Fortsetzung: ohne titel

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
shuya
Prometheus
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Fortsetzung: ohne titel

Beitragvon shuya » 16.03.2012, 15:43

fortsetzung von: viewtopic.php?f=6&t=5753

- Maria?
der richter wirft einen stein nach mir und spuckt aus
in der stadt weiß es jeder, ihre köpfe sind gesenkt, die gespräche verstummen wenn ich
die dichte rauchsäule der fabrik vermengt sich zu einer wolke an windstillen tagen sieht sie aus
wie ein gutmütiger riese ich wäre gerne auf seine schultern gekrabbelt und mir die seele aus dem leib
wenn ich nur fliegen
- Maria?
mama zerreisst die leeren umzugskartons und beendet unser altes leben
zwischen den bäumen und gräsern, unser leben in der stille fällt zusammen zu einem haufen pappe
wir, auf dem hohen ahorn, die muschel des plattenspielers als tröte und ihr empörtes rufen
in dem ein lachen mitschwingt, wie die nuance eines parfums der duft dringt durch den raum
vor dem fenster
- Maria?
steht sie und klopft, beharrlich wie immer
- Lass mich schlafen, komm später wieder
ich schlafe. wie lange sie dort wohl schon
das müde schlurfen von kinderschritten auf den fliessen
das küchenlicht brennt, die nackte glühbirne, die rotgeweinten augen meines onkels
nur einer seiner schuhe ist gebunden, die oberen drei knöpfe seines hemds
vater und mutter die nur schweigend da sitzen, halt, wer geht da?
halt, wer geht.. vor dem embargo, vor den toren der stadt, in der sperrstunde
dreizehn jahre später sollte ich es noch einmal
geh zurück ins bett maria, schlaf wieder, siehst du denn nicht dass
- Maria, jetzt genügt es aber, komm mach auf!
ich komme schon, sage ich im traum, sie klopft aber weiter
und ich werde immer wütender, in der selben nacht noch haben sie sie
ich mit den händen in der naht meiner puppe, deren rauhes fleisch an meiner haut
klopfen, drei mal schon kracht es als hätte jemand zeit gehabt die türe wirklich zu öffnen in der kurzen
spanne der zeit bis die schüsse fallen, ganz anders als sie im fernsehen klingen
anders als die glockenhellen schläge in den zeichentrickserien
- Maria, wirklich es ist wichtig! Er hat einen Fehler gemacht, sie haben
der richter spuckt vor mir aus auf den boden, du solltest abnehmen du fette sau
bevor du in der ganzen stadt deinen hässlichen
und dann fliegen die steine, was soll wichtiger sein als das, dass sie steine auf mich werfen
als sei ich nur vieh, als sei ich nicht mehr als
- Maria
als ich aufschrecke sehe ich erst wie bleich sie ist,
ihre wangenknochen wirken als wollten sie die gesichtshaut aufspießen, die sie umspannt
- Was hast du bloß?
sie hört mich nicht, niemand kann mich hören, mir schmerzen die glieder von den steinen
als ich mich erhebe rennt sie um die ecke zur tür, ihr bild bleibt noch kurz hängen im raum bis ich mich orientiere
zum eingang unseres hauses stolpere, ihr öffne, zuhöre und dann wieder nicht zuhöre, wie die worte aus ihr sprudeln
mich wie siedendes wasser verbrühen bis es nicht mehr weh tut bis es wieder von vorne beginnt und sie hört nicht auf
in ihrer panik, wilde flüche
- sie haben ihm alle knochen gebrochen, Maria! sie haben
meinem freund, sie haben ihrem kollegen, ich verstehe nicht ganz, gefoltert haben sie ihn er hätte etwas zu tun mit
und vor mir steigt die rauchsäule auf wie ein gigant, wenn ich auf ihn krabbeln könnte und ihm befehlen die ganze stadt unter seinen großen füßen
im türrahmen steht atemlos pinto, der metzger steht atemlos und sein hals steht fett und kerzengrade in der luft,
kurz bleibe ich hängen an dem hals, kann mich nicht losreissen, vergesse meinen freund und seine knochen, verwerfe meinen plan die ganze stadt
- Maria, es ist schrecklich, hör mir zu, du kannst nicht zu ihm, du musst fort, deine schwester und du, der neue kommandeur, er ist seit heute im amt
der neue kommandeur ist ein alter bekannter, sein name war joao, seine breiten schultern wackelten seltsam beim laufen
sein gang war damals der eines mannes der hätte schmächtig werden sollen und seinen körper dann gewaltsam in die breite zwang
starker, lächerlicher mann
ein bild von ihm und meinem vater stand damals im flur auf dem kleinen holzschränkchen beim telefon
aber wieso verhört er meinen freund, wohin sollen wir gehen, es gibt keinen grund zu fliehen wir hätten ihn doch niemals
- deine schwester hat ein auto, komm jetzt, lass alles zurück wie es ist, komm einfach
ich packe den schal meiner mutter in die handtasche, die alte puppe deren wunde wir mit schwarzem garn genäht haben, das sich so klar von ihrem verblichenen körper
absetzt wir lachten ob der narbe, ein trauriges lachen damals, meine schwester und ich in einem moment in dem ich sie geliebt
- vergiss das, los
sie und pinto ziehen mich in richtung ausgang, ich blicke auf das ungemachte bett, die wehenden vorhänge, kann nicht abschließen damit, nicht jetzt
wie damals, als das feuer unser haus, wir in einer schockstarre vor den flammen fast begeistert, fast jubilierend unsere schimmernden augen
hätte ich noch einmal mit ihm tanzen können, auf den dielen die leise knarzen wenn man darüber steigt
ich hätte mich daran gewöhnen können.

