Carried by the Skilled Foot

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Auf Eulen Schwingen
Sphinx
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Carried by the Skilled Foot

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 14.12.2003, 14:36

Salute, Kollegen;

hier eine Momentaufnahme des lyrischen Ichs als älterer, swingender Herr

carried by the skilled foot

Älteren Herren wie mir
fällt der Kopf gern am Abend nach vorne,
Aber jetzt schrecke ich auf:
Klatschender Regen und Blitz.

Da ich nicht schlafen kann,
schlurfe ich halt zum Computer,
streichle ein wenig den Knopf,
drück ihn und bin bei mir selbst.

Freundlicher Schimmer von blauem
Opal. Und schwarze Lettern
gleiten daktylisch darüber nach rechts,
versfüßig, swingend und dunkel und sanft.

Trunken und nüchtern macht dieser Takt,
reglos und schwarz ums Haus hängt die Nacht,
galoppierender Beat, vollblütiges Schnauben,
der Burnus bläht sich im Wind.

"Kühl ab, Kollege Kara Ben Nemsi! Wir kennen
alle den Schwindel, den rauschenden Regen
der Worte - samt viel heißer Luft.
Dudelsackbläser vom hohen Rosse."

Manch einer wird sagen: Kamel.
Aber: Der Strecklauf, die Härte der Flanken,
die sprühenden Funken der Hufe
sind unsagbar schön in der Nacht.

aes
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(auf!eulen schwingen)

gelbsucht
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Re: Carried by the Skilled Foot

Beitragvon gelbsucht » 16.12.2003, 13:45

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Dichter mit dem Absinth ...

:-D

Sorry, AES, das fiel mir als erstes ein, als ich dein Gedicht gelesen hab. Wieder ein verdammt gutes Poem des Herrn AES, daran besteht kein Zweifel. Du bist hier in kürzester Zeit zu einem meiner persönlichen "Top 5 Lyriker" avanciert, weißt du das? Inzwischen "horche" ich richtiggehend auf, wenn in der Liste ein neuer Thread und dahinter dein Name aufblinkt. Du bist sehr ambitioniert bei der Sache, mit einem Hang zu anspruchsvollen Metren und wechselnden Rollen des LI. Obwohl natürlich, wie mir scheint, die Perspektive des Dichtenden dich am ehesten fesselt: "Herber Herbst", "Gesang der fünf Pilger" und auch dieses hier drehen sich alle irgendwie um die Gedanken eines schreibenden Ichs. Diese Tendenz zieht natürlich die Frage nach sich, wann dieser Fokus sich etwas verändert und mehr nach außen richtet? Denn prinzipiell zähle ich Texte wie "Flusslandschaft mit Ungeheuern" und "Schnapsidee", die weniger das schreibende Ich reflektieren, zu deinen Besten ... ist nur so ein Gedanke.

Zurück zu deinem Gedicht! Älterer Herr, geblähter Burnus, Kara Ben Nemsi? Da klingelt doch etwas? Genau! Hier greifst du wieder eine Rolle und Themen auf, die bereits in der "Flusslandschaft mit Ungeheuern" eingeführt worden. In welchem Zusammenhang stehen die beiden Texte; ist "Carried by the skilled foot" Teil einer Fortsetzung?

Also es geht ums Schreiben, soviel ist klar. Einer kann nicht schlafen, setzt sich "halt" an seinen Computer und schreibt drauf los. Er wird getragen vom Rhythmus der Worte, von dem Streifzug, dem Ritt durch die Nacht – vielleicht findet er sogar seinen eigenen Rhythmus darin. Es steckt viel Bewegung in diesem Gedicht (gleiten, swingend, galoppierender Beat, Wind, Strecklauf), so als ginge es überhaupt nur um die Bewegung und um sonst nichts. Es ist auch ein schöner Kontrast: hier der ältere Herr und dort all die Kraft und Geschmeidigkeit der Bewegung (seines Geistes). Den Vergleich von Rhythmus und Ritt finde ich ausgesprochen schön, noch schöner finde ich nur die Metapher: "den rauschenden Regen der Worte".

Dann wie du das ganze mit einem Dreivierteltakt unterlegst. Ich höre den Galopp und wie mit stampfenden, wütenden Hufen das Pferd ins Feld jagt. Ich finde, es tut dem Gedicht ausgesprochen gut, dass die Daktylen an einigen Stellen gebrochen werden, dass du nicht krampfhaft versucht hast, es durchzuhalten, dass auch die Zeilenlänge alterniert. Diese Brüche verleihen dem Gedicht seine Unmittelbarkeit, seine Authentizität, ebenso wie der ironische Bruch in der dritten Strophe, den ich für außerordentlich wichtig und gelungen halte. Ich bin wirklich froh, dass du es nicht ganz so streng und glatt durchkomponiert bzw. exerziert hast, wie noch bei "Herber Herbst". Dass das lyrische Ich sein Tun und Lassen auch nicht ganz so ernst und wichtig nimmt ("Mein Schreiben bracht Freude der Welt ..."), dass es sich eher selbstvergessen und weltversunken im "Strecklauf" des Schreibens genügt, anstatt über die Wirkung seines Schaffens zu spekulieren, macht es mir sympathisch. Das erinnert mich an ein Wort von Reiner Kunze, das mir sehr am Herzen liegt:
Das bedürfnis des dichters, nach außen etwas zu gelten, bricht in dem augenblick zusammen, in dem er begreift, was poesie ist.

(Quelle: Reiner Kunze: frühe gedichte)

Darum, zum Gedeihen der Poesie, auch ein paar kritische Anmerkungen:
Trunken und nüchtern macht dieser Takt,
reglos und schwarz ums Haus hängt die Nacht,
galoppierender Beat, vollblütiges Schnauben,

Diesen Teil des Gedichtes finde ich ausgesprochen schwach. Wie denn? "Trunken und nüchtern" zugleich macht "dieser Takt"? Das verstehe ich nicht. Und "reglos und schwarz ums Haus hängt die Nacht" ist mir eindeutig zu abgegriffen. Das kannst du besser! Außerdem: wozu plötzlich diese Assonanz? So bedeutsam erscheinen mir die beiden Zeilen nicht, dass ein Fastreim sie so betonen und hervorheben sollte.
Manch einer wird sagen: Kamel.

Der Sinn dieser Zeile ist mir nicht ganz klar. Wozu dieser Anhang? Wozu noch einen draufsetzen, es mit einem so verwaschenen "manch einer wird sagen" einleiten und mit einem so unflätig-lakonischen "Kamel" beschließen, ist doch in der vorigen Strophe bereits alles gesagt – und zwar auf den Punkt? Die Zeile erscheint mir verzichtbar.

;-) gelbe grüsse :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Auf Eulen Schwingen
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Re: Carried by the Skilled Foot

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 16.12.2003, 16:49

Salute Gelbsucht,

feine, hilfreiche Anmerkungen das, gut dem Dinge, Gutmannsdörfer und Jensen, würde Vater Kempowski ...

>>Selbstbezogenheit des lyrischen Ichs:

ja, recht oft ist Metaebene eíngenommen, die das Schreiben und seine Funktion reflektiert; kann auf Dauer ein bisschen sophisticated und blutarm wirken. ja.

>>Selbstverliebtheit und leichte Aufgeblasenheit des lyrischen Ichs in "Herber Herbst".

Unbedingt. Deshalb wird das lyrische Ich auch komisch vorgeführt, besonders in der Pilgerszene. Da wird´s ein weng gezaust.

Andererseits ist klassische Lyrik bei Horaz, Catull und Ovid sehr häufig darauf aus, die eigene Wirkung zu beobachten. Die Vogelweideleute machen das auch ganz gern. Barocke Dichterlinge auch. Da ist sehr wohl ein "Battlen" zu beobachten, das ist natürlich weit weg vom Dichter der Schönheit R.K.

>>"Trunken und nüchtern"

Jetzt schwingt gleich Schiller ("Der Tanz", 1795) den daktylischen Versfuß, da ist beides im Daktylustanz der Paare und Touren, Trunkenheit und Nüchternheit, rationale Ordnung und tobende Lust, Gleiten im Hexameter und Break im Pentameter:

Siehe, wie schwebenden Schritts (1) im Wellenschwung sich die Paare
Drehen, den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß.
Seh ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes?
Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reihn(2)?
Wie, vom Zephyr gewiegt (3), der leichte Rauch in die Luft fließt,
Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut,
Hüpft der gelehrige Fuß(4) auf des Takts melodischer Woge,
Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib.
Jetzo(5), als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes
Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn (6).
Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet,
Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg.
Sieh! Jetzt schwand es dem Blick, in wildem Gewirr durcheinander
Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt.
Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich ...

1 with light steps
2 the ethereal dance
3 carried by the breeze
4 the skilled foot
5 = gerade jetzt
6 in the tightest group of dancers

Oder gar hier Reportage zu Django Reinhardt:

Nun geigt er und swingt er, nun swingt er und geigt,
Die Herzen bezwingt er, sobald er sich zeigt;
Wie schwellen die Töne so stark und so weich!
Wer's hört, der wird trunken und nüchtern zugleich.

>>Die Nacht-Zeile:

ja, ist wohl am ehesten abgelutscht, auch der Reim ist eher eine Fehlinvestition.

>>Kamel:

Hum, da gibt es so eine Lesart mit kleinen Varianten, die mir durch den Kopf geht:

a)
"dudelsackspieler vom hohen Ross" ist (auch) als Vokativ zu verstehen, das lyrische Ich wird so apostrophiert. Kann aber auch die Gruppe der Dudelsackspieler meinen, die den Dudelsack-Daktylus kennen und für nicht so toll halten. Dann ist das so eine Art Unterschrift, ein Signet.

B-)
Beim Vokativ öffnet sich ein konnotatives Feld: LI ist von Aura der (Ein-)Bildung getränkt, mit der er etwa leicht antiquarische, abgneudelte, dudelnde Versfüße zu nutzen sucht.

"Kamel" ist dann eine Verschärfung des Tones, die das L.I. unter Übernahme der Fremdperspektive selber vornimmt. "Kamel" steht dann in Ko-opposition zu (hohem) "Ross" und entbehrt der möglichen Konnotation "edles, feuriges, Vollblüter-Ross". Eine Art Contradictio zum Pegasus-Ri-KarlMay-Höhenflugmodell des LI

c)
Mit dem "aber" wird dann adversativ und konzessiv ein Gedanke gesetzt. Vom LI als Replik: Der Dichter mag ein Kamel sein, der sich auf den walzenden Passgang einlässt, das Pegasusross mag ein Kamel sein, auf dessen "skilled foot" man sich da einlässt. Aber auch dann gibt es den ästhetischen, den mitreissenden Flug durch die Nacht. Selbst Kamelhufe sprühen.

>>Neufassung

carried by the skilled foot

Älteren Herren wie mir
fällt der Kopf gern am Abend nach vorne,
Aber jetzt schrecke ich auf:
Klatschender Regen und Blitz.

Da ich nicht schlafen kann,
schlurfe ich halt zum Computer,
streichle ein wenig den Knopf,
drück ihn und bin bei mir selbst.

Freundlicher Schimmer von blauem
Opal. Und schwarze Lettern
gleiten daktylisch darüber nach rechts,
versfüßig, swingend und dunkel und sanft.

Trunken macht dieser Takt und nüchtern,
regungslos hängt das Schwarz vor dem Fenster,
galoppierender Beat, vollblütiges Schnauben,
der Burnus des Reiters bläht sich im Wind.

"Kühl ab, Kollege Kara Ben Nemsi! Wir kennen
alle den Schwindel, den rauschenden Regen
der Worte - samt viel heißer Luft.
Dudelsackbläser vom hohen Rosse."

Manch einer wird sagen: Kamel.
Aber: Sein Strecklauf, die Härte der Flanken,
die sprühenden Funken der Hufe
sind unsagbar schön in der Nacht.

great, great thanks to gelbsucht
aes
(auf!eulen schwingen)


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