Schema hörbar heraus und das gleich am Strophenanfang (sie folgt metrisch dem Muster von Zeile 4 aus Strophe 1). In der zweiten Zeile fällst du wieder in das Grundschema zurück: unbetonter Auftakt, vier Hebungen, regelmäßige Jamben. Die letzten zwei Zeilen scheinen dann beide einem ganz anderen Muster zu folgen:

– U U – U – U –
– U U – U – U –

"–" = betonte Silbe, metrische Hebung
"U" = unbetonte Silbe, metrische Senkung

Das holpert jetzt aber wirklich. Auch stilistisch stört mich etwas an der Strophe, besonders gegen die zweite Zeile wehrte sich schon beim ersten Lesen etwas in mir. Dann musste ich lange überlegen: Warum? Ich denke, es liegt an der Zeitform des Verbs. Du wechselst ja im ganzen Gedicht zwischen Präsens und Perfekt, zwischen Gegenwart, generellen Aussagen und abgeschlossener Vergangenheit. Das ist an sich okay. Aber in Strophe drei wird es mir dann doch zuviel. Dieses "trifft", dieses saloppe Präsens in Zeile zwei, umklammert in Zeile eins und drei von "hat ersetzt" und "hat verletzt". Nein, das klingt merkwürdig. Das läuft auch der eigentlichen Abfolge der geschilderten Ereignisse zuwider.
Auf immergrünen Plastikzweigen
Summen Lämpchen unverdrossen
Mit Zuckeräpfeln, Datteln, Feigen
Hat das Christkind sich erschossen

Die Strophe finde ich inhaltlich besonders gelungen – besonders die ersten drei Zeilen sind dir gelungen. "Auf immergrünen Plastikzweigen/Summen Lämpchen unverdrossen ..." Da krieg ich die Krätze, wie man bei uns sagt. Da zieht sich sofort etwas in mir zusammen. Meine Eltern hatten mal drei Jahre so ein widerliches synthetisches Weihnachtsbäumchen, das während des Jahres im Keller vor sich hin geschimmelt hat. Da gab es jedes Jahr von neuem Theater; ich hab mich nach dem Duft einer richtigen Tanne gesehnt und nach dem klebrigen Harz an den Fingern, wenn man sie aufstellt und schmückt. Jetzt wohnen sie in einem Mittelgebirge und da stehen überall Nadelbäume herum – auch im Garten. ;-) -- Die letzte Strophe wechselt zwischen unbetonten und betonten Auftakten. Das scheint ihr aber insgesamt nicht zu schaden:

U – U – U – U – U
– U – U – U – U
U – U – U – U – U
– U – U – U – U

Dieses "unverdrossen" ist vielleicht wieder eins von deinen altmodischen Sprachatavismen, aber es fügt sich in diese Strophe wunderbar ein – ja, es untermalt die Aussage des Gedichtes, geht es doch um überkommene und völlig aus den Fugen geratene Traditionen.

;-) gelbe grüße :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Silentium
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 17.12.2003, 19:33

Hallo gelb!

Vielen Dank für fachmännische Reimzerlegung!
Das blöde Polyester...daran hab' ich mir irgendwie den Schädel eingerannt. "Das Plastik" hätte zwar wie gebraucht drei Silben, hat mir aber materialmäßig nicht zugesagt. Und im Österreichischen (ich weiß nicht, wie das bei euch ist), spricht man das Zeug Poljester aus- das heißt, ich hab' den Reim nicht so anpassen können, dass er für vier Silben gilt, aber aus vier drei machen ist auch nicht ganz koscher... Ich hab' überlegt, Strophe 1 und 3 zu fusionieren:

Die fetten Weihnachtsmänner grinsen,
das Goldenrosa trifft als Schock
und durch Plastikflocken linsen
die Kinder des Barock

Statt Kinder hab' ich auch "Fühler" und "Schnörkel" erwägt, aber... irgendwie klingt das alles, wie wir hier sagen "behmisch" (von böhmisch, sprich tschechisch, sprich das Österreichisch von Tschechischen Einwanderern, dass aber ganz anders klingt.

Und Plastikchristbäume... hatten wir zum Glück nie, da meine Mutter ein Weihnachtsbaumfreak ist und jedes Jahr die Grenzen des Höchstmöglichen weiter ausdehnt. Aber das Zeug steht im Advent an jeder Ecke herum, von jedem Gartenzwerg leuchten Lämpchen von Lichterketten (bei einem unserer Nachbarn blinkt das ganze Haus in verschiedenen Farben). Irgendwie adventfrustig, hm?


