komm, wind, komm

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Herbert Eiter
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komm, wind, komm

Beitragvon Herbert Eiter » 07.10.2011, 22:09

komm, wind, bring
deinen heißen atem
in anschlag und
schmirgel die lügen
der mächtigen hinweg

sing ihnen das lied
vom könig mit den
alchemistischen händen

komm, wind, und
drück die fenster ein
die halbtransparenten
vollverspiegelten

reiß die fassaden ein
bring die morschen
kaskaden zum einsturz

komm, wind, kratz
uns den goldstaub
der zukunft aus
den kurzsichtigen augen

reiß den lebenden toten
die graue haut
von den knochen

komm, wind, komm
erfüll die welt
mit deinem gebrüll
es ist zeit
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riemsche
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Re: komm, wind, komm

Beitragvon riemsche » 07.10.2011, 23:42

hör ich da skorpione pfeifen? (:->)) jaaa winds of change - der titel verpflichtet ja beinahe. eric burdon ist mir da noch der liebste coverkünstler, wenn ich mir musik dazu denke. mir mit lebenden toten und häutung zu schwach gewortet. was gewaltig falsch läuft, ist mE sO zaghaft mit verzierungen nicht wegzupusten. seit dem märchen vom wolf und den drei kleinen schweinchen baut nimmersatte selbstzufriedenheit wesentlich stabilere hütten.
lGr

Herbert Eiter
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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Herbert Eiter » 15.10.2011, 12:49

Danke fürs aufmerksame Lesen, riemsche.

was gewaltig falsch läuft, ist mE sO zaghaft mit verzierungen nicht wegzupusten. seit dem märchen vom wolf und den drei kleinen schweinchen baut nimmersatte selbstzufriedenheit wesentlich stabilere hütten.


Da hast du zweifellos Recht, aber vielleicht ist das, was gerade passiert, auch nur die erste Brise:
www.google.de/search?q=occupy+wall+street

Besten Gruß,
H. Eiter
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Glaukos
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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Glaukos » 15.10.2011, 15:46

... schön, dass alles heute viel "globaler" ist als noch vor zehn jahren. oder '68, als es mit den globalen bewegungen losging. das waren ansätze ... aber heute begreifen auch die "kleinen leute" besser die zusammenhänge. dennoch denke ich, das ist erst ein windlein, kein sturm.
wer vermag die frage "wie wollen wir (menschen) leben?" wirklich im detail zu beantworten?
die wenigsten der demonstranten haben wohl das WOHL DES GANZEN im sinn. die drückt die schuldenlast, vielleicht auch der perfektionierungswahn, die permanent steigende "lebensregulierung". was nutzt es mir, wenn ich 80 jahre alt werde, aber ständig nur das mache, was mir vorgegeben wird?
die frage, ob man nicht auch den leutchen in armen ländern helfen müsste - wird mir bei diesen kampagnen in der "ersten welt" zu wenig gestellt ...

kurzum, ein KONZEPT sehe ich nirgends. ich meine eine alternative.
sturm allein hilft da wenig; er verwüstet höchstens ... ich persönlich wäre für etwas mehr strategie und struktur - aber auch für etwas mehr gelassenheit & weniger hysterie ;)

Perry
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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Perry » 15.10.2011, 23:14

Hallo Herbert,

die Botschaft versteh ich wohl,

auch ich würde mich sofort mit einem Transparent vor ein Kreditinstitut stellen, um gegen diesen Banken gestützen Globalisierungswahnsinn zu protestieren.

Allerdings finde ich die märchenhaft anmutende Aufbereitung eher schwach.
Die Zeiten, wo Bilder wie

"komm, wind, bring
deinen heißen atem
in anschlag ..."

noch jemanden vom Hocker gerissen haben sind längst in den Antiquariaten der Buchhandlungen verschwunden.
Klar steckt eine erkennbare Satire bzw. Ironie in den Bildern, aber mit Aufrufen wie

"reiß den lebenden toten
die graue haut
von den knochen"

bedienst du ein Klientiel, dass in den 70igern Filme wie "Die Nacht der reitenden Leichen" gruselnd angeschaut hat.

Heute ist der "Wutbürger" ala Stuttgart 21 gefragt. Auf die Straße gehen und den aufgeblasenen Bankenbonzen endlich mal zeigen, dass das unser Geld ist, mit dem sie Welt-Monopoly spielen.

Ich hoffe, du kannst was mit meinem "Wut-Komm" anfangen, der nicht gegen deinen Text, sondern durch deinen Text entstanden ist, anfangen.