Edekire
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Re: Fortsetzung: ohne titel

Beitragvon Edekire » 25.03.2012, 22:50

lieber shuya,

die fortsetzung gefällt mir auch sehr sehr gut, sie ist mir ein wenig zugänglicher, weil mehr an einzige szene gebunden, die im grunde genommen nur so zerträumt ist. ich finde allerdings, das die soghafte wirkung der sprache und bilder im ersten teil noch stärker ist. das ist eigentlich nicht unbedingt eine kritik an der fortsetzung, ich weiß nicht, wie lange ich die dichte des ersten teiles aushalten würde ohne das es mir aus den ohren raucht. vermutlich ist es gut das ein wenig mehr ruhe einkehrt.
hier sind auch aber so ein paar sachen über die ich ein bisschen stoplere.

die muschel des plattenspielers als tröte

kann ichmir nicht so direkt was drunter vorstellen. so ein ding von einem grammophon? aber muschel?

Lass mich schlafen, komm später wieder, ich schlafe
ich würde das zweite ich schlafe weglassen, ich finde es zuviel wiederholung und es kommt mir auch als geträumte direkte rede etwas unnatürlich vor.

das müde schlurfen von kinderschritten auf den fließen

ich denke bei müde schlurfen sofort an alte leute. vll ist das etwas viel. und ich glaub fliesen schreibt man nicht mit ß. uh, und das von mir....

drei mal schon kracht es als hätte jemand zeit gehabt die türe wirklich zu öffnen in der kurzen
spanne der zeit bis die schüsse fallen, ganz anders als sie im fernsehen klingen
anders als die glockenhellen schläge in den zeichentrickserien

den ersten satz versteh ich nicht: es kracht als hätte jemand zeit gehabt die türe zu öffnen? meinst du du so: es kracht, obwohl niemand zeit hatte? (auf die idee bin ich nach mehrfachen lesen verfallen, weil ich das vll. auch so sagen würde, aber ich glaube, wenn du das so meinst ist das arg schwer verständlich ohne sprachmelodischen hinweis.) ich finde auch das die dopplung zeit / spanne der zeit etwas ungünstig ist vor allem weil ich letzteres ein wenig hmm. überlyrisch finde...
glockenhelle schläge ... ich assoziiere "glockenhell" ganz intensiv mit ton und klang. ist das so passend..? vll. reicht hell, weil der satz das bild eh nur ausgestaltet.

sie und pinto ziehen mich in richtung ausgang, ich blicke auf das ungemachte bett, die wehenden vorhänge, kann nicht abschließen damit, nicht jetzt
wie damals, als das feuer unser haus, wir in einer schockstarre vor den flammen fast begeistert, fast jubilierend unsere schimmernden augen
hätte ich noch einmal mit ihm tanzen können, auf den dielen die leise knarzen wenn man darüber steigt

ich hab erst gedacht es wäre besser ohne "damit" nur " kann nicht abschließen" aber vll. würde das etwas schief, weil das Li ja noch im haus ist hm. das wort "schockstarre" finde ich sehr fremd im erzählfluss es ist so.. groß und extrem und modern und kommt mir nicht passend vor für das Li.
"fast begeistert, fast jubilierend" ich find eins von beiden reicht... weils ja doch auch nur fast ist....
wenn ich über was drüber steige, trete ich nicht drauf also kann es nicht knarzen oder? drüber geht? drauf tritt (etwas ruppig vll)

ich hätte mich daran gewöhnen können.