Ähm..da du dir dankenswertester Weise wieder mal die Zeit genommen hast, mir bei meinem Reimproblem weiterzuhelfen, sollte ich wohl dafür deine fragen beantworten. :-&

wie viel Zeit wendest du für so ein Gedicht in der Regel auf?


Wahrscheinlich wie alle anderen auch. Zwischen zehn Minuten und zwei Monaten. Bedingt durch die Geduld, die ich erübrigen kann (und immer um zehn Minuten zu wenig, um die Sache wirklich ordentlich zu machen :-& )

bist du eigentlich ein Mann oder eine Frau?

Spätestens als Hr. F. Str. mit "Herr Silentium", angefangen hat, hätte ich dass wohl aufklären müssen. Ich hab' das bewusst nie in meinen Meldungen ersichtlich gemacht, weil mich interessiert hat, ob die Leute nach einiger Zeit anfangen, einen von selbst in eine Kathegorie einzuordnen. Nun, kleinervogel hat einfach nachgefragt, charis hat es von vornherein überissen. Verzeiht mir das kleine soziale Experiment. Sagen wir's so, ich habe keine Schwester, aber meine Brüder haben eine.

Ähm, danke noch mal für die Reimschemaausführung. Hat mir wirklich geholfen. :-) (Ist ja wahr, unser Deutschlehrer kann stundenlang über die Biographie eines Renaissancedichters schwafeln, aber die wirklich brauchbaren Sachen über Lyrik erfährt man von Leuten, die man gar nicht kennt. Schon verrückt.)

Liebe Grüße, Silentium
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Silentium
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 18.12.2003, 23:31

Geht's so?

Das Plastik hat den Schnee ersetzt
und goldenrosa trifft der Schock.
Das Auge ist so schwer verletzt-
und höhnisch schnörkelt der Barock
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gelbsucht
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon gelbsucht » 23.12.2003, 15:53

Hochverehrter Herr Silentium! :-D
"Das Plastik" hätte zwar wie gebraucht drei Silben, hat mir aber materialmäßig nicht zugesagt. Und im Österreichischen (ich weiß nicht, wie das bei euch ist), spricht man das Zeug Poljester aus ...

Geht's so?

Das Plastik hat den Schnee ersetzt
und goldenrosa trifft der Schock.
Das Auge ist so schwer verletzt-
und höhnisch schnörkelt der Barock

Nee, Plastik find ich auch doof!

Tue mir eine Gefallen, Silentium, und lass das Gedicht so wie es ist. Ich finde die ursprüngliche Version ziemlich gut – mit ihren kleinen Fehlern und Macken. Es muss nicht immer alles perfekt, glatt und schnörkellos sein und auch die Regeln für einen flüssigen Versfuss sind dazu da, gebrochen zu werden. Finde deinen eigenen Rhythmus und deine eigenen Ausdruck – das ist entscheidend! Alles andere ist Nebensache.

;-) gelb :-)
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 23.12.2003, 20:03

Hochverehrter Herr Silentium!

*grins* *kicher* *prust* *lach* *brüll*
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 24.12.2003, 13:53

Hi, dear silentium!

Polyester hat den Schnee ersetzt
Das Goldenrosa trifft als Schock
Hat er das Auge schwer verletzt
kehrt höhnisch wieder der Barock


>> Noch mal kurz zur Metrik und Logik dieser vier Zeilen:

Das Wort "Polyester" wird geschäftsmäßig- umgangssprachlich-schnodderig recht gern "Poljester", also dreisilbig gesprochen. Dieser prosaische Ton passt ganz gut in die Entzauberung und Plastifizierung der Weihnachtswelt, welche Thema Deines Gedichtes ist. Und dann haut auch die leicht stolperige Metrik mit einem angestolperten Jambus hin:

Polyester hat den Schnee ersetzt
x X x X x X x X

Die alte Formulierung "Das Goldenrosa trifft als Schock" ist vielleicht klarer als "goldenrosa trifft der Schock", weil man in der zweiten Passage auf einen Akkusativ wartet ("Mich trifft der Schock") und dabei dann das "Adverb" in "goldenrosa trifft der Schock" eher recht spät erkennt.

In Deiner ursprünglichen Fassung sind die beiden letzten Zeilen durchaus als Fortsetzung des Jambus-Beats zu lesen. Es macht kaum Bedenken, das "er" in der vorletzten Zeile zu betonen:

Einmal kann damit "der Barock" gemeint sein, dann ist das "er" eine Art Vorankündigung für das nachfolgende "Barock". Dann kann mit "er" aber auch rückbezüglich "der Polyester" gemeint sein. Man ist dann gezwungen, von "Das Goldenrosa", das ganz in der Nähe steht, auf "der Polyester" in der ersten Zeile "weiterzuschließen". Und das ist ja durchaus sinnvoll. Wenn auch vielleicht ein wenig verkopft.

