Hallo mit "Restgeld"

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
schredderjazz
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Hallo mit "Restgeld"

Beitragvon schredderjazz » 02.02.2004, 01:17

hallo Ihr Schreibenden, ich bin jetzt nicht nur Mitglied der Barmer, der katholischen Kirche:-D und von fünf Videotheken, deren Mitgliedsausweise ich allerdings verschlampt habe, sondern auch eines von O livro - und ich freue mich auf Euch. Also, gleich zum Anfang ein allerdings altes Gedicht von mir:


Ich laufe, inwendig Fratzen
schneidend, durch diese eingeschlafene
Stadt, in der die Gesichter,
abgewandt, wahllose Wege gehen,

nur selten von Heizluft gestreift
und sanft im Aufzug erhoben.

Beim Einkaufen plötzlich
- die Kassiererin wirft mir
versiert ein spärliches Restgeld
in die zitternde Hand -
überkommt's mich:

Und das ist dein Leben.

Silentium
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Re: Hallo mit "Restgeld"

Beitragvon Silentium » 04.02.2004, 20:26

Hallo schredderjazz!

Ist dir eigentlich klar, dass du innerhalb der ersten fünf Tage nach Registrierung bei O livro einen südamerikanschen Zwergtapir frei Haus zugestellt bekommst und nur wieder loswirst, wenn du vier Vater unser betest und dabei einen Videotheksmitgliedsausweis schwenkst? Nicht gewusst? Das Kleingedruckte nicht gelesen.... :-D

Hm. Willkommen mal, so ganz Allgemein und herzlich Willkommen im Besonderen.

Zum Gedicht. Ich hab's jetzt mitlerweile an die fünfzehn mal gelesen und bin mir immer noch nicht sicher, was ich dazu sagen soll.

Ich laufe, inwendig Fratzen
schneidend, durch diese eingeschlafene
Stadt, in der die Gesichter,
abgewandt, wahllose Wege gehen


Okay, die erste Strophe ist nicht gerade neu... das graue Menschenströmejederschautineineandererichtungundsoweiterundsofortsyndrom, nennt man das. Zudem gibt es für mich keinen wirklichen Sinn: dein LI ist gleichmütig (?), sonst würde es sich am Schluss nicht über die Feststellung verwundern, das genau das seine Existenz ausmacht. Warum schneidet es dann Grimassen?

nur selten von Heizluft gestreift
und sanft im Aufzug erhoben.


Gut! Gutgutgutgut! Das kommt bekannt vor. Das kann ich mir vorstellen. Das ist gut.

Beim Einkaufen plötzlich
- die Kassiererin wirft mir
versiert ein spärliches Restgeld
in die zitternde Hand -
überkommt's mich:


Ein bissl viele Adjektive (versiert, spärlich, zitternde) aber im Gesamteindruck sehr greifbar, für mich jedenfalls.

Und das ist dein Leben.


Okay, jetzt wird's kritisch. Das ist meine Problemzone in diesem Text. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

Zum einen ist es ein Allgemeinplatz. Ja, ein Leben hat jeder und irgendeines haben auch die Typen an der Supermarktkasse. Immerhin wäre es sonst unsinnig, wenn sie Krankenkassengebühr zahlen würden, nicht?

Andererseits hab ich den Satz beim ersten Mal lesen nicht erwartet, irgendwie... wirkt er nicht einmal so deplaziert. Weil's dieses Aha-Erlebnis ja wirklich gibt. Du stehst im Bus... hörst gezwungenermaßen den Mist, den sich der Busfahrer im Radio anhört... bei einer scharfen Bremsung haut dir irgendwer seine Schultasche in die Milz und... BOING! - Erkenntnis. Überfällt einen aus dem Hinterhalt, in der fadesten, unbedeutensten Situation. Wie an der Kasse beim Restgeldbekommen. Darum, mein in dieser Sekunde gefälltest Urteil: gefäll mir irgendwie.


Grübelgrüße, Silentium
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

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Re: Hallo mit "Restgeld"

Beitragvon Spiderman » 07.02.2004, 20:44

Also, Schredderjazz,
zuerst einmal, was mir gut gefällt: Du gehst bei Deinem Gedicht von einer Alltagssituation aus, vezichtest auf Schnörkeleien, Stilisierungen, Maniriesmen oder Effekthascherei. Das ist Dir hoch anzurechnen. Ich verstehe das Gedicht so, dass während eines alltäglichen Vorganges an der Kasse plötzlich die Automatik des Bwußtseinsstromes unterbrochen wird und eine Mischung aus Verwunderung und Erschrecken darüber eintritt, was es mit dem Leben und dieser Welt auf sich hat. Das ist ein Augenblick, der mich als Lyrikleser interessiert, den ich als Thema für ein Gedicht spannend finde.

Allerdings muss ich Silentium in wesentlichen Kritikpunkten recht geben. Gerade in der ersten Strophe bist Du eher phantasielos, allgemein und oberflächlich.

Heizluft und Aufzug sind dann sehr sehr gut (Oberstadtaufzug???).

Die dritte Strophe finde ich gerade von der rhythmischen Gestaltung, na sagen wir mal suboptimal. Nach dem "plötzlich" kommt erstmal ein Einzug (Einzüge mit Gedankenstrichen sind sowieso eine üble Sitte :-p ), dadurch machst Du jeden Plötzlichkeitseffekt zunichte. Allerdings: das "überkommt's mich" am Ende kommt wieder gut.

"Und das ist dein Leben" ist halt sehr allgemein, klingt mir ein wenig zu blumfeldartig.

Trotz der vielen kritischen Bemerkungen gefällt mir das Gedicht ganz guz. Weil ich den Ansatz richtig finde und mich das Thema interessiert.

Will jedenfalls mehr Gedichte von Dir

Spider
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

schredderjazz
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Re: Hallo mit "Restgeld"

Beitragvon schredderjazz » 08.02.2004, 22:31

hallo Ihr beiden, danke für Euren freundlichen Empfang und für Eure warmherzigen Rezensionen. In dieser kalten Jahreszeit - vor allem, nachdem die Glühweinstände leider schon geschlossen haben - ist das richtig erwärmend.
Hier ein paar Antworten und Fragen:
Ja, es ist der Oberstadtaufzug. Die Heizluft ist übrigens von Ahrens.
Ja, der Anfang ist alles andere als originell. Und für Euch Lyrik-Gourmets etwas fade Kost.
Nein, der umherirrende Mensch ist keineswegs gleichmütig, sondern ziemlich neben der Spur, sonst würde er auch nicht inwendig Fratzen schneiden.
Ja, das mit den Gedankenstrichen - ich kann auch nichts dagegen machen - ist halt so eine Marotte von mir-----
Ja, meine Blumfeld-Alben verkaufe ich gerade bei ebay.
Nein, der Tapir ist nicht stubenrein.
Stimmt schon, das Ende ist ein Allgemeinplatz. Ich hätte eigentlich schreiben müssen: Und DAS ist dein Leben. Denn die Schlussbemerkung bezieht sich doch auf die 5 Pfennig, die in der zitternden Hand liegen. Die Person hat sich nämlich gerade Blumfelds "Ich-Maschine" für 29,95 gekauft.
So, jetzt muss ich leider wieder weiterarbeiten. Toll, dass Ihr mit meinem alten Krempel was anfangen könnt. (Schaut auch mal bei meinem ebay-Auktionen vorbei). bis bald
Euer Schredderjazz


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