das ist das einzige wo mich nicht nur ein sprachliches detail stört. ich kann das zwar nicht so ganz an irgendwas festmachen aber ich finde den letzten satz etwas schwach... das ist so...hm..relativierend, wehmütigergeben.... es scheint mir nicht zur intensität des restlichen textes zu passen

liebe grüße
edekire

shuya
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Re: Fortsetzung: ohne titel

Beitragvon shuya » 19.04.2012, 04:29

die fortsetzung gefällt mir auch sehr sehr gut, sie ist mir ein wenig zugänglicher, weil mehr an einzige szene gebunden, die im grunde genommen nur so zerträumt ist. ich finde allerdings, das die soghafte wirkung der sprache und bilder im ersten teil noch stärker ist. das ist eigentlich nicht unbedingt eine kritik an der fortsetzung, ich weiß nicht, wie lange ich die dichte des ersten teiles aushalten würde ohne das es mir aus den ohren raucht. vermutlich ist es gut das ein wenig mehr ruhe einkehrt.


ja, das war so ein bisschen der plan hier eine narrative ebene einzubringen,
ein paar verknüpfungen und handlungsstränge aufzubauen, damit das alles nicht so in der luft zappeln bleibt.
für den nächsten teil wollte ich das mal als basis gesetzt haben.. cool dass das für dich halbwegs funktioniert hat

kann ichmir nicht so direkt was drunter vorstellen. so ein ding von einem grammophon? aber muschel?

werd ich nochmal drüber gehen, haste recht. ich schreib die texte ja immer am stück runter.. manchmal kommen da - ohne, dass ichs merke - komische dinger dazwischen
(ein paar andere habe ich irgendwie beim einfügen hier noch schnell begradigt)

ich würde das zweite ich schlafe weglassen, ich finde es zuviel wiederholung und es kommt mir auch als geträumte direkte rede etwas unnatürlich vor.

eeecht? ich glaub ich sag das immer wenn mich jemand weckt.. beziehungsweise ich denke ich sage es.. zweimal.. eigentlich sag ich angeblich gar nichts.

das müde schlurfen von kinderschritten auf den fließen

fließen werden korrigiert, danke dir!
schlurfen verwendet man auch für kinder (zumindest hier in hessen),
müde kinder schlurfen so rum
erwachsene eigentlich auch, alle schlurfen!

den ersten satz versteh ich nicht: es kracht als hätte jemand zeit gehabt die türe zu öffnen? meinst du du so: es kracht, obwohl niemand zeit hatte? (auf die idee bin ich nach mehrfachen lesen verfallen, weil ich das vll. auch so sagen würde, aber ich glaube, wenn du das so meinst ist das arg schwer verständlich ohne sprachmelodischen hinweis.) ich finde auch das die dopplung zeit / spanne der zeit etwas ungünstig ist vor allem weil ich letzteres ein wenig hmm. überlyrisch finde...
glockenhelle schläge ... ich assoziiere "glockenhell" ganz intensiv mit ton und klang. ist das so passend..? vll. reicht hell, weil der satz das bild eh nur ausgestaltet.

wieder so einer.. ja ne haste recht, ändere ich in "hämmern"

vielleicht so?
drei mal schon hämmern sie als hätte jemand zeit gehabt die türe wirklich zu öffnen in der kurzen
zeit bis sie sie auftreten, bis schüsse fallen, schüsse die ganz anders als im fernsehen,
anders als in den zeichentrickserien klingen.


das ist das einzige wo mich nicht nur ein sprachliches detail stört. ich kann das zwar nicht so ganz an irgendwas festmachen aber ich finde den letzten satz etwas schwach... das ist so...hm..relativierend, wehmütigergeben.... es scheint mir nicht zur intensität des restlichen textes zu passen


mhh.. aber eben wehmütig und ergeben stelle ich sie mir vor
ein bisschen pathos.. mann wech, heim verlassen, fliehen müssen, eben noch gepennt
und wieder in den politischen verstrickungen der eltern, der schwester und auch der eigenen drinne
an die man nicht ganz so gerne erinnert wird,
in ein leben gedrängt, auf das man beim besten willen keinen bock hat.
aber vielleicht fällt mir noch was besseres.. weniger abschließendes ein..
hast schon recht, klingt wie so 'n doofes Soap Opera "schalten sie morgen wieder ein"-Ende.
Find zwar dass das trifft, aber ziehts vielleicht wirklich ein bisschen runter.


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