Oder jedenfalls eingängiger als der Bezug auf "der oder das Barock", man vergleiche die Lesarten nebeneinander:

Hat der Polyester//hat der/das Barock das Auge schwer verletzt, kehrt höhnisch wieder der Barock.

Denn das "kehrt wieder" verträgt sich nicht mit dem Verletzen, das ja die Präsenz des Barock voraussetzt.

Also, nochmal metrisch, das betonte "Er" signalisiert nun die Abwahl von "Goldenrosa" und die Wahl des darüberstehenden der "Polyester":

Polyester hat den Schnee ersetzt
Das Goldenrosa trifft als Schock
Hat er das Auge schwer verletzt
x X x X x X x X
kehrt höhnisch wieder der Barock
x X x X x X x X


Andererseits - da geht es mir so wie gelbsucht - ist das Perfekt mit "hat" trotzdem noch ein bisschen seltsam, weil das monströse Schnörkel-Barock ja bereits in dieser Polyesterwelt zurückgekehrt ist.

Daher könnte man Deiner Neufassung den Vorzug geben.

>> Andererseits: Wie wäre es mit einer Kombination aus den alten zwei ersten und den neuen zwei letzten Zeilen mit kleinen Variationen? Mal überprüfen.

Polyester hat den Schnee ersetzt.
Dies Goldenrosa, welch ein Schock!
Hat er das Auge schwer verletzt,
lächelt höhnisch der Barock.


Jetzt ist das "er" wohl "der Barock" und die oben genannten, teilweise sich reibenden Lesarten sind "bereinigt" ...

Aber es bleibt das Problem, dass hier ja ein plastikorientierter Neobarock auf Kitschebene wiederauftaucht, der im echten Barock mit seinen Schnörkeln kaum so penetrant war. Oder eben dort in einer anderen Zeit gar nicht penetrant wirkt und als Zeitzeugnis auch heute noch als schön gelten kann. Erst dann wird er schrecklich, wenn man ihn heute künstlich nachahmt.

Daher vielleicht noch eine letzte Variante zur Prüfung. Da ist dann auch das Problem mit "er" und seiner Beziehung ausgeklammert:

Polyester hat den Schnee ersetzt.
Dies Goldenrosa, welch ein Schock!
Das Auge ist gar schwer verletzt,
Es lächeln Plastics & Baroque.

Naja, jetzt geht es an die Weihnachtsvöllerei. Und hoffentlich ist das hier halbwegs verträglich. Ich sage das, weil mir das filigrane Rumpolieren missveständlich erscheint.Daher im Klartext: Dein Gedicht war schon jenseits all dieser hoffentlich nicht allzu schulmeisterlich wirkenden Überlegungen ein schönes Weihnachtswerk.

Sei gegrüßt

aes
aes
(auf!eulen schwingen)

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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 24.12.2003, 14:53

Hallo AES!

Danke für deine Ausführungen! (ehrlich, hätte mir vor einem Jahr wer gesagt, dass so was interessant sein kann, hätte ich ihm unterstellt, mein Deutschprofessor würde ihn bestechen. So ändern sich die Prioritäten...)

Es lächeln Plastics & Baroque


*kicher*- der Widerspruch ist gut. Der neuzeitlich-aufgesetzte Plastics- Anglizismus und Barock in seiner alten Schreibweise. Fast wäre man versucht, wenn es sich nur reimen würde, das portugisische Urwort einzusetzen, quasi back to the roots. Und verbunden mit einem et, von dem ich nie sicher bin, ob's antiquiert oder bei Firmennamen im Kommen ist.

Über den Rest muss ich wohl noch grübeln... obwohl, heute ist der 24, dann ist's für dieses Jahr sowieso ausgestanden.

Danke auf jeden Fall, AES & gelbsucht, und falls das heute noch wer liest:

Frohe Weihnachten

Silentium
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Auf Eulen Schwingen
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 24.12.2003, 21:16

Salute, wackeres silentium,

das Du mit Deinen Äußerungen Deinen Schweigen-Namen (taceat mulier in ecclesia) Lügen strafest.

Mal ein bisschen gucken in die Etymologie von Barock?

So kannte also die Barockzeit selber nicht den Begriff ›barock‹ als Kennzeichnung ihres eigenen Stils. Das Wort wurde erst im 18. Jahrhundert auf Kunst und - allgemeiner - auf Geschmack angewandt und zwar durchaus im pejorativen, abwertenden Sinne, um Unregelmäßigkeiten, Stilwidrigkeiten und Abgeschmacktheiten zu kennzeichnen.

