Liebe Rezensenten,
vielen Dank für eure interessanten Kommentare und aufschlussreichen Anmerkungen zu meinem Gedicht. Ich bin immer wieder erstaunt, welche Ideen man in einem Leser wecken und in Gang setzen kann, ob gewollt oder nicht.
Irgendwo in diesem Forum gibt es eine kleine Erich Fried Diskussion nicht wahr? "Die triftigen Gründe" gehen in die Richtung, finde ich, schlagen in die Planstelle, für die Erich Fried sonst so bekannt ist.
Erwischt! Nein, ich bin froh, dass du es aussprichst, Norbert. Tatsächlich ist dieses Gedicht eine Erich-Fried-Anleihe, tatsächlich ist es durch meine etwas intensivere Beschäftigung mit Vita und Werk des Exildichters in den letzten drei Wochen entstanden. Andere Einflüsse waren meine Recherchen zum Nahostkonflikt und das Theaterstück "Gott" von Woody Allen.
nur der Titel überzeugt mich nicht; denn streng genommen setzt der Titel nur, dass es um zwei triftige Gründe des Atheisten geht. So ist mir der Titel zu plakativ. (Hieranonuemus)
Gefällt mir sehr gut, bis auf den Titel. (Flocke)
Guter Punkt. Ihr habt vollkommen Recht: beim Titel habe ich mich verzettelt, ist auch nicht der erste. Ursprünglich war das Gedicht als ein skeptisches Argument, als eine Theodizee-Kritik ("Die beste aller möglichen Welten"
) gedacht. Aber inzwischen kommt es mir ziemlich schäbig und geschmacklos vor, den eigenen Atheismus zu untermauern und dafür tote Kinder als Argumente anzuführen. Ja, plakativ, das stimmt. Der Titel passt einfach nicht mehr zum Thema. Hier ist wohl eher eine Art Friedensgedicht entstanden, das sich kritisch mit Fundamentalismus, heiligem Krieg und der Absurdität des Tötens auseinandersetzt und natürlich mit der Medienberichterstattung. Aber natürlich geht es auch um den dogmatischen Anspruch beider Konfliktparteien, gegen die "Gottlosen" zu Felde zu ziehen. Gottlos scheint mir der Konflikt insgesamt zu sein.
Und auch beide Götter, denn du willst ja damit sagen, dass beide mehr oder weniger tatenlos zuschauen, wie in ihrem Namen getötet wird ... oder?
Das ist es. Wer dazu anstiftet, dass unschuldige Kinder getötet werden, und das noch mit irgendeiner heilig-unheiligen Textstelle zu rechtfertigen weiß, sollte eigentlich sofort von einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen werden. Das wäre gerecht. Dabei kreist der Text natürlich auch um Attribute wie "allmächtig", "barmherzig" und "gnädig", die Thora und Koran dem All-Einen zuschreiben und einem logisch denkenden Menschen angesichts dieser Opfer reichlich paradox und sinnlos vorkommen müssen.
Darf ich eine Frage stellen?
Sind das zwei Götter, die paralell Fingernägel lackieren?
Oder einer, der sich im Gedicht einsam durch die Schritte der Maniküre kämpft?
Die Abfolge der Maniküre legt schon nahe, dass es einer ist. Dachte ich zumindest!? Ich glaubte auch bisher, dass in Synagogen, Kirchen und Moscheen ein und derselbe Unsichtbare angebetet wird. Ich weiß ja nicht, was ihr in der Schule lernt oder ob ihr schon mal was von Lessings Ringparabel gehört habt? Darum lassen wir ihn selbst noch einmal zu Wort kommen – in dem letzten Testament, das uns von ihm überliefert ist (ist jetzt auch schon wieder eine Weile her, könnte sich eigentlich auch mal wieder dazu aufraffen, ein paar Wunder und Worte an uns zu richten): im Koran, in dem ich immer wieder gerne ein bisschen schmökere. Bitte nicht verwundern, wenn Allah über Allah redet, dann benutzt er schon ganz gerne die erste Person Plural:
Wir gaben Moses fürwahr das Buch und ließen Gesandte folgen in seinen Fußstapfen; und Jesus, dem Sohn der Maria, gaben Wir offenkundige Zeichen und stärkten ihn mit dem Geiste der Heiligkeit. Wollt ihr denn jedesmal da ein Bote zu euch kommt mit dem, was ihr selbst nicht wünschet, hoffärtig sein und einige als Lügner behandeln und andere erschlagen?