LG
Perry

Herbert Eiter
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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Herbert Eiter » 16.10.2011, 01:11

Guten Abend, Herr Glaukos!
Glaukos hat geschrieben:... schön, dass alles heute viel "globaler" ist als noch vor zehn jahren

Ich sehe sehr wohl die Vorteile der Globalisierung, die Vernetzung, die Mobilität, die zunehmende Bewegung und die Metrokultur.

Aber ich sehe darin auch eine Gleichmacherei, wirtschaftlich gesehen eine Korrelation von Risiken, einen Verlust von Diversität, von Andersartigem, von Alternativen. Ich hätte nicht nur gern eine Alternative zum globalen Markt, sondern eintausend. Parallelwelten. Schattenwirtschaften.

Glaukos hat geschrieben:dennoch denke ich, das ist erst ein windlein, kein sturm.

Dito. Lesen Sie das Gedicht einfach als Wunschgebet, Self fulfilling prophecy, Antiutopie, Sonntagsmärchen, inneres Unbehagen oder so.

Glaukos hat geschrieben:wer vermag die frage "wie wollen wir (menschen) leben?" wirklich im detail zu beantworten?

Fragen Sie mich?

Glaukos hat geschrieben:die frage, ob man nicht auch den leutchen in armen ländern helfen müsste - wird mir bei diesen kampagnen in der "ersten welt" zu wenig gestellt ...

Sehe ich ähnlich, aber da es eine globale Krise ist, betrifft Sie auch alle.

Glaukos hat geschrieben:kurzum, ein KONZEPT sehe ich nirgends. ich meine eine alternative.
sturm allein hilft da wenig; er verwüstet höchstens ...

Ja, auch diese Ansicht teile ich. Allerdings glaube ich, dass sich viele Menschen der wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen noch nicht im Klaren sind. Wie sollen wir das wissen, wenn Experten und Politiker es nicht wissen? Und gerade das Fehlen einer Alternative, einer "strukturellen" Antwort, macht mir persönlich am meisten Angst. Eine Krise des Geldes, die von der Politik mit immer mehr Geld beantwortet wird, kommt mir geradezu absurd vor.

Glaukos hat geschrieben:ich persönlich wäre für etwas mehr strategie und struktur...

Tja, vielleicht brauchen wir einfach einen guten Algorithmus... let's call Google! :-D


@Perry
Perry hat geschrieben:Allerdings finde ich die märchenhaft anmutende Aufbereitung eher schwach.
Die Zeiten, wo Bilder wie... noch jemanden vom Hocker gerissen haben sind längst in den Antiquariaten der Buchhandlungen verschwunden.

Danke, für ihre offene Meinung! Bitte bleiben Sie auf Ihrem Hocker sitzen.

Besten Gruß,
H. Eiter
and all the lousy little poets coming round ...

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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Perry » 16.10.2011, 02:02

Hallo Herbert,
du meinst wohl mit Hocker den Schaukelstuhl, in den sich manche Dichter gern zurücklehnen, wenn sie ihre "Märchen" erzählen, die nach mehr klingen sollen, als sie tun. ;-)
LG
Perry

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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Herbert Eiter » 16.10.2011, 05:02

:rofl:

Wer im Glashaus sitzt, hat gut Reden.
and all the lousy little poets coming round ...

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Re: komm, wind, komm

Beitragvon Glaukos » 16.10.2011, 19:15

Ja, werter Dichter,
ich bin an Ihrer Meinung interessiert zu den gaaaanz großen Fragen ;)


der gerechte in mir gibt das ziel aus: weltstaat, weltregierung, denn echte demokratie kann in nationalstaaten allein niemals funktionieren; dass europa momentan gerade an dem sprung ins größere zu scheitern droht ... ist allerdings ein trauriger umstand, der wiederum einem mangel an struktur geschuldet ist, genauer: mangels mächtiger europäischer instanzen. europa ist derzeit eher ein "club" ... der schlecht läuft, weil er "scheiße gemanagt wird". also: MEHR MACHT nach oben umverteilen, in noch zu schaffende instanzen. die allerdings mitgesteuert werden durch direktes feedback aus der bevölkerung. eVoting könnte sich da prima etablieren ... aber das eher als beratend denn als gesetzgebend.

der pragmatiker in mir sagt: klingt gut, aber ist nicht zu machen.

und das schwein in mir sagt: ist eigentlich schnurz, welches system man hat, hauptsache, ich profitiere davon am effektivsten ;)



und apropos algorithmus: nun, so ein algo ist ja eigentlich eine handlungsregel, oder nicht? so besehen ist der algo tatsächlich eine "moral" ... also, mother-google, please help ;)


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