Bereits seit 1701 ist in Frankreich der Begriff ›baroque‹ in der allgemeinen Bedeutung von bizarr, ungewöhnlich, seltsam belegt. [...] Diese pejorative Bedeutung des Wortes ›barock‹ wirkte sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aus, wie die Identifikation von ›barock‹ mit ›Verfall‹ bei Jacob Burckhardt u. a. zeigte. Über den historischen, bzw. etymologischen Ursprung des Wortes ›barock‹ besteht bis heute Unklarheit.

Immer wieder wird von den verschiedenen Forschern vorwiegend auf zwei mögliche etymologische Quellen verwiesen: auf das portugiesische Wort unbekannten Ursprungs ›baroco‹, das ›Felsbrocken bzw. Perle von unregelmäßiger Form‹ bedeutete und als ›Fachterminus der Juweliere in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich heimisch wird [...]‹.

Eine andere Möglichkeit, auf die schon im Jahre 1821 J. S. Ersch/J. G. Grubers Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste im Artikel ›Barocco‹ hinwies, hat besonders stark der große italienische Ästhetiker und Geschichtsphilosoph Benedetto Croce zu vertreten und zu begründen versucht. In seinem Werk Der Begriff des Barock. Die Gegenreformation. 2 Essays (Zürich - Leipzig - Stuttgart 1925) sowie in seinem Buch Storia della Età Barocca in Italia (1929) weist er darauf hin, daß in der Logik der Scholastik das Wort ›barocco‹ eine künstliche Gedächtnisvokabel darstellte, mit deren Hilfe man sich eine besonders komplizierte logische Figur des Syllogismus einprägte - ähnlich der Gedächtnisvokabel ›barabara‹. Das den 4. Modus der 2. Figur bezeichnende Wort sei sprichwörtlich geworden und man habe daran anschließend eine besonders umständliche, pedantische, künstliche, gewundene, ja trügerische oder falsche logische Beweisführung oder überhaupt sprachliche Erörterung ›barock‹ genannt. [...]

Andere Forscher [...] weisen auf den frühsten italienischen Barockmaler Federigo Barocci sowie auf den führenden Baumeister in der Entwicklung des römischen Barocks Giacomo Barozzi (genannt Vignola) hin, von deren Namen möglicherweise der kunsthistorische Begriff abzuleiten sei. Der Kunsthistoriker Riegl betonte, daß auch der Wucher auf italienisch ›barocco‹ heißt, was möglicherweise zur Kennzeichnung des Ausladenden, Wuchernden der barocken Sprache und Kunst verwandt worden sei.

Hans Tintelnot erinnert ferner daran, daß man in Frankreich im 18. Jahrhundert ›in der Tischlersprache das Wort ???baroquer' für Kurvieren und Überholen oder in der Ateliersprache der Maler das gleiche Wort für die Auflösung der Konturen und das Weichmachen der Umrisse mit dem Vertreiber‹ benutzte, freilich ohne es auf die Ausdrucksformen der Kunst selber anzuwenden.

Und endlich ist noch eine Ableitung des Wortes aus dem italienischen ›parrucca‹ (Perücke) zu erwähnen."

(Aus: Wilhelm Emrich: Deutsche Literatur der Barockzeit. Königstein/Ts. 1981, S. 14f.)

Wie auch immer. Dein Gedicht ist schön.


Sei gegrüßt

aes
aes
(auf!eulen schwingen)

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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 24.12.2003, 22:58

Hallo Aes!

Also, dass mit der Eselsbrücke war mir neu. Ich kannte nur die "unregelmäßige Perle" erklärung. Hochinteressant- Danke für die Hintergrundinformation!

Mehr oder weniger weihnachtliche Grüße (mein kleiner Bruder spielt oben zum zwanzigsten Mal mit der Klarinette Stille Nacht, dass drückt die Festtagsstimmung),

Silentium
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- Ursula Vernon

Auf Eulen Schwingen
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 26.12.2003, 21:49

Salute, silentium!

Ich denke, dass man bei der Variante "Plastics & Baroque" gar nicht an die alte Schreibweise und Aussprache denken muss, sondern es stellt sich - wegen dem & und aus reimtechnischen Gründen die englische Aussprache ein. Der Terminus "Baroque" liegt so im Englischen gängig vor.

grüße Dich

aes
aes
(auf!eulen schwingen)

Silentium
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Re: Christkind vs. Weihnachtsmann

Beitragvon Silentium » 26.12.2003, 23:59

Hallo Aes!

Grübel, grübel... könnte man dann vielleicht klein schreiben? plastics & baroque? Dann käme der Anglizismus noch mehr rüber? Obwohl- im Endeffekt ja völlig Wurscht :-D

Grüße, Silentium
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