Sprecht: »Wir glauben an Allah und was zu uns herabgesandt worden, und was herabgesandt ward Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und (seinen) Kindern, und was gegeben ward Moses und Jesus, und was gegeben ward (allen andern) Propheten von ihrem Herrn. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen; und Ihm ergeben wir uns.«
(Koran, Al-Baquarah, 88, 137)
Alles klar? Es gibt natürlich hier und da noch ein paar Streitfragen, aber ich denke, im Großen und Ganzen ist man sich einig, dass es um Ein und- Denselben geht.
Hiob ist natürlich immer gut für ein Zitat.
Wenn ich noch was plaudern darf:- hat uns gestern ein Pfaffe im Seminar besucht und plauderte aus der Soutane, Hiob und Hiob. Der Text ist ziemlich fürchterlich, was für ein Würstchen: Gott, und überhaupt: so den Hiob zusammenstauchen. Hab in der Zeit im Hohen Lied gelesen.
Mensch, Norbert, was für seltsame Seminare besuchst du denn da? Obwohl ich ja gestehen muss, dass ich auch Hiob ziemlich spannend finde :-& (das Hohe Lied sowieso), z.B. als Interpretationsansatz für Kafka. Okay, ist schon ein armes Würstchen und so, aber der Text thematisiert auch ein paar entscheidende Glaubens- bzw. Zweifelfragen, die besonders einen Atheisten wie mich immer wieder fesseln. Antizipation des Skeptikers nenne ich das.
Gerade das fasziniert mich so an dem Gedicht. Die Betonung ist nicht auf dem Kind. Das Kind wird ganz nebenbei umgebracht. Den Göttern/ dem Gott völlig egal, das Kind. (Silentium)
Aber unwichtig ist das Kind nicht. Setz doch was anderes ein dafür, etwa "ein Hund". Ganz so beiläufig/beliebig ist es dann doch nicht. (Hieranonuemus)
Also es folgt natürlich dem Muster einer knappen Tickermeldung, in diesem Sinne ist es beiläufig. Der Nahostkonflikt taucht zwar immer mal wieder in den Medien auf, mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit, wenn man bedenkt, wie lange der Konflikt schon dauert und wie viele Friedenspläne es schon gegeben hat (Afghanistan ist erst zwei Jahre her und schon jetzt wieder fast vollkommen ausgeblendet). Aber die Tatsache, dass dort mit wiederkehrender Regelmäßigkeit Menschen sterben, ist uns nicht neu. Mit den Worten der Friedenspreisträgern Farhat-Naser: "... die Welt schweigt und gewöhnt sich an das Schweigen und an das Unrecht. Alle warten bis das Unheil und das Verderben größer wird." Desto häufiger sich ein Ereignis wiederholt, desto geringer der Nachrichtenwert. Selbstmordanschläge passieren immer wieder, israelische Vergeltungsschläge passieren immer wieder – das erschreckt und überrascht wirklich niemand mehr und gerade das finde ich so fatal: diesen Gewöhnungs- und Abstumpfungsprozess. Aber, verdammt noch mal, ich will mich nicht daran gewöhnen, mich nicht damit abfinden, dass irgendwo auf der Welt Tag für Tag Kinder sterben für nichts und wieder nichts:
In den vergangenen drei Jahren sind nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bei Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern fast 2900 Menschen getötet worden. Seit Beginn der palästinensischen Intifada im September 2000 seien mehr als 770 Israelis und 2100 Palästinenser ums Leben gekommen.
Wie Amnesty International am Mittwoch in London vor dem Hintergrund des jüngsten Selbstmordanschlags in Jerusalem mitteilte, waren unter den mehr als 770 getöteten Israelis auch 90 Kinder. Unter den Palästinensern, die von israelischen Soldaten und Sicherheitskräften getötet wurden, seien 380 Kinder gewesen.
(Quelle: ZDF heute, Meldung vom 28.08.2003)
Wie Norbert bereits sagte, so ganz marginal ist der Tod der zwei Kinder dann doch nicht. Es besteht vielmehr ein Gegensatz zwischen Bedeutung und Darstellung der Ereignisse.
Neuen Titel suche ich noch.
